Pia Bateham

Ende

Ich stehe vor dem Polizeipräsidium und atme tief durch. Ich schließe die Augen und gehe ein letztes Mal durch was gleich passieren wird. Dann stecke ich mir die Kopfhörer in die Ohren und drapiere meine Haare darüber.  Noch einmal atme ich tief ein und zähle bis zehn, bevor ich wieder ausatme. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich stelle das Lied, das ich als letztes hören will ein. Es soll das letzte sein, das ich höre, bevor ich sterbe.
Aus einem Gefühl heraus stelle ich das Lied auf dauerschleife. Denn plötzlich, ohne den genauen Grund zu wissen, will ich, dass wenn man mich untersucht und mir die Kopfhörer aus meinen tauben, kalten Ohren zieht, jeder weiß, dass ich als letztes ‚Just Breathe‘ von Pearl Jam gehört habe.
Ich habe mir dieses Lied ausgesucht, schon lange bevor ich wusste wie genau ich sterben werde. Ich hatte darüber nachgedacht, mir in einer gemütlichen warmen Badewanne, die nach Lavendel duftet, die Pulsadern aufschneiden. Doch ich hatte Angst, im letzten Moment einen Rückzieher zu machen. Meine Nächste Idee war, eine Überdosis zu nehmen, aber zu oft hört man von Leuten, denen der Magen ausgepumpt worden war. Ich will nicht wieder zurück in die Klapse. Ich wollte keine Mitleidigen Blicke oder verständnisvortäuschende Therapeuten mehr, die keine Ahnung haben, wie es wirklich in einem psychisch kranken Menschen aussieht. Ich will nur noch ruhige, tödliche Stille. Es gibt unzählige Arten, sich das Leben zu nehmen. Und so viele gefahren, es doch zu überleben. Sich aus dem Fenster zu stürzen und im Rollstuhl zu landen ist eine der schrecklichsten Vorstellungen überhaupt. Mehrmals habe ich schon versucht mich zu erwürgen. Das würgen hat mir irgendwie ein Gefühl der stärke vermittelt. Zu spüren wie der Körper auf spar Modus übergeht, weil kein Sauerstoff mehr in mein Hirn fließt. Doch jedes Mal wenn ich dachte es fast geschafft zu haben, überwog der Selbsterhaltungstrieb und ich habe mich wieder schwach und klein gefühlt. Auch will ich niemand anderes Gefährden. Ich wollte auch nie jemanden mit reinziehen, indem Ich vor ein Auto springe oder so. Und doch stehe ich jetzt hier. Ich öffne meine Augen und schaue mich ein letztes Mal um, bevor ich langsam aber bestimmt auf den Haupteingang des Präsidiums zugehe. Es ist der 28.te Mai 2017, ein sonniger warmer Tag. Genauso wie ich es am liebsten habe. So wie es vor genau vier Jahren auch war. Der Tag an dem er mich das erste Mal geküsst hat. Kurz bevor ich die Türe öffne, zögere ich kurz. Ich fühle das schwere Gewicht der Schreckschusswaffe in meiner Hand. Sie fühlt sich kalt und abstoßend an und do! ch l&oum l;st sie irgendwie ein tröstliches Gefühl in mir aus. Ich werde niemanden verletzen. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht mehr als einen blauen Fleck verursachen. Kurz denke ich wieder über ihn nach. Er ist nicht der einzige Grund, warum ich sterben will. Ein weiterer ist auch, dass mich nie jemand lieben wird.
Es ist einfach so.
Ich starte in der Jackentasche meiner Grau-weiß gestreiften Strickjacke das Lied. Die ersten Töne beginnen. Ich schließe die Augen und als die Flöte einsetzt öffne ich die Türe. Ich weiß, ich werde das Ende dieses Liedes nicht mehr erleben. Ich höre wie mich eine Frauenstimme anspricht und mache die Musik unauffällig etwas leiser. Ich habe 3 Minuten und fünfunddreißig Sekunden. Dreieinhalb Minuten sind lang, wenn man in dieser Zeit sterben will. Die Frau sieht einfühlsam und beruhigend aus. Einen winzigen Augenblick zögere ich, doch dann weiß ich, dass ich mich nur noch mehr hassen werde, wenn ich jetzt wieder kneife. Ich bin zu Feige es selbst zu beenden, deshalb brauche ich jemanden der mich tötet. Jemand, dem kein Gefängnis droht wenn es vorbei ist. Und ein Schuss, geht schnell. Mit etwas glück höre ich nicht einmal mehr den Knall. Meine Stimme ist heiser, mir ist, als würde mir die Luft abgeschnürt. Ich frage nach Ihren Vorgesetzen. Warum, das weiß ich selber nicht. Vielleicht damit es Zeugen gibt, das es Notwehr ist. Vielleicht will ich aber auch nicht von einer Frau getötet werden, die mir ein so warmes Gefühl der Verborgenheit vermittelt. Sie wiederholt die Frage, warum ich ihn sprechen will. Ich schaue ihr tief in die Augen. Nur kurz. Dann flüstere ich. „es tut mir leid.“ Und ich meine es ernst. Heute wird sich nicht nur für mich einiges ändern. Nein ich verändere das Leben dieser Frau, und desjenigen den ich zwingen werde mich zu erschießen. Und das nur weil ich egoistisch und feige bin. Dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Aber ich werde mir bald darüber keine Sorgen mehr machen müssen. Ich denke an den Abschiedsbrief, den ich in meiner Jackentasche habe. In dem ich mich für meine Feigheit entschuldige. Und das ich keinen anderen Ausweg mehr gewusst habe. Es gibt drei Briefe Insgesamt. Die anderen liegen auf meinem Bett. ! Da drin steht, das ich meine Familie sehr Liebe, und die wenigen freunde die ich habe. Und das keiner Schuld an meinem Tot hat. Ich habe Stunden gebraucht für diese Zeilen. Und in dem Brief steht, dass der beiliegende Zettel nach Kanada geschickt werden soll. Auch wenn es dann zu spät ist und ich weiß das er in einer anderen Beziehung ist. Ich will ihm endlich gesagt haben, das auch wenn wir uns vier Jahre nicht gesehen haben und keinen Kontakt hatten, ich nie wirklich aufgehört habe ihn zu lieben.
„Entschuldige. Aber was tut…“ der Rest des Satzes geht in einem Lauten knall unter. Ich habe die harmlose, aber gefährlich wirkende Waffe gezogen und in die Decke geschossen. Ich stelle die Musik auf volle Lautstärke. Mit einem Schlag füllt sich der Eingansbereich mit Polizisten, die ihre Waffen auf mich gerichtet haben. Ich sehe wie sich ihre Münder bewegen, aber bei mir kommt nur wenig an. Tränen rollen mir die Wange herunter. Sie brennen auf meiner blassen, kalten Haut. Noch immer schlägt mir mein Herz bis zu Hals, doch ich weiß, das ist bald vorbei. Ich schaue von einem Augenpaar zum nächsten. Sie schauen ernst und konzentriert zurück. Ich sehe wie sich der Mund von einem erfahrend wirkendem Polizisten mit grau meliertem Haar und grünen Augen zu den Worten Formen ‚nehmen sie die Waffe runter‘. Er kommt einen Schritt auf mich zu, und sofort ziele ich auf seine Brust, um ihm zu signalisieren, dass er stehen bleiben soll. Er tut es für einen kurzen Moment. Ich höre ganz leise eine Stimme, die sich durch die Stimme Pearl Jams Gesang drängt. ‚sie hört uns nicht‘. Ich glaube zu hören wie dieselbe stimme auf meine Kopfhörer aufmerksam macht. Wie ein wildes Tier, das in die Enge getrieben wurde gehe ich unsicher einen Schritt zurück und meine Augen zucken von einem Punkt zum anderen, bis sie wieder die Augen von dem Polizisten, der nur wenige Meter von mir entfernt steht, finden. Er hebt seine Hände, um mir zu signalisieren, dass von ihm keine Gefahr ausgeht und kommt einen weiteren Schritt auf mich zu. Doch ich will das genaue Gegenteil und ich schieße wieder in die Decke. Die Jüngeren Polizisten die ein Stück hinter ihm stehen, verziehen vor Konzentration das Gesicht. Ich sehe, wie einem, der grade erst angefangen haben kann, etwa mein Alter, der Schweiß von der Stirn tropft. Sie Zucken, doch noch hat keiner geschossen. Im selben Augenblick, als mein Sc! huss ert önt, zielt Der mit dem melierten Haar wieder mit seiner Dienstwaffe auf mich und ich dachte für einen Augenblick, er würde endlich abdrücken. Das Lied neigt sich dem Ende zu. Mir läuft die Zeit davon. Es heißt, wenn man stirbt, dauert es sieben Sekunden bis das Hirn endgültig aufhört zu arbeiten. In diesen Sieben Sekunden soll das eigene Leben noch einmal an einem vorbei ziehen. Was werde ich wohl sehen? Meine Familie? Meinen Hund? Vielleicht mein erster Schultag oder mein erster und einziger Kuss? Was ich nicht sehen werde, ist, das ich den, den ich seit Jahren Liebe, der mir den ersten Kuss ‚gestohlen‘ hat, nie gesagt habe, was ich für ihn empfinde. Auch einen Grund warum ich grade dieses Lied gewählt habe.  Aber selbst wenn ich es ihm gesagt hätte, es hätte keinen Unterschied gemacht. Denn er lebt in Kanada. Fast 60 tausend Kilometer weit weg.
Ich kneife vor Verzweiflung die Augen zu. Ich will nicht mehr darüber nachdenken. Ich will auch nicht mehr in diese ruhigen Augen blicken. Ich will sie nicht sehen, wenn er mich erschießen wird. Ich beiße auf meine Unterlippe und halte die Waffe mit beiden Händen auf den Polizisten gerichtet. Mein Zeigefinger spannt sich an, verkrampft sich regelrecht und noch bevor ich abdrücke, höre Ich den Schuss. Im Selben Moment spüre ich den Schmerz und es wird dunkel um mich herum. Doch noch habe ich nicht das Gefühl tot zu sein. Ich liege halb bewusstlos am Boden. Nicht fähig mich zu bewegen oder mich mitzuteilen und doch noch wach genug um alles mitzubekommen was um mich herum passiert. Ich fühle mich plötzlich so geborgen, in der Dunkelheit, wissend das ich nicht alleine bin. Mir ist es plötzlich egal ob ich lebe oder sterbe. Langsam fühle ich einen brennenden schmerz. Pochend wird er immer stärker. Ich merke wie mir jemand meine Kopfhörer aus den Ohren zieht, kurz bevor das Lied zu Ende ist und mit einem mal überkommt mich eine ungemeine Geräuschkulisse. Ich höre stimmen, die durcheinander reden. Weit weg eine Sirene, die lauter zu werden scheint. Eine Stimme die zu mir zu spricht, doch ich verstehe sie nicht. Noch nicht. Ich wehre mich nicht, ich bleibe einfach auf der Seite liegen. Geborgen in der Dunkelheit und umhüllt von dem alles verdrängendem Schmerz.
Jemand schüttelt sanft meine Schulter. Ich will nicht aufwachen.
„Es wird alles gut, der Krankenwagen ist unterwegs.“ Einen winzigen Wimpernschlag lang öffne ich meine Augen und sehe, das zu einem mittlerweile lockerem Pferdeschwanz nach hinten gebunden Haar und die blauen Augen von der Polizistin am Empfang. Auch wenn ich meine Augen wieder geschlossen habe, gibt mir das Bild von ihr Kraft. Dann höre ich sie mit einem Hauch von Strenge, Sarkasmus und auch Mitgefühl etwas sagen. Ich brauche einen Moment um zu verstehen, dass sie mir eine Frage gestellt hat. Und noch einen um zu verstehen welche. ‚Ob ich wirklich geglaubt habe, mit einer Schreckschusswaffe in einem Polizeipräsidium weit zukommen‘. Ich wusste die Antwort darauf nicht. und selbst wenn, wäre ich nicht in der Lage gewesen, ihr zu Antworten. Dann, mit einer Sicherheit, die nur ein sterbender zu fühlen vermag, weiß ich das ich jetzt Sterbe. Das letzte dass ich höre, ist ein lautes Piepen. Doch es ist kein Film der sich vor meinem inneren Auge abspielt, sondern die Frage, ob das piepen eingebildet ist, oder real war und von dem Rettungsdienst herrührt. Und bevor ich endgültig mein Bewusstsein verliere, frage ich mich wieder, sterbe ich jetzt wirklich oder retten die mich doch?
Dann ist alles dunkel und ich spüre nichts mehr.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.10.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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