Manfred Bieschke-Behm

Gemüseeintopf

Kinderliedertexte bilden die Grundlage für Kurzgeschichte: Diesmal „Hänschen klein“
 

Hänschen klein
Geht allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Steht im gut,
Ist gar wohlgemut.
Aber Mama weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr!
"Wünsch dir Glück!"
Sagt ihr Blick,
"Kehr' nur bald zurück!"
 
Sieben Jahr
Trüb und klar
Hänschen in der Fremde war.
Da besinnt
Sich das Kind,
Eilt nach Haus geschwind.
Doch nun ist's kein Hänschen mehr.
Nein, ein großer Hans ist er.
Braun gebrannt
Stirn und Hand.
Wird er wohl erkannt?
 
Eins, zwei, drei
Geh'n vorbei,
Wissen nicht, wer das wohl sei.
Schwester spricht:
"Welch Gesicht?"
Kennt den Bruder nicht.
Kommt daher die Mutter sein,
Schaut ihm kaum ins Aug hinein,
Ruft sie schon:
"Hans, mein Sohn!
Grüß dich Gott, mein Sohn!"
 
Gemüseeintopf 
Frau Hofbauer rührte mit einem großen Rührlöffel in einem Topf der gefüllt war mit Gemüseeintopf. Sie rührte, ohne dass dafür eine Notwendigkeit bestand denn der Herd, auf dem der Topf stand, war längst ausgestellt. Sie rührte und weinte. Sie weinte nicht laut. Sie weinte still vor sich hin und störte sich nicht an den Tränen, die ihr über ihr Gesicht liefen. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihr Sohn etwas von ihrer Traurigkeit mitbekam. Als Frau Hofbauer die Sinnlosigkeit ihrer Aktivität bemerkte, beendete sie ihre Umrühraktion und wischte sich mit beiden Handrücken die Tränen fort. Anschließend drehte sie sich um und erkundigte sich bei ihren Sohn der am Küchentisch saß und gelangweilt in einer Zeitung blätterte: „Hast du dir das auch wirklich gut überlegt Hänschen.“
„Ja Mutter, das habe ich - und bitte, nenne mich nicht mehr Hänschen – ich bin bald achtzehn, und kein kleines Kind mehr. - Wie oft soll ich es dir noch erklären, dass ich jetzt damit beginnen will mir die Welt anzusehen und nicht erst wenn ich alt und grau bin. Und deshalb ...“
„... und deshalb lässt du mich allein“, unterbrach die Mutter ihren Sohn und kämpfte erneut gegen Tränen.
„Ach Mutter, dass haben wir doch schon mindestens hundert Mal durchgekaut. Du weißt, dass der Tag kommen wird, wo es heißt Abschied nehmen. Ich bin doch nicht für immer weg. Und du hast doch noch Schwester Carola bei dir wohnen. Du bist doch nicht allein.“ Bei: „Du bist doch nicht allein“ stand Hans auf, ging auf seine Mutter zu und umschloss sie mit beiden Armen. Die Umarmung tat beiden gut. Noch in der Umarmung sagte die Mutter zu ihrem Sohn: „Bis heute Morgen hatte ich die Hoffnung, du würdest es dir anders überlegen. Aber es schein, dass deine Entscheidung endgültig ist.“
Mutter und Sohn lösten sich aus der Umarmung. Die starke Nähe fing beiden an nicht gut zu tun. Hans setzte sich zurück an den Küchentisch und seine Mutter machte Anstalten wieder im Gemüse herumrühren zu wollen.
„Mutter, lass gut sein. – Setzt dich zu mir.“
Die Mutter tat, was ihr Sohn ihr empfahl und setzte sich ihrem Sohn gegenüber. Hans nahm beide Hände seiner Mutter und schaute ihr dabei tief in die Augen. Er sagte: „Die Zeit der Überlegungen ist vorbei. Gegen drei Uhr gehe ich zum Bahnhof. Dort werde ich meinen Zug besteigen der mich weg von der Heimat fährt und weiter immer weiter.“
Hans spürt, dass der Abschied seiner Mutter und ihm zusehend schwer fällt. Noch vor der Zeit beschließt er sich auf den Weg zu machen. Schnell waren Rucksack und prall gefüllte Reisetasche gegriffen und schon stand Hans in der offenen Wohnungstür. Der Abschied von seiner Schwester gestaltete sich unproblematisch. Ein Handschlag und ein „Tschüss mach’s gut“ genügte beiden. Nicht so bei der Mutter. Sie begleitete ihren Sohn bis zur ersten Treppenabsatzstufe. Sie sah zu wie ihr Sohn Stufe für Stufe nahm. Ihre Blicke verfolgen ihn bis er nicht mehr sichtbar war. Anstatt zurück in die Wohnung zu gehen blieb sie stehen und wartete bis sie die Haustür zuschlagen hörte. Anschließen eilte sie zum Wohnzimmerfester. Sie riss hastig die Gardine zur Seite und öffnete das Fenster. Sie wollte, so lange es möglich war, ihrem Sohn hinterhersehen. Hans spürte die Blicke seiner Mutter. Er überlegte kurz ob er innehalten und sich zu ihr umdrehen sollte. Er hasste theatralische Abschiede Gegen seine Überzeugung blieb er stehen und drehte sich um. Hans sah seine Mutter am offenen Fester stehen und mit beiden Armen kräftig winken. Er hörte seine Mutter rufen: „Mach’s gut mein Junge und vergiss mich nicht.“
‚Wie könnte ich’, dachte Hans und spürte plötzlich aufkommenden Zweifel. ‚Sollte ich doch besser umkehren und mein Vorhaben in die Tonne treten?’, überlegte er und fühlte sich hin und her gerissen. Doch dann verwischte er den törischen Gedanken. Er winkte ein letztes Mal und beschleunigte anschließend seine Gangart. Hans fühlte sich nicht wohl zu wissen, dass ihn seine Mutter mit den Augen verfolgte. Endlich hatte er die Straßenecke erreicht, die ihn zwang nach links abzubiegen. Jetzt konnte die Mutter ihn nicht mehr sehen. Hans blieb kurz stehen und atmete tief durch. Er fühlte sich frei, nur wenig schuldbeladen, dafür umso mehr freudig erregt.
Am Bahnhof angekommen stellte er fest das der Zug noch knapp eineinhalb Stunden Zeit hatte um planmäßig in den Bahnhof einzufahren. Hans verbrachte die Wartezeit mit dem beobachten der Leute die in ihrem Verhalten nicht unterschiedlicher hätten sein können.
Der Zug fuhr pünktlich in den Bahnhof ein. Ein Fensterplatz erlaubte es Hans die Landschaft wie im Rausch zu erleben. ‚Das Abenteuer hatte begonnen’, dachte Hans und merkte, wie ihm die Augen zufielen und er nur noch das gleichmäßige Fahrgeräusch des Zuges wahrnahm.
Sieben Jahre waren ins Land gegangen. Hans hatte viel von der Welt gesehen. Andere Länder, fremde Menschen und Kulturen hatten ihn erwachsen werden lassen. Heute würde ihn niemand mehr Hänschen rufen. Die Hänschen-Zeiten gehörten der Vergangenheit an.
 So oft er konnte – und wollte – hatte er seiner Mutter und seiner Schwester ein Lebenszeichen zukommen lassen. Aus der Sicht seiner Mutter ganz bestimmt zu selten, aus seiner Sicht ausreichend oft. Nun stand Hans braungebrannt und mit einem Drei-Tage-Bart auf dem Bahnhof seiner Heimatstadt. Er spürte starkes Herzklopfen und eine gewisse Unruhe. ‚Wie wird das Wiedersehen ausfallen?’, frug sich Hans und ‚wird mich meine Schwester wiedererkennen? Werde ich sie wiedererkennen? Sieben Jahre sind eine lange Zeit.’
Hans machte sich auf dem ihn immer noch vertrauten Weg. Ohne, das er es wollte, verlangsamte sich sein Schritttempo je näher er dem Haus kam, aus dem er vor sieben Jahren hinausging ohne zu wissen wann er es wieder betreten würde. Er bog um die Ecke und sah das Haus an dem er keine Veränderungen feststellen konnte. Noch immer war der untere Teil der Hausfassade mit Farbe beschmiert. Noch immer gab es den Zeitungsladen gleich nebenan und noch immer war das Straßenpflaster vor dem Haus uneben. ‚Alles wie gehabt’, dachte Klaus und blickte hinauf zu den Fenstern hinter denen er seine Mutter und seine Schwester ahnte, die beide nicht wissen konnten, dass nur noch wenige Minuten vergehen würden, bis zu ihrem Wiedersehen. Er hatte nicht mitgeteilt, dass der heute kommen würde. Er wollte sie mit seiner Heimkehr überraschen. Hans öffnete ganz vorsichtig die Hauseingangstür, so, als würde ihn hinter der Eingangstür etwas Ungewöhnliches erwarten. Beim Betreten des Hausflurs stiegt ihm ein zugegeben bekannter Geruch in die Nase. Er roch garendes Gemüse. Flott nahm Hans die ersten Treppenstufen, und alle weiteren bis er die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte und schwer atmend vor der Wohnungstür stand. Er lauschte an der Tür und vernahm Stimmen. ‚Es ist jemand zu Hause’, freute sich Hans und drückte mit zittrigem Finger auf den Klingelknopf.
Ein circa vierzehnjähriges Mädchen öffnete den rechten Teil der Flügeltür.
„Bist du Carola? Dann bin ich dein Bruder.“
„Mama, ich glaube mein Bruder steht vor der Tür“, rief das Mädchen etwas verunsichert über die Diele in Richtung Küche.
„Wer ist da?“, erkundigte sich eine Frauenstimme.
„Hänschen steht vor der Tür“, brüllte Carole und sah dabei den Mann, der ihr Bruder sein soll, mit weit aufgerissenen Augen an.
„Wer?“, erkundigte sich die Frauenstimme und Hans sah, wie seine Mutter mit einem Rührlöffel in der Hand ihrem Sohn entgegen eilte. Sie nahm ihn in die Arme, drückte ihn ganz fest an sich und bekam nicht mit, das Gemüsestücke, die am Rührlöffel haften geblieben waren, auf die linke Schulter ihres Sohnes kleckerten. Carola beobachtete wie kleine Karottenstücke und Erbsen von der Schulter ihres Bruders auf die Erde fielen und überlegte, ob sie ihren Bruder, wären sie sich auf der Straße begegnet, wiedererkannt hätte. Carola sah dem Geschehen eine Weile zu und war dann der Meinung, dass es an der Zeit wäre die Sauerei mit dem herabfallenden Gemüse zu beenden. Sie erkundigte sich, ob es nicht angebracht wäre  in die Küche zu gehen, aus der es anfing komisch zu riechen. Gesagt, getan. Die Mutter ging vorneweg, gefolgt von Hans und Carola, die das Schlusslicht bildete.
Hans stellte neben der Küchentür sein Gepäck ab, während seine Schwester sich an den Küchentisch setzte an dem auch Bruder Hans Platz nahm. Die Mutter dagegen eilte aufgeregt zum Herd. Dort angekommen nahm sie den Deckel vom Topf aus dem es mächtig dampfte. Sie steckte den noch immer in der Hand haltenden Rührlöffel in das Gemüse und rührte es kräftig durcheinander. „Hans mein Sohn ist endlich wieder da“, dachte sie und fing an zu weinen. Genau wie vor sieben Jahren. Doch diesmal waren es keine Abschiedstränen, sondern Tränen der Freude.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.08.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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