Patrick Rabe

Bin ich Christ?

Das Wort "Christ" möchte ich manchmal nicht mehr auf mich angewendet wissen. Denn ich habe so gut wie nichts mit christlichen Werten, christlicher Moral oder christlichem Brimborium zu tun. Das meiste, was in der christlichen Welt abgeht, finde ich abstoßend. Damit will ich auch nicht im Ansatz identifiziert werden. Dennoch bin ich ein Anhänger Jesu und gehe einen mystischen Weg mit ihm. Das ist kein Widerspruch. Ich bin sogar der Ansicht, dass in erster Linie die Kirchen (und zwar ALLE!) dem wirklichen Verständnis von Jesu Evangelium im Wege stehen. Der Untergang der Christenheit als das, was sie sein sollte und wollte, wurde mit Gründung der katholischen Kirche und der damit verbundenen Ehe mit der Macht besiegelt. Auf dem ersten Konzil in Nizäa wurden die vorhandenen Schriften des Christentums zunächst einmal auf ein Minimum reduziert, der Euphemismus dazu heißt Kanonisierung. Man wählte die Schriften so aus, dass ein bestimmtes, einseitiges Bild der Lehre entstand und klammerte alles aus, was nicht zum beabsichtigten Dogma passte. Danach verketzerte man die sogenannten Apokryphen. Ich habe sie gelesen. In der sehr empfehlenswerten Zusammenstellung "Das neue Testament" in der Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord. Das Bild, was sich dadurch ergibt, ist erstaunlich. Es zeigt sich z.B. dass das Thema männlich/weiblich, bzw. Überwindung der Dualität einen gewichtigen Raum einnimmt. In der offiziellen Bibel fällt das komplett unter den Tisch! Am stringentesten entwickelt sich Jesu Botschaft im berühmten Thomasevangelium. Feinde der Apokryphen wollten es von jeher diskreditieren, indem sie behaupteten, es sei erst im zweiten Jahrhundert n.Ch. entstanden. Irrtum! Bereits seit 1999 ist erwiesen, dass es zur selben Zeit wie Matthäus entstand, also zwischen 50-70 n.Chr. Aus dem Thomasevangelium geht ganz klar hervor, dass das Reich Gottes diesseitig ist. Es ist ein innerer Zustand, der durch die Vereinigung der Gegensätze entsteht. Selbst in den biblischen Evangelien kann man noch erkennen, dass das immer Jesu Ansatz war (Alle Sünder mit ins Boot holen, Aufsammeln aller Brotkrumen nach der Speisung der 5000 etc). Es ist immer Mystik und Historie zugleich (Zeichen UND Fleisch). Die Kirche dagegen benötigte einen Dualismus, nicht eine Überwindung des Dualismus. Deshalb kanonisierte sie nur Texte, die den Glauben an einen Dualismus begünstigen. Bei genauem Lesen der Bibel fällt aber auf, dass die Thora GAR keinen Teufel kennt, im Buch Hiob ist der Satan weder böse, noch ein gefallener Engel, sondern lediglich eine Art himmlischer Staatsanwalt, noch in den Evangelien ist er lediglich ein Prüfer, erst in der Offenbarung des Johannes wird er endgültig zum ebenbürtigen Gegenspieler Gottes. Dort finden wir auch die Verknüpfung des Satans mit der Figur der Schlange aus der Paradiesgeschichte. Das ist eine religionsgeschichtliche Kolportage. Ich empfehle dazu den Vortrag von Sigi Zimmer "Die Sache mit der Schlange" Die Offenbarung auszudeuten, ohne den historischen Kontext zu kennen, in dem sie steht, sollte man sich besser nicht erdreisten, sie ist schon zu oft das Werkzeug von Endzeitspinnern geworden (In allen Jahrhunderten, nicht erst 1999 und 2012). Kurz noch zu ein paar Vorurteilen über das Christentum, die auch von vielen Christen selber geglaubt werden. Das Christentum sei eine asketische Religion und alles, was mit sinnlichen Genüssen zu tun hat, ist verpönt. Falsch! Jesus war als "Fresser und Weinsäufer" bekannt (Matthäusevangelium). Es schimmert durch den Text hindurch, dass er es gerne ordentlich krachen ließ (da bin ich voll bei Martin Dreyer!) und dann auch noch mit den falschen Leuten feierte. Dass wir Jesus heute als so clean wahrnehmen, ja dass er sogar vom Bürgertum vereinnahmt worden ist, hat damit zu tun, dass wir von klein auf gelernt haben, dass er der Gute ist, und immer das Richtige getan hat. Das hat man zu seinen Lebzeiten ganz sicher mehrheitlich nicht so gesehen. Zwar hatte er eine menge Anhänger unter den Losern, Wichsern und chronischen Außenseitern, aber wer in Judäa etwas auf sich hielt, war selbstredend gegen ihn!!! Viele seiner Taten waren weder peacig noch lieb, sondern in Theorie und Praxis hammerharte Provokationen. (Ährenraufen, essen mit ungewaschenen Händen, Heilen, sprich Arbeiten am Sabbat, Erhöhung eines Samaritaners - für Juden ungläubiger Abschaum - zu ungunsten eines Priesters und eines Leviten, randalieren im Tempel, Rettung einer Ehebrecherin etcpp.) Er stand im Ruf, ein Agent des Bösen zu sein (da ist er ja in guter Gesellschaft) und war vielen Leuten ein Dorn im Auge. Bereits vor seiner Hinrichtung wurde er mehrmals fast gelyncht. Noch ein Vorurteil: Die Bibel sei sex-und lustfeindlich. Nullinger! Lest Z.B. das Alte Testament. Was da kreuz und quer gevögelt wird, stellt jeden Porno in den Schatten. Es gibt ja sogar ein explizit erotisches Buch im AT: Das Hohelied von Salomo. Lange Zeit missdeutet als Bild für die Liebe Gottes zur Gemeinde. Diese Deutung ist abenteuerlich, lest selbst. Es ist die Kirche und NUR die Kirche, die Sex jahrhundertelang zur Sünde und zum notwendigen Übel zum Kinderkriegen erklärt hat. Papst Benedikt sah sich in den nuller Jahren UNSERES Jahrhunderts in seiner Enzyklika "Gott ist Liebe" bemüßigt, zuzugestehen, dass Sex Spaß machen darf. Er verstieg sich des weiteren zu der in der tat merkwürdigen Aussage, Gott sei zwar die Liebe, aber die Liebe sei nicht Gott. Diese Aussage ist so unsinnig, dass man sich nur wundern kann, dass Benedikt als so brillanter Denker gilt. Aber Unsinn hat die katholische Kirche ja zu Hauf zu bieten, z.B. das Schweißtuch von Jesus, den Unterrock von Maria Mutter und das Klopapier von Johannes dem Täufer. Dass die kath.Kirch. damit den christlichen Glauben auf das Niveau von Fetischanbetung und magischem Denken herabgewürdigt hat, hat bereits Onkel Luther des öfteren thematisiert. Es ist immerhin interessant, dass es die Verteufelung von Sex auch in die evangelische Welt geschafft hat (Zwischenhöhepunkt: Pietismus, endgültiger Höhepunkt: Evangelikalien!). Das ist weder evangelisch noch Urgemeindlich, noch biblisch, sondern nur der ellenlange katholische Irrlehrenschatten. Nennt man auch jahrhundertelange, kollektive Gehirnwäsche, die so tief sitzt, dass nicht mal das Selberlesen der Bibel einen umdenken lässt. Luther hat die Bibel ja sogar an mehrern Stellen entschärfen müssen. Aus dem in den Sprüchen auftauchenden Wort "Brüste" macht er "Liebreiz". Und das ist in der neuesten Lutherbibel IMMER noch nicht korrigiert!!! Zum Wachwerden: Die Bibel ist zu scharf für Christenmenschen und muss zensiert werden!!!! Irrer geht es eigentlich nicht mehr. Und bevor ich hier mir anhören darf, dass Paulus Enthaltsamkeit empfohlen hat... ja, hat er. Aber er hat auch klar gemacht, dass das seine eigene Einschätzung ist, und keine göttliche Weisung. Und der Grund, warum er Enthaltsamkeit empfohlen hat, ist der, dass er mit einem baldigen Weltende rechnete. Das war, wie wir heute wissen, ein persönlicher Irrtum des Paulus und seiner Zeitgenossen. Soviel auch zu der gerne wiedergekäuten Ansicht, in der Bibel stünden keine Irrtümer...

Ich glaube, ihr könnt mich doch weiterhin "Christ" nennen... Lieber wäre mir allerdings "Jususfreund" oder schlicht "Mensch". Derjenige, der das alles gelesen hat, ist auch ein guter Kandidat, um die Bibel ganz durchzulesen. Glückwunsch!



© by Patrick Rabe, 2016

Rutscht gut rüber, nächstes Jahr ist Weltuntergang...äh... Bundestagswahl.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.12.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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