Sven Eisenberger

Fünfte Runde

“Vier Runden lang habe ich nur eingesteckt, doch in der fünften schlage ich zurück und wehre mich!” In dem Augenblick, als Matthes, der an sich ein überaus friedvoller Zeitgenosse ist, das sagte, dachte ich nur, er hätte lediglich einen außergewöhnlich schlechten Tag gehabt. Als er dann aber erklärend hinzusetzte, dass mit diesem bildhaften Vergleich nichts weniger als sein Handlungsprogramm für das nicht mehr ferne Alter, die vermeintlich letzte Lebensphase, umrissen sein sollte, begann ich, ernsthaft über seinen Ausspruch nachzudenken. Keine Frage, die das Leben noch nicht gestellt hatte, und das sollte nun die gereifte Antwort sein? Sprach hier einer, der verzweifelt gegen die Gewissheit aufbegehrte, dass letztlich nichts von ihm bleiben würde, oder hatte er sich lediglich mit dem Wutbürger-Virus infiziert? Unwahrscheinlich, dafür war er zu reflektiert und nahm sich nicht wichtig genug. Und in einem wesentlichen Punkt konnte ich ihm meine gefühlsmäßige Zustimmung nicht versagen: Nur nicht so werden, wie die bedauernswerten, von allerlei körperlichen Gebrechen gezeichneten, schicksalsergeben devoten Repräsentanten dessen, was uns unweigerlich bevorstand, denn auch für uns würde sich der Lebensbogen bald spürbar stärker neigen, als uns lieb sein konnte.
Die Parole hieß fortan “Fünfte Runde” . Weit mehr als eine bloße Metapher für das finale Aufbäumen, den allerletzten Punch oder die schon lange schuldig gebliebene Antwort. In all seiner Frustration gefangen, war hier doch wenigstens einer, in dem noch pulsierendes Leben spürbar war. Widerständigkeit als vitales Zeichen, vielleicht zum letzten Mal vor der Altersdämmerung. Die Einleitung eines Abgangs in Würde, den sich die einen willig nehmen lassen, während die anderen einfach wegdösen und den richtigen Zeitpunkt verpennen, wie schon ihr gesamtes Leben zuvor. Klingt verdächtig nach Punks im beschleunigten Alterungsmodus, aber die haben ihre Dignität ja mehrheitlich längst im Suff ertränkt. Sollte man hier die Rückkehr der “Grauen Panther” oder einer geriatrischen Stadtguerilla wittern? Mitnichten, denn es ging ihm definitiv nicht um die Formierung einer organisierten Bewegung, sehr wohl aber um eine heroisch pointierte, andere (Rest-)Lebenshaltung, einen Gegenentwurf zur performativen Lauheit dieser Tage. Wie wäre es, wenn man Bequemlichkeit, Passivität, fortschreitendes Siechtum und Seelenverlederung eintauschte gegen subversiv-kreatives und kompromissloses Handeln? Den elektrisierenden Moment suchen, noch einmal intensives Erleben statt immerwährender Müdigkeit, Rückzug aus dem Alltag und Resignation. Stilvolle Provokation als Kommunikationsangebot möge doch bitte die öde Selbststillegung ablösen! Das Heil nicht mehr in der Meditation, sondern in der Agitation suchen. Flucht nach vorn, alles auf eine Karte setzen, nicht mehr Verständnis heucheln, sondern Unverständnis leben, nicht länger Platz machen, sondern ihn trotzig behaupten ...

Ein Manifest für die “Fünfte Runde” zu verfassen, sei Anderen überlassen, aber Hoffnung besteht, dass es nicht nur desperate Einzelgestalten sein werden, die sich auf ein letztes Abenteuer einlassen. Denn die Alterskohorten der in den 1960er Jahren Geborenen sind trotz erster Verluste tatsächlich doch noch immer Legionen, die sich ungern in künftig sicherlich eher Geronto-Gulags gleichenden Pflegeeinrichtungen deportieren lassen werden. Hier könnte der demographische Wandel sich schlagartig zum gesellschaftlichen Umbruch lawinieren, wenn die generationelle Reservearmee in Stellung geht und sich für das Kulturmodell der “fünften Runde” entscheiden sollte. Zu einem kollektiven Versprechen sollte es reichen: Bevor das Handtuch geworfen wird, noch einen großartigen Kampf liefern, und wenn es nur einer mit Worten ist.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.11.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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