Die Moorlandschaft lag friedlich und ruhig im Licht der Morgensonne. Pamela liebte die frühen Spaziergänge durch dieses Gebiet. Dabei tankte sie Kraft und Kreativität für ihre Arbeit als selbständige Werbetexterin. Nur wenige Menschen mit ihren Hunden traf sie auf dieser Runde, wechselte einige freundliche Worte mit ihnen, um dann wieder ihren Gedanken nachzuhängen. Als sie fast die Alsterquelle erreicht hatte, hörte sie laute, zornige Worte:
„Das ist doch Scheiße! Eine einzige Verarschung!“
Dort stand ein Mann an der kniehohen Steinmauer um die Quelle und starrte hinab. Erst als Pamela ihn schon fast erreicht hatte, erkannte sie, dass er ein imposantes Messer in der Hand hielt. Es blitzte im Sonnenlicht. Als ein Ast unter ihrem Tritt knackte, drehte der Mann sich zu ihr um. Seine Miene zeigte eine Mischung aus Wut und Enttäuschung. Gleich polterte er los:
„Wir werden immer nur belogen. Hier ist keine Quelle. Die Leute stellen ein buntes Schild auf, ziehen eine Mauer um eine moderige Vertiefung, in der sich etwas Wasser sammelt, und erklären diese zur Alsterquelle, nur um Touristen anzulocken. Kein Wunder, dass die Menschen versuchen, die Lüge zu erschlagen und Äste in diese Pfütze werfen.“
Der Mann holte Luft und blickte Pamela ins Gesicht. Sie war wenig erstaunt über dessen Enttäuschung, denn diese Reaktion hatte die junge Frau schon oft bei Besuchern erlebt. Sie erwarteten eine sprudelnde Quelle und sahen nur bewegungsloses Moorwasser.
„Bloß weil ich für die meisten unsichtbar bin, muss ich mich doch nicht von einer hinterhältigen Lüge beeindrucken lassen. Die da Oben machen mit uns, was sie wollen. Damit halten sie uns klein und dumm.“
Pamela trat einige Schritte auf den Mann zu, behielt dabei aber sein Messer im Auge.
„Sie haben Recht.“, begann die junge Frau. „Es gibt nicht nur eine Alsterquelle, sondern der Fluss wird von mehreren gespeist. Warum gerade dieser Ort als Alsterquelle auserwählt wurde, weiß ich auch nicht.“
„Siehst Du. Irgendjemand entscheidet etwas und die anderem müssen ihm glauben. Die einen werden belogen und betrogen und die anderen stellen sich auf Podeste und lassen sich und ihre Lügen feiern.“
Pamela stellte sich neben den Mann und schaute auf das trübe, bewegungslose Wasser. Dann sagte sie:
„Hier sprudelt tatsächlich eine Quelle, aber im Verborgenen. Das kleine Rinnsal kämpft sich dicht am Boden entlang, doch schon wenige Meter weiter, kann man sehen, dass in dem Lauf etwas fließt. Das Wasser sucht nach Gefährten, mit denen es sich verbündet. Dann ziehen sie gemeinsam weiter, um einen Fluss zu speisen. Der zieht dann in die Großstadt und verbindet sich mit einem noch größeren Fluss, der Elbe. Schließlich landet unser kleines Rinnsal mit seinen Freunden in der Nordsee und bald im Atlantik.“
Der Mann schaute Pamela beeindruckt an.
„Es gibt verschiedenen Möglichkeiten, wie sich die kleinen Tropfen in der Welt zeigen. Als Gehilfen eines Hurrikans können sie Karibische Inseln überfluten, um anschließend von der Sonne zu den Wolken am Himmel getragen zu werden. Sie reisen weiter und bringen vielleicht den ersehnten Regen in eine Dürre. Oder sie prasseln auf fremde Flüsse, die dann über die Ufer treten. Oder sie verwandeln sich über den Bergen in Schnee und erfreuen die Skiläufer. Doch selten bleiben sie lange an einem Ort. Sie können Segen oder Verderben bringen. Aber sie sind nicht unbedeutend, auch wenn sie in der Unsichtbarkeit starten.“
Mit einem Lächeln ging Pamela weiter und ließ einen nachdenklichen Mann zurück.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2017.
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