Doris E. M. Bulenda

Geduldiger Rikscha-Fahrer in Malaysia

Eine hübsche kleine Story gibt es aus Malaysia zu erzählen. Malaysia ist ja bekanntermaßen ein muslimisches Land, wenn es auch damals – Ende der 1980er Jahre – ein sehr tolerantes Land war. Sympathisch, preiswert, freundliche Einwohner, die hilfsbereit waren, ohne dabei aufdringlich zu werden und sehr, sehr sicher für Reisende. Probleme gab's eigentlich nie, die Busse fuhren, waren auch ohne große Mühe zu finden, brachten einen sicher – mehr oder weniger bei dem Fahrstil der Driver – zum nächsten Ort. Die Fahrer der allgegenwärtigen Rikschas waren hilfsbereit und wussten immer genau, in welches Hotel sie einen bringen sollten oder wo man was am besten kauft.
Soweit war also alles zu meiner Zufriedenheit und ich genoss den Aufenthalt in diesem Land sehr. Bis auf eine Kleinigkeit – Malaysia war ein total trockenes Land. Außer auf der Touristeninsel Penang war das ganze Land absolut und definitiv ohne Alkohol. Sicher bin ich kein Alkoholiker oder gar abhängig von dem Zeug – aber als Europäerin ist man es halt gewohnt, ab und zu ein Glas Wein oder einen kleinen Whisky-Cola zu sich zu nehmen. Das ist doch eine schöne, entspannende Sitte, nach einem guten Abendessen oder um sich die etwas langweiligen Abende in einem fremden Land zu vertreiben.
Denn an noch etwas krankte es sehr in Malaysia – Nachtleben findet so gut wie gar nicht statt. Wieder mit Ausnahme von Penang, aber sonst gibt es nach dem Dunkelwerden nur noch die Möglichkeit, auf dem Markt oder in einem kleinen Lokal zu essen und dann darf man ins Bett gehen. Durch das Herumlaufen, Besichtigen, Dschungelwanderungen und ähnliche Aktivitäten war ich zwar durchaus müde am Abend, aber ein kleiner Drink vor dem Schlafengehen – das ging mir sehr ab.
Dieser Zustand dauerte schon mehrere Tage an, ich war tagsüber sehr aktiv, die Abende verbrachte ich beim Essen oder beim Marktbummel. Alles ohne einen einzigen kleinen Drink. Ehrlich gesagt sehnte ich mich jetzt doch danach, mich ein Weilchen in einer gepflegten Bar niederzulassen, ein bis zwei alkoholische Getränke zu genießen, Konversation mit Gleichgesinnten zu machen oder so…
Ich war in der Nähe der Grenze zu Singapur gelandet, in einem mittelgroßen Städtchen, das nicht gerade hässlich war, sich aber eigentlich durch nichts Besonderes auszeichnete. Angekommen war ich am späten Nachmittag mit einem alten, unbequemen Bus und hatte nicht die Absicht, weiterzufahren und die Grenze nach Singapur in der Nacht zu überschreiten. Also ließ ich mich in ein Hotel bringen, frischte mich ein wenig auf und zog zu Fuß los. Nach der langen Busfahrt hatte ich Bewegung nötig, außerdem wollte ich ein bisschen auf dem Markt einkaufen. Ich lief auf und ab, kaufte nach zähem Verhandeln – manchmal lästig, aber unbedingt nötig, um nicht das Gesicht zu verlieren – ein paar T-Shirts und andere Souvenirs.
Dabei driftete ich immer weiter ab, lief durch unzählige Nebenstraßen, guckte hier und da in alle möglichen Shops. In einer dieser Nebenstraßen, an einem kleinen Flusslauf gelegen, zuckte ich zusammen: da stand eine Bar, eine richtige echte Bar, mit richtigen, echten Flaschen voller Alkohol im Fenster. Ziemlich abseits gelegen und recht versteckt – aber ich hatte sie gefunden. Der Wermutstropfen daran: sie war zu, wie auf einem Schild zu lesen war, war jetzt noch Mittagsruhe. Dieser freundliche Laden würde erst nach 20.00 Uhr wieder öffnen.
Natürlich schrieb ich mir den Namen der Bar sofort auf, machte mir eine Skizze, wo sie ungefähr gelegen war und wanderte zurück zu meinem Hotel. Ich ruhte mich ein wenig aus, aß dann in einem kleinen Restaurant neben dem Hotel und zog mich im Zimmer um.
Kurz nach 20.00 Uhr erließ ich das Hotel und schnappte mir den ersten Rikschafahrer, der vor dem Hotel auf Kundschaft wartete. Ich las den Namen der Bar von meinem Zettel ab – und bevor ich noch weitere Erklärungen hinzufügen konnte, nickte und lächelte der Fahrer auch schon „I know this place, I know“. Kurzes Feilschen um den Fahrpreis, ich stieg ein und ließ mich gemütlich über die nächtlichen Straßen an den Fluss und zur Bar bringen.
Nach dem Bezahlen des Fahrers war ich schon beim Aussteigen, da fragte er mich, ob er denn nicht auf mich warten solle. Ich lehnte freundlich, aber bestimmt ab, sagte, das sei nicht nötig, ich würde zurücklaufen. Der Fahrer meinte strahlend lächelnd, das wäre kein Problem, er könne warten, „no problem Madam“. Aber ich lehnte nochmal ab – und um weiteren Diskussionen zu entgehen, da diese Kerle recht penetrant sein können, betrat ich eilig die nun geöffnete Bar.
Nach längerer gezwungener Abstinenz wirkte dieser Laden fast schon paradiesisch auf mich. Ein halbdunkler Raum mit einer längeren Theke, ein paar kleine Tischchen – und eine Menge Genießer an der Bar. Nun, eine Menge für diesen kleinen Ort, aber es schien, als hätten sich alle Touristen und andere Ausländer hier eingefunden.
Ich setzte mich dazu an die Bar und bestellte mir einen Whisky Cola. Der erste Schluck schmeckte einfach ausgezeichnet, auch wenn der Drink verdammt stark gemischt war. Ich relaxte, dann blickte ich mich ein bisschen um. Tja, und sofort wurde ich von allen Seiten bestürmt, wo ich denn herkäme, was ich hier täte, ob ich nach Singapur fahren würde oder in die andere Richtung, was ich in Malaysia schon gesehen hätte. Das übliche Prozedere und die üblichen Fragen, wenn man in der Fremde auf Menschen aus dem gleichen Kulturkreis trifft.
Heißt, es ergab sich ein lebhaftes Gespräch, ich hatte den Eindruck, mein Erscheinen hatte echt Leben in die Bude gebracht. Bald saß ich in einer Gruppe von 8 oder 10 Leuten – so genau weiß ich es nicht mehr, dazu waren die Drinks einfach zu stark – und unterhielt mich lebhaft mit Touristenpärchen und Single-Männern, die als irgendwelche Berater im Land arbeiteten. Dabei floss der Alkohol natürlich in Strömen, jeder hatte was zu erzählen, zu berichten, ich bekam Tipps für alles und jedes… Ich erfuhr viele neue Dinge, und auch vieles, was ich bereits wusste oder selbst rausgefunden hatte – oder selbst schon besser gedeichselt hatte. Die Stimmung war am überkochen, es wurde geredet, gelacht und natürlich getrunken.
Zu sagen, dass ich noch wüsste, wie viel ich intus hatte, war absolut unmöglich. Der Barkeeper war sehr aufmerksam, er brachte einen neuen Drink, sobald man ihn nur ansah. Es war gemütlich, die Laune aller Anwesenden war bestens, und auch der Alkoholpegel war bei niemand so hoch, dass er unangenehm oder streitsüchtig geworden wäre. Ein absolut gelungener Abend.
Leider hat alles ein Ende – und das kam doch relativ schnell, da die Sperrstunde um 23.00 Uhr war. Der freundliche Barkeeper war eisern, kassierte Punkt 11 Uhr nachts ab und setzte uns alle vor die Tür.
Und da, beim Betreten der Frischluft, stellte ich erst fest, dass ich doch entschieden mehr Alkohol erwischt hatte, als ich drin feststellen konnte. Die Gesellschaft zerstreute sich in alle Richtungen, ich blieb erst mal stehen und versuchte, durchzuatmen. Danach bemühte ich mich, die Orientierung wiederzufinden bzw. die Richtung meines Hotels wenigstens in etwa ausfindig zu machen.
Beim Umdrehen gewahrte ich durch den Nebel in meinem Gehirn eine Bewegung, ein heftiges Winkel und eine Stimme rief: „Hello Madam, hello I am here“. Ich wandte mich mühsam in die Richtung, aus der die Stimme kam und erblickte zu meiner höchsten Freude den Rikschafahrer, der mich hergebracht hatte. Hatte der Kerl doch tatsächlich in seiner Rikscha vor der Bar auf mich gewartet. Später erfuhr ich, dass das Landessitte ist, und dass die Jungs dann einfach die Zeit in ihrem Vehikel verschlafen. Wohl wissend, dass ein Ausländer, der nachts aus einer Kneipe torkelt, sehr dankbar ist, wenn er seinen bekannten Fahrer sieht.
Nun, mir ging's nicht anders, ich war heilfroh, diesen Jungen zu sehen. Jemand, der wusste, wo ich hingehörte und wo er mich hinbringen musste – was für eine Freunde, wenn man ein so umnebeltes Gehirn hat wie ich an diesem Abend.  Mein Plan, zurück zu laufen, war natürlich nicht mehr präsent, ich weiß auch nicht, ob ich noch einigermaßen gerade hätte gehen können. Daher stieg ich gerne in die Rikscha und ließ mich zu meinem Hotel fahren. Viel habe ich von der Fahrt nicht mitbekommen – ich kämpfte schon heftig mit dem Schlaf.
Endlich waren wir angekommen, und der Fahrer verlangte noch nicht mal einen Nachtzuschlag oder einen Aufschlag fürs Warten, er wollte einfach nur den normalen Fahrpreis, den ich auch für die Hinfahrt gezahlt hatte. Das verblüffte mich nochmal, aber auch das war Landessitte, wie ich erfuhr. Diese Fahrer haben auch ihren Ehrenkodex, sie hauen zwar unerfahrene Touristen schon mal ordentlich übers Ohr, aber wenn sie jemanden „kennen“, dann zahlt der auch nur den normalen Preis.
So kam ich also gesund und munter ins Hotel zurück, warf mich angezogen aufs Bett und schlief lange bis in den nächsten Morgen. Der Kater hielt sich in Grenzen, sodass ich mich am späteren Vormittag auf den Weg Richtung Singapur machen konnte.  Natürlich brachte mich „mein“ Rikschafahrer noch zum Busbahnhof und trug Sorge, dass ich auch in den richtigen Bus, diesmal sogar einen Luxusbus, stieg. Wir verabschiedeten uns freundlich – und ich werde Malaysia, die kleine Bar und den Rikschafahrer immer in bester Erinnerung behalten.
 

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