Hella Schümann

Der letzte Stuhl

Es fing schleichend an, ich lebte schon lange allein und sogar gerne. Das bedeutet nicht, dass ich mich manchmal auch einsam fühlte. Es gibt Tage, da spreche ich mit niemandem, keine Nachbarn im Garten, kein Anruf, totale Stille. Wozu hatte ich Freundinnen. So verabredete ich mich mit zwei Freundinnen zum Tag der offene Tür auf einem Gutshof zum Kaffeetrinken. Die Besucher drängten sich,  sodass sie die Verteilung der Speisen nicht geregelt bekamen. Rosie musste früher gehen und wurde deshalb nicht mehr bedient. Dann hatte Brigitte auch die Nase voll, sie wollte nicht mehr auf den Kuchen warten,  denn inzwischen waren 2 Stunden vergangen. Ich hatte so einen Appetit auf Kaffee und Kuchen, dass  ich blieb. Jetzt musste ja mal endlich was passieren, denn Leute, die viel später kamen wurden schon bedient und ich saß allein an einem Tisch, mit vielen Menschen rings herum, an dem die Bedienung immer vorbeiging.  Sie beachtete mich garnicht. Da trat ein Mann an meinen Tisch und wollte einen Stuhl und als hätte es sich rumgespochen wurde ein Stuhl nach dem anderen von meinem Tisch entfernt. So saß ich schließlich ganz allein an einem Tisch für 6 Personen auf dem letzten Stuhl ohne Kaffee und Kuchen, und kostete das Gefühl der Einsamkeit aus, umso mehr, weil die Leute dauernd mitleidig zu mir rüberschauten.
Egal wo ich hinkam, ständig holten die Leute die Stühle von meinem kleinen Tisch. Jedesmal verstärkte sich das Gefühl der Einsamkeit, obwohl ich immer gut gelaunt von zu Hause losging. Ich bin nun mal allein!!! Es gab nun zwei Alternativen: Die eine war, ich setzte mich an einen sehr großen Tisch. Das ging nach hinten los, die Leute standen dann irgendwann auf und nach und nach leerte sich der große Tisch. Sie waren einfach fertig mit essen und trinken und meine Bestellung kam ja erst noch. Es war also ganz normal und trotzdem fühlte ich mich einsam, so alleine an dem riesigen Tisch.
Die zweite Alternative war: Ich ließ mir den vorletzten Stuhl nicht nehmen. Ich hatte an einem Tisch mit zwei Stühlen Platz genommen, denn ich war bei einer Ausstellungs-eröffnung gewesen und dort gab es viele Bekannte. Peter hatte ich mal in einem Fotoclub kennengelernt und 6 Jahre lang nicht gesehen. Anton war Künstler und wir besuchten immer gegenseitig unsere Ausstellungen und von Herrn B. kannte ich eigentlich eher seine Frau. Keiner machte Anstalten, mit mir etwas trinken zu gehen, obwohl wir uns schon unterhalten hatten. Sie wollten noch ein bisschen Bilder ansehen. Wenigstens kam die Bedienung sofort und dann griff plötzlich ein älterer Herr unvermittelt nach meinem letzten Stuhl. Seine Tochter sagte: „Du musst fragen.“ So stellte er artig die Frage, ob der Stuhl noch frei wäre und ich antwortete: "Nein!"  „Ah, Sie erwarten noch jemand?" Ich log. Was für ein Glück ich doch hatte, denn kurz darauf kam Peter, aber er wollte stehen, sodass ich dann doch jemand anderm den Stuhl ließ, da kam dann noch Herr B. und ich saß nun auf dem allerletzten Stuhl und unterhielt mich angeregt mit zwei stehenden Männern. Der ältere Mann saß nun mit seiner Tochter ohne Tisch zwischen den vielen Tischen und Leuten. Als ich Peter die Geschichte mit dem Stuhl erzählte, sagte er: „Mit dem Mann habe ich mich gerade sehr angeregt unterhalten, er ist nämlich der Mäzen von dem einen Künstler hier.“
 

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In den Gedichten hat der Autor das lyrische "Ich" durch ein vorwiegendes lyrisches "Du" bzw. "Wir" ersetzt, was eine kollektive Nähe zum Geschehenen hervorruft.
Die sehr eindrücklichen Beschreibungen leben von den vielen Metaphern und Vergleichen.
Eine klare und leicht verständliche Sprache sowie wohlgeformte Reime ermöglichen dem Leser einen guten Zugang zu den Gedichten.
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