Iris Klinge

Nori kehrt zurück

Wer meine früheren Geschichten von Nori gelesen hat, der erinnert sich vielleicht, dass es unsere Gelbstirnamazone war, die ich vor 38 Jahren aus dem Urwald Venezuelas herausgeschmuggelt habe.
 
Die Odysee dieses ungewöhnlichen Papageis verlief stürmisch. Er verbrachte die ersten Jahre zusammen mit drei Graupapageien in unserem großen Haus und durfte sogar frei im Garten herumfliegen, denn er kam jedes Mal artig ins Haus zurück. Eine Freundin hatte er auch schon bald gefunden, eine Blaustirnamazone, mit der er stolz auf den Wäscheleinen im Hof herumhüpfte. Zu den drei Grauen hatte er keinen Draht, die schienen eine andere Sprache zu sprechen Deren Herkunft war ja auch ein anderer Kontinent, Afrika.
 
Richtig turbulent wurde es für Nori, als ich die Familie verließ und meine Nachfolgerin alle vier Papageien hasste. Für sie musste eine neue Pflegestelle gefunden werden.
Nori hatte großes Glück, denn eine ältere Nachbarin, deren Mann gerade gestorben war, wollte ihn übernehmen.
 
Diese sehr enge Beziehung dauerte mehr als zwanzig Jahre. Nori war wie ein Partner für die alte Dame. Jeden Morgen durfte er mit am Tisch sitzen und frühstücken. Es gab für ihn Butterbrot, Käse, hartes Ei und andere Leckereien. Mittags dann rohes Gemüse oder Obst. Er brauchte nicht, wie die meisten der hiesig gehaltenen Papageien, das viel zu harte Körnerfutter fressen, das in keiner Weise dem im Urwald vorhandenen Weichfutter entspricht. Ich bin sicher, dass diese Ernährung Nori vor dem sicheren frühen Tod bewahrt hat, denn unsere Graupapageien starben alle kurze Zeit, nachdem sie weg gegeben worden waren.
 
Mit 90 Jahren konnte die alte Dame nicht mehr in ihrem kleinen Haus leben und zog in ein Altenheim. Nori durfte sie begleiten, denn die beiden waren ein eingeschworenes Team. Keiner konnte ohne den anderen. Die Bewohner des Seniorenheims waren begeistert von Nori, dem neuen Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Und Nori genoß die Bewunderung und Zuwendung von so vielen lieben Mitmenschen.
 
Nun ist seine Pflegerin im Alter von 95 Jahren gestorben. Wohin mit Nori? Als man mir mitteilte, dass niemand in der Lage ist, ihn bei sich aufzunehmen, beschloss ich, mein unstetes Leben aufzugeben, um ihm wieder eine Heimat zu bieten.
 
Das Gedächtnis eines Papageis ist phänomenal. Er erinnert sich an alle Menschen, die ihn jemals gekannt haben. Er begrüßte uns stürmisch, wenn wir ihn besuchten, und war sichtlich enttäuscht, wenn wir wieder Abschied nahmen. Daher ist es für mich selbstverständlich, ihm ein neues - altes - Zuhause zu bieten, damit er sich nicht nochmals an jemand anderen gewöhnen muss.
 
Die Tierärztin, die ihm ab und zu die Krallen kürzte, war jedes Mal überrascht, wie gesund der grüne Vogel war. Mit 38 Jahren hat er noch ein langes Leben vor sich, und wahrscheinlich wird er uns Alte überleben. Dann müssen unsere Kinder oder Enkel sich seiner annehmen.
 
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.02.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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