Manfred Bieschke-Behm

Das wieder sehen




Eigentlich gibt es für Hans keinen Grund besorgt zu sein. Hildegard hat am Telefon gesagt das sie kommt und dann wird sie auch kommen. Zwei Jahre hatte Hans nichts von Hildegard gehört uns sie auch nicht gesehen. Eine lange Zeit, wie Hans findet. Er hat oft an Hildegard gedacht. Manchmal zu oft und zu intensiv. Gelegentlich tat das an sie denken richtig weh. Auch heute spürt Hans sein Herz. Es fängt an sich zu verkrampfen. Seine Innenhandflächen werden feucht und die Luft zum atmen wird knapp. Fortwährend schaut Hans auf die an der Wand hängende Wohnzimmeruhr. Ihm scheint, als würden sich die Zeiger nur schleppend vorwärts bewegen. Sich still hinsetzen und warten bis es an der Wohnungstür läutet, ist nicht sein Ding. Von Unruhe getrieben läuft er hin und her und hofft damit Zeit totzuschlagen. Seine Umtriebigkeit führt ihn an den Sekretär auf dem ein gerahmtes Foto steht. Er rückt den Rahmen zurecht, obwohl dafür kein Grund vorliegt. Die sorgfältig gebügelte Tischdecke, die quer über dem Couchtisch liegt, streicht er wiederholten Male glatt obwohl keine auch noch so kleine Falte erkennbar ist.
Gleich fünfzehn Uhr. Unruhe trübt sein Glücksgefühl das Hans bis vor kurzem noch spürte. Fünfzehn Uhr zehn. Hans wird misstrauisch. Er erinnert sich an ihre letzte Verabredung mit Hildegard. Wer nicht kam, war sie. ‚Ob sich die Enttäuschung heute wiederholt?’, denkt Hans und fährt sich mit beiden Händen nervös durch die Haare. Wieder schaut er auf das Zifferblatt der Wohnzimmeruhr. Die Zeiger stehen auf fünfzehn Uhr fünfzehn. Es klingelt an der Wohnungstür. Hans erschrickt. Es läutet ein zweites Mal. Hans atmet tief durch. Er begibt sich zur Wohnungseingangstür. Bevor er die Tür öffnet blickt er in den Garderobenspiegel. Er will sich vergewissern, dass äußerlich alles in Ordnung ist. Nach einer oberflächlichen Haarkorrektur öffnet er die Tür. Vor ihm steht Hildegard. Unverändert schön, stellt Hans fest. Nach wie vor strahlen ihre Augen und ihr Lächeln fasziniert noch immer. Ihre freche Frisur trägt sie heute so selbstverständlich, wie vor zwei Jahren.
„Komm doch rein Hildegard“, fordert Hans sie auf und macht Platz damit sie an ihm vorbei gehen kann. Hans nutzt die Gelegenheit ihr nachzuschauen und spürt, dass er von ihrer Erscheinung nach wie vor angetan ist.
„Möchtest du mir deinen Mantel geben“, fragt Hans und ist froh, dass Hildegard den Mantel auszieht und ihn ihm überreicht. Etwas umständlich hängt er den Mantel an den Garderobenhaken und weiß nicht so recht mit der Gesamtsituation umzugehen.
Hildegard hingegen scheint mit der Situation locker umgehen zu können. Ungehemmt nimmt sie Hans in ihre Arme. Anschließend drückt sie ihm einen Kuss auf die rechte Wange. Hans kommt sich vor wie ein Pubertierender bei seiner ersten Nahbegegnung mit einer Frau. Hilflos hängen seine Arme ohne Muskelanspannung nach unten. In beiden Hände spürt er Taubheitsgefühle. Selten fühlte er sich so hilflos wie in diesem Moment. Irgendetwas sträubt sich in ihm Hildegard zu umfassen und an sich zu drücken.
„Schön, das wir uns nach so langer Zeit wiedersehen“, erklärt Hildegard und entlässt ihn aus der Umklammerung.
„Erzähl, wie geht es dir? Was hast du die zwei letzten Jahre gemacht? Hast du eine Freundin?“, will Hildegard wissen. Bevor Hans die Möglichkeit hat auf die Fragen zu antworten stellt Hildegard weitere Fragen: „Bist du verheiratet? Hast du Kinder“ Für Hans sind es entschieden zu viele Fragen. Er findet, dass Hildegard ziemlich aufgedreht ist. So kennt er sie nicht. Aber vielleicht ist sie so aufgekratzt weil sie damit ihre Unsicherheit überspielen will, denkt Hans.
„Ich kann es noch gar nicht fassen, dass du neben mir stehst“, stammelt Hans und überlegt wie bescheuert er auf Hildegard wirken muss.
„Was ist los mit dir“, erkundigt sich Hildegard. „Immer schön locker bleiben.“
Hans spürt das Aufkeimen von Gefühlen und gleichzeitig ist er darüber irritiert, dass Hildegard so tut, als wäre nichts geschehen. Er scheut sich Hildegard seine Gefühle mitzuteilen.
„Warum bist Du zu unserer letzten Verabredung nicht gekommen“, fragt Hans Hildegard und bereut sofort dieses Frage gestellt zu haben. Er befürchtet mit dieser Frage das Gegenteil vom dem zu erreichen was er sich wünscht.
„Lass uns nicht in der Vergangenheit wühlen. Lass uns lieber in die Zukunft schauen.“
Hans überlegt, ob er mit dieser Aufforderung leben kann. Er möchte einen Moment Zeit haben darüber nachzudenken und bietet an etwas Trinkbares zu besorgen. Ohne eine Reaktion von Hildegard abzuwarten begibt sich Hans in Küche. Im Kühlschrank hatte er vorsorglich eine Flasche Sekt deponiert und zwei Gläser abholbereit auf den Küchentisch gestellt. Beim öffnen der Flasche spürt Hans das er froh ist Hildegard in seiner Nähe zu wissen und das er sich dieses Gefühl durch Rechtfertigungen nicht kaputt machen möchte.
 
Unterdessen Hans in der Küche beschäftigt ist, schaut sich Hildegard im Wohnzimmer um. Dabei entdeckt sie das gerahmte Foto, das Hans vor einer knappen Stunde zurechtgerückt hatte.
Hans betritt mit geöffneter Sektflasche und den zwei Gläsern das Wohnzimmer. Er sieht Hildegard das gerahmte Bild in beiden Händen haltend, und er sieht, das ihr Tränen über ihre Wangen laufen.
„Was ist los Hildegard?“, fragt Hans besorgt und stellt Flasche und Gläser ab.
„Du hast mich nicht vergessen“, sagt Hildegard mit brüchiger Stimme, und schaut Hans mit tränengefüllten Augen an.
„Wie könnte ich dich vergessen haben?“, gibt Hans zu bedenken. „Ich liebe dich noch immer und werde es auch weiterhin tun.“ Er reicht Hildegard ein Papiertaschentuch mit dem sie zunächst nachfließende Tränen wegwischt und anschließen hinein schnäuzt.
Hans füllt beide Gläser. Eines davon reicht er Hildegard. „Lass uns auf das Wiedersehen anstoßen.“
Gesagt getan. Nachdem die Gläser geleert sind, setzen sie sich gemeinsam auf die Couch. Ein zweites Glas Sekt, dass sie sich beide gönnen, lässt es zu ungehemmt über das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, zu sprechen. Über das, was die Zukunft bringen könnte wollen sie morgen sprechen.
 

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