Melanie Wings

Am Morgen

Ich bin noch hier. Grade wach geworden reibe ich mir eine ordentliche Portion Schlaf aus den Augen. Der Sandmann war fleißig. Der Sandmann. Seit frühster Kindheit ein stätiger Begleiter, ein nächtlicher Besucher. Manchmal stelle ich mir vor wie er vor meinem Bett steht mit seinem Beutel Sand. Ich denke der Beutel ist schwarz. Der Beutel kann nur schwarz sein, denn wie sollte er in einem hellen Beutel den ganzen hellen Sand in der Nacht finden, so ohne Licht? Oder wissen wie viel er noch hat? Ich frage mich, wo er neuen Sand herbekommt. Ich denke, er kann fliegen!Ja er kann fliegen und besorgt sich für die guten Menschen den Sand von schönen Stränden. Für die fliegt er gerne weit, sonnt sich ein wenig und kommt gut gelaunt in der Nacht zurück. Braun gebrannt und in der Nacht dann kaum noch zu sehen. Für die schlechten Menschen fliegt er nicht weit. Bestimmt holt der den Sand aus dem Stadtpark oder dem kleinen See in meiner Nähe. Vielleicht mischt er bei denen ein kleines bisschen Gänsescheisse dazwischen. Die gibt es dort zur Genüge. Den Leuten die ich nicht leiden kann, wünsche ich Gänsescheisse im Auge. Aber ich denke ich bekomme trotzdem den Sand aus der Karibik. Kleine Brocken, gelb und feinkörnig. Noch nie ein großer schwarzer Klumpen Gänsescheisse. Kann also nur von dort sein! Ich stelle mir vor, wie er vor meinem Bett steht und ganz vorsichtig den Sand auf meinen Augen verteilt. Manchmal fällt ihm bestimmt versehentlich etwas in meine Nase, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich stehe auf und mache mich fertig um meiner Arbeit nachzugehen. Jeder muss arbeiten, denke ich. Aber mein Job ist einfach der Schlimmste. Selbstmitleidig betrachte ich mich im Spiegel und male mir das heutige Gesicht. Als allererstes muss es wach aussehen. Wie um Gottes Willen soll man um 5.30 Uhr wach aussehen? "Benutzen Sie Concealer?" fällt mir dazu ein. Die nette Frage, des Herren bei dessen Firma ich mich beworben hatte. Meine Antwort war damals "Nein". Darauf hin sagte er: "Sollten Sie vielleicht." Fand ich charmant. Seitdem antworte ich auf die Frage mit aufgerissenen Augen und kraftvollem: JA!! Leider hat mich seitdem ich diesen Concealer benutze, keiner gefragt ob ich welchen benutze. Aber falls jemand fragt, bin ich gewappnet. Ich denke darüber nach, welche Lidschattenfarbe meinen Gefühlszustand am besten beschreiben würde. Ach scheiss drauf, ich bleibe Gewohnheitstier und schminke mich wie jeden Tag mit dem schon zerbröselten, in der Schatulle einfach kaputt gegangen Glitzerlidschatten. Im Grunde genommen ist es mein Einziger Lidschatten. Ich muss mir mal einen neuen kaufen. Bestimmt kaufe ich dann nach entlosem Überlegen, den gleichen nochmal und ärgere mich dann Zuhause, keinen anderen ausgesucht zu haben. Ich lasse es gleich sein. Erspart mir Ärger.

Auf dem Weg zum Bus sehe ich die vor 5 Tage tot gefahrene Kröte. Sie ist langsam knusprig gebraten von der Sonne, aber man erkennt sie noch als Kröte. Sie? War es eine Mama Kröte? Wenn ja wer kümmert sich nun um die Kaulquappen? Mein Opa hat immer viele Kaulquappen in seinem Teich. Meine Nichte versucht sie immer zu fangen und zu zerquetschen und schreit vergnügt: "Nicht NAMNAM!" Nein das ist wirklich nicht Namnam, erkläre ich ihr dann immer wieder. Bei der Bushaltestelle angekommen, freue ich mich heimlich, dass keiner auf die Bank gekotzt, gepisst oder sein Bier verschüttet hat. Einmal hat jemand Eier und Rasierschaum darauf verteilt. Demjenigen wünsche ich heute noch, dass jemand bei ihm zuhause das gleiche veranstaltet- nur in der kompletten Wohnung. Im Flur, im Bad, in der Küche, im Wohnzimmer, vielleicht auch schon im Treppenhaus und dann wünsche ich mir das die Person einen Hund hat und der Hund zu allem übel auch noch nen dicken Haufen drauf geschissen hat. Nicht mehr ärgern, der Bus kommt. Ich sende ein Stoßgebet gen Himmel, dass ich-toi toi toi- nicht neben jemandem stehen,sitzen oder gar liegen muss, dem seine Körperhygiene komplett egal ist. Ich sehe es ist voll. Kurz überlege ich, ob die heute saubere Bank so einladend finde um auf den nächsten Bus auf ihr zu warten, doch die Zeit drängt. Ich quetsche mich also in den vollen Bus. Die Wahrscheinlichkeit das hier mindestens jedem dritten seine Körperhygiene vollkommen schnuppe ist, ist sehr hoch.Ich halte die Luft an und gehe weiter. Bloß nicht zu viel atmen. Mir ist das alles zuwider. Zum Glück nur 3 Stationen. Vor mir öffnet eine Frau ihre Brotdose und zum Vorschein kommt eine Stulle mit ordentlich Zwiebelmett. Mmmmh...der Geruch. Um 06.30 Uhr gibt es nichts was ich lieber äße. Ich hoffe man hört das die Ironie aus mir spricht. Zum Glück nur noch 2 Stationen. Der Herr vor dessen Platz ich stehe, liest auf ! seinem E -book Reader. In Elefantenschrift, auf Arabisch. Wahrscheinlich einen Roman. Immer wieder wischt er sich mit einem Taschentuch sein rechtes Auge. Vielleicht eine traurige Stelle. Ich tue so als würde ich mitlesen, doch sein Tempo ist mir zu langsam und außerdem wird mir schlecht wenn ich in fahrenden Verkehrsmitteln lese. Zum Glück nur noch eine Station! Für den Busfahrer scheint die nächste Haltestelle sehr plötzlich da gewesen zu sein, deshalb bremst er so hart, dass ich mich festhalten muss. Wer hier wohl schon alles angefasst hat? Ich verschwende keinen Gedanken daran und antworte mir selbst mit "Johnny Depp". So muss es einfach sein. Natürlich fährt Johnny Depp einen Bus vor mir nach Billstedt zur U-Bahn und stand genau hier, wo ich nun stehe, der Busfahrer bremste und Johnny musste sich genau wie ich mit Müh und Not an dieser Stange festhalten. So und nicht anders war es. Ich will einfach nicht glauben, dass anstatt Johnny irgendein betrunkener Penner diese Stange vor mir berührt hat. Angekommen steige ich als fast letzte aus dem Bus und begutachte meine Hand. Ich werde sie nie wieder waschen, denke ich, dann kommt die Bahn auch schon.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.08.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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