Conny Kirsten

Ach, du liebe Zeit

49
Die neue Zahl
49
Ich schaue auf meine Hände. Narben und eine leichte Bräune.
Ich werde bald fünf Jahrzehnte alt sein. Ein halbes Jahrhundert.
49
Ich schwanke zwischen Panik und Todesangst. Sterblichkeitsgefühle werden wach.
Ich versuche das Adrenalin wegzulächeln. Vermeide den obligatorischen Blick in den Spiegel.
0
Ich werde geboren und will nicht schreien. Mein Vater befürchtet Rebellion: "Die wird anders." (Recht hattest du)
5
Ich werde eingeschult. Ich vermag gut auszumalen, an den Linien sauber entlang. Ich bin hoffnungslos überfordert.
8
Mein Hase Hannibal hoppelt in mein Leben. Ich lese Simmel und nerve die Eltern mit Seelenschmerzen.
11
Meine erste Jeans. Simon and Garfunkel. The Teens. Brüste. Maria Stuart: Schiller. Die Fohlen.
13
Pubertät. Täterin und Opfer(in). AC/DC.
14
Punk. Sex Pistols. London. Zigaretten.
15
Hannibal R.I.P.. Mobbing. Suizidgedanken.
18
Endlich.
20
Auszug. Studium. Party.
24
Muttersein: Bedingungslose Liebe
27
Beruf(ung). Krankheit.
37
Trennung und Hoffnung und Liebe und Trauer.
49

Ich fühle mich reduziert auf Schlagworte, die mein Leben beschreiben. Zu persönlich? Ach, nicht doch. Die Zeilen dazwischen sind doch unausgefüllt, zu dem Rest stehe ich. Muss ich stehen, denn das bin ich. Kennen werden Sie mich immer noch nicht. Vielleicht gibt es Parallelen, vielleicht Projektionen und bloßes Wunschdenken. Das Leben ist kein Ponyhof, du meine Güte. Ich bin mehr als Worte mich je beschreiben könnten und doch nur ein Staubkorn in Nanogröße in Parsec gemessen. Das Inbetween macht mich ein wenig ratlos, werde ich eine Buche oder muss ich als Un-Ich eine neue Existenz ausfüllen?

Noch mehr Ratlosigkeit befällt mich und ich begehe eine Todsünde der Melancholie: Ich betrachte Fotoalben.
Kindheit, Pubertät, Erwachsensein.
Mein Mund hört nicht auf zu gähnen, während mein Gehirn sich totstellt.

Haben Sie schon einmal versucht Kontakt zu alten Freunden wieder aufzunehmen? Sie werden sich wundern. Ich hingegen war schockiert. Das alte und das neue Ich treffen sich in der Mitte. Schizophrenie macht sich breit und ich spüre einen großen Widerwillen, trotz auch positiver Erinnerungen.

Nun entdecke ich Fotos von Helmwein und muss tatsächlich weinen. Wieso nur berührt uns Sterblichkeit beim Individuum so stark, aber 4000 Tote durch einen Erdrutsch machen uns sprachlos und schwach? Eine Teilnehmerin fällt mir ein, die 3 Jahre Krieg erlebt hat, ihren ältesten Sohn zurücklassen musste, tot. Sie lebt für ihren Mann, ihre anderen Kinder, aber ihre Augen sind oft nicht im Hier. Manchmal erkenne ich darin Gefühle, die so schmerzhaft sind, dass ich nie wieder wissen möchte. Nicht sehen will. Und doch weiß ich um Tod, um Schmerz, um Verzweiflung. Was wir Menschen einander antun, ich möchte es nicht erleben und bin doch auch nur in dem großen Pool von Evolution und Genetik gefangen.

Ich rüttel an den Gitterstäben und schreie nach Gerechtigkeit und Freiheit, sehne mich nach Frieden im Innen und Äußeren. Resigniert sinke ich zu Boden und betrachte wieder meine Hände.
Menschsein, Ich.Sein, Über-Ich und viele Fragen im Unterbewusstsein, die nach außen drängen, aber nicht dürfen.
Ich habe ja vielleicht noch ein wenig Zeit, in der ich sie stellen darf.

50
Hallo, Zukunfts-Ich. Du hast die Chance, alles besser zu machen, dich frei zu fühlen, dich zu lösen und zu verbinden, eins zu werden, geh und lebe, geh und liebe, versprich mir das.
Eins werde ich jetzt schon erfüllen, ich buche eine Reise an dem Tag. Nur für mich. Vielleicht finde ich dann eine Antwort.

Bald ist Weihnachtszeit. Es lebe der Glaube und die Hoffnung.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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