Sandra Lenz

Stürmisches Herz - Teil XI

Sie hatten keine Chance. Schon früh morgens, sie hatten kaum geschlafen, stürmte die Gendarmerie in die Hütte ein und hatte sie alle unsanft aufgeweckt und gefesselt abgeführt. Ryan konnte sich das überhaupt nicht erklären. Woher wusste die Gendarmerie das sie sich hier aufhielten? Das war doch unmöglich. Jack wurde gerade unsanft auf seine Füße gezogen, als ihn dessen Blick traf. Ryan zog die Schultern hoch und verzog sein Gesicht unwissend. Er hatte wirklich keine Ahnung. Ein Polizist zog ihn mit sich nach draußen vor die Hütte. Draußen wimmelte es nur so vor Polizei und mittendrin standen Marcus Manson und sein Vater. Marcus hatte wieder sein diabolisches Grinsen aufgelegt und überlegen schaute er Ryan an. Die Arme vor der Brust verschränkt, starrte er Ryan ins Gesicht. Es gefiel ihm seinen Feind in Fesseln vor sich zu sehen. Langsam schritt er auf Ryan zu und er betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. Er blieb direkt vor ihm stehen und starrte ihn hasserfüllt an. “Aha, da haben wir also den berühmt berüchtigten Ryan Vander.“ Wieder schaute er ihn von Kopf bis Fuß an. “Ich weiß nicht, was sie an so was wie dir findet. Ein erbärmlicher kleiner Wicht bist du. Verabscheuungswürdig und sonst nichts.“ Marcus legte eine dramatische Pause ein. Ryan schaute ihn bloß an und erwiderte kein einziges Wort. “Ryan, es wird mir ein Vergnügen sein dich und deine Kumpane am Galgen baumeln zu sehen. Und anschließend werde ich Ashley in mein Bett ziehen und sie gewaltsam nehmen. Und wenn das Blut fließt, dann werde ich an dich denken und daran, das du verloren hast.“ Ryan platzte der Kragen und er wollte auf Marcus losgehen. Doch die Fesseln an seinen Händen und die rasch herbeigeeilten Polizisten hinderten ihn daran. Anderenfalls hätte er ihm vermutlich den Hals umgedreht und noch einiges schlimmeres. “Nehmt diesen Abschaum mit und werft ihn ins Verließ. Er ist gemeingefährlich, wie ihr soeben sehen konntet. Dieses Pack stellt eine Bedrohung für unsere Gesellschaft dar und sollte schnellstmöglich aus dem Weg geräumt werden.“ Marcus trat einen Schritt zurück und ließ der Gendarmerie freie Hand. Kurz bevor Ryan in die Arrestkutsche geschoben wurde, drehte er sich nochmals zu Manson um. “Marcus, ich schwöre bei allem was mir heilig ist, wenn du ihr auch nur ein einziges Haar krümmst, dann werde ich dich eigenhändig aufschlitzen und dein Herz den Schweinen zum Fraß vorwerfen.“ Angewidert spuckte Ryan auf den Boden bevor sich die Gittertür hinter ihm schloss und sich die Kutsche auf den Weg zum Gefängnis machte. Marcus amüsierter Blick folgte ihm.

~.~

“Lasst uns auf diesen grandiosen Sieg anstoßen, auch wenn es noch früh am Tag ist. Ich brauche jetzt einen Scotch.“ Paul Manson drehte sich um und steuerte auf die Kommode mit den alkoholischen Getränken zu. “Endlich sind wir wieder sicher und können ohne Angst und Furcht schlafen.“ Er goss drei Gläser voll und reichte Henry Winston und seinem Sohn Marcus je eins davon. Das dritte erhob er zum Tost und sprach: “Darauf, das die teuflischen Fünf endlich gefasst sind und darauf, das jetzt endlich wieder Ruhe und Frieden in diese Gegend einzieht. Und darauf, das mein geliebter Sohn dazu beigetragen hat. Prost!“ Paul Manson stürzte das Glas in einem Zug hinunter. Emilie Manson und Henriette hoben ihre Teetassen ebenfalls an zur Feier des Tages. Nur Ashley saß wie gelähmt auf ihrem Stuhl, unfähig zu irgendeiner Bewegung.
Man hatte Ryan festgenommen und ihn und seine Kumpane in den Kerker geschmissen? Ashley musste ein Schluchzen unterdrücken und presste ihre Serviette vor die Lippen. Wie konnte das bloß passieren? Wie konnte Marcus davon gewusste haben, das Ryan hier war? Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und sie hatte Mühe, sich auf dem Stuhl zu halten.
Paul Manson stürmte sogleich um den Tisch herum und legte seinen Arm um ihre Schultern. “Liebste Ashley, sie brauchen doch jetzt keine Angst mehr zu haben. Diese Bastarde werden schnellstmöglich am Galgen baumeln und dann ist alles vorbei. Hier, nimm´ das und trink.“ Er drückte ihr ein frisch aufgefülltes Glas Scotch in die Hand und bedeutete ihr zu trinken. Henriette starrte Paul irritiert an. “Schon gut, Henriette. Das arme Kind ist völlig von der Rolle. Der Scotch wird sie ein bisschen beleben. Kein Grund zur Sorge, meine Teure.“ Der ältere Mann zwinkerte belustigt mit den Augen und schob das Glas an Ashleys Lippen. Paralysiert trank sie das Glas leer. “Könnte ich bitte noch eins bekommen?“ Mit zitternder Stimme bat sie um ein weiteres Glas Scotch. Henry Winston nickte seiner Gattin zu, die jetzt noch erschrockener dreinblickte. “Ist schon gut, Liebling. Lass´ sie nur.“ Paul Manson goss Ashley ein weiteres Glas ein und auch dieses trank sie in einem Zug leer.
“Marcus, vielleicht solltest du deine Braut besser auf ihr Zimmer bringen. Ich denke, sie ist ein bisschen durcheinander und sollte sich ausruhen. Würdest du sie bitte begleiten?“ Paul Manson sah seinen Sohn eindringlich an. “Aber natürlich Papa. Mit dem größten Vergnügen.“ Marcus erhob sich und schritt auf Ashley zu. Er umfasste ihren Ellbogen und zog sie sanft empor. Diese war immer noch zu sehr entsetzt und mit ihren Gedanken bei dem armen Ryan, so das sie Marcus bereitwillig folgte. Er führte sie die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer und schob sie hinein. “Nun meine Teure, bist du entsetzt über diese grandiosen Neuigkeiten? Nein, das glaube ich nicht. Warum solltest du entsetzt sein? Schließlich liegt es doch in deinem Interesse, wenn solch´ Abschaum hinter Gittern landet und du dich frei und sicher bewegen kannst. Oder etwa nicht?“ Marcus hob Ashleys Kinn an und zwang sie ihm ins Gesicht zu schauen. “Oder etwa nicht?“ wiederholte er noch einmal. “Doch natürlich.“ Mehr war sie nicht imstande zu sagen. Ihr Gehirn war wie leergefegt und sie fühlte eine große schwarze Macht, die sie verschlang. Jetzt war alles aus und sie musste sich ihrem grauenvollen Schicksal beugen. Ryan konnte nun nicht mehr kommen und sie retten und nicht mehr lange, und sie wäre die Frau dieses ekelhaften Menschens.
“Mein Herzblatt, mache dir keine Sorgen mehr.“ Marcus grinste teuflisch. “All dies ist nun vorbei. Konzentriere dich lieber auf unsere Hochzeit.“ Er nahm ihre Hand und führte sie zu seinen Lippen. “Dieser Freudentag soll doch keine Schatten aufweisen. Also lächele und sei froh. Bald bist du meine Frau, mein Herzchen.“ Mit diesen Worten ließ er sie allein zurück. Ashley ließ sich rücklings auf das Bett fallen und starrte zur Decke. Jetzt war alles aus ...

~.~

Die nächsten Tage herrschte reges Treiben im Haus der Mansons. Unmengen von Kuchen, Fleisch und diversen Leckereien wurden aufgefahren und für den großen Tag vorbereitet. Mehrere Mädchen waren damit beschäftigt, das Haus in einem Meer von Blüten erstrahlen zu lassen und jeder erdenkliche Winkel wurde auf Hochglanz poliert. Marcus stand in seinem Zimmer und der herbeigerufene Schneidermeister kniete vor ihm, um seine Hosenbeine noch etwas zu kürzen. Selbstzufrieden betrachtete er sich im großen Spiegel. Ja, er sah wirklich gut aus. Der sehr elegante schwarze Frack war ihm auf den Leib geschneidert worden. Im Kontrast dazu strahlte seine helle Haut unnatürlich weiß. Er hob sein Weinglas in die Höhe und prostete seinem Spiegelbild zu. “Herzlichen Glückwunsch, morgen hast du es endlich geschafft. Dann gehört sie endgültig dir.“ Er kicherte leise. “Verzeihung Sir, haben sie mit mir gesprochen?“ Der Schneider blickte irritiert in die Höhe. “Aber nein, mein ehrenwerter Mr. Scarf. Ich habe gerade mit mir selbst gesprochen. Verzeihen sie bitte, aber der morgige Tag ist doch sehr aufregend für mich.“ Der ältere Herr schmunzelte. “Ja, ja, das glaube ich ihnen gern. Ich erinnere mich noch genau an meine eigene Hochzeit. Damals ...“ Der Schneider begann Marcus von seinen eigenen Erlebnissen zu erzählen und dieser hörte ihm aufmerksam zu.

Jason war die vergangenen Tage durch die Stadt gelaufen und hatte diverse Vorkehrungen getroffen. Gott sei Dank hatte er sich nicht in der Hütte befunden, als die Gendarmerie eintraf und seine Freunde abgeführt hatte. Dieser Mistkerl von Manson hatte doch tatsächlich Ryan und Ashley beobachtet und war dann unbemerkt hinter Ryan hergeschlichen. Somit wusste er genau, wo sich die teuflischen Fünf aufhalten würden.
Ryan war wirklich unaufmerksam gewesen. Jason schüttelte seinen Kopf. Das hätte nicht passieren dürfen. Aber es war nun mal passiert und daran konnten sie jetzt nichts mehr ändern. Morgen würde die Hochzeit stattfinden und es blieb ihm nicht mehr allzu viel Zeit, um dies zu verhindern. Jetzt würde alles von Jason und seinem Plan abhängen. Er hatte eine Botschaft durch die Gitterstäbe von Ryans Zelle geschickt. Sie wussten nun über seinen Plan Bescheid und mussten sich entsprechend darauf vorbereiten. Hoffentlich würde auch alles glatt laufen ...

Ashley stand ebenfalls mit ihrer Schneiderin im Zimmer und es wurden die letzten Korrekturen an ihrem Hochzeitskleid vorgenommen. Sie sah aus wie ein Engel. In weichen Wellen fiel das champagnerfarbene Kleid um ihre schlanken Beine. Die lange Schleppe war mit zahlreichen Perlen und Diamanten bestückt, welche ebenfalls am Dekolleté wiederzufinden waren. Die Arme liefen schmal zur Hand zusammen und auf dem Kopf trug sie einen wunderschönen Schleier der von ihrem zukünftigen Mann nach der Zeremonie gelüftet werden sollte, um ihr dann den Hochzeitskuss zu geben. Ashley wollte lieber gar nicht an diesen Moment denken.
Die Schneiderin betrachtete ihr Werk und war sichtlich zufrieden. “Miss Ashley, sie sehen einfach wunderschön aus. Wie eine Perle strahlen sie. Ihr zukünftiger Mann wird sicher sehr stolz auf sie sein, das können sie mir glauben.“ Ashley lächelte die junge Frau an. Die arme Frau konnte ja nichts für ihre schlimme Lage und hatte hier ausschließlich ihr bestes gegeben. “Vielen Dank Skye. Du hast hervorragende Arbeit geleistet. Dafür danke ich dir sehr.“ Sie lächelte erneut, doch die große schwarze Klaue umklammerte ihr Herz immer härter und nahm ihr fast die Luft zum Atmen.
Leise klopfte es an die Tür und Henriette Winston trat in das Zimmer ihrer Tochter. Skye, die Schneiderin verließ rasch den Raum. Ihre Arbeit war hier ohnehin schon erledigt und sie wollte die Mutter mit der Tochter allein lassen. “Meine Güte, du siehst so wunderhübsch aus Ashley.“ Henriettes Augen strahlten vor Freude. Sichtlich stolz über ihre Tochter half sie dieser aus dem Kleid heraus. “Danke Mutter. Was führt dich zu mir?“
“Ashley, du bist jetzt alt genug und außerdem wirst du morgen eine Ehefrau sein. Ich möchte dir ein paar grundlegende Dinge zwischen Männern und Frauen erklären.” Henriette Winston klärte ihre Tochter auf. Ashley hörte sich die Erläuterungen brav an, obwohl sie doch schon längst Bescheid wusste, was zwischen einem Mann und seiner Frau passierte. Und Marcus hatte schließlich bereits oft genug angedeutet, wie sehr ihm nach der Vereinigung mit Ashley dürstete. “Mutter, wie soll sich eigentlich eine Frau verhalten, die ihrem Mann gegenüber nichts als Abscheu und Ekel verspürt. Wie soll sie die Berührungen ihres Mannes ertragen?” Ihre Mutter blickte sie verständnislos und verstört an. “Ist dies etwa der Fall? Ekelst du dich vor Marcus, oder was soll das heißen?” Die ältere Frau schüttelte verständnislos ihren Kopf. “Marcus ist ein solch netter und höflicher junger Mann. Etwas besseres kann dir doch gar nicht passieren.” Ashley musste enttäuscht feststellen, das sie von ihrer Mutter keinerlei Unterstützung erwarten konnte und lenkte schnell ein.
“Nein, nein Mutter, bei mir liegt der Fall nicht so. Ich war nur neugierig und hätte gerne deine Meinung dazu gehört. Schließlich soll es ja solch bedauernswerte Frauen geben, die einen Mann ehelichen müssen den sie überhaupt gar nicht wollen.” Ashley überspielte gekonnt ihre eigene Trauer und Wut.
“Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen Ashley. Ich dachte schon ... Tja, wie sollte sich so eine Frau verhalten? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Am besten sollte sie diesen Mann nicht heiraten. Allerdings könnte es ja auch sein, das sie ihren Mann später lieben lernt. Vielleicht lehnt sie ihn anfangs ab, aber später merkt sie dann doch noch, das dies der richtige Mann für sie ist. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.”
Ashleys Mutter lief im Zimmer auf und ab. “Ashley, ruhe dich heute Abend aus und bleibe auf deinem Zimmer. Es bringt Unglück, wenn man vor der Hochzeit mit seinem Mann zusammen ist. Morgen wird dich Marcus in voller Schönheit vor dem Altar erwarten. Bis dahin genieße deine Ruhe.”
Sie drückte ihrer Tochter noch einen Kuss auf die Stirn und verließ dann das Zimmer. Ashley blickte ihrer Mutter kopfschüttelnd nach. Sie liebte ihre Mutter, aber jetzt fühlte sie sich von ihr im Stich gelassen. Sollte sie selbst einmal Kinder haben, dann würde sie diese niemals so behandeln und sie zu Taten zwingen, die sie selbst nicht wollten. Schon gar nicht würde ihre Tochter einen Mann heiraten müssen, der ihr zuwider war. Es sei denn natürlich, Marcus würde sie dazu zwingen.
Ashley lief zum Fenster und ließ sich auf der Fensterbank nieder. Sehnsuchtsvoll glitt ihr Blick hinaus in die Ferne. Ob es Ryan gut ging? Ach, ihr liebster Ryan saß nun im Gefängnis und wartete auf seinen Prozess. Und sie saß hier und konnte rein gar nichts für ihn tun ...

Zur gleichen Zeit lief Ryan in der Zelle nervös auf und ab. Sein Kumpel Jack beobachtete ihn dabei und verfolgte jede seiner Bewegungen. “Es wird schon alles gut gehen. Mach‘ dir keine Gedanken. Wir müssen jetzt alle das beste hoffen und dann wird es schon.” Er versuchte seinen Anführer zu beruhigen. Geistesabwesend schaute ihn Ryan plötzlich an. “Ich bete zu Gott dafür ...”

~.~

Den ganzen Nachmittag hatte Ashley in ihrem Zimmer verbracht, genauso wie ihre Mutter es von ihr verlangt hatte. Ein Mädchen hatte ihr Tee und Gebäck gebracht, doch sie verspürte keinerlei Appetit. Der Gedanke an den morgigen Tag brachte ihr ein mulmiges Gefühl in die Magengegend und sie bekam keinen Bissen herunter. Nach den Stunden die sie in ihrem Zimmer verbracht hatte, konnte Ashley den engen Raum nicht mehr ertragen. Sie musste unbedingt hinaus an die frische Luft, sonst würde sie noch verrückt werden. Eilig legte sie sich einen Schal um die Schultern und schlich hinaus auf den Flur. Es war ruhig im ganzen Haus und vorsichtig stieg sie die Treppe hinab. Sie vernahm leises Stimmengewirr aus dem Kaminzimmer. Vermutlich saßen die Eltern zusammen und besprachen den morgigen Tag. Ob Marcus mit ihnen zusammen war? Oder hatte man ihn auch in sein Zimmer verbannt? Leise schlüpfte sie durch die Tür hinaus in den Garten. Die frische Luft tat Ashley gut. Tief atmete sie ein und schloss die Augen. Ihr dunkles Haar wehte ihr um die Schultern und sie schritt über die Wiese. Fröstelnd zog sie den Schal enger um ihren Körper. Etwas abseits vom Haus ließ sie sich im Gras nieder und lehnte ihren Rücken gegen eine große knorrige Eiche.

Marcus stand in seinem Arbeitszimmer und beobachtete Ashley, wie sie über die Wiese schritt. Anmutig wie ein Reh und verführerischer wie eine verbotene Frucht. Sein kalter Blick blieb auf ihr haften. Schon morgen würde sie ihm gehören. Er umklammerte das Rotweinglas in seiner Hand fester und stürzte es in einem Zug hinunter. Die Vorfreude auf seine Hochzeitsnacht brachte ihn zum Erzittern. Ja, solch‘ ein unschuldiges Geschöpf würde ihn garantiert sehr reizen. Sie war jung und unerfahren und er konnte ihr mit Sicherheit viel viel beibringen. Irgendwann würde sie ihre Scheu und Ablehnung ablegen und dann würde sie zu einer stolzen Rose erblühen. Marcus war sich darin mehr als sicher. Hätte sie die Freuden erst einmal kennen gelernt die Marcus ihr verschaffen konnte, würde sie den Hundesohn Ryan auch schon bald vergessen haben. Triumphierend goss Marcus sein Glas erneut voll und führte es an seine blassen Lippen. Ein Sieg konnte so verdammt süß schmecken ...

~.~

Der nächste Morgen kam viel zu schnell für Ashley. Warum musste sie aufwachen? Am liebsten hätte sie diesen Tag niemals erlebt, doch leider war sie nicht im Schlaf verstorben, wie sie gehofft hatte. Jetzt stand sie in ihrem Zimmer, umringt von mehreren Mädchen die ihr beim Ankleiden und Frisieren halfen. Sie wurde herausgeputzt für die Trauung. Die weiße Kutsche, die sie zur Kirche bringen würde stand abfahrbereit vor dem Haus und wartete nur darauf sie aufzunehmen. Ashley betrachtete sich im Spiegel. Ihre Haut schien noch blasser wie sonst und ihre Augen blickten sie traurig an. Jetzt war der Moment gekommen, wo sie ihrem Schicksal ins Auge blicken musste und wo es kein Zurück mehr gab. Sie atmete tief ein und sprach sich selbst Mut zu. “Ich lasse mich nicht unterkriegen ... von niemanden ...” Ihr Kinn stolz gereckt begab sich Ashley auf den Weg zur Kutsche. Ihre Eltern und die Mansons waren bereits vorgefahren zur Kirche. Marcus selbst würde sie erst am Altar treffen und das wäre immer noch früh genug.
Ashley sah die Landschaft an sich vorüberziehen und nahm kaum davon Notiz, das der Tag wunderschön und voller Sonnenschein war. In ihrem Inneren herrschte absolute Dunkelheit. Viel zu schnell war die Fahrt zuende und ihr Vater half ihr vor dem Kircheneingang aus der Kutsche hinaus.
“Mein Engel, du siehst wunderschön aus. Ich bin sehr stolz auf dich.” Henry Winston küsste seine Tochter auf die Stirn. Er war so glücklich und strahlte mit der Sonne um die Wette. Ashley zwang sich zu einem Lächeln. “Bist du sehr aufgeregt, mein Kind?” Er blickte seine Tochter besorgt an, denn er bemerkte ihre Blässe. “Danke Vater, es geht schon. Ich werde das schon durchstehen.” Henry nickte. “So ist es richtig. Eine Winston lässt sich nicht unterkriegen. Immer stark sein.” Wie recht ihr Vater doch mit seinen Worten hatte. “Können wir anfangen?” Ashley nickte. Der Vater zog den Schleier vor ihr Gesicht und führte sie die breite Steintreppe hinauf zur großen Eichentür der Kirche. Er gab einem kleinen Jungen ein Zeichen, der daraufhin sofort ins Innere der Kirche verschwand, um dem Pfarrer Bescheid zu geben. Wenige Augenblicke später begann die große Orgel die Hochzeitsmelodie zu spielen. Henry Winston reichte seiner Tochter den Arm, welchen diese fest umklammerte. Die große Türe öffnete sich und sie schritten langsam den Gang ins Innere entlang. Die anwesenden Gäste erhoben sich und sahen die Braut bewundernd an. Alles war mit roten Rosen geschmückt worden und am Altar wartete bereits Marcus auf seine Braut. Noch hatte er ihr den Rücken zugewandt. Er wollte den Augenblick hinauszögern, wo er Ashley zum ersten Mal in ihrem Brautkleid sehen würde. Die große Orgel dröhnte laut im Kirchenportal und Ashleys Herz pochte ihr bis zum Hals. Nur noch wenige Schritte trennten sie von Marcus, als sich dieser ganz langsam umdrehte und seiner zukünftigen Braut entgegenblickte. Sein kalter Blick wanderte ihren Körper entlang, der schließlich auf ihrem Gesicht hängen blieb. Ein diabolisches Grinsen umspielte seine Lippen. Henry Winston übergab seine Tochter Marcus der diese näher zu sich heranzog. “Du bist wunderschön ...” hauchte er ihr zu. “Ich kann es kaum erwarten, mit dir verheiratet zu sein.” Henry hatte sich unterdes zu seinem Platz neben seiner Gattin begeben und blickte stolz auf das Paar. Henriette schnäuzte in ein kleines weißes Taschentuch und mit feuchten Augen blickte sie ihren Mann von der Seite an. Er nickte seiner Frau zu und lächelte. “Jetzt wird alles so wie du es dir immer gewünscht hast, meine Teure.”
Der Pfarrer trat hervor und stellte sich vor das Paar. “Liebe Gemeinde, wir haben uns heute hier versammelt, um Marcus Manson und Ashley Winston in den heiligen Hafen der Ehe einlaufen zu lassen.” Ashley hörte seine Worte überhaupt nicht. Sie hörte nur das eigene Blut in ihren Ohren rauschen und spürte den festen Griff von Marcus. Er hatte ihre Hand genommen und hielt sie fest umklammert. Ab und an warf er ihr einen Blick von der Seite zu und immer wieder nickte er dem Pfarrer zu.
“Wenn jemand Einwände gegen diese Beziehung zu erheben hat, dann möge er jetzt vortreten und sprechen oder für immer schweigen.” Ein kurzer Moment des Schweigens entstand, bevor urplötzlich die schwere Kirchentür aufflog und es mit der Ruhe vorbei war. Alle Anwesenden drehten überrascht und verwundert ihren Kopf Richtung Tür. Was hatte dieser Tumult zu bedeuten?
Fünf Reiter auf schwarzen Pferden galoppierten in die Kirche. Erschrocken griff sich der Pfarrer an die Brust. Das konnte doch nicht wahr sein? Pferde in seiner Kirche. Ängstlich klappte er die Bibel zu, die er in den Händen hielt und machte einige Schritte rückwärts. Marcus Augen funkelten vor Zorn, als er seinen Erzfeind Ryan Vander erkannte. Wie hatte es dieser Hundesohn geschafft dem Kerker zu entkommen? Einer seiner Männer warf Marcus ein Schwert zu. Er fing es auf und schupste Ashley zur Seite. Beinahe wäre sie gestürzt, doch sie konnte sich noch rechtzeitig am Altar abstützen. Panisch und doch gleichzeitig fasziniert beobachtete sie das Schauspiel, welches sich ihr bot. Ryan sprang vom Rücken seiner Stute und baute sich vor Marcus drohend auf. “So sieht man sich also wieder”. Marcus betrachtete ihn abschätzend. “Ich mag es nicht, wenn man mich bei meinen Vorhaben stört. Schon gar nicht bei meiner Hochzeit” knurrte er Ryan entgegen und griff ihn mit dem Schwert an. Darauf war Ryan gefasst gewesen und der Kampf begann.
Einige der Damen begannen zu kreischen und wollten aus der Kirche fliehen. Doch beim Anblick von Grant, der drohend in der Tür stand, besannen sie sich eines besseren und drückten sich an die Wand. Einige der älteren Herren taten es ihnen gleich; andere saßen stocksteif auf ihren Plätzen fest, unfähig sich auch nur ein Stück zu bewegen.
Marcus und Ryan umrundeten einander, doch beide führten das Schwert sicher und fest in der Hand. “Dich mache ich fertig ...” Marcus lief vor Zorn rot an und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Dieser dürre Kerl hatte mehr Ausdauer wie er gedacht hatte, doch er hatte nicht vor diesen Kampf zu verlieren. Er stieß zu, doch Ryan war schneller und drehte sich flink zur Seite. Marcus Schwert zielte ins Leere und Ryan nutzte diesen Patzer und schlug Marcus das Schwert mit einer einzigen Bewegung aus der Hand. Das Schwert fiel polternd zu Boden und blieb einige Meter entfernt liegen. Ryan setzte sein Schwert an die Kehle von Marcus und blickte ihn finster an. Seine Augen waren wieder dunkelgrün und nichts als Hass konnte man in ihnen erkennen. “So Marcus, wer macht hier jetzt wen fertig?” Der Druck auf Marcus Kehle nahm zu und ein winziger Tropfen Blut rann ihm über den Hals. Marcus atmete heftig und stoßweise. “Dann töte mich doch endlich du armseliger Schuft, du. Verhalte dich wie ein richtiger Mann. Oder hast du etwa Angst?” Seine Augen sahen ihn hasserfüllt an. Der Druck auf seinen Hals verstärkte sich noch. “Nichts lieber als das.”
Ryan wollte seinem Gegenüber den Hals aufschlitzen, doch Ashleys Hand legte sich auf seinen Arm. “Bitte tue das nicht.” Ryan sah überrascht in das engelsgleiche Gesicht von Ashley. “Ich möchte kein unnötiges Blutvergießen an einem heiligen Ort wie diesem sehen.” Ryan sah sie einen Moment lang schweigend an und reichte ihr die Hand. Ein Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht. “Nimm‘ mich einfach nur mit und bringe mich weit fort von diesem schrecklichen Ort.” Ryan Vander kam dieser Bitte nur zu gern nach. Der senkte sein Schwert und nahm Ashley in die Arme. Schluchzend warf sie sich hinein und schmiegte sich an ihren Helden. Zärtlich strich er über ihre Haare. “Mein Engel, jetzt wird alles gut werden. Ich werde dich mitnehmen und nie wieder gehen lassen.” Marcus wollte die Unachtsamkeit nutzen und stürzte sich auf Ryan. Dieser nahm die Bewegung aus dem Augenwinkel war und erhob blitzschnell sein Schwert. Marcus ging fluchend in die Knie. Die Klinge hatte sich rasiermesserscharf durch sein Gesicht gezogen und eine tiefe klaffende Wunde bedeckte sein Gesicht. Unaufhörlich sickerte das Blut auf seinen teuren Frack. Er wischte mit seinem Ärmel darüber und das Blut durchnässte seine Kleidung.
“Das soll dir eine Erinnerung an deine fiesen Taten sein.” Hasserfüllt spuckte Ryan diese Worte aus. Er griff nach den Zügeln seiner Stute und saß auf. Mit einer Bewegung hob er Ashley vor sich in den Sattel und wendete sein Pferd. “Auf Nimmerwiedersehen, du Hund.” Ryan galoppierte Richtung Ausgang und die anderen vier seiner Truppe folgten ihm schweigend.
Marcus kam zitternd auf die Füße und schaute seinem davoneilenden Feind und seiner beinahen Braut hinterher. “Das wirst du mir eines Tages büßen, das schwöre ich bei Gott...” Fluchend blieben Marcus und eine verstörte und verschreckte Hochzeitsgesellschaft in der Kirche zurück.

~Ende~


Epilog

Ashley schmiegte sich an die Brust von Ryan und genoss den Wind auf ihrem Gesicht. Jetzt war alles gut und sie fühlte sich sicher und geborgen. Ryan war unendlich dankbar und glücklich das der Plan von Jason so vorzüglich funktioniert hatte. Er würde Ashley mit in den Norden nehmen, wo sie sicher waren und er würde sie niemals wieder gehen lassen. Einer gemeinsamen Zukunft stand nichts mehr im Wege...
Jack und Jason galoppierten hinter den Verliebten hinterher und schmunzelten. “Jason, du alter Haudegen, du hast es tatsächlich geschafft.” Jack kicherte. “Ja, zum Glück hat wirklich alles funktioniert wie ich es mir erhofft hatte. Die Sprengung der Gefängniswand, eure Befreiung und der Ritt zur Kirche. Alles so wie ich es geplant hatte. Ich bin unendlich dankbar, das ich Ryan diesen Dienst erweisen konnte.”
Zufrieden schmieß er sein langes Haar nach hinten und konzentrierte seinen Blick auf den vor ihnen liegenden langen Weg in den Norden.

Vielleicht gibt es ja eines Tages ein Wiedersehen mit Ashley, Ryan und Marcus !? ;o)
Diese Geschichte ist jedenfalls hier ersteinmal zuende. Hoffe, sie gefällt Euch ein bißchen.
Sandra Lenz, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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