Horst Lux

Jäger und Gejagte

Eigentlich war es mehr ein zufälliges Zusammentreffen. Er hatte den Fuchs schon längst am Waldrand entdeckt, im Schatten der großen Kiefern war der zwar kaum auszumachen, aber er hatte scharfe Augen, die solche Schattenspiele gewohnt waren und kaum eine Täuschung zuließen.
»Mal sehen, was er jetzt macht«, dachte der Hase, »glaubt der vielleicht, er könne sich heranschleichen?« Der Hase zog seine gespaltene Oberlippe etwas nach oben, es sah dadurch aus, als lächelte er. Nun, vielleicht lächelte er ja auch wirklich. Wer will das schon so genau sagen können?
Der Fuchs tat völlig uninteressiert, schlenderte langsam näher und näher, schnüffelte hier an einem Mauseloch und dort an einem Stängel der Schafgarbe. Dabei beäugte er den Hasen aus seinen Augenwinkeln und versuchte dabei, sich sein Interesse an dem Gegenüber nicht anmerken zu lassen.
Als er dem Hasen nun bis auf zwanzig Schritte nähergekommen war, setzte der sich auf, richtete seine Löffel dem Fuchs entgegen und sagte dann ganz gelassen, aber dennoch laut und deutlich:

»Ich an deiner Stelle würde nicht näher herankommen!«

Der Fuchs blieb verblüfft stehen und schüttelte verwirrt seinen rostroten Kopf, sein Kopfhaar zerzauste sich dabei so sehr, dass es schien, als trüge er einen Strahlenkranz zwischen seinen Ohren. Die Haare seiner schneeweißen Brust bildeten dabei einen wunderschönen Kontrast zum übrigen rotbraunen Fell. Seine bernsteinfarbenen Augen musterten dann aufmerksam den Hasen; versuchten zu ergründen, warum der ihn angesprochen hatte und vor allem, was der vorhatte.
»Möchtest du mir Vorschriften machen?« meinte er dann mit einer Stimme, die ruhig klingen sollte, der aber doch eine gewaltige Anspannung anzumerken war. 
»Glaubst du wirklich, du würdest es schaffen, mich zu beeindrucken?«
Der Fuchs versuchte höhnisch aufzulachen, es gelang ihm aber nur ein heiseres Gekrächze, das schließlich mit einem kurzen Reizhusten endete.

Der Hase, der bis dahin hochaufgerichtet dastand, die langen Löffel nach vorn gerichtet, setzte sich nun auf seine Hinterläufe. Es schien, als nähme er überhaupt keine Notiz mehr von seinem Gegenüber, der immer noch verwirrt herüberblickte. Zupfte genüsslich an einem Kleeblättchen, beobachtete aber trotzdem den Fuchs mit vorsichtigen Blicken.
»Und nun?« Der Hase rief es zum Fuchs hinüber: »Was willst du nun tun?«
Der Jäger im roten Fell sah den Hasen aufmerksam und nachdenklich an, seine Erfahrung mahnte ihn, dass ein schneller Jagderfolg auf diese Entfernung wohl nicht zu erwarten war.
»Ich«, sagte er dann, - er stockte, »ich könnte dich fressen, zum Beispiel!«
»Tz, tz«
, machte der Hase, »Könntest du. Natürlich könntest du das.«
Er hob die rechte Vorderpfote. »Da gibt es nur zwei Schwierigkeiten!«
»Haha«, meinte der Fuchs und versuchte, höhnisch zu klingen, »da bin ich aber gespannt. Willst du klüger sein als ich, der ich der Schlaue genannt werde? Was sollen denn das wohl für Schwierigkeiten sein? Gleich lache ich!«

»Hm«
, sagte der Hase gleichmütig, nickte darauf mehrfach mit dem Kopf, dass seine langen Löffel nur so klapperten.
»Lach du nur.« Er machte ein paar Trippelschrittchen zur Seite.
»Ad eins: Du musst mich erst einmal haben! Das ist dir doch wohl klar, oder?«
»Red nur weiter«, sagte der Fuchs, »ich bin gespannt, was das andere Gegenargument sein soll!«
»Ganz einfach, lieber Fuchs!«
 Der Hase machte mit der Pfote eine kreisende Bewegung, erhob dann seine Stimme:
»Ad zwei: Du wärest dann später ganz allein!« 
»Allein! Später! Was soll das?« Der Fuchs fragte es verwundert. »Sprichst du jetzt in Rätseln? 
Allein! Jedenfalls werde ich mal wieder satt!«
»Sicher«,
 sagte der Hase, »du wärest satt. Für kurze Zeit wäre dein Verlangen gestillt. Und dann? Was wäre dann?
»Was wäre dann? Diese Frage lass dir patentieren«
, sagte der Fuchs, »warum soll ich nach Morgen fragen? Morgen ist gar nicht aktuell!«

Der Fuchs war inzwischen näher gerückt, der Sicherheitsabstand zum Hasen war schon gefährlich zusammengeschrumpft. Trotzdem hielt sich die Ängstlichkeit des Hasen in Grenzen. Er wusste, wie schnell er reagieren konnte, er verließ sich auf seine Schnelligkeit. Sein Großvater hatte ihm eingebläut, bis fast zur letzten Sekunde in seiner Satte liegenzubleiben und erst dann, wenn es gar nicht anders mehr ging, in rasendem Zickzacklauf das Weite zu suchen. Bei den Treibjagden der Zweibeiner im letzten Herbst hatte er immer bewiesen, dass diese Haken-Schlag-Methode stets die effektivste war. Ob sie aber auch beim Fuchs wirkte? Verdrängte da der Optimismus nicht doch ein wenig die Realität? 

»Mein Freund«, sagte der Hase dann freundlich, »bleib bitte dort bei dem Holunderbusch liegen, ja? Ich hab nämlich noch keine Lust, als Familienbraten zu enden!«
Der Fuchs lächelte. Tatsächlich, er setzte sich auf seine Hinterläufe und lächelte. 
»Du imponierst mir«, sagte er dann, und seine schwarzen Barthaare zitterten nervös, »ich weiß nicht warum, aber ich habe Respekt vor dir.«
Nachdenklich legte er den Kopf in den Nacken und schaute in das Cölinblau des unendlichen Himmels. 
»Wo waren wir stehengeblieben?« fragte er dann, »bei der Zukunft, nicht wahr? Was würde dann, sein, fragtest du!«
»Richtig,«
 entgegnete der Hase, »denn du hast nicht weiter gedacht. Wenn du mich gefressen hast, dann bist du allein, du musst deinen Lebensstil verleugnen. Du bist dann kein Fuchs mehr, kein Jäger, denn was wolltest du jagen?«

Der Fuchs überlegte. Er versuchte, eine Antwort zu finden, eine Erklärung für die Diskrepanz zwischen den Auffassungen der beiden Geschöpfe. Jäger, Gejagte, töten und getötet werden, konnte das der Lauf der Welt, der Sinn des Lebens sein?
»Ich wäre gern dein Freund, Hase«, sagte der Fuchs. Er war inzwischen auf zwei Körperlängen herangekommen und setzte sich nun dem Hasen gegenüber. 
»Aber es kann nicht sein. Das Paradies gibt es nicht mehr, in dem alles friedlich beieinander leben konnte.«
Der Hase hatte die Annäherung zugelassen, ohne eine Flucht zu versuchen.
»Also musst du mich fressen? Töten um des Lebens willen? Ich sterbe dann also, damit du leben kannst. Das ist ein trauriges Endergebnis. Kannst du damit so ohne weiteres leben?«
Der Fuchs schwieg und schaute den Hasen nachdenklich.an.
»Oder«, fuhr der Hase fort, »wenn du mich nicht fängst, stirbst du vor Hunger!«
»Es tut mir doch auch leid um dich«
, sagte der Fuchs, »es tut mir wirklich leid, ich mag dich, ich wäre gern dein Freund!«

Der Hase und der Fuchs saßen noch lange beieinander und blickten in den violetten Sonnenuntergang. Eine späte Amsel sang irgendwo ihr melodiöses Abendlied.
»Ich werde jetzt gehen«, meinte der Fuchs dann nach langem Schweigen, »man wartet auf mich. Ich wünsche dir noch viel Glück für die Zukunft!« 
Im Fortgehen drehte er den Kopf noch einmal zurück und sah dabei den Hasen lange an, während er eine Pfote wie grüßend hob.
»Schade.« Die großen Augen des Hasen blickten traurig dem Fuchs hinterher. 
»Ich bedaure es wirklich, aber ich kann dir kein Glück wünschen
Denn wenn DU nächstes Mal Glück hast, habe ICH Pech!«

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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