Nil-Su Heiler

Zu klein

 

Alle sagen, sie ist krank. Ich weiß sie denken ich bin zu klein um das zu verstehen, aber ich verstehe es sehr wohl. Sie tun so als würde mich das nichts angehen, aber lange Zeit gab es niemanden außer sie und mich. Meine Schwester kam erst her, als sie erfuhr, dass sie sterben würde. Vorher sprach sie nicht mit uns, warum wusste ich nicht. Ich war ja „zu klein“ um das zu verstehen. Und ich habe es ausgehalten. Ich habe es ausgehalten das sie Stunden lang nicht mit mir gesprochen hat, ich habe all die Vorwürfe ausgehalten die sie mir gemacht hat, ich wusste dass sie das machte weil sie Traurig war. Und jetzt durfte ich sie nicht mal besuchen, ich durfte nur mit zum Krankenhaus fahren und draußen warten und wenn es ihr einigermaßen gut ging brachten sie sie raus. „Du bist zu klein um in das Krankenhaus zu  all den Kranken zu gehen, meine Liebe.“  Ja klar. Meistens sage ich dazu nichts. Ich nicke bloß und schaue weg.  Ich weine auch nicht mehr. Ich tue alles dafür alles das man nicht sieht wie es mir geht, denn all das hat sie nichts anzugehen. Aber eigentlich bin ich wütend. Wütend darüber dass sie alle so tun, als wäre es jedem seine Sache, nur nicht meine.
Wir fahren jeden Montag in das Krankenhaus. Heute ist Montag und die Autofahrt ist wie immer einfach zu lang.  Mir wird immer schlecht beim Autofahren, manchmal muss ich sogar brechen. Aber das ist nicht so schlimm, weil ich weiß, ich darf sie vielleicht sehen. Im Krankenhaus angekommen fängt uns der Arzt sofort ab. „ Ihr geht es immer schlechter, ich weiß nicht wie lang sie noch durchhält.“ Meine Schwester weint. Ich kann mich nicht regen. Der Arzt schaut uns mit voller Mitleid an. Er beugt sich runter und sagt etwas aber ich kann ihn nicht verstehen. In meinem Kopf sind so viele Fragen und Gedanken, sie laut auszusprechen ist keine Möglichkeit, ich bekomme ja doch keine Antwort darauf.  Ich bin erstarrt und voller Wut. Und dann renne ich. Ich renne die 5 Stockwerke nach oben, und gehe Schnur Stracks auf das Zimmer mit der 516 zu. Ich weiß dass es ihr Zimmer ist, ich habe schon oft gehört wie es jemand gesagt hat. Ich bin total außer Puste und muss husten. Auf einmal steht ein Mann mit einer Halb Glatze und grauem Haar vor mir und schaut mich an. Er hat einen weißen Kittel an, wahrscheinlich ein Arzt. Er hat eine Narbe im Gesicht das sich von seiner Stirn bis zu seinem Kinn streckt. Es ist irgendwie gruselig. In seinem Gesicht steht Zweifel. „Bist du dir sicher dass du sie so sehen willst?“ Ich bin zu wütend um mit ihm zu reden, also trete ich ihm gegen sein Schienbein und verlange, dass er auf der Stelle da weggeht. Er guckt  zwar Schmerzverzerrt aber rührt sich kein Zentimeter. „ Hör zu du darfst gar nicht hier sein aber ich bin bereit mit dir darüber zu verhandeln, wenn du bereit bist, dich vorher etwas mit mir zu unterhalten.“ Eigentlich müsste ich sofort „ja“ schreien aber ich bin ein Kind und Erwachsene versuchen oft, mich auszutricksen. „Ich will erst verhandeln und dann rede ich mit Ihnen.“ Ich verschränke die Arme und schaue ihn fest entschlo! ssen an.   Er schmunzelt etwas aber er nickt. „ Ich will sie jeden Montag besuchen bis… -Naja Sie wissen schon.“ Er hat Mitleid mit mir das sehe ich, aber in den letzten Monaten habe ich mich dran gewöhnt, denn seit sie krank ist haben alle Mitleid mit mir. „Lässt sich einrichten.“ Gibt er trocken von sich.  „Sind Sie sich da sicher? Ist Ihre Position hier überhaupt hoch genug, um sowas einfach zu erlauben?“  Jetzt lacht er einmal ganz herzlich auf. „Ich bin Chefarzt.“ Na dann.
Nicht mal 10 Minuten später sitze ich mit ihm in der Cafeteria und er trinkt ein Kaffee. Eklig dieses Zeug. Ich habe es einmal probiert, das hat überhaupt nicht geschmeckt und meine Schwester hat gesagt, dass es nicht gut für Kinder ist. Eine Weile schweigen wir. Dann plötzlich „ Weißt du was bei der Krankheit mit einem passiert?“  Ich weiß etwas darüber ja. „Als erstes heißt die Krankheit Lungenkrebs, und wenn man Zuviel raucht dann kann man sie kriegen. Und wenn man dann Lungenkrebs hat dann kriegt man ganz schlecht Luft. Und von den Medikamenten die man kriegt, fallen einem die Haare aus und man wird schlecht gelaunt. Außerdem darf man kein Ketchup mehr Essen.“ Ich sah das er beindruckt von meinem Wissen war, trotzdem schwieg er. Er starrt aus dem Fenster und sagt  „Du weißt, sie wird es nicht überleben oder?“ Wenn er so weitermacht weine ich. Also muss ich mich etwas zusammen reißen. „Eine Gegenfrage: Warum sitzen sie hier mit mir hier? Haben sie nicht viele andere Dinge zu tun, so als Chefarzt ist man doch eigentlich sehr beschäftigt oder? Oder haben sie mich angelogen? Und erleben sie sowas nicht Jeden Tag?“ „Das waren vier Fragen, kleines. Du bist ganz schön Clever für dein Alter.“ Er stützt mit seiner Hand sein Kinn und wendet sein Blick zu mir. Eins ist klar, er wird mir auf meine Fragen keine Antwort geben. Auf seine Bemerkung gebe ich nur zurück „Und sie sind ganz schön Stur.“ Und jetzt lacht er. „Ihr seid euch so ähnlich.“ Was war denn jetzt so lustig bitte? Plötzlich wird sein Gesicht ernst, „ Manchmal passieren Dinge, die wir nicht verstehen können, aber alles geschieht aus einem bestimmten Grund. Und am Ende geht alles gut aus. Vergiss das nicht, ja?“ Er steht auf. „Und jetzt lass uns zu ihr gehen.“ Ich stehe auf und wir gehen zum Zimmer 516. Ich weiß nicht w! as er da mit meinte aber ich will mich auch nicht damit befassen. Und dann stehen wir vor dem Zimmer, ich atme einmal tief ein und aus. Irgendwie bekomme ich es mit der Angst zu tun. Ich drehe mich zu dem merkwürdigen Arzt und sage „Darf ich allein gehen?“ Er nickt nur und winkt mir zu  während er geht. Ich mache die Tür auf aber traue mich nicht reinzugehen. „Mami? Mami bist du wach?“  Ich gehe ein Stück rein und kann sie sehen. Sie sieht furchtbar aus. Sie hat eine Glatze, wo sind sie, ihre schönen, langen Haare? Ihr Gesicht ist geschwollen und ihre Haut ist gelblich. Und jetzt kann ich einfach nicht anders, ich weine einfach und renne zu ihrem Bett. „Oh, Mami“  ich versuche mein Gesicht in ihrer Brust zu vergraben aber sie lässt es nicht zu. Ich schaue sie an, sie weint auch. Sie gibt mir ein Kuss auf die Stirn und sagt „Hallo mein Schatz, du hast mir gefehlt.“  Ich lege mich zu ihr und wir kuscheln, lange sagt niemand etwas. Ich habe es sehr vermisst, wie sie mir den Kopf krault.  Ich betrachte ihr Zimmer, sie hat überall Fotos von uns aufgehängt. Ich stehe auf um sie genauer zu betrachten. Sie hat das Foto von meinem Geburtstag auf gehangen, auf diesem sieht man, wie ich den Kuchen aufschneide.  Das war ein toller Geburtstag, unser Backofen war kaputt aber sie hatte mir trotzdem einen Wunderschönen Kuchen gemacht. Darauf waren Smarties und Gummibärchen. Auf dem nächsten Bild war meine Schwester wie sie vor einer Palme posiert. Sie macht das immer, also so posieren. Ich verstehe nicht warum es sieht total Affig aus, ich darf es ihr aber nicht sagen weil Mama sagt dass sie sonst traurig ist oder auch wütend. Auf dem nächsten Foto sehe ich den komischen Arzt von vorhin, er sitzt auf einem bunt bemalten Stein und lacht ganz herzlich, seine Narbe ist viel deutlicher zu erkennen. Er hat ein blaues Hemd an, wäre die Narbe nicht, hätte ich ihn nicht erkannt. Jetzt b! in ich v erwirrt, warum hängt das hier? Findet Mama ihn so gut als Arzt? „Mami warum hängt das Foto von dem Arzt hier?“ Sie setzt sich aufrecht und schaut sich das Bild an. „ Das ist dein Opa, mein Schatz. Schade dass du ihn nicht mehr kennenlernen konntest.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.01.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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