Hans-Jürgen Rüstau

Ein Wiedersehen im Märchenland

Eine satirische Erzählung von Hans-Jürgen Rüstau


Ein wunderschöner Herbstmorgen, einer der sonnigsten, in dem noch so jungen Herbst des Jahres
war angebrochen.
Die Sonne blinzelte vorsichtig durch die Blätter und Nadeln der Bäume des Märchenwaldes und weckte
mit ihren Strahlen den einen oder anderen Bewohner sanft auf.
Auf den Grashalmen reflektierten Tautropfen diamantenförmig die Sonnenstrahlen über die ruhige
Waldlichtung.
Auf dem Ameisenhaufen am Rande der Lichtung begann ein reges, sehr lebhaftes Treiben seinen Lauf zu nehmen. Antonio, der kleine Ameisenjunge stand auf dem Hügel ganz oben, streckte und reckte sich
und pinkelte dann ungeniert an eine große Tannennadel, wand sich dann seiner Freundin Naddel
zu und rief: "Das wird ein wunderschöner Tag".
Er sollte recht behalten.
Langsam begann das Leben im Märchenwald und im gesamten Märchenland zu erwachen.
Ich hatte mich auf den Weg gemacht, um eine Reportage über das Märchenland zu schreiben, wollte bisher
unbekannte Segmente erkunden und erleben.
Da man aber nicht so einfach in das Märchenland gelangte, musste ich mich einer bestimmten Prozedur, einem
Ritual unterwerfen.
Dieses Ritual war aber nur bei Vollmond erfolgsversprechend.
Als nun der Mond richtig kugelrund war und besonders hell erstrahlte musste ich eine bestimmte Melodie summen,
mich dabei in der Pose eines Toreros im Kreise drehen, dreimal in die Hände klatschen und mit den Füßen stampfen
und schon saß ich im Märchenexpress nach Tannhaus, der Hauptstadt des Märchenlandes.
Was würde mich dort alles erwarten, fragte ich mich ganz aufgeregt. Es war ja bekannt, dass das Märchenland das
Tummelbecken unserer Kindheitsträume war. Ebenso wie die Märchengestalten unserer Kindheit, hatten so manche
Gestalten der jüngsten Vergangenheit und die Schattenseelen mancher Zeitgenossen ihr zu Hause im Märchenland
gefunden.
Einer der bekanntesten Gestalten der jüngsten Vergangenheit sollte mein Wegbereiter auf meiner Tages reise sein.
Eben der berühmt, berüchtigte Markus Wolf wollte mich durch das Märchenland führen und meine Gedanken aus
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bündeln.
Es sollte ein Tag werden, welcher sich fest in meinem Gedächtnis einprägen würde.
Die Sonnenstrahlen versetzten mich in eine wundervolle Gute-Laune-Stimmung.

Einer dieser Strahlen weckte Rotkäppchen, die Geschäftsführerin der gleichnamigen Waldsektkellerei,
behutsam auf. Ihr Magen war so schwer, als wäre er mit Wackersteinen gefüllt. Dabei hatte sie nur
am Vorabend den Konkurrenten Söhnlein geschluckt und war dann sehr zeitig schlafen gegangen.
Dieser Coup war ihr aber auch nur gelungen, weil sie einen Insider Tipp von Markus Wolf vom Wald-
sicherheitsdienst erhalten hatte. Egal, dachte sie, ihre Firma ist jetzt der Marktführer dieses prickelnden
Gesöffs und Söhnlein musste jetzt tun, was immer sie auch wollte.
Und sie würde Söhnlein heute gemeinsam mit Markus Wolf zu ihrer kranken Großmutter mit einer
Flasche Rotkäppchen und einem wundersam duftenden Rührkuchen schicken.
Die würde auf jeden Fall große Augen machen, freute sie sich Rotkäppchen, drehte sich noch einmal
zufrieden auf die andere Seite und träumte noch ein wenig.
Markus Wolf würde ihr dann auch gleich nach seiner Ankunft die drei Fragen stellen die ihn doch
einst so weltberühmt machten.

Markus Wolf: "Großmutter, warum hast du so große Augen?",
Großmutter: "Weil ich noch nicht auf der Toilette war!",
Markus Wolf: "Großmutter, warum hast du so eine große Nase?",
Großmutter: "Weil das ein Andenken an Thomas Gottschall ist!",
Markus Wolf: "Großmutter, was hast für einen großen Mund?",
Großmutter: "Ach Schiet, Markus Wolf, du siehst aber auch alles. Gib mir doch bitte mal meine Zähne
aus dem Glas dort drüben!".

Markus Wolf war wie immer mit dem Ergebnis seines Verhöres zufrieden und plante mit Söhnlein
den geordneten Rückzug anzutreten.
In der Zeit, als Rotkäppchen noch über den vergangenen Abend sinnierte, machte sich Schneeflittchen
auf den Weg, um wie allmorgendlich durch den Wald zu joggen. Ihr ebenholzschwarzes Haar hatte sie
mit einem Band zusammengebunden und es glänzte verführerisch in der Sonne.
An der kleinen Waldlichtung war Pinocchio beim Pils sammeln.
Er hatte schon drei Dosen gefunden.
Als er den Wald verlassen hatte, konnte er für einen kurzen Moment nichts sehen, da ihn die Sonne blendete.
Der arme Tropf konnte auch nicht Schneeflittchen sehen, die sich ihn mit großen Schritten näherte.
Mit einem gewagten Satz sprang sie Pinocchio an und landete inmitten seinem Gesicht.
Dabei hatte sie ihn umgerissen und rief dabei: "So nun lüg doch schon, lüg doch bitte!!".
Diesen Gefallen konnte ihr aber Pinocchio nicht tun, er hatte das Lügen verlernt und wurde über das
ganze Gesicht rot und stammelte: "Ich kann's einfach nicht mehr, es geht nicht mehr".
Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er am Abend mit Pippi Langstrumpf am Lagerfeuer
sitzen würde und sie sich beide so richtig voll lügen würden.

Schneeflittchen aber machte sich weiter auf den Weg, denn zeitgleich wurde bei ihr zu Hause von der bösen
Stiefmutter der Frühstückstisch mit den sieben Fruchtzwergen eingedeckt.
Sie freute sich aber auch schon riesig auf den Morgenfernsehtalk mit Sabrina Christiansen zum Thema“ :
Fernseher, Fernseher dort vor der Wand, wer ist die klügste Frau im ganzen Märchenland?", und gerade da
wollte sie interaktiv unbedingt mit eingreifen.
Schneeflittchen erhöhte die Schrittfrequenz. Ihr Haar wehte im Wind und sie verschwand im Morgendunst des
Waldes.

Einige Bewohner des Märchenwaldes hatten sich schon zum Frühschoppen in der "Waldquelle" einge-
funden und wollten dort das eine oder andere Moosbier trinken. Dazu spielten die Bremer Stadtmusik-
kanten flotte Rhythmen zur Unterhaltung. Gleich neben den Musikanten lag in einem Liegestuhl der
große Entertainer des Märchenlandes, Dirk Pittiplatsch-Bach und lauschte den Klängen der Musik.
Dabei wippte er rhythmisch mit seinen viel zu kurzen Füßen, trällerte dann und wann die Melodie mit
und war im allgemeinen, wie immer, in einer ausgelassenen Stimmung.
An den sonnigen Tagen lag er meist den ganzen Tag im Liegestuhl, da er allein auch nicht wieder aus
dem selben hoch kam. Er war halt schön rund anzusehen. Wenn Gemütlichkeit einen Namen hätte,
hieß sie Dirk-Pittiplatsch.
Und dabei ist er eigentlich Vegetarier, wie er immer wieder betonte.
Egal, er konnte tolle Witze erzählen und man konnte ihm stundenlang zuhören.
Schon wieder erzählte er, kennt ihr den?:
"Ist groß, blond und hat wahnsinnig riesengroße Augen... ?",
Nein, kennen wir noch nicht!!!
"Ich auch nicht, fing doch aber schon gut an, oder?".
Dann lachte er über die vielen dummen Gesichter, die die anderen machten. Er hielt sich vor Lachen
seinen hüpfenden Bauch und der ganze Liegestuhl vibrierte.
Neben ihm sitzend machte sich der große Walddichter, Herr Reiher, seine ganz privaten Herbstgedanken:

Blätter fallen im Sekundentakt
Farben im Naturextrakt
Schritte huschen über die Blätterdecke
Leise, dass ich dich nicht wecke
Schleiche mich zu dir ins Haus
Brötchen in und aus dem Ofen raus
Kaffeeduft zieht zu dir ins Zimmer
Frieren unter deiner Decke?
Nimmer
Frühstück nur mit dir im Bett
Ach wie ist der Herbst doch nett
Möchte einfach liegen bleiben
Nur mit dir die Zeit vertreiben
Honig läuft an meinem Körper runter
Der Herbst
Der treibt es immer bunter
Stöhnend versinke ich im Kissen
Herbstmorgende mit dir
Möchte ich nie mehr missen

Ach ist das schön, dass geht wie Honig runter sagte Dirk-Pittiplatsch und kuschelte sich in seinem Liegestuhl
ein.

Die Kinder spielten ausgelassen auf dem Spielplatz hinter der "Waldquelle". Sie hatten heute schulfrei,
da die Schulleiterin Margot Schnatterinchen alle Lehrer zu einer Krisensitzung gerufen hatte.
Irgend ein schiefer Turm in Pisa drohte umzufallen und das gesamte Bildungssystem des Märchenland unter
sich zu begraben.
Da musste man sich schließlich etwas einfallen lassen, denn man wollte ja nicht zu den dümmsten der gesamten
Märchenwelt gehören.
Prof. Flimmrich, wolle, so sagt man, eine neue Studie über Gans-Tages-Schulen vorstellen.
Damit wäre dann zumindestens ein einheitliches Schulsystem für Gänse durchsetzbar und würde dem gesamten
Märchenschuldienst den Weg zur Weltspitze öffnen.

Wie aus heiterem Himmel kam es zu einer ersten großen Aufregung des Tages.
Frau Elster flatterte ganz aufgeregt in die "Waldquelle" und konnte sich gar nicht beruhigen.
Wisst ihr das Neuste? ,
ich habe eine Gute und eine Schlechte Nachricht, wollt ihr sie hören, die gute oder die schlechte
Nachricht zuerst? Ach ist das aufregend, sagte sie immer und immer wieder. Und es waren alle schon
ganz unruhig und aufgeregt. Gerade als sie loslegen wollte, sagte der Wirt der "Waldquelle", Herr Uhu,
Moment, erst einmal die Werbung, ich gebe eine Runde Moosbier, eine ganz neue leckere Sorte.
Alle hatten nun die Werbepause genossen und die Spannung war ins Unerträgliche gestiegen.
Frau Elster zelebrierte nun weiter, die gute oder die schlechte zuerst?
Natürlich die Gute riefen alle noch aufgeregter.
Nun gut, sagte Frau Elster gefasst, die Gute Nachricht ist...
Jetzt ließ sie sich so richtig viel Zeit...,
die Gute Nachricht ist, auf dem Waldbahnhof ist eine Riesenlieferung von Kondomen eingetroffen.
Auf diese Lieferung hatten sie alle schon sehr lange gewartet und ein freudiges Moosbieranstoßen
ging durch die "Waldquelle". Einige hüpften sogar vor Freude auf den Tischen und tanzten auf diesen.
Als sie sich nun alle wieder beruhigt hatten fiel ihnen ein, dass es noch eine schlechte Nachricht gab.
Jetzt drängten sie Frau Elster nach der Auflösung.
Nun ja, sagte Frau Elster, ihr würdet es ja eh alle merken.
Was würden wir merken? , riefen die Märchenwaldbewohner.
Nun ja, die Kondome sind wohlbehalten auf dem Bahnhof eingetroffen und der arme Borstel hat eifrig
begonnen sie abzuladen. Er trägt sie paketeweise auf seinen Rücken und es hängen schon die Gummi-
fetzen an seinen Borsten. Der Ärmste ist völlig fix und fertig.
Ein lautes, Oh Schei... ging durch die Massen und es trat eine große Stille ein, die man weit über die
Grenzen des Märchenwaldes hinaus hörte.
Es war so still, dass man es nur roch, das in der nahegelegenen "Hänsel und Gretel GmbH" die ersten
Pfefferkuchen des Jahres vom Band liefen. Der zweitgrößte Arbeitgeber des Märchenwaldes war Anfang
des Jahres ins Schlingern geraten, weil die Seniorchefin des Unternehmens zu tief ins Waldbeerglas
geschaut hatte und dabei die Interessen des Betriebes arg vernachlässigte. Nicht zu guter Letzt hatte sie
die Waldsteuer nicht bezahlen können und das Geld auf wilden Partys regelrecht zum Fenster rausgeworfen.
So konnten die neuen Maschinen zur Pfefferkuchenherstellung nicht termingerecht betrieben werden, die
Produktion stagnierte. Nur Markus Wolf konnte sie vor dem schlimmsten bewahren.
Es stand so schlecht um den Betrieb, so dass sich sogar Dachs Gerhard, der bunte Waldkanzler, eine Wald-
bürgschaft über diesen Betrieb übernahm und somit erst einmal Massenentlassungen verhinderte.
Das Geschwisterpaar Hänsel und Gretel hatte mit sofortiger Wirkung die Leitung der Produktion übernommen, mit dem Waldkredit die Produktionsmittel modernisiert und in kürzester Zeit den Betrieb erneuern.
Frau Hex hatte sich gänzlich aus dem Unternehmen zurückgezogen, eine Stiftung für hilflose, unterernährte
Kinder ins Leben gerufen, welche für sie in irgendeiner Art und Weise die Kastanien aus dem Feuer holen sollten. Sie beteuerte aber immer wieder, es sei alles völlig rechtens.
Abends traf sie sich mit gleichgesinnten älteren Damen, wie der bösen Stiefmutter von Schneeflittchen und
Margot Schnatterinchen, die allesamt ehemals gut im Geschäft des Bösen standen, spielten Canaster und sagten sich die Vergangenheit voraus.
Von ihren hohen Übergangsgeldern und von den Geldern, die sie unrechtmäßig beiseite geschafft haben konnten die Damen edle alte Waldbeerbrände trinken und in ihrer unrühmlichen Vergangenheit schwelgen.
Ab und zu will man Markus Wolf in der lüsternen Runde mit den alten Damen gemeinsam gesehen haben.
Aber nichts Genaues weiß man eben auch nicht.
Jedenfalls die Pfefferkuchenproduktion dieses Jahres sollte zu den Besten Pfefferkuchenjahrgängen
der Geschichte gehören, denn der Pfeffer, wie auch der Kuchenanbau war erfolgreicher denn je.

Hänschen hatte eben viel in der Waldhaft bei Markus Wolf gelernt und konnte nun endlich sein Wissen auch
an den Mann bringen.

Gleich hinter dem großzügigem Betriebsgelände der "Hänsel und Gretel GmbH" erstreckte sich ein
lang ausgedehnter Landschaftsstrich, indem alles besonders schön blühte, alles besonders gut gedeiht.
Inmitten einer großen blühenden Landschaft lag der Elefant Helmut Benjamin auf dem Rücken und
posaunte aus seinem Rüssel: "Tärä, Tärä, Tärä, ich habe es doch immer gewusst, dass es diese blühenden
Landschaften geben würde, ich wusste nur nicht genau wann und wo!".
Gleich neben ihn schwappte aus einer Quelle süßer Brei und ergoss sich in ein niemals enden wollendes
Bächlein gleichen Namens. Am Bächlein spielten ganz ausgelassen der kleine Elefant Norbert Benjamin
Blümchen, die Maus und das lustige Schweinchen Saumagen.
Ja, ja Helmut Benjamin hatte sein Lebensziel gefunden, konnte sich zufrieden zurück lehnen und musste
in keinem Porzellanladen der Welt dieses zerdeppern.
Glücklicher Helmut Benjamin.



Über einen kleinen Steg gelangte man auf die andere Seite des Bächleins, schüttelte einen Apfelbaum, nahm das
Brot aus dem Steinofen und stand vor einer blau-weiß geschmückten Bierzeltgarnitur.
Vor ihr stand auf einem Stuhl, von mehreren Zicklein umringt, der Wolf Edmund und rief entzückt:
"Ich habe das Wahlessen gewonnen, ich bin der Sieger! Bavaria, du wunderschönes Schlaraffen-
Land, heute werden wir noch so manches Glas Champagner öffnen und trinken!".
Seine flammende Rede war voller Stolz und Dank und Pechangela, die Vorsitzende der Schwesterpartei nickte
dabei immer wieder zustimmend und ihre Augen strahlten dabei. Was sie im tiefsten Inneren dachte, werden wir
wohl nie erfahren. Er hatte so viele Jahre für dieses Ziel gekämpft, hatte Pechangela von der Spitze verdrängt
hatte gar flüssig reden gelernt, wollte nicht einmal die Lederhose als Pflichtbekleidung im ganzen Märchenland
einführen.
Ich muss sagen, er hätte sogar mich begeistert.
Vor allem sein Wahlprogramm war klar, überzeugend und für mich gab es zu diesem eigentlich gar keine
Alternative.
Er war leider so siegessicher, dass er die gebratene Taube, die direkt auf ihn zugeflogen kam, nicht sah
und tosend zu Boden ging. Aus meiner Perspektive hätte ich aber gedacht, dass er im letzten Moment
noch den Kopf zur Seite genommen hätte, aber es ging alles so schnell.
Sonst soll er aber keinen weiteren Schaden genommen haben.

Andere Augenzeugen hatten natürlich etwas ganz anderes gesehen. Am anderen Ende von Schlaraffen-
land spielte der Dachs Gerhard mit sehr ruhiger Hand Golf und dabei soll es passiert sein. Er holte
zu einem kräftigen Schlag aus und der Golfball soll Wolf Edmund genau an die Stirn getroffen haben.
Das will natürlich niemand offiziell bestätigen.
Nur Markus Wolf habe da eine gewisse geheime Akte.

Ich ging also wieder zurück zur Weggablung, wo der Apfelbaum und der Steinofen steht, ging durch
das Brunnenhaus und es fröstelte mir ein wenig. Ich stand inmitten des Holle-Hofes.
Hier lief auf Hochtouren die Wintervorbereitung.
In reih und Glied standen die vielen hundert Schneefräsen und Schneekanonen.
Es hingen Tausende von Kopfkissen auf den Wäscheleinen und Frau Holle schritt stolz diese Front ab und sagte:
"In diesem Jahr haben wir wieder alles im Griff. Ich habe ausreichend viele Saisonkräfte eingestellt, habe
den Harz eins zu eins umgesetzt und der befindet sich jetzt inmitten des Märchenlandes und ich habe
Tausende Minijobs über mein neues Jobcenter vermittelt. Wir sind die Guten!".

Das war mir dann auch wieder zu viel des Guten und ging schnellen Schrittes wieder durch das
Brunnenhaus zurück. Als ich wieder die blühenden Landschaften sah, wurde es mir mit einem Schlag
wieder wärmer ums Herz.
Aber auch blühende Landschaften müssen ständig gepflegt werden. Dies oblag den immer ungepflegt
aussehenden Obergartenzwerg Wolfgang.
Ihm, besser gesagt, seinen ungepflegten Vollbart, sah ich schon aus großer Entfernung in den blühenden Landschaften herum hüpfen.
Er bemühte sich jedenfalls redlich die blühenden Landschaften zu bewässern, aber es kamen immer
nur ein paar Tropfen aus dem Schlauchende heraus.
Es wäre ihm bestimmt auch irgendwann gelungen, wenn ihm nicht der Zwerg Rezzo immer wieder
auf dem Schlauch gestanden hätte. Die Beiden standen sich eben immer irgendwie gegenseitig im Weg.

Obergartenzwerg Wolfgang war dabei nie um eine Ausrede verlegen...
Wenn da nicht hin und wieder Elefant Helmut Benjamin ausgeholfen hätte und mit seinem Rüssel
kräftig Wasser über die blühenden Landschaften prusten würde, was dann wohl passiert wäre?
Gar nicht auszudenken!
Also, Obergartenzwerg Wolfgang, ein wenig Dankbarkeit wäre schon am Platz!
Oder?

Aber Dankbarkeit gibt es im härtesten Geschäft der Welt, der Politik, natürlich nicht.
Es herrscht da eine gewisse Ellenbogenmentalität.
Was man an einem Tag dem Wahlvolk versprochen hat, muss am Tage nach der Wahl nicht mehr unbedingt Gültigkeit haben.
So ist eben das Leben, nicht nur im Märchenland!



An der kleinen Bank, hinter dem Steg über das Bächlein Süßer Brei saß Herr Reiher, genoss die blühenden
Landschaften und dichtete mit schwingender Gänsefeder schreibend:


Ich bin allein
Kann ohne dich nicht sein
Suche dich Tag und Nacht
Das hat mich nicht zu dir gebracht
Ich reise mit dem Wind geschwind
Das ich dich überall und nirgends find
War auch schon am großen Meer
Das gefiel mir sehr
War hinter den sieben Bergen
Bei den sieben Zwergen
Nur du warst nicht dort
Ich flog mit den Wolken fort
Höre nun auf zu suchen und zu fluchen
Ich warte einfach
Mir ist im Magen flau
Vielleicht kommst du doch
geliebte Storchenfrau


Herr Reiher fand, das ihm diese Zeilen besonders gut gelungen sind, lehnte sich in der Sonne zurück
und lächelte zufrieden. Vielleicht würde er sich heute noch mit Frau Storch treffen.
Gegen Nachmittag sollte es im Waldstadion zur alljährlichen Neuauflage des berühmten Waldlaufes
zwischen Igel und Hase kommen. Im Wald freuten sich schon alle auf diesen sportlichen Höhepunkt.
Das Waldstadion, eines der modernsten in der ganzen Märchenwelt war festlich geschmückt.
Die Sponsoren hatten überall sichtbar ihre Werbebotschaften angebracht und die vielen kleinen Händler
witterten das Geschäft des Jahres.

Kassenwart Hans Eichehäher hatte die höchsten Eintrittspreise, seit Bestehen des Waldstadions verfügt.
Alle maulten über diese Preise und nörgelten herum, aber das Stadion war trotzdem knackvoll.
Es gibt also doch noch genügend Geld im Wald!

Auf dem Rasen fand gerade ein Benefizspiel für vom Aussterben bedrohte Politiker statt. Die in rot-grün
spielende Mannschaft von "Vorwärts Märchenwald" stürmte von links nach rechts gegen das in blau-weiß
agierende Team von "Wacker Bavaria". Es stand 0:0 unentschieden, für wen auch immer.
Wie gesagt, der in rot-grün spielende Dachs Gerhard tribbelde auf das gegnerische Tor zu.
Vor der Strafraumgrenze wurde er vom Libero Wolf Edmund von den Füßen geholt und hechtete sich mit
letztem Einsatz in den Strafraum.
Der Schiedsrichter entschied auf Elfmeter und da kochten auf beiden Seiten die Wogen hoch.
Insgeheim grinste Wolf Edmund über sein gelungenes Foul, es war schließlich doch eine kleine Revanche
für die Golfballattacke des Dachses Gerhard. Aber dieses böse Foul hatte auch Folgen. Wolf Edmund
bekam die rote Karte und wurde vom Platz gestellt. Jetzt musste er vier Jahre, bis zum nächsten Spiel
über seinen Fehler nachdenken. Bei den rot-grünen entfachte aber nun eine erbitterte Debatte, wer diesen
Strafstoß verwandeln sollte.

Sie stritten und stritten.

Bis dem Spielführer Dachs Gerhard der Geduldsfaden riss und er kurzerhand entschied:
"Jürgen tritt du ihn, du hast von uns allen den allergrößten Schuss!".

Der Laubfrosch Jürgen legte sich den Ball zurecht, nahm einen Riesenanlauf und hämmerte den Ball circa
Einhundert Meter hinter dem Stadion in eine Tankstelle. Es war nur dem umsichtigen Handeln des Tank-
wart zu verdanken, dass es nicht zu einer Umweltkatastrophe kam. Er hatte wegen der, durch die Ökosteuer
stark angehobenen Treibstoffpreise, noch nicht wieder bestellt und die Tanks waren leer.

Als der Mordsschuss vom Laubfrosch Jürgen auf die Tankstelle zugeflogen kam, saß zufällig Herr Reiher
im Blickfeld, schaute verträumt in den Himmel und formulierte seinen Traum in Worte:


Ich möchte so gern eine Wolke sein.
Umgeben von anderen Wolken wäre ich nie allein.
Einfach am Leben vorbei ziehen.
Vor Nichts und niemanden müsste ich fliehen.
Meine Wut könnte ich zur Erde schleudern,
mit Blitz, Donner und Regen.
Um die ganze Welt könnte ich reisen.
Mit einer anderen Wolke mich vereinen.
Mit ihr gemeinsam vom Sonnenlicht speisen.
Vom Wind uns treiben lassen.
Die gesamte Ökosteuer himmlisch verprassen.
Einfach nur eine Wolke sein,
kuschelig weich und völlig rein.


Aber wie gesagt, am Schluss endete das Spiel mit 0:0 unentschieden und jeder wollte natürlich den Sieg
für sich beanspruchen. Also, Dachs Gerhard und Wolf Edmund, ihr habt wieder vier Jahre Zeit bis zur
nächsten Spielentscheidung und da kann das Motto nur lauten: Üben, üben und nochmals üben!
Danach sollte sogar eine echte Popgruppe spielen. Der Name dieser Gruppe war mir entfallen, aber deren
Songtext ging mir immer wieder durch den Kopf:
"Es ist keine Ente, wir quälen euch noch nach der Wende... ".
Immer wieder pfiff ich diese Melodie und freute mich auf den bevorstehenden Waldlauf.
Von nichts anderem wurde in den letzten Tagen und Wochen geredet. Keiner von den beiden Teil-
nehmern ließ was aus, den anderen irgendwie mit kleinen Boshaftigkeiten zu belegen.
So nannte der Herr Igel den stolzen Herrn Hase einen alten Rübensaftsack und Herr Hase den Herrn
Igel einen spitzfindigen Krümelkacker.
Es stand der diesjährige Herausforderer Herr Hase, dessen Leistungen ohnehin verletzungsbedingt
nicht die besten waren, mit dem Rücken an der Wand und er musste sich etwas einfallen lassen.
Statt aber zu trainieren bis der Waldboden krachte, sah man Herrn Hase immer mehr in der Disco
"Zum Fuchsbau" mit sehr fraglichen Typen der Unterwelt, wie die Herrn Hamster, Dachs jun. und Fuchs.
Was soll ich sagen, gestern beim Warm Up war Hase wieder ein Gewinnertyp mit strahlendem
Lächeln. Was war geschehen? Die Reporter vom Waldkurier waren der Sache auf den Grund ge-
gangen und das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. In der Mittagspost verkündeten sie, Hase
sei gesperrt wurden. Das Walddopingkomitee hatte in der B-Probe unerlaubte Substanzen gefun-
den. Man hatte bei Hase die verbotenen Rübensaftsekrete in erhöhter Dosierung nachgewiesen und
ihn für den Wettbewerb gesperrt.
Daraufhin hatte sich Hase's Sponsor, die "Telegeh" sofort von seinem Läuferstar getrennt und Herrn
Igel unter Vertrag genommen.
Aber dieser hatte ja für diesen Lauf keinen Gegner mehr und alle Bewohner mussten sich auf das kommende
Jahr vertrösten.
Da die Sperre von Herrn Hase aber wohl zwei Jahre andauern würde, mussten die Teams eine
weitaus bessere Nachwuchsarbeit leisten als bisher. Und da hatten sie alle Füße voll zu tun.

Der Tag im Märchenwald war bisher wie im Besenflug vergangen. Auf der großen Waldlichtung,
wegen der vielen Preiselbeeren auch der "Rote Platz" genannt, nahmen am frühen Nachmittag einige
Märchenprinzen die Parade von Zwergen, Gnomen, Waldgeistern und Gartenzwergen ab.

Es sah märchenhaft aus, all diese kunterbunten Fantasyuniformen. Ein Regenbogen inmitten der
zahlreichen Preiselbeeren. Ein Paradiesvogel allererster Güte schritt stolz allen voran.
Die Parade wurde in diesem Jahr vom Tapferen Schneiderlein, der auch die Paradeuniformen für alle
Beteiligten entworfen und geschneidert hatte, angeführt. Hinter vorgehaltener Hand wurde natürlich
gemunkelt, dass ihm dabei ein weitgereister Boss-Zwerg geholfen haben soll.
Aber wirklich nur ein Gerücht, das keiner so richtig ernst nahm.
Nach der Parade machten sich die Prinzen wieder an ihre täglichen Aufgaben, wie, Frösche, Dorn-
röschen, Schneeflittchen, Aschenputtel und Westerwellen, wach zu küssen. Sie waren damit wie
immer in aller Munde und hatten alle Hände voll damit zu tun.
"Ja, sie erinnern sich doch noch an unsere Prinzessin Westerwelle", fragte mich Markus Wolf?
Ich konnte mich noch dunkel an sie erinnern. Sie zog einst in ihrer Spaßkutsche durch das Märchen-
land und wollte Aschenputtel in einer spektakulären Aktion achtzehn Prozent ihrer guten Graupen
abjagen. Es sind dann am Ende immer nur um die fünf bis sieben Prozent geworden, was Prinzessin
Westerwelle nur noch mehr an den Rand der Bedeutungslosigkeit brachte und teilweise in einem Tief-
schlaf versetzte. Nur ein gewisser Faschingsprinz namens Jürgen W. der Erste versuchte sie immer
wieder wach zu küssen.


Wenn sie dann die Augen aufschlug, rief er ganz entzückt: "Wir beide sind doch ein Dream-Team!",
worauf Prinzessin Westerwelle immer wieder tief erschrocken freiwillig in ihren Tiefschlaf zurück versank.
Dieses Ritual wiederholte sich ständig wieder und immer wieder.
Manche Prinzessinnen sind aber auch undankbar.

Im Fernsehen talkten noch immer Sabrina Christiansen mit den wach geküssten Prinzessinnen unter
dem Motto "Fernseher, Fernseher dort vor der Wand, habt ihr nun endlich die Klügste und Schönste
erkannt?". Darauf klingelten sich die Telefone der Waldtelefongesellschaft "Telegeh" heiß und es
wurde auch ein Anruf, ich glaube von Schneeweißchen, oder war es Rosenstolz? , egal, er wurde
jedenfalls direkt im Programm durchgestellt: "Sabrina, Sabrina, hinter deiner sterilen Mattscheibenwand,
dass interessiert nun wirklich keine Sau im ganzen Land." Daraufhin wurde die gesamte Sendung
nun überhaupt nicht abgesagt und sie wird bestimmt noch sehr lange im Programm sein, da ja auch
im Märchenwald reale Themen äußerst rar sind.
Jedenfalls, nachdem Peter Pan-Maffey, seine Drohung zurückgenommen hatte, im Märchenfernsehen
aufzutreten oder gar "Tabaluga" auszustrahlen, ist der altgewohnte Trott, welchen man aus dem Ost
Fernsehen übernommen hatte, wieder eingetreten.
Markus Wolf hat in altbewährter Weise wieder die vollständige Kontrolle über dieses Medium über-
nommen.
Man konnte dieses Programm sogar an den ORB mit Gewinn verkaufen und damit Hunderttausende
von Menschen so nach und nach einschläfern.
Peter Pan-Maffey soll aber in anderen Welten ein Superstar geworden sein und ganz ordentliche Musik
machen. Die Geschmäcker sind aber auch so etwas von unterschiedlich.
Es soll ja sogar politische Systeme geben in denen Schauspieler Präsidenten und Steinewerfer
Außenminister werden.
Aber das ist fern jeder märchenhaften Realität und Vorstellungskraft.

Im Märchenfernsehen selbst sorgten in den letzten Tagen geplante Ausstrahlungen für hellen Aufruhr.
In einer will Frau Puppendoktor Pille, ihr wisst doch alle, die mit der riesengroßen. ,
den bösen Riesen Sallami gentechnologisch behandeln um somit die von ihm ausgehende Kriegsgefahr
zu bannen. Man hatte bei ihm ein Riesenarsenal mit Steinschleudern vermutet aber nirgendwo etwas ge-
funden. Frau Puppendoktor Pille wolle dies nun mit purer Gewalttechnologie aus ihm austreiben.
Diese Ankündigung hat nun den ganzen Märchenwald in Pazifisten und Kriegstreiber geteilt.
Markus Wolf schlachtete die gesamten Emotionen aus und zog persönlichen Vorteil, wie auch schon
in der Vergangenheit für sich aus dieser verworrenen Situation.

Er will auf der Waldbuchmesse in Flußfurth sein neustes Buch, welches keiner liest, welches auch
niemanden wirklich interessiert, unter dem Titel:
"Mein Kampf gegen Riesen und andere Zeitgenossen",
vorstellen und daraus lesen.
Das Märchenfernsehen wolle an nicht aktueller Stelle weiter auch nicht über dieses Thema berichten.




Langsam ging nun die Sonne, als glühender Feuerball, hinter dem Ameisenhaufen unter und da sie auch nicht wieder dahinter vor kam, wurde es seltsamerweise auch dunkel und kalt im gesamten Märchenwald.

Der Ameisenjunge Antonio hatte den ganzen Tag überlegt was bei ihm anders sei, als bei anderen.
Als er dann immer mehr merkte, dass sein Herz nicht für Naddel schlug, sondern sein Herzschlag der
Ameise Thomas galt, rannte er ganz aufgeregt auf dem Ameisenhügel hin und her und stieß in der
Aufregung mit Naddel zusammen so dass sie den ganzen Ameisenhaufen runterpurzelte und sich ein
Bein brach.
So war jedenfalls die offizielle Version, ein Buch, welches Antonio viele Jahre später schreiben wollte,
sollte auf jeden Fall Licht in das dunkle dieses Tages bringen.
Seit dem liegt er mit seinem neuen Freund der Anders war oder hieß im Bett und beide ließen kuschelnd den Tag ausklingen.
Für sie war die Welt wieder in Ordnung und der Tag war so verlaufen, wie ihn Antonio am Morgen prophezeite.
Es war ein ungewöhnlich schöner Tag.

Der Mond hatte seine Füße genüsslich auf einem kuscheligen Wolkenschaf liegen und träumte noch von Elfen, Glühwürmchen und pausbäckigen Engeln.
Er schreckte mit einem Satz hoch, als die Hexe auf ihrem Motorbesen vorbei geflogen kam und laut grölte:
"Steh endlich auf du Penner, im Märchenwald ist es dunkel wie im Bärenarsch!!".

Oh, das hatte so was von gesessen.
"Ich habe doch nur eine klitzekleine Flasche von diesem edlen Waldbeerengeist getrunken und schon wieder war ich voll“, überlegte der Mond laut.

Er hatte in diesem Monat schon zweimal verpennt. Das ist selbst einem Mond peinlich. Flugs schob
er seine Gleitzeitstechkarte in den himmlischen Schlitz und schaltete die Beleuchtung ein.
Schön, riefen alle Märchenwaldbewohner und zündeten zum letzten mal in diesem Jahr die Grill- und
Lagerfeuer an um sich daran zu versammeln und hi und da ein Rotkäppchen zu köpfen.
Übermütig hüpfte ein gewisses Rumpelstilzchen von den einem auf das andere Bein und sang laut:
"Heute kiffe ich, morgen kiffe ich und übermorgen hole ich mir der Königin ihr Kind!". Wenn er nur
wüsste, wie der Königin ihr Kind hieß. Das Rauchen macht aber die Birne hohl und er überlegte
und überlegte: "hieß es nun Stefan oder hieß es Erkan, oder waren es am Ende alle Beide" und er
wurde wieder übermütig: "Heute kiffe ich, morgen kiffe ich, übermorgen hole ich mir Stefan!".

Als in diesem Moment der Bär Raab aus dem Wald stapfte, verstummte er augenblicklich und zupfte
sich verlegen am Bart.
Der Bär Raab, von der Firma Raab-Kiffer, brummte verstimmt:
"O.k., o.k., das Kind kannst du dir holen, Rumpi, aber das andere ist mein Job, verstanden!".
Es kam keine Erwiderung und die Fronten waren ein für alle male geklärt und schon sang er wieder
übermütig: "Heute sauf ich, morgen sauf ich, Alkohol macht Birne hohl, Birne hohl schafft Platz für
neuen Alkohol, übermorgen hole ich mir Alko, der Königin ihr Kind!" und sein ächzendes Lachen
hallte von jeder Ecke des Märchenwaldes wieder.

Am einem anderem Feuer lagen die Teenies Pippi Langstrumpf und Pinocchio und logen und logen.
Als Pippi Langstrumpf gerade ein Pferd hoch stemmte, waren sie im Lügenhöhepunkt angelangt.
Es war aber noch nicht genug, sie logen immer weiter und weiter.
Das bestimmt die ganze Nacht und Pinocchios Nase wurde immer und immer größer......


Der Mond zog behutsam seine Sternendecke über den Märchenwald und es trat eine wohltuende Stille ein.
Er richtete die Sterne so exakt wie nur möglich aus, so dass alle Märchenwaldbewohner einen sicheren
Heimweg hatten.
Er wusste, alle blickten auf ihn und er hatte bei ihnen einiges gut zu machen.
Nach und nach verschwanden die Bewohner des Märchenwaldes in ihren Bodenlöchern, Hütten, Baumgipfeln, Schlössern, Burgen, Palästen und anderen Eigenheimen, löschten die Beleuchtung,
streckten und reckten sich und schliefen nach diesem aktionsreichen Tag ganz schnell ein.
Herr Reiher flog noch mit Frau Storch ein Stück gemeinsamen Weges, sie setzen sich an den Rand
der Waldlichtung und er rezitierte völlig romantisch:






Der Tag wird sich nur mit dir vollenden
Mond und Sterne werden Licht uns senden
Gemeinsam sind wir im Flug vereint
Freuen uns auf die Sonne
Die auch morgen wieder für uns scheint...



..und Herr Reiher reimte und reimte einen Vers an den anderen. Frau Storch schaute ihn dabei liebe voll an
und träumte mit ihm noch manch so süßen Traum. Ich ließ sie an ihrer Waldlichtung sitzen und
hörte noch eine ganze Weile Herrn Reihers wunderschöne Verse...


Der Mond leuchtet.
Die Sterne funkeln grell.
Der Wald lebt.
Der See spiegelt die Realität wieder.
Mond, Sterne und den Wald sehe ich darin.
Diese Realität verlasse ich und beginne zu träumen.
Denn in meinen Träumen bin ich stark.
Ich kann lachen.
Bin unverletzbar.
Kann alles tun und machen.
Brauch mich nicht mit meinen Gefühlen zu plagen.
Ich bin stark.
Keiner wird an meinem Selbstbewusstsein nagen.
Ich kann glücklich sein, wann immer ich will.
Keiner kann meine Gefühle verletzen.
Niemand meine Träume zerfetzen.
Das Leben im Traum ist vollkommen rund.
Es fehlen die Kanten und Ecken.
Ich muss aus meiner Traumwelt raus,
mich nicht mehr in ihr verstecken.
Der Mond leuchtet.
Die Sterne funkeln grell.
Der Wald lebt.
Ich lebe mittendrin.
Dafür möchte ich alles geben.
Denn mein Traum ist mein Leben.



Markus Wolf brachte mich noch bis zur Zugbrücke über den Fluss, an der in der Vergangenheit schon
so manche spektakuläre Austauschaktion stattgefunden hatte.
Diese Brücke war mehr wie jedes andere Bauwerk märchenhaft hoch sensibel und nie mehr wurde über
eine Brücke derartig viel berichtet.
Sie erinnern sich bestimmt, auf dieser Brücke tauschten einst die Sieben Zwerge ihre Unterhosen
untereinander aus, brach Markus Wolf das große Schweigen und ich war stark beeindruckt.

Fast väterlich legte er seine Pfote auf meine Schulter und sagte, das er mir raten würde wahrheits-
gemäß über das Märchenland zu berichten.
Aber das hatte ich wirklich auch so vor, mehr oder weniger jedenfalls.


Zum Abschluss wurde er noch einmal ganz ernst und offiziell. " Hier, Ihren Reisepass zurück,
ich hoffe Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt in unserem Märchenland!".
Dazu schmiss er die Hacken zusammen, salutierte und seine Stimme nahm einen Ton an, als hätte er den
ganzen Rügener Kreidefelsen gefressen.


Ich sah mich noch einmal kurz um, sah, wie Markus Wolf in der Dunkelheit der Vergangenheit ver-
schwand und dachte mir, wo er hingehört gehört er eben hin.


***

Am Bahnhof angekommen, nahm ich den Zettel aus meiner Tasche, den mir der Walddichter, Herr Reiher
zugesteckt hatte. Es war ein märchenhaftes Gedicht aus seiner ureigenen Feder, welches seine durcheinander
geratene Gefühlswelt zum Ausdruck brachte:


Du küsst einen wunderschönen Prinz,
er verwandelt sich deshalb in einen Frosch.
Ich halte hinter meinen Gittern eine Hex,
je mehr ich sie füttere,
um so mehr braucht sie Sex.
Sieben Frauen auf einen Streich,
eine allein macht mich auch nicht reich.
Mach’s halt wie Aschenbrödel,
die Schlechten,
die nehme ich,
die Guten,
verschmähe ich.
An deinen Haaren
versuche ich mich hochzuziehen,
du hast aber leider nur
eine Kurzhaarfrisur.
So blieb ich am Boden haften
auf beiden Beinen.
Als Pechmarie
würdest du mit mir weinen.
Goldmarie habe ich noch nicht gefunden,
Dornröschen wird
von einem Kaktus umwunden.
Schneewittchen,
ein Flittchen?
Die Nacht hat nur noch wenige Stunden.
Mein allerliebster Traum, gib bitte ruh.
Es wird einmal...
Wir machen das Märchenbuch zu.


Mit diesem Gedicht schwelgte ich in der Vergangenheit des Tages, ließ ihn einfach noch einmal mit geschlossenen
Augen an mir vorbei ziehen und lächelte...

Ich hätte gerne noch so viele alte Freunde und Bekannte im Märchenland getroffen aber die Zeit war viel
zu kurz dafür.
Irgendwann, hatte ich Markus Wolf versprochen, irgendwann, wenn es mir die Zeit erlaubt und der Vollmond
günstig steht, werde ich das Märchenland wieder besuchen und der interessierten Menschheit darüber berichten.
Eines tröstete mich allerdings, auch in der sogenannten realen Welt würde mir auch in Zukunft so Manches
märchenhaft und fern jeder Realität vorkommen.

Auf der Heimfahrt schlug ich die Zeitung auf und ich war schon wieder mitten drin...




© by hajürü 2002

Das Märchenland meiner Kinheitsträume, in dem der Igel Borstel, Schnatterienschen, Pittiplatsch (Figuren aus dem ehemaligen DDR-Fernsehen), gemeinsam mit Märchenfiguren der Gebrüder Grimm und den Schwarzen Seelen einiger unserer aktuellen Politiker ihr Unwesen treiben. Taucht mit mir gemeinsam in diesen Märchenwald ein. Vielleicht habt ihr beim Lesen ebensoviel Spaß, wie ich beim Schreiben.
Ähnlichkeiten mit noch lebenden bekannten Personen sind nicht zufällig, sondern gewollt.
Natürlich würde ich mich am meisten über eure Meinung zu dieser Erzählung freuen.

Mit besten Grüssen

Hans-Jürgen Rüstau
Hans-Jürgen Rüstau, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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