Manfred Bieschke-Behm

Die Ente und der Pfau



Im Süd-Westen Berlins, umringt von dichtem Wald und vom Wasser der Havel umgeben liegt sich das paradiesische Eiland, Pfaueninsel genannt.
Zu Füssen des Jagdschlosses mit der markanten gusseisernen Brücke befindet sich eine große Rasenfläche. Sie ist der Lieblingsplatz freilaufender Pfauen. Wenn letzte Sonnenstrahlen das weiße getünchte Schloss goldgelb erscheinen lassen treffen sie sich hier um den Tag ausklingen zu lassen. Voller Stolz schreiten die Pfauen aneinander vorbei, bewegen ihre Köpfe hin und zurück und lassen dabei ihre Federkronen tanzen. Das funkelnde Blau an Hals, Brust und Bauch bei den Hähnen leuchtet je nach Lichteinfall grünlich und golden. Die Schwanzschmuckfedern der Hähne, die je nach Lichteinfall in Blau, Grün oder Gold schimmern und große schillernde Augenflecken besitzen, bilden eine Schleppe, die bis zu eineinhalb Meter lang werden kann.
Gelegentlich richten Pfauen diese Schwanzfedern auf und bilden fächerförmige Räder die an Schönheit und Grazie kaum zu überbieten sind.
All diese Schönheiten bleibt auch der Ente nicht verborgen die sich fast jeden Abend in der Nähe der Pfauen aufhält und neidvoll das Pfauentreffen beäugt. ‚Wie schön sie sind’, denkt die Ente. ‚Einmal Pfau sein dürfen’, wünscht sie sich. Bei dem Gedanken muss sie, ohne das sie es will, ein paar Tränen vergießen.
Gerade als ein Pfau seine Schwanzfedern zu einem Rad aufrichtet und sich um die eigene Achse dreht, versperrt ein anderer Pfau, der plötzlich vor ihr steht, die Sicht.
„Was willst du denn hier, du hässlicher Vogel“, muss sich die Ente anhören. Sie ist empört über die unverschämte Art wie mit ihr gesprochen wird. Die Ente überlegt, wie sie reagieren soll. Leider fällt ihr nichts Sinngleiches ein.
„Sieh dich doch mal an“, fährt der Pfau fort „Du mit deinem nichtsagenden Federkleid und den viel zu großen Watschelfüssen und dem ungeschickten Gang. Und erst dein Schnabel? Mir scheint, du hast zwei Mal hier gerufen, als es um die Verteilung von Schnäbeln ging.“
Der Pfau scheint in Fahrt gekommen zu sein. Nur einmal holt er tief Luft um anschließend da weiter zu machen, wo er gerade aufgehört hat: „Überhaupt! Nichts an dir ist ansehenswert. Verschwinde! Du störst. Du passt nicht zu uns, zu uns den Schönen.“
Die Ente ist fassungslos. Sie fängt an zu schwitzen. In der Halsgegend wird es ihr eng. Sie sucht nach Worten. Sie findet keine. Sie weiß, dass nichts sagen falsch wäre. Aber mit welchen Worten soll sie auf so viel Unverschämtheit reagieren? Die Ente nimmt sich Zeit. Sie überlegt. Endlich weiß sie, was sie sagen will. Wohl sortiert schnattert die Ente so langsam und so deutlich wie es ihr möglich in Richtung Pfauenkopf: „Ich habe andere Qualitäten als nur Schön zu sein. Schönheit ist vergänglich, ob du es hören willst oder nicht.“
Pause. Der Pfau ist fassungslos. ‚Was fällt der hässlichen Ente ein so mit mir zu reden?’ denkt er und versucht aristokratisch auf die Ente herunter zu blicken.
„Du hast Qualitäten?“, erkundigt sich der Pfau in einem herabwürdigen Unterton. „Von welchen Qualitäten sprichst du“, will er wissen und glaubt mit dieser bloßstellenden Frage die Ente in die Enge getrieben zu haben. Die Ente spürt Unruhe in sich. Ihr kleines Herz schlägt viel zu schnell. ‚Jetzt nur nicht schlapp machen’, denkt sie. Sie bemüht sich Haltung zu wahren und auf keinen Fall Unsicherheit erkennbar werden lassen. Der Pfau wirkt beunruhigend. Er hat offensichtlich Mühe seine Schwanzfedern aufrecht zu tragen. Die prächtigen Federn schwanken hin und her und nehmen ihm Stabilität.
Die Ente freut sich insgeheim den großen Vogel verunsichert zu haben, lässt sich ihre Schadenfreude aber nicht anmerken. Während der Pfau sich bemüht krampfhaft die Balance zu halten, spricht die Ente zu ihm: „Ich kann im Gegensatz zu dir Eier legen und Menschen satt machen. Meine Federn füllen Betten und wärmen die darin Liegenden. Und – obwohl ich das nicht so toll finde – landen meinen Geschlechtsgenossen bei vielen Menschen zu Weihnachten als Festtagsbraten auf dem Esstisch. – Reicht das? Oder willst du noch mehr hören?“
Der Pfau beugt sich etwas nach hinten als wolle er Abstand gewinnen um nicht noch mehr hören zu müssen. Zusehend fällt sein fächerförmiges Rad nun endgültig in sich zusammen. Die Ente genießt das sich ihr bietende Trauerspiel, gleichzeitig staunt sie über das, was ihrem Schnabel gerade entwichen ist und das sie es geschafft hat den Pfau seine Selbstkontrolle zu nehmen.
Dem Pfau droht eine Ohnmacht. Ohne Abschiedsgruß dreht er sich um und beginnt damit seinen Rückzug. Plötzlich stolpert der Pfau und legt sich der Länge nach hin. Die Ente amüsiert sich. Sie schaut dem Geschehen noch ein paar Sekunden lang zu und begibt sich anschließend mit stolz angeschwellter Brust auf den Heimweg. Selbstbewusst watschelt sie in Richtung Entenstall, der sich am anderen Ende der Insel befindet. ‚Schönheit ist nicht alles im Leben’, denkt sie und schnattert fröhlich vor sich hin. Zwei Mal ist ein deutliches: „ Quak, Quak“ zu hören, was in diesem Fall so viel heißt wie: Hochmut kommt vor dem Fall.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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