Christa Astl

Die "Alte Liebe"


 
 
Wer kennt ihn nicht, den "Alten Hamburger Leuchtturm" in Cuxhaven, dort wo die Elbe in die Nordsee mündet? Er wird die „Alte Liebe“ genannt. Warum? Dort war der Treffpunkt der Liebespärchen, vor allem aber der Seeleute, die sich an diesem Punkt von ihrer Braut verabschiedeten.
Alte Liebe, -  oft war sie dann vorbei und vergangen. Wie viele Abschiedstränen mochten dort wohl geflossen sein, wie viele letzte Küsse zeugten von inniger Bindung, und wie sehr lockte die Fremde, die unbekannte Weite mit ihren neuen Abenteuern.
Lange vorbei, diese Zeit, möchte man glauben? Ein symbolträchtiger Platz ist dieser Ort geblieben, nicht nur ein Touristentreffpunkt. Isolde und Michael wissen ein Lied davon zu singen.
Beide waren in dieser Ecke des Landes aufgewachsen, hatten sich in recht jungen Jahren beim Tanz kennen gelernt. War es Liebe, war es nur Liebelei? Damals schon schwer zu sagen. Michael war um einige Jahre jünger als Isolde, die bereits die erste Jugend überschritten hatte. Sie hatte einen guten Beruf in der nahen Stadt. Michael hingegen wusste nach einer Abschlussprüfung noch nicht recht was anfangen und war somit kein Ehekandidat, der auch eine Familie ernähren konnte, denn darauf käme es ja wohl hinaus. Also entschieden sie, eine Ehe käme nicht zustande, aber sie wollten Freunde bleiben, auch wenn beide eigene Familien gründeten.
Michael war ein Träumer, ein Phantast, wie ihn manche nannten. Er liebte die Musik und das Schöne über alles. Er spielte einige Instrumente und war als Musiker sehr gefragt. Er lebte in verschiedenen Orten, fuhr erst durchs Land, dann dehnte er seine Reisen auf andere Länder und schließlich Kontinente aus. Er zog als Matrose in die weite Welt.
Isolde hatte inzwischen einen festen Freund, den sie in absehbarer Zeit heiraten wollte. Mit Michael blieb sie in Verbindung und wusste von seiner Abreise. Noch einmal wollten sie sich sehen, vielleicht war es das letzte Mal? Mit dem Schiff nach Amerika war ja kein Wochenendausflug, und wenn er erst mal dort Fuß gefasst hatte, würde er, wenn überhaupt, nicht so schnell wieder zurück kommen.
Natürlich trafen sie sich, wie könnte es anders sein, bei der „Alten Liebe“. Lange dauerte die letzte Umarmung, beiden war das Weinen näher als ein Lächeln. Beiden fiel der Abschied schwer, sie spürten wieder, wie gern sie einander hatten, doch sie hatten die Vernunft über ihr Herz siegen lassen. Ein letztes Festhalten, ein langer Kuss, dann trennten sie sich. Durch einen Tränenschleier sah sie noch, wie er ihr zuwinkte.
 
Jahre waren übers Land gezogen. Isolde war inzwischen Mutter dreier Kinder, die sie sehr beanspruchten. An Michael dachte sie nicht mehr. Warum denn auch? Ein paar Karten aus verschiedenen Städten waren noch gekommen, in einer deutete er eine Hochzeit an, dann war Funkstille. Er hatte nun sein Glück gefunden, sie wünschte es ihm.
Die Zeit verging. Isoldes Kinder waren bereits aus dem Haus, ihr Mann war in Pension. Das Leben war stiller geworden, sie begann sich in sozialen Kreisen zu betätigen, versuchte frühere Hobbys wieder aufzunehmen.
Plötzlich wurde diese Ruhe gestört, als eines Tages ihr Handy klingelte. Sie war auf einem Spaziergang und grad in der Nähe des berühmten Leuchtturms.  Eine fremde Männerstimme mit leicht englischem oder amerikanischem Akzent meldete sich. Den Namen hatte sie nicht verstanden, Mike Irgendwas… Da wiederholte er ihn in Deutsch: Michael R… aus Amerika. Wie Funken fiel es ihr von den Augen. Ihr Michael! Aus Amerika!! Sie musste sich erst einmal setzen. So groß war diese Überraschung, dass sie nicht einmal daran dachte zu fragen, von wo aus er eigentlich anrief. Er erzählte in knappen Worten, dass er vor kurzem in Hamburg eingetroffen war und gedenke, einige Zeit hier zu verweilen. Ob sie ihn nicht treffen wolle. Nachdem sie wieder ihre Fassung gefunden hatte, sagte sie natürlich sofort Ja, am übernächsten Tag hätte sie Zeit, da sei ihr Mann mit einigen Kollegen unterwegs und er könne sie am Bahnhof abholen.
Was er wohl zu berichten hätte, und was ihn zurück in die Heimat getrieben hätte? Ob seine Frau auch mit wäre? Isolde bekam ein wenig Angst, ihre Knie begannen schon bei dem Gedanken ans Wiedersehen zu zittern.
Am folgenden Tag fiel es ihr natürlich sehr schwer, sich auf die nötige Arbeit zu konzentrieren. Sie wollte ihrem Mann nichts erzählen, erst musste sie mit sich ins Reine kommen und sich ein Bild machen, ob eine Freundschaft noch einmal neu beginnen könnte. Wahrscheinlich hatte sich so vieles verändert, dass sie sich als Fremde gegenüber stehen würden, versuchte Isolde einer ungeduldigen Vorfreude den Riegel vorzuschieben.
Ja, und dann rollte ihr Zug in Hamburg Hauptbahnhof ein. Sie hatte ihm schon gesagt, sie trüge einen großen roten Schal zur anthrazitfarbenen Jacke. Wie wird er aussehen? Sie erinnerte sich an seine langen, gewellten blonden Haare, den kurzen Vollbart. Noch stand sie ratlos am Bahnsteig und wartete, bis sich die Menge der Ausgestiegenen verlaufen hatte. Da kam einer zielstrebig auf sie zu: graues Haar und Bart, schlanke Figur, doch immer noch die gleiche offene, lockere Art - lachend nahm er sie in die Arme. Die gleiche Wärme wie damals erfüllte sie, als ob er nur vier Wochen, nicht vierzig Jahre fort gewesen wäre. Glücklich schmiegte sie sich an ihn. Alte, jung gebliebene, vielleicht doch ewige Liebe.
 
 
ChA 29.06.16

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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