Hans Fritz

Von Alternativen und Kontrasten

(leicht veränderte Fassung vom 30. Mai 2014)

Der Wegweiser zur Ruine Schroffenfels stellt den Wanderer vor die Entscheidung: Fahrweg, oder markierter Wanderweg. Da wäre also die asphaltierte, langweilige Bergstrasse. Als Alternative der zwar sorgfältig markierte, aber steinige Steig. Die Wahl zwischen beiden Möglichkeiten fordert einen Entschluss. Links oder rechts, bequem oder unbequem. Allein ungeeignetes Schuhwerk kann in diesem Fall eine Entscheidungshilfe zugunsten der Fahrwegbegehung sein.

In vielen Situationen des täglichen Lebens, die uns vor die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten stellen, bietet sich keine Entscheidungshilfe an. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Wird Plan A aus welchen Gründen auch immer verworfen, gilt als Alternative Plan B.

Wie geht Weltliteratur mit solchen Fragestellungen um?

Jetzt kommt erst einmal, was kommen muss, nämlich der berühmte, in Situationen, die den Überlebenswert einer Existenz oder eines Sachverhalts in Frage stellen, immer wieder zitierte Satz aus Shakespeares tiefsinniger Tragödie Hamlet (3. Akt, 1. Szene): „To be, or not to be, that is the question" (Sein oder nicht sein, das ist die Frage). Leben oder Tod? Der Monolog offenbart ein Hinundhergerissensein, wobei der Tod einerseits ersehnt, andererseits geächtet wird. In der Literatur reichen die Deutungen der Ambivalenz "von melancholisch überschatteter Störung der Persönlichkeit" bis zum Mann, der den schwerwiegenden Gewissenskonflikt überwindet und tut, was er pflichtgemäss tun muss. Ein feiger Verlierer, ein nobody - oder ein tapferer Kämpfer.

Goethe lässt Faust (1, Vor dem Tor) monologisieren:
"Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält in derber Liebeslust
sich an die Welt mit klammernden Organen;
die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
zu den Gefilden hoher Ahnen."

Faust fühlt sich hin und her gerissen zwischen allzu irdischen Gegebenheiten und überirdischen Ambitionen. Um sich von der erdgebundenen Seite zu lösen benötigt er Mephistos Hilfe - und geht somit den Pakt mit dem Teufel ein.

In Hermann Hesses Steppenwolf wird die Hauptgestalt, Harry Haller, psychisch in "faustischer Seelenverwandtschaft" hin und her gerissen. Zum einen ist da seine bürgerliche, akzeptierte Natur, die sich angemessen in der Gesellschaft zu bewegen weiss. Zum anderen bemächtigt sich seiner eine sozusagen wölfische, eremitenhafte Seite, die Kritik an der etablierten Kultur übt und mit allem Sozialen hadert. Zum Schluss werden die Widersprüche jedoch humorvoll überwunden.

Spiegeln nicht all diese Dinge, vom banalen Entscheid zwischen zwei Wegstrecken, bis zu den Zitaten der klassischen Literatur eine Art von Dualismus im Fühlen und Handeln des Menschen? Nun, Dualismus ist ein weitreichender Begriff in der Philosophie und in Weltanschauungen, die von zwei voneinander abweichenden Prinzipien oder Methodologien ausgehen*/**. Die Welt lässt sich nach Prinzipien wie Gut-Böse, Geist-Materie erklären.

Die Sprache vermag in deutlichen Gegensätzen eine Polarisierung von Begriffen zu formen, die an den Endpunkten eines Spektrums stehen, versinnbildlicht im magnetischen Dipol, d.h. zwischen den Endpunkten divergierender Bilder besteht ein Spannungsbogen.

Ein klassischer polarer Kontrast ist z.B. schwarz-weiss. Möchten wir uns ein blosses Schwarz-Weiss-Typisieren von Begriffen unter scharfer Trennung der Gegensätzlichkeiten verkneifen, begeben wir uns in eine neblig-trübe Grauzone. Nicht festlegen, nichts exakt konkretisieren. In der Justiz ist, naturgemäss, häufig von einer Grauzone die Rede. Auch zwischen wahrer Kunst und blossem Blendwerk, zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie existieren Grauzonen. Und grau ist bekanntlich alle Theorie!

Die Suche nach weiteren Gegensätzen im Alltäglichen führt u.a. zu gut-böse/schlecht, hoch-tief, trocken-nass, fleissig-faul, gescheit-dumm, langsam-schnell, heiss-kalt, laut-leise, usw. usw. Auch hier bedienen wir uns entsprechender Zwischenstufen. Zwischen alles-nichts ist viel bis wenig möglich. Viel ist erreicht, aber noch nicht alles. Wenig ist manchmal besser als nichts. Die Lösung einer Rechenaufgabe kann "im Ansatz richtig" gewesen sein, im Ergebnis aber falsch. Offen-zu/geschlossen lässt ein halb offen (oder halb geschlossen zu). Ähnlich steht es mit voll und leer.

Lage- und Richtungsbezeichnungen wie oben-unten, vorn-hinten können eine Mitte zulassen. Mit links-rechts ist es so eine Sache, wie wir eingangs gesehen haben. Allerdings haben sich in der Poltik Begriffe wie Mitte rechts usw., oder der unglückliche Ausdruck mittig eingeschlichen.

Konträre Begriffe wie süss-sauer bzw. bitter-süss, mögen sich zu einem Wort wie süßsauer für die chinesische Küche bzw. Schokolade vereinen, Hassliebe im disharmonischen Wechsel von Liebe und Hass.

Symbolische Gegensätze sind im menschlichen Zusammenleben Hund und Katze, in der Politik Tauben und Falken.

Eine Sonderstellung in der Bezeichnung von Gegensätzen nehmen die "Un"wörter ein, wobei "un" eine der häufigsten Vorsilben im Deutschen ist. Ungeziefer, Unkraut, Untier, Unmensch, Unwetter, Unzufriedenheit, Unrecht, Unwahrheit; unreif, ungeschickt, unpassend, unkonventionell, und tausend andere mehr. "Un"wörter können manche harte Begriffe scheinbar herabmildern, wie z.B. Unwahrheit für Lüge, ungeschickt für tölpelhaft. Ein Unwort der besonderen Art ist das manchmal grauzonenhaft gebrauchte jein statts ja oder nein.

__________________________________________

*Kompakte Erläuterungen zum Begriff Dualismus u.a. in:
Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Bd. 2, D-G
Jürgen Mittelstraß, Hrsg., J.B. Metzler-Verlag, 2005.

ISBN: 978-3-476-02108-3

**Im dualen oder binären System der Computersprache werden nur die Ziffern 0 und 1 benutzt. 0 und 1 entsprechen einem Binärcode, wobei lediglich jene Zeichen der Darstellung sämtlicher Informationen dienen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.10.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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