Manfred Bieschke-Behm

Katergeschichte


Ein scheuer Blick auf meinen Wecker zeigt, die Uhrzeiger stehen kurz vor acht Uhr. Mitten in der Nacht! Für mich. Gestern war es spät geworden. Zu spät. Ich glaube, es war gegen drei Uhr, als ich mich müde und nicht ganz nüchtern ins Bett fallen ließ. Ganz offensichtlich hatte ich mir nicht einmal die Zeit genommen, mich auszuziehen. Warum sonst liege ich in voller Montur in den Kissen? Für das Ausziehen des rechten Strumpfes hatte es gereicht. Diesen Strumpf hatte ich geistig umnachtet über die Nachtischlampe gezogen. ‚Sehr dekorativ’, denke ich und schüttele den Kopf, der mir, je mehr ich ihn hin und her bewege, wehtut. Und nun auch noch der Lärm, der von draußen an meine Ohren bis ins Gehirn dringt. „Aufhören“, rufe ich mehr heiser als laut. „Aufhören!“ Gegen den Lärm kann ich nicht anbrüllen. Das nervige Geräusch ist unerträglich laut und geht bis ins Mark.
Ich stehe, wenn auch unfreiwillig, auf und schleiche mich zum Fenster. Das Geräusch wird demzufolge noch lauter. Ich halte mir beide Ohren zu, was kaum dazu beiträgt, Geräusch in seiner Lautstärke zu reduzieren. Obwohl ich die Ursache des Kraches kenne, schaue ich neugierig, fast waghalsig aus dem Fenster. Ich blicke auf den maroden Holzschuppen, der sich auf der rechten Seite des Hofes befindet und den Herr Mösinger sein eigen nennt. Herrn Mösinger hat die Angewohnheit samstags früh mit scheinbar großer Lust und Laune seine Kreissäge in Betrieb zu setzten. Er sägt Holz in handgerechte Stücke, um damit seinen Kamin zu füttern. „Muss das samstags morgens um acht Uhr passieren?“, frage ich mich jeden Samstag und heute ganz besonders. Wütend und lautstark schließe ich mein Schlafzimmerfenster. Immer noch etwas unsicher auf den Beinen lege ich mich zurück in mein Bett. hoffe ... und hoffe vergebens. An ein Einschlafen ist nicht zu denken. Von Unruhe geplagt wälze ich mich von der einen Seite auf die andere. Ich entschließe mich, aufzustehen. Mit nur einem Socken trottele ich in die Küche und brühe mir einen starken Kaffee. „Wieso muss der Mösinger aus der dritten Etage auch heute wieder Holz sägen? Die Lärmbelästigung grenzt an Terror“, erfährt mein Goldfisch, der gemütlich seine Runden dreht und dem es egal ist, ob Mösinger sägt oder nicht sägt und ob ich einen Kater habe oder keinen. Apropos Kater. Der Grund für mein morgendliches nach Hause kommen sind Ralf und Eric. Die Zwei wohnen seit etwa zwei Jahren in der ersten Etage und besitzen eine Katze. Ralf, der Ältere von den beiden, hatte mich vor ein paar Tagen im Eingangsbereich abgefangen und gefragt ob ich mir vorstellen könnte ihren Kater Conrad eine Woche lang zu versorgen. Eric und sein Freund haben vor für acht Tage nach Paris zu fahren und suchen dringend jemanden, der derweil ihren Kater versorgt. Meine Erklärung, dass ich keine Erfahrungen im Umgang mit Katzen habe, hielt Ralf nicht davon ab, seinen Vorschlag zurückzunehmen.
„Das macht doch nichts“, erklärte er mir. „Conrad ist ein problemloser, pflegeleichter Kater. Er ist Allermanns Freund und würde ganz bestimmt auch mit dir klarkommen.“
‚Wieso duzt der mich?’, überlegte ich, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, weil Ralf mir seine rechte Hand entgegen hielt und fragte: „“Ich darf doch du zu dir sagen oder?“
„Klar. Alles ok“, erwiderte ich und streckte ihm ebenfalls meine rechte Hand entgegen, die er gerne entgegen nahm und sagte: „Ich heiße Ralf und du?“
„Ich heiße Jens, Jens Breiting.“
„Angenehm Jens, Jens ohne Breiting“, sagte Ralf lachte dabei und sah mir in die Augen, als wollte er aus ihnen etwas lesen, was ich nicht bereit war zu erzählen.
„Was hältst du davon, wenn uns am Freitagabend besuchst, dann kann ich dir meinen Mann und unserer Kater vorstellen.“
Ich fühlte mich ein bisschen überrumpelt und wusste mit der Situation nichts so richtig umzugehen.
„Du zögerst Jens“, stellte Ralf fest. „Ist es dir unangenehm? Dann musst du es mir sagen?“
 „Nö, nö ist schon in Ordnung.“
„Na dann bis Freitag. Sagen wir zwanzig Uhr?“
„Gut dann bis Freitag zwanzig Uhr“, erwiderte ich.
Während wir gemeinsam die Treppen zu unseren Wohnungen emporstiegen, kam uns Frau Weingarten entgegen. Frau Weingarten wohnt vis-à-vis von den zwei Männern und hielt eine fast vertrocknete Sonnenblume, die sich in einem Blumentopf befand in ihrer linken Hand.
„Tag Frau Weingarten“, grüßte Ralf und ich fragte: „Hat die Sonnenblume ihren Geist aufgegeben?“
Frau Weingarten reagierte weder auf das „Tag Frau Weingarten“ noch auf meine Anmerkung zur fast vertrockneten Sonnenblume. Sie drängelte sich an uns vorbei, brabbelte etwas vor sich hin und beeilte sich das Haus über den gefliesten Flur so schnell wie möglich zu verlassen.
„Was ist denn mit der los?“, erkundigte ich mich. „Die ist doch sonst nicht so abweisend?“, fügte ich noch dazu.
„Das hat bestimmt nichts mit dir zu tun Jens. Das hat etwas mit mir und Eric zu tun. Die mag uns nicht. Die mag nicht, das sie zwei schwule Männer als Nachbarn hat.“
„Ist ihr Problem“, merkte ich an.
Gemeinsam stiegen wir die Treppe hinauf bis zur ersten Etage. Ralf hatte seine Wohnungstür erreicht und verabschiedete sich mit einem: „Na dann bis Freitag. Ich freue mich“, von mir. Ich nahm jetzt jeweils zwei Stufen auf einmal und war fast genauso schnell hinter meiner Wohnungstür verschwunden, wie Ralf, der scheinbar nicht sofort hinter seiner Tür verschwand, sondern mir vermutlich nachgeschaut hatte.
„Auf was habe ich da eingelassen?“, fragte ich mich, als ich in meinem Flur stand und in den Dielenspiegel schaute.
 
Der Freitag kam schneller als mir lieb war. Mir war ein bisschen mulmig in der Magengegend. ‚Soll ich, oder sollte ich besser nicht?’, fragte ich mich. Dabei meinte ich die Katzenpflege und nicht den Besuch als solchen.
„Komm rein“, forderte Ralf mich auf und hielt die Wohnungstür weit offen. Ich übergab Ralf die mitgebrachte Rotweinflasche und folgte seiner Einladung. Noch bevor ich der Aufforderung Ralf ins Wohnzimmer zu folgen nach kam stolzierte mir Kater Conrad mit erhobenem Haupt und Schwanz entgegen. ‚Was für ein anmutiger Kater’, schoss es mir durch den Kopf. Conrad näherte sich mir und sah mich mit seinen leuchtenden gelben Augen an. Er schlich um meine Beine, schnurrte und schmiegte seinen Kopf immer wieder an meine Waden. Seinen Schwanz hielt er die ganze Zeit über in die Höhe gestreckt. Nur seine Schwanzspitze bewegte sich wie im Takt hin und her.
„Er mag dich“, stellte Ralf fest. „Siehst du, wie er dich mag?“, erkundigte sich Ralf bei mir und forderte mich auf, den Kater zu streicheln. Nachdem ich die mitgebrachte Weinflasche übergeben hatte, tätschelte ich den Kopf des Katers. Belohnt wurde ich, indem der Kater mit seiner rauen Zunge meiner linke Hand abschleckte.
„So nun komm rein. Und du Kater, mach das du verschwindest.“
Wie aufs Wort hörend drehte sich Conrad um und trottete etwas beleidigt wirkend und mit gesenktem Schwanz in das der Eingangstür gegenüberliegende Zimmer, dessen Tür offen stand. „Komm, ich möchte dir meinen Mann Eric vorstellen.“
Eric saß gemütlich in einem Ohrensessel, der gut platziert in Fensternähe stand. Neben dem Sessel befand sich ein kleines rundes Tischchen, auf dem eine Leselampe brannte, die beruhigendes Licht von sich gab. Ein aufgeschlagenes Buch, daneben eine abgelegte Brille und ein Glas halb gefüllt mit Rotwein. Alle Utensilien zusammen füllten die Tischplatte vollends aus.
 „Das ist Eric, mein Mann“, sagte Ralf und zeigte auf einen gepflegt aussehenden Mittvierziger.
Eric, schon längst aufgestanden, reichte mir seine Hand zum Gruß und sagte: „Grüß dich Jens“, dabei lächelte er mich einladend an. „Ich freue mich, dass du der Einladung von Ralf gefolgt bist. Herzlich willkommen in unserem Drei-Männer-Haushalt. Fühle dich wie zu Hause.“
Sich wie zu Hause fühlen, fiel mir nicht schwer. Mir behagte die Einrichtung und die Art, wie die beiden miteinander umgingen, gefiel mir außerordentlich.
Während Ralf sich in die Küche begab, setzen Eric und ich uns an den Wohnzimmeresstisch, der professionell für drei Personen eingedeckt war.
„Ralf und ich kennen uns jetzt etwas mehr als vier Jahre. Seit knapp zwei Jahre wohnen wir hier und fühlen uns sehr wohl“, erfuhr ich von Eric nicht ohne Stolz und mit leicht gerötetem Kopf.
„Schön“, sagte ich und ärgerte mich, dass mir nichts anderes und mehr einfiel, als „schön“ zu sagen.
„Wohnst du alleine Jens? Hast du eine Freundin?“, wollte Eric wissen.
Gerade, als ich überlegte, ob ich Erics Fragen wahrheitsgemäß beantworte, betrat Ralf mit einem voll beladenen Tablett das Zimmer. Schnell waren alle Gegenstände auf dem Tisch verteilt und wir konnten gemeinsam das köstlich zubereitete Essen einnehmen. Nach der Gaumenfreude schlug Eric vor, mein Gastgeschenk zu öffnen. Es blieb nicht bei der Öffnung und Leerung der einen Flasche. Wie viele Flaschen es letztendlich waren, entzieht sich meinem Erinnerungsvermögen. Ich weiß nur so viel, dass es eine Flasche zu viel war.
Zwischen der zweiten und dritten Flasche Wein erklärte ich mich bereit, den „Pflegedienst“ zu übernehmen.
„Da wird sich Conrad aber freuen“, erkläre uns Ralf.
„Der mag dich und wir mögen dich“, ergänzte Eric, und sah dabei seinen Mann an als würde er nachträglich sein Einverständnis zu dieser gewagten Aussage einholen wollen.
„Ich mag euch auch, und natürlich auch Conrad“, nuschelte ich und setzte mein Glas erneut zum Trinken an. Eric und Ralf folgten mir.
Gegen drei Uhr verabschiedete ich mich bestimmt zum sechsten Mal. Nach jedem Versuch hieß es: „Bleib doch noch einen Moment.“ Jedes Mal ließ ich mich überreden und setzte mich wieder. Irgendwann ließ ich mich nicht mehr überreden. Ich blieb - so gut es ging - stehen und machte mich leicht schwankend auf den Weg in Richtung Wohnungstür. Jens und Eric, beide auch nicht mehr ganz nüchtern, folgten mir. Beide verabschiedeten mich mit jeweils einem angedeuteten Kuss auf meine Wangen. Kater Conrad, der sich zwischendurch immer wieder Mal zurückgezogen hatte, stand plötzlich vor uns und beobachtete die Abschiedsszene sehr aufmerksam. Sein Kopf wanderte von einem zum anderen. Schwanzwedelnd schaute er sich an, was wir drei vor seinen Augen veranstalteten. Vielleicht dachte Conrad: ‚Wo zwei Männer sind, die mich und sich gerne haben, darf es gerne auch einer mehr sein.’ 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.09.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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