Manfred Bieschke-Behm

Des Schlafes Bruder

Des Schlafes Bruder… (nach Schubert´s Winterreise Lied Nr.21. „Das Wirtshaus“) 
 
Wieder ist November. Der Monat, der für Nebel steht. Für kahle Bäume. Für nasses, auf dem Boden liegendes fauliges Laub. Für Tage mit niedrigen Temperaturen  und Totengedenktage. Wenn ich zu dieser Zeit über Friedhöfe gehe, sehe ich, dass die meisten Gräber auf die Winterzeit vorbereitet sind. Viele Gräber sind zugedeckt mit frischer Tanne. Grabschmuckgestecke lassen mache Gräber wie unwirkliche Gärten aussehen. Das alles wiederholt sich Jahr für Jahr und wird jede Zeit überdauern.
 
Ich betrachte den Tod nicht als meinen Freund, aber auch nicht als meinen Feind. Der Tod gehört zum Leben. Der Tod begleitet jeden Menschen von der Geburt an. Er ist es, der, uns das irdische Leben nimmt. Der Tod ist des Schlafes Bruder und lässt uns traumlos hinübergleiten in eine unbekannte Welt. Er setzt den Schlusspunkt ohne uns vorher wissen zu lassen, wohin die Reise geht. Den Tod sehe ich nicht als Bestrafung, sondern eher als unvermeidlichen Höhepunkt für bis dahin gelebtes Leben.
 
In den Wintermonaten ist bei mir der Wunsch nach Wärme und Geborgenheit besonders stark ausgeprägt. In Gedanken kehre ich in ein gemütliches Wirtshaus ein. Mich empfängt wohlige Wärme, verbreitet durch ein Kaminfeuer, in dem knisternde Holzscheite glühend rot vor sich hin brennen. Gleichmäßig vor sich hin flackernde Kerzen, die auf den Tischen stehen, erzeugen zusätzliches Wohlbefinden. Heiße Getränke lassen mich länger verweilen als von mir geplant. Mir ist nach Träumen...
 
Nach einer langen Wanderung stehe ich müde vor einem Wirtshaus und bin voller Vorfreude. Ich habe das Verlangen hier einzukehren um mich auszuruhen. Entgegen meiner Vorstellung empfängt mich beim eintreten keine wohltuende Wärme sondern eine unangenehme Kühle und mattes Licht. Ich habe Mühe mich zu orientieren. Auf allen Sitzflächen der Stühle liegen ungeschmückte Tannenkränze. Was hat das zu bedeuten, frage ich mich. Im Raum ist niemanden ausmachen der meine Frage hätte beantworten können. Auch die Frage ob ich willkommen bin bleibt unbeantwortet. An den Wänden hängen viele Uhren, deren Zeiger stillstehen. Die Sehnsucht nach Ruhe und Abkehr lässt mich überlegen von einem Stuhl den Kranz zu entfernen, um mich niederlassen zu können. Plötzlich ereilt mich das Gefühl etwas Unrechtes tun zu wollen. Schnell ziehe ich die bereits ausgestreckte Hand wieder zurück. Ich begreife, dass in diesem Wirtshaus zurzeit nicht willkommen bin. Von beklemmenden und gleichzeitig befreienden Gefühlen erfasst, verlasse ich das Wirtshaus und lasse Kühle, Dunkelheit und Fragen ohne Antworten zurück.
Ich setze meine Wanderung fort. Der Weg führt mich geradewegs zu einem weiteren Wirtshaus. In der Hoffnung, diesmal willkommen zu sein und einen Ruheplatz zu finden, betrete ich frohen Mutes dieses Gasthaus.
Fröhliche Menschen sitzen beieinander die mir mit einladenden Handbewegungen signalisieren, dass ich willkommen bin. Mehrere Stühle sind unbesetzt sodass ich frei Wahl habe mich hinzusetzen. Von den Anwesenden erfahre ich, dass auch sie hier sind um sich auszuruhen, um sich für ihren weiteren Lebensweg zu stärken. Weiterhin erfahre ich, dass alle Personen, die sich hier aufhalten auch in dem Gasthaus waren auf deren Stühle ungeschmückte Kränze lagen. Wir alle sind uns einig, dass unsere Zeit noch nicht gekommen ist dort unsere Reise zu beenden. 

 
 

Lied Nr.21. „Das Wirtshaus“ aus Schubert´s Winterreise
 
Auf einen Totenacker
Hat mich mein Weg gebracht;
Allhier will ich einkehren,
Hab ich bei mir gedacht.
 
Ihr grünen Totenkränze
Könnt wohl die Zeichen sein,
Die müde Wand'rer laden
Ins kühle Wirtshaus ein.
 
Sind denn in diesem Hause
Die Kammern all' besetzt ?
Bin matt zum Niedersinken,
Bin tödlich schwer verletzt.
 
O unbarmherz'ge Schenke,
Doch weisest du mich ab?
Nun weiter denn, nur weiter,
Mein treuer Wanderstab!
 

 

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