Manfred Bieschke-Behm

Nacht

 

Längst war Mitternacht vorbei. Der Autoverkehr hatte sich beruhigt. Nur noch selten geschah es, dass Scheinwerferlichter das Schlafzimmer von Frank für Sekunden erhellten. Wenn es dennoch geschah, fraßen sich Schatten wie in Zeitlupe entlang der Schlafzimmerwand, an der sein unberührtes Bett stand. Rastlos lief Frank, bekleidet mit einem längs gestreiften Pyjama im Zimmer hin und her. Obwohl er hundemüde war, wollte sich innere Ruhe einfach nicht einstellen. Natürlich hätte er sich neben sein Kuscheltier hinlegen können. Er tat es dennoch nicht. Frank hatte Angst sich hinzulegen. Noch einmal, wie in den zwei Nächten zuvor, im Traum erbarmungslos verfolgt zu werden würde er nicht überstehen. Er möchte nicht erneut schweißgebadet aufwachen, nachdem seine Verfolger ihn zu greifen bekamen. Frank weiß, dass er falsch gehandelt hatte. Er hätte ehrlich sein sollen. Er hätte für das, was er getan hatte, die Verantwortung übernehmen müssen und sich nicht feige davonschleifen dürfen. Jetzt ist es fast zu spät, Reue zu zeigen. ‚Verdammt’, denkt Frank und schlägt mit der geballten linken Faust gegen die kurze frei stehende Wand, in der sich die offen stehende Schlafzimmertür befand. Danach ergriff Frank mit beiden Händen seine feuchten Haare. Er zog an ihnen als würde er durch diese Tat nicht gewollte Gedanken aus seinem Kopf ziehen können. In der Handlung verharrend ging er zum Schlafzimmerfenster, dessen Jalousie seit Monaten defekt war und sich nicht mehr vollständig herunter fahren ließ. Frank sah sein Spiegelbild und es ekelte ihn an. Er sah in eine Fratze, die er verabscheute. Im Hintergrund konnte er das aufrecht auf dem Bett sitzende Kuscheltier sehen, dass ihn angrinste. Frank steckte dem Tier die Zunge heraus und schloss die Augen. Er schreckte auf, weil Scheinwerferlicht ihn blendete. Reflexartig schaute er nach oben. Am Nachthimmel leuchteten Sterne, die ihm Angst machten. Er fühlte sich von den Sternen beobachtet und bedroht. ‚Was ist nur los mit mir?’, überlegte Frank und ließ die Arme schlaff an seinem Körper herunterhängen. Was er jetzt in der Fensterscheibe sah, war ein Mann in Sträflingskleidung, der auf seine Hinrichtung wartete. Der Anblick ließ ihn erschaudern. Frank ging zu seinem Bett, nahm das Kuscheltier und schleuderte es in Richtung Tür. Er traf sehr genau. Das Tier verschwand in der Dunkelheit der Diele. Frank konnte keinen Beobachter vertragen und konnte deshalb nicht anders handeln. Im Schlafzimmer befand sich ein Sekretär mit geöffneter Frontklappe. Auf dem davor stehenden Stuhl hatte Frank seine Straßenkleidung abgelegt. Mit einem Handstreich fegte er die Kleidung von der Sitzfläche, die verstreut auf dem Fußboden landete. Erschöpft setzte er sich. Er nahm ein Streichholz und zündete eine halb heruntergebrannte Kerze an, die in einem Messinghalter stach. Das Streichholz blies er nicht aus. Er wartete bis das glühende Zündholz seine Fingerkuppen erreicht hatten und er einen leichten Schmerz verspürte. Anschließend sah er in die Kerzenflamme die den noch fast weißen Docht umschloss. Die gleichmäßig brennende Flamme ließ ihn für einen Moment ruhig werden. Doch plötzlich brannte die Kerze unruhig. Die Flamme bewegte sich unruhig hin und her, wurde kürzer und länger. Das war nicht das, was Frank erwartet hatte. Er fühlte sich an Weglaufen und Verfolgung erinnert. Hastig blies er die Kerze aus und beobachtet im Halbschatten wie sich ein dünner Rußfaden schwerelos nach oben bewegte. Jetzt war um ihn herum absolute Dunkelheit. Unsanft schob Frank den Messinghalter samt Kerze zur Seite. Fast zeitgleich legte er seine Arme in sich verschlungen auf die Ablagefläche des Sekretärs ab. Anschließend legte er seinen Kopf auf die Arme und schlief ein.

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In meinen Gedichten, schreibe ich mir meine eigene Realität, meine Träume auch wenn sie oft surreal, meistens abstakt wirken. Schreiben bedingt auch meine Sprache, meine Denkmechanismen mein Gefühl für das Jetzt der Zeit.

Ich vernehme mich selbst, ich höre tief in mich rein, bin bei mir, hier und jetzt. Die Sprache ist dabei meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Wenn ich mein erzähltes Ich beschreibe, beeinflusse, beschneide, möchte ich begreifen, wissen, welche Ursachen Einflüsse bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres auf meine Handlung nehmen, wie sie sich integrieren bzw. verworfen werden um mich dennoch im Gleichgewicht halten können.

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