Angelika Diem

Ein ganz normaler Freitag -

So beginnt ein ganz normaler Freitag

Auf dem Parkplatz beim hinteren Eingang herrscht noch die Leere vor dem Sturm. Ich stelle das Rad ab, wo steckt nur der Schlüssel, sperre die Hintertüre auf und hetze in zum Kopierer. Natürlich, immer wenn ich es eilig habe, hat jemand das Gerät über Nacht abgestellt. Jetzt muss er sich erst wieder warm laufen und außerdem sind keine Blätter mehr da. Bis der Nachschub eingefüllt ist und der große Schalter grün leuchtet steht der Zeiger schon auf halb acht. Und ich habe Hofaufsicht. Die ersten Kollegen sind schon da und freuen sich über den betriebsbereiten, gut gefüllten Kopierer. Währenddessen öffne ich die Glastüre beim Eingang. Soeben fallen die ersten Regentropfen. Na bestens. Da wird das Heimfahren auf dem tropfnassen Rad wieder ein Vergnügen. So langsam tröpfeln auch die Schüler ein. Die ersten versuchen sich an mir vorbei zu schmuggeln, man könnte meinen, draußen hagle es Hunde und Katzen, dabei nieselt es nur, vorerst.
Nach fünf Minuten läutet es endlich, die ganze Rasselbande stürmt an mir vorbei, die Treppen hoch. Ich brauche ein paar Sekunden länger, um die Stufen bis in den zweiten Stock zu erklimmen, man wird schließlich nicht jünger, vor allem als Lehrer nicht.

Schon rütteln die ersten an den Klassentüren. Ich wundere mich schon längst nicht mehr, warum die Schnallen so locker sind. Leider liegt mein Schlüssel noch im Kopierraum. Also wieder hinunter und wieder hinauf. Endlich sind alle Türen offen. Nein, ich habe keine Ahnung wo der zweite grüne Hausschuh ist. Er findet sich kurz darauf im Mülleimer auf der Herrentoilette. Schüler Ch,. hält mir ein Stück von einem elektronischen Irgendwas unter die Nase, das er auf dem Schulweg aus einem Müllhaufen gefischt hat. Danke, kein Appetit auf Lötzinn, gefrühstückt habe ich heute schon. Mir fällt ein, dass ich noch die Checkshefte für den Vokabeltest im Schrank liegen habe. Zuvor muss ich noch zwei Raufbolde auseinander pflücken ehe der eine dem anderen die Nase aus dem Gesicht reiß und darauf herumtrampelt. Da liebenswürdige Bitten nicht wirken, schnappe ich mir einen Schwamm und lasse es auf die beiden regnen. Sie fahren auseinander und ich kann gerade noch ausweichen, ehe mir einer seinen Ellbogen dabei in den Magen rammt. Ich dirigiere die beiden in die Klasse, ermahne sie sich auf den Unterricht vorzubereiten und fange so nebenbei noch eine Schwamm auf, der eigentlich ein Mädchen treffen sollte, das sich gerade hinter einer Schulbank duckt. Natürlich will niemand den Schwamm geworfen haben, warum auch, schließlich wenn es Ufos gibt, dann auch Schwämme die von selbst fliegen.

Dann läutet es zur ersten Stunde, ich habe immer noch meine Schuhe und den Mantel an, meine Hefte liegen noch unten und eigentlich sollte ich schon in der Klasse stehen. Kurz darauf betrete ich die 1c und stelle fest, dass es anscheinend unmöglich für Schüler ist, sich zu merken, wo sie schon vor Beginn eines Tests zu sitzen haben. Also verteile ich sie so, wie wir das schon sieben Mal gemacht haben, gebe die Hefte aus und beginne mit dem Check. Der Rest der Stunde ist wie immer viel zu kurz, um ordentlich in Schwung zu kommen, obwohl es den Schülern nicht so erscheinen mag.

Ich liefere die Hefte im Lehrerzimmer ab und werfe einen Blick auf die Pinwand. Jemand hat einen Zeitungsartikel aufgehängt und eine Seite mit Lerserbriefen daneben festgesteckt. Die Lehrer sind überbezahlt und faul prangert ein eifriger Bürger an. Etwas muss dran sein, sonst würde ich jetzt nicht tatenlos rum stehen und das Zeug lesen. Wahrscheinlich sollte ich mich dafür schämen, dass ich gerade dreißíg Sekunden vertrödelt habe, aber dazu fehlt mir die Zeit, denn das Arbeitsblatt harrt immer noch der Vervielfältigung. Leider hat sich vor dem Kopierer die übliche Schlange gebildet. Und wie immer brauchen alle ihr Material gerade in der nächsten Stunde. Ich leider auch. Es läutet und immer noch sind zwei Kollegen vor mir. Also muss es auch ohne Arbeitsblatt gehen. Natürlich wirft das die Vorbereitung über den Haufen, aber wir Lehrer sind innovativ.

Deutsch in der dritten Klasse ist an der Reihe. Mein erster Blick fällt auf die vorderste Schulbank in der Türreihe. Heute ist anscheinend mein Glückstag. Schülerin E. hat zumindest ein Buch und zwei Hefte dabei, auch wenn sie so aussehen, als wäre eine Herde Gnus darüber getrampelt. Nach der Begrüßung wage ich, vorsichtig anzudeuten, dass sie auf heute die Probeaufsätze für die Schularbeit geschrieben haben sollten. Einige blättern eifrig ihre Hefte durch, andere geben gleich zu, dass sie einfach nicht dazu gekommen sind, eine Woche ist schließlich verdammt wenig Zeit für einen Aufsatz von einer Seite, der gründlich vorbesprochen wurde. Aber was zählt, ist am Schluss die stolze Zahl von vier Aufsätzen, die auf meinem Pult landen. Den heutigen Tag muss ich mir wirklich im Kalender anstreichen. Vier Hausaufgaben von zwanzig Drittklässlern der zweiten Gruppe, fast schon ein Wunder.

Wir machen eine kleine Rechtschreibübung zum Aufwärmen ein einfaches Grammatikkapitel. Ich drehe der Gruppe den Rücken zu, um einen Merksatz an die Tafel zu schreiben, sogleich bricht ein mittelgroßer Krieg aus. Nein, es ist nicht erlaubt, einem Mitschüler das Wörterbuch auf den Kopf zu hauen, auch wenn er dich als xxx bezeichnet. Du dort hinten brauchst nicht zu kichern, wirf lieber deinen Kaugummi weg und du da drüben lass dein Handy das nächste Mal besser zu Hause. Anschließend wäre noch eine Wörterbucharbeit an der Reihe. Reichen die Wörterbücher für die ganze Gruppe? Heute zum Glück ja, wenn auch Todfeinde zusammen sitzen müssen. Zwei Schüler können sich seit Schulanfang nicht mehr daran erinnern, was sie mit ihrem Wörterbuch angefangen haben, bestimmt hat es jemand gestohlen. Nun gut, es wird sowieso Zeit, neue Wörterbücher anzuschaffen. Kommt gar nicht in Frage, quengelt Schüler P. Sein Wörterbuch ist zwar veraltet und seine Eltern müssten das neue bezahlen, aber so wie er sich über die Gelegenheit aufregt, die neue Rechtschreibung sauber gebunden für nur hundert Schilling zu erwerben, sollte man meinen, es ginge um eine Strafe statt um ein preisgünstiges Schnäppchen.

Ich sehe seufzend auf meine Armbanduhr. Der Tag hat noch verdammt viele Stunden. Aber was soll’s? Es ist eben erst der Beginn eines ganz normalen Freitags....

Das hier ist nur der Beginn eines Tages. Da er noch viele Stunden hat, kann noch vieles dem Ich das Leben zur Hölle machen. Warum auch nicht, schließlich wird man dafür ja (jämmerlich schlecht) bezahlt...Angelika Diem, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Angelika Diem).
Der Beitrag wurde von Angelika Diem auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Angelika Diem als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Der Fluch des Inkagoldes von Peter Splitt



DER FLUCH DES INKAGOLDES…
…führt Sie über eine mysteriöse Transatlantik-Kreuzfahrt direkt an authentisch,- archäologische Ausgrabungstätte in Peru. Verfolgen Sie die aufregende Suche von Roger Peters und seinen Freunden nach den Schätzen der Inkas.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Angelika Diem

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Igel von Kerstin Köppel (Satire)
Eine Weihnachtsüberraschung von Karl-Heinz Fricke (Weihnachten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen