Barbara Cordes

Die Verfolgung

Der Schweiß perlte von ihrer Stirn. Ängstlich schaute sie immer wieder hinter sich und mußte feststellen, daß er noch da war. "Ich muß weiter", dachte sie, "Er darf mich nicht einholen". Panik machte sich in ihr breit. "Vorwärts", hämmerte es. Weiter, immer schneller schleppte sie sich die steilen Hügel hinauf. Ihr Atem rasselte. In ihrer Brust drohte das Herz zu zerspringen. Die Last, die sie auf ihrem Rücken trug, schien immer schwerer zu werden, aber sie konnte sie nicht einfach abstreifen. Es mußte ihr gelingen, damit zu entfliehen. In unzähligen Augenblicken wollten die Kräfte versagen. Doch er folgte ihr in immer gleichem Abstand. Groß. Drohend.
Er bliebt stehen, wenn sie nicht mehr weiter konnte und Atem holen mußte. Lauernd beobachtete er jede ihrer Bewegungen. Wann würde sie unter Ihrer Last zusammenbrechen? Plötzlich ging ein Ruck durch seinen wabbeligen Körper. Er sah, daß sie scheinbar in der Falle saß. Eine riesige, steinige Wand tat sich vor ihr auf. Dort hinauf war die einzigste Möglichkeit ihrem Verfolger zu entkommen.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Ein Blick über ihre Schulter bestätigte, daß dieses wahnsinnige Monster dicht hinter ihr war. Er hatte schreckliche, glubschige Augen. "Weiter, da muß ich rauf", ging es durch ihr Hirn. Sie fühlte sich so ausgebrannt und müde. Tränen der Verzweiflung liefen aus ihren hübschen Augen. Stöhnend, mit schmerzverzerrtem Gesicht begann sie den Aufstieg. Diese steile Felswand schien fast unüberwindlich. Scharfe Kanten schnitten tiefe Wunden in ihr Fleisch. Die Last da, auf ihrem Rücken drohte sie in den Abgrund zu ziehen. Mühevoll, Zentimeter für Zentimeter zog sie sich höher. Das Wesen blieb ihr auf den Versen. Manchmal glaubte sie seinen stinkenden, warmen Atem zu spüren. Seit Stunden verfolgte er sie. Vielleicht waren es auch Tage. Ihr Zeitgefühl war völlig außer Kontrolle geraten. Er war ständig da. Unheimlich. Immer wieder abwartend.
Sie hatte Todesangst. Was wollte er. Jeden Augenblick konnte er zuschlagen.
Das Ende der Wand war erreicht. Mit einer verzweifelten Anstrengung versuchte sie über die Kante auf das Plateau zu gelangen. Die schwere Bürde, die sie mit sich trug, zerrte und zog an ihren Schultern. Ausgepumpt, dem Zusammenbruch nahe, schaffte sie es. Ihr seidiges Kleid war überall eingerissen. Der Körper schrie vor Schmerzen.
"Nur einen Augenblick, ich bin so müde", wimmerte sie stumm in sich hinein. Heißer, keuchender Atem berührte Ihren Nacken. Er stierte sie aus seinem schleimigen Gesicht an. Wartend. Worauf um Gottes Willen? Wann war dieser Horror vorbei? Sie dachte einen winzigen Moment ans Aufgeben, wollte sich einfach fallen lassen in die Hoffnung, das es schnell vorbei ging. Er war da. Starrend, unbeweglich. Seine großen Hände lagen auf dem Rand des Plateaus. Seinen massigen Körper stützte er mit den Füßen an der Wand ab. Es schien so, als würde es ihm keine Mühe kosten, in dieser Position zu verharren. "Weiter", hämmerte es hinter ihrer Stirn. Ihr Herz schlug heftig gegen ihre Brust. Sie bäumte sich auf. Mit den letzten Kraftreserven schleppte sie sich vorwärts. Vor ihr lag ein tosender Wasserfall. Nur ein schmaler Grat führte direkt am Rande des Abgrundes hinüber. Sie wagte sich vor, kriechend, Stück für Stück. Der Untergrund war glitschig. Sie hatte kaum eine Möglichkeit, festen Halt zu finden. Immer wieder glitt sie aus, fing sich wieder und kroch weiter, Die Last neigte sich bedrohlich zur Seite in Richtung der kochenden Tiefe. Als sie die Mitte des Wasserfalls erreicht hatte, passierte es. Das, was sie so tapfer bis hierhin getragen hatte, kippte endgültig nach links und zog sie mit sich. Mit letzter Kraft konnte sie sich mit dem Oberkörper auf dem Grat halten. Stöhnend stemmte sie sich auf, versuchte sich hochzuziehen und drohte immer wieder abzugleiten in die sprudelnde Hölle unter ihr. "Wäre es nicht ein Einfaches, jetzt loszulassen? Einfach eintauchen in das Vergessen? Der Horror wäre zu Ende und dieses Monster würde mich nicht kriegen", ging es sekundenschnell durch ihren Kopf. Doch ein unglaublicher Lebenswille gab ihr die Kraft wieder auf den Grat zu gelangen. Keuchend erreichte sie das Ende des Wasserfalles. Hinter ihr stürzten tobende, spritzende Massen mit einem Höllenlärm in die Unendlichkeit. Einen kruzen Moment des Sammelns, dann erhob sie sich schwerfällig und versuchte durch den Wasserdunst auf die andere Seite zu blicken.
Ihr stockte der Atem. Das Monster war nicht mehr da. Einfach verschwunden. Vielleicht war es ja bei dem Versuch, den Wasserfall zu überqueren, abgestürzt und dieses rasende Nass hatte ihn mit sich gerissen?
Vor grenzenloser Erleichterung brach sie zusammen und weinte hemmungslos. Alle Ängste flossen mit den Tränen aus ihr heraus.
Was sie in diesem Augenblick nicht wußte, war:
Frösche fressen keine Schnecken. Und das grüne, glubschäugige Monster war einfach wieder in den kleinen Gartenteich mit Wasserfall zurückgehüpft.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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