Christiane Mielck-Retzdorff

Verdammtes Glück - 1. Variante



 
Ihre Gedanken waren noch etwas umnebelt, denn gestern hatte Uta einen Jahrmarkt mit ihren Kolleginnen besucht und reichlich dem Wein zugesprochen. Sie alle arbeiteten in einem Supermarkt an der Kasse oder füllten Regale auf. Genau wie Uta waren die meisten der Frauen geschieden und wieder auf der Suche nach dem Mann fürs Leben. Aber die erlittenen Enttäuschungen ließen sie mit Misstrauen auf das andere Geschlecht blicken. So flirteten sie heftig, doch nahmen Reißaus, wenn die Angelegenheit ernst zu werden drohte. Dabei hatten sie auf dem Jahrmarkt viel Spaß dabei gehabt, die Männer zu reizen, um sie dann kichernd zurück zu lassen.
Uta hatte sich Brötchen gekauft und die Sonntagszeitung, die ihr vom Schicksal der Reichen und Schönen berichtete. Wie immer verglich sie auch die Lottozahlen mit ihrem Schein. Sie lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen und gönnte sich gern den Traum vom Reichtum. Diesmal allerdings wollte sie ihren Augen nicht trauen. Immer wieder schaute sie abwechselnd auf die Zeitung und dann auf ihren maschinell erstellten Lottoschein. Sechs Zahlen und sogar die Superzahl stimmten überein. Uta hatte gewonnen.
Als sie das endlich begriffen hatte, musste sie diese Erkenntnis mit jemandem teilen. Da kam nur ihr Nachbar Olaf in Frage, mit dem sie eine kurze Affäre gehabt hatte und der nun ein guter Freund war. Mit einem Aufschrei der Freude rannte sie hinaus und klingelte an dessen Tür. Es dauerte eine Zeit bis Olaf im Bademantel erschien. Seine ganzes Aussehen zeugte davon, dass sie ihn nach einer durchzechten Nacht geweckt hatte.
„Was willst Du?“ fragte der Mann mürrisch.
Mit strahlendem Gesicht verkündete Uta:
„Ich habe im Lotto gewonnen!“
„Und deswegen weckst Du mich?“
„Du wirst es nicht glauben, aber ich habe sechs Richtige mit Superzahl.“
Nun war Olaf plötzlich hell wach.
„Das ist ja geil. Waren an diesem Wochenende nicht 20 Millionen im Jackpot? Da bleibt auch bei mehreren Gewinnern ein hübsches Sümmchen über. Das müssen wir feiern. Hast Du Sekt im Haus?“
Uta schüttelte den Kopf.
„Macht nichts. Ich ziehe mich schnell an. Geh Du derweil zur Tankstelle und kaufe eine Flasche, nein, besser zwei. Und bring mir auch gleich zwei Packungen Zigaretten mit. Mein Marke kennst Du ja.“
Dann riss er Uta in seine Arme und rief:
„Wir sind reich!“
 
Kurz darauf saßen beide in Utas Einzimmer-Wohnung und tranken lauwarmen Sekt aus Saftgläsern. Beim Öffnen der Flasche war diese übergesprudelt und ein Viertel der Flüssigkeit ergoss sich auf den Teppichboden.
Lachend kommentierte Olaf:
„Nun können wir schon mal üben, in Champagner zu baden.“
„Ja.“, jubelte Uta. „Stell Dir mal vor, wir gewännen die ganzen 20 Millionen. Dann können wir um die Welt reisen, die tollsten Klamotten kaufen und blieben immer noch reich, reich, reich.“
Auch wenn es der Lottoschein der Frau war, hatte sich das „wir“ ganz selbstverständlich in das Gespräch eingeschlichen. Olaf umarmte Uta immer wieder, küsste sie leidenschaftlich. Schließlich gaben sie ihrer freudigen Aufregung nach und landeten im Bett.
Anschließend gaben sie sich ihren Träumen hin. Im Ferrari an die Cote d‘Azur. Cocktails unter Palmen schlürfen. Ein großes Haus mit einer riesigen Fernsehleinwand. Die teuersten Discos besuchen und Party machen. Ein Formel Eins Rennen aus einer Loge in Monte Carlo anschauen.
Immer wieder lagen sich die beiden bei diesen Vorstellungen in den Armen und lachten. Das würde ein herrliches, sorgenfreies Leben ohne Arbeit werden.
 
Gemeinsam besuchten sie am folgenden Tag die nächste Lottozentrale. Dort wurden sie von einem sehr ehrenwerten und Respekt einflößenden Mann und einer recht unscheinbar wirkenden Frau empfangen. Das Büro lag im 10. Stock, war teuer, aber funktionell ausgestattet und mit beeindruckendem, unverbautem Blick auf die Großstadt. Uta war froh, dass Olaf ihre Hand hielt. Nachdem sie sich vorgestellt hatten, fragte der Mann:
„Sie sind verheiratet?“
„Noch nicht.“, antwortete Olaf. „Aber verlobt. Bald treten wir vor den Traualtar.“
„War das ein Heiratsantrag?“, fragte sich Uta, doch war zu aufgeregt, um weiter darüber nachzudenken.
„Wem gehört denn der Lottoschein?“
„Uns beiden.“, sagte Olaf so voller Überzeugung, dass selbst Uta das glaubte.
„Und wer hat den Lottoschein ausgefüllt und bezahlt?“
„Natürlich auch wir beide.“
Uta schluckte diese Lüge glücklich, dass Olaf an ihrer Seite war.
„Wieviel haben wir nun gewonnen?“, wollte ihr Begleiter wissen.
Nachdem der Mann den Lottoschein durch ein Lesegerät laufen gelassen hatte, bat er die Gewinner, sich zu setzen. Uta bekam Angst, dass ihr Traum doch ein Irrtum gewesen war. Sie klammerte sich an Olafs Hand.
„Ihr Gewinn beträgt 22.463.988,50 Euro.“
Uta und Olaf blickten sich ungläubig an.
„Ist das wirklich wahr?“, fragte die Uta beinahe verängstigt.
„Natürlich, Liebes.“, beantwortete Olaf die Frage und legte seinen Arm um sie. „Wir sind tatsächlich reich.“
Nun mischte sich die unscheinbare Frau ein und sprach mit salbungsvoller Stimme:
„Sie sollten ihren Gewinn vorerst für sich behalten. Denken Sie in Ruhe darüber nach, wie Sie ihr Leben zukünftig gestalten wollen. So viel Geld ist immerhin ein Einschnitt…“
„Das werden wir.“, unterbrach Olaf. „Wann haben wir das Geld auf unserem Konto?“
„Zuerst müssen noch einige Formalitäten erledigt werden.“, antwortete der Mann. „Wir brauchen zum Beispiel eine Kontonummer. Allerdings…“
Diesmal mischte sich Uta ein und schrieb ihre Kontoverbindung auf einen Zettel.
„Beantworten Sie bitte meine Frage.“, forderte Olaf ungehalten.
„Das kann einige Tage dauern.“
„Wie lange?“
„Ende der Woche können Sie über das Geld verfügen.“
Olaf stand auf und streckte seine Hand zur Verabschiedung aus. Uta tat es ihm gleich. Dann verließen beide eilig das Büro.
„Lass uns irgendwo vornehm Essen gehen.“, schlug Olaf vor. „Wir verprassen deinen Spargroschen und feiern ordentlich. Fahren wir nach Hause und machen uns richtig chic.“
 
Wieder allein in seiner Wohnung rief Olaf sogleich seinen besten Kumpel an.
„Klaus, stell Dir vor, wir haben im Lotto gewonnen.“, tönte es in das Ohr des Angerufenen.
„Wir beide? Wer von uns spielt denn Lotto?“
„Nein, meine Freundin Uta und ich.“
„Seit wann heißt deine Freundin Uta. Ich denke, Du bist mit Claudia zusammen.“
„20 Millionen sind doch wohl ein guter Grund, sich anderweitig zu orientieren.“
„Sag mal, spinnst Du? Hast Du ´ne reiche Tussi kennengelernt?“
„Das erzähle ich Dir alles mal in Ruhe. Ich will nur wissen, ob Du noch Kontakt zu dem Typen mit dem Ferrari hast.“
„Na, klar.“
„Gut, dann sag dem Typen, er soll mir die Karre reservieren. Ende der Woche komme ich dann bei ihm vorbei. Ich muss doch meiner Maus was bieten.“
 
Auch Uta rannte in ihrer Wohnung gleich zum Telefon und rief ihre beste Freundin an. Sie war mit Grippe krankgeschrieben.
„Silvi!“, schrie sie in Telefon. „Wir sind reich.“
Mit deutlich hörbarer Schnief Nase fragte diese:
„Wer wir?“
„Mein Freund Olaf und ich.“
„Was für ein Olaf? Doch nicht etwas der, den Du Faulpelz und Flachwichser genannt hast.“
„Da war ich gerade wütend auf ihn, doch nun sind wir wieder zusammen und heiraten bald.“
„Seit wann hat der Typ denn Geld? Der war doch immer pleite und hat jeden angepumpt.“
„Aber ich habe im Lotto gewonnen. Sechs Richtige mit Superzahl. Der ganze Jackpot gehört nun uns. Olaf und ich werden reisen, tolle Autos fahren, in Luxusboutiquen einkaufen und es uns gut gehen lassen. Ist das nicht toll?“
„Dass Du im Lotto gewonnen hast, erklärt einiges. Der Kerl ist nur hinter deinem Geld her.“
„Sei doch nicht so biestig. Du bist nur neidisch. So jemanden will ich nicht zur Freundin haben.“
Uta legte auf, zog ihr hübschestes Kleid an, steckte ihre langen Haare hoch und fühlte sich wie eine Dame.

Morgen folgt die 2. Variante



 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.12.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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