Engelbert Blabsreiter

Die Brille

Seit Wochen lag eine brütende Hitze über dem Stadtzentrum und Martin wollte eigentlich zum Baden gehen. Aber ein Plakat mit der Ankündigung für einen Antiquitäten-Flohmarkt, hatte seinen ursprünglichen Plan kurzfristig geändert. Er liebte das Stöbern in Kisten mit alten Büchern oder technischen Geräten, deshalb strampelte er voller Vorfreude, auf seinem klapprigen Fahrrad in die Innenstadt Richtung Flohmarkt.

Schon so manche schöne Erinnerung, an eine glücklichere Vergangenheit, wurde bei Ihm durch die Entdeckung besonderer Gegenstände ausgelöst. Sein finanzieller Spielraum war zwar mehr als knapp, aber trotzdem konnte er den einen oder anderen kleinen Schatz für sich gewinnen. Der Tag war allerdings diesbezüglich nicht sehr ergiebig und so machte er sich, nur mit einer bunten, poppigen und extravaganten Sonnenbrille aus den 60er Jahren auf den Weg, in sein bescheidenes Zuhause.

Seine Freundin hatte damals, zur Flower Power Zeit eine ähnliche Sonnenbrille verwendet und deshalb wurde ihm beim Anblick dieser Brille in einer Kiste mit Gegenständen aus einer Wohnungsauflösung sofort warm ums Herz. Der Preis war für seinen Wertansatz lächerlich, deshalb hatte er keinen Moment mit dem Kauf gezögert.

So lag die Brille ungenutzt auf seinem Wohnzimmerschrank und harrte der Dinge.

Wie so oft, wenn es die Witterung zuließ, frühstückte Martin auf dem Balkon und da die Sonne schon etwas höher am Firmament stand, suchte er nach seiner Sonnenbrille.

Da diese sich aber nicht unverzüglich finden ließ, setzte er einfach die neulich erstandene Flower Power Sonnenbrille auf und begann während des Frühstücks wie üblich die Zeitung zu lesen. Jedoch, irgendetwas musste mit der Brille nicht in Ordnung sein. Sobald er die Brille auf seine Nase setzte veränderten sich Text und Layout der Zeitung. Er rieb sich die Augen und blinzelte krampfhaft. Aber so oft er den Vorgang auch wiederholte, änderten sich der Text und auch das Layout mit den Bildern auf dem Titelblatt und den anderen Seiten.

Vielleicht hätte er die Flasche Lambrusco gestern Abend doch nicht leertrinken sollen dachte er. Oder hatte er vielleicht eine krankhafte Sehstörung?

Immer wieder schob er die Brille vor seine Pupillen, um sie danach wieder weg zu nehmen. Aber das Ergebnis, war stets das Gleiche. Bis ihm auffiel, dass sich auch das Datum in der Titelzeile und der Text geändert hatte. Mit der Brille war es immer das Datum vom nächsten Tag.

Sogleich überprüfte er in dem an der Wand hängenden Kalender, ob er sich vielleicht im Datum geirrt hatte. Aber das Datum mit aufgesetzter Brille, war das Datum von morgen und ohne Brille, das von heute.

Aber wie, so fragte er sich, kann es das Datum von morgen sein, wenn die Zeitung von morgen noch gar nicht gedruckt ist?

Voller Ungeduld wartete er am nächsten Morgen auf den Zeitungsausträger und nahm ihm die Zeitung schon auf dem Weg zum Mietshaus ab. Er schlug sie auf und sogleich drohte das Blut in seinen Adern zu gefrieren. Die spärlich bekleidete Dame auf der Rückseite, hatte er gestern schon durch die Brille gesehen und die Schlagzeilen auf der Vorderseite genauso.

Sein Herz pochte wie wild als er die Treppen zu seiner Wohnung hinauf rannte, um das neue Exemplar mit der Brille zu inspizieren. Und…. er sah auf der Zeitung die er gerade bekommen hatte, das Datum von morgen. Eine andere noch leichter bekleidete Dame auf der Rückseite und vorne die Schlagzeilen vom nächsten Tag. Ohne Brille jedoch hatte das Exemplar die aktuelle und eigentlich richtige Ausgabe.

Das war zu viel für Martin und so ging er zuerst einmal in Richtung Couch, um sich hinzulegen und seinen Geisteszustand zu prüfen.

Ob es jetzt wirklich so ist, dass ich mit der Brille die Zeitung von morgen lesen kann, fragte er sich fortwährend. Das lässt sich ganz einfach überprüfen kam ihm plötzlich in den Sinn. Am Freitagnachmittag finden ja die Pferderennen auf der nahegelegenen Trabrennbahn statt. Wenn er am Freitag früh die Zeitung bekäme, dann wüsste er schon am Freitag früh wie das Nachmittagsrennen ausgehen würde.

Gesagt, getan und so ging er am Freitag zu den Pferderennen und setzte auf die Gewinner, die er durch die Brille in der Freitagszeitung bzw. schon in der Zeitung vom Samstag gelesen hatte.

Die Gewinnquoten waren sensationell hoch, da es bis zu diesem Zeitpunkt noch niemanden gelungen war alle Rennen an einem Tag richtig zu tippen.

Für sein Konto war die Überweisung von dem Wettbüro ein wahrer Segen und so konnte er seinem Vermieter endlich die ausstehenden zwei Monate Mietrückstand überweisen. Die örtliche Zeitung wurde auf den glücklichen Gewinner aufmerksam und er fand sein Bild nach wenigen Tagen in der Zeitung. Für ihn war das aber nichts Neues, hatte er doch das Bild mit seiner Brille schon in der Zeitung vom Tag vorher gesehen.

Wie die Reporter zu seinem Bild und den Informationen über ein nicht statt gefundenes Interview gekommen waren, war ihm allerdings nicht klar.

Es war ihm in diesem Moment auch nicht wichtig, aber noch einmal würde er das Wettbüro nicht ohne Probleme für so einen Geldsegen nutzen können, das war sicher.

Eine neue Wohnung, Möbel und auch ein schöner Sportwagen konnten ihn aber in Wirklichkeit, nicht dauerhaft glücklicher machen wie er vorher war. Die kurzfristige Freude über die neuen Gegenstände, ließ bald nach und so suchte er nach einem Weg eine anhaltende Freude zu verspüren.

Eines Tages fand er in seinem Briefkasten einen Flyer über die Arbeit von Augenärzten die überwiegend in Indien und auch dem Rest der Welt Augenoperationen an Menschen durchführen die an grauem Star erkrankt sind und sich eine Augenoperation nicht leisten können.

Diese Erkrankung, so hieß es, tritt nicht nur bei Erwachsenen auf, sondern auch schon bei Kindern. Ein schrecklicher Umstand, wenn der Ernährer der Familie plötzlich nicht mehr sehen kann. Oder einem Kind durch die Blindheit die Möglichkeit zur Schule zu gehen genommen wird dachte er. Bereits 9€ können aus einem blinden Menschen einen sehenden machen, las er in dem Flyer und so reifte langsam ein Plan in seinem Kopf.

Bereits am nächsten Morgen setzte er sich seine Flower Power Brille auf und entnahm aus der Zeitung die Lottozahlen vom nächsten Tag. Er raste ganz aufgeregt mit seinem Sportwagen zur Lottoannahmestelle und kreuzte die sechs Zahlen mit Zusatzzahl und Superzahl an.

Die Brille hatte ihm ja die richtigen Zahlen aus der Zeitung schon vorhergesagt und so musste er nur noch auf die Ziehung warten. Wie erwartet wurden die von ihm getippten Zahlen gezogen und in Kürze hatte er 1,5 Millionen Euro auf seinem Konto überwiesen bekommen. Die Lottogesellschaft hatte ihm Diskretion zugesichert und so konnte niemand Verdacht schöpfen, wegen dem außergewöhnlichen Tippglück, das Martin zum wiederholten Mal wiederfahren war.

Martin hatte sich bereits bei der Hilfsorganisation über die Möglichkeiten zur Unterstützung bzw. Finanzierung der Operationsteams informiert. Und so konnten 5 mobile Operationssäle gekauft und auch die dafür notwendigen Operationsteams bereitgestellt werden. Er hatte für die Hilfe nur eine Bedingung gestellt, die ihm die Teams gerne erfüllten. Er wollte von jedem Menschen, der durch seine Hilfe wieder sehen konnte ein Foto geschickt bekommen, auf dem das Gesicht des Patienten in dem Moment zu sehen ist, als er feststellt, dass er wieder sehen kann.

Es dauerte nicht lange bis der erste Brief ankam und fast jeden weiteren Tag brachte der Briefträger Fotos aus irgendeinem Winkel der Welt mit einem lachenden Gesicht drauf. Einem Gesichtsausdruck, der voller Freude war, über die Tatsache wieder sehen zu können.

Und so war nach einigen Jahren fast jeder freie Fleck in seiner Wohnung, mit einem Foto eines lachenden Gesichtes bedeckt. Tausende Gesichter lächelten ihn jeden Tag aus den Fotos an und er genoss jeden Tag die Möglichkeit, die Freude darüber mit ihnen teilen zu können.

Und wenn das Geld für die Hilfe knapp wurde, dann nahm er seine Flower Power Brille um weiterhin einstmals blinde Menschen zum Lachen, und die Lottogesellschaft zum Weinen zu bringen.

© 2017 Engelbert Blabsreiter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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