Manfred Bieschke-Behm

Schön, dass wir uns haben


 
Der Blick in das Wohnzimmer machte mir deutlich, dass gestern Abend einige passiert sein musste. So richtig konnte ich die Situation nicht erfassen. Schuld daran war mein Brummschädel. Er vernebelte meinen Blick, meine Sinne und blockierte mein Erinnerungsvermögen.
Was war geschehen? Ich versuchte mich, zu konzentrieren. Das Chaos im Zimmer gab mir ein wenig Klarheit. Halb leer gegessene Teller, überquellende Aschenbecher, leere Flaschen, die teils aufrecht standen, teils liegend in alle Himmelsrichtungen zeigten, ließen schlimmes ahnen. Auch niedergebrannte Kerzen, deren Restwachs sich verselbstständigt hatte, und bizarre Formen wie nach einem Bleigießen hinterlassen haben, zeugten von einer langen Nacht. Ein auf dem Boden liegender silberner Bilderrahmen mit zerborstener Scheibe, ließen mich vermuten, dass der gestrige Abend ein sehr lebhafter gewesen sein muss. Bruchstückartig kamen die Erinnerungen zurück.
 
Ich erinnerte mich, dass Ruth den Vorschlag gemacht hatte ein paar Freunde einzuladen. Sie meinte, es würde mir gut tun, mal abzuschalten. Zunächst hielt ich nicht viel von dem Vorschlag, willigte dann aber doch ein.
Ja, es war ein fröhliches Zusammensein. Alles schien perfekt. Bis, ja bis zu dem Zeitpunkt wo mir ein Missgeschick passierte. Durch eine Unachtsamkeit stieß ich ein Glas, gefüllt mit Rotwein, um. Zu allem Übel ergoss sich der Rotwein zunächst auf Ruths beigefarbene Hose und anschließend auf den Teppich. Ruht schrie hysterisch auf. Sie sprang hoch und versuchte reflexartig die Rotweinflecke von ihrer Hose zu wischen, was ihr natürlich nicht gelang, was gleichzeitig die Situation verschlimmerte. Ihre Wut fand ihren Höhepunkt, im dem sie mich eine hässliche Flugratte nannte und für einen Stimmungsknick sorgte. Weil der Vergleich mit einer Flugratte nicht nur mich irritierte, sondern auch die Anwesenden verstummten alle. Nach gefühlten Stunden unterbrach ich die Stille, indem ich zu Ruth sagte: "Ist doch nicht so schlimm! Wir sollten die Situation nicht überbewerten." Der letzte Satz war genau der falsche. Kaum war er ausgesprochen, rastete Ruth vollends aus. Sie stand auf, lief zur Anrichte, griff sich das silbergerahmte Porträtfoto von ihr und warf es wütend auf den Boden. Die Folge war, dass die fotoschützende Scheibe zerbrach. Im Rahmen verbliebene Glassplitter verzerrten Ruhs Gesicht fast genauso wie ich es gerade real vor mir sah. Vorbei an den Gästen, sich nicht aufhalten lassend verließ Ruth wutentbrannt das Zimmer. Ich rief ihr hinterher: "Aber Liebling, ist doch alles nicht so schlimm! Alles lässt sich wieder richten!" Ruth war nicht zu bremsen und den ganzen Abend nicht mehr zu sehen.
 
Während ich mich weiter mit dem Aufräumen beschäftigte und dabei überlegte, wie der gestrige Abend letztendlich endete, stand Ruth in der Zimmertür. Mit ihrem mir vertrautem Lächeln und zwei gefüllten Rotweingläsern sah sie mich versöhnlich an und sagte: "Schön, dass wir uns haben!"
 
 

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