Manfred Bieschke-Behm

Die Elfe Morgentau und der Mond

 

Es war einmal, so fangen die meisten Märchen an und deshalb, fängt auch mein Märchen mit „Es war einmal“ an.

Es war einmal eine Elfe, die den wunderschönen Namen Morgentau trug. Morgentau hielt sich besonders gerne unter blau blühenden Glockenblumen auf und umgab sich gerne mit weiß blühenden Lilien. Morgentau hatte keine Freunde. Nur den Mond, den bezeichnete sie als ihren Freund. Ihr größter Wunsch war, den Mond ganz allein für sich haben zu können. Mit ihm möchte sie herumtollen und ganz verrückte Sachen machen. Wenn, alle anderen Elfen längst tief und fest schliefen, saß sie aufrecht an einen Glockenblumenstängel gelehnt und schaute sich stundenlang den Mond an. „Lieber Mond“, flüsterte Morgentau, „lieber Mond komm doch zu mir herunter und spiele mit mir. Ich bin zu schwach, um zu dir zu fliegen. Du aber bist groß und rund und es fällt dir bestimmt nicht schwer zu mir herunterzurollen. Lieber Mond, komm doch bitte. Ich warte. Ich warte schon so lange“. Der Mond schien das Bitten der Elfe gehört zu haben, denn er lächelte ihr milde zu – aber mehr auch nicht. Die Elfe Morgentau fing an zu weinen. Viele kleine Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und verfingen sich in ihrem rosafarbenen Kleid. Eine Träne verirrte sich und landete auf den Flügel eines Mondfalters, der sich unbemerkt neben der Elfe niedergelassen hatte. Von der Träne wach geworden richtete sich der Mondfalter auf und schüttelte seinen nass gewordenen Flügel. Danach flatterte er ein paar Mal auf und ab und setzte sich letztendlich auf die rechte Fußspitze der Elfe Morgentau.

„Warum schläft du nicht und weinst?“, erkundigte sich der Mondfalter.

Die Elfe war erschrocken. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass sich ein Falter zu ihr gesellt hatte. „Ich kann mich nicht schlafen legen“, erklärte Morgentau. „Ich warte, dass sich der Mond zu mir gesellt und mit mir spielt.“

„Du wartest auf den Mond?“, fragte der Mondfalter etwas irritiert, weil er glaubte Morgentau falsch verstanden zu haben.

Die Elfe Morgentau erzählte dem Mondfalter von ihrem Wunsch und dass sie daran glaube, dass er ihr eines Tages erfüllt werden würde, und das ihr der Mond zugelächelt habe und das sie dies, als ein gutes Zeichen sähe. Und, erzählte sie weiter, dass sie auf keinen Fall den Zeitpunkt verschlafen dürfe.

Der Mondfalter hatte der Elfe Morgentau aufmerksam zugehört und überlegt, wie er es ihr beibringen kann, dass sich ihr Wunsch nicht erfüllen werde.

„Liebe Elfe Morgentau“, fing der Mondfalter ganz vorsichtig an zu erklären. Stell dir vor, der Mond käme zu dir herunter und bliebe bei dir ...“

„Das wäre doch toll!“, unterbrach die Elfe, „dann hätte ich endlich einen Freund und noch dazu einen, der mir ganz allein gehört.“

„Wenn der Mond deinen Wunsch erfüllen würde, wäre fortan der Himmel mondlos und die Nächte rabenschwarz. Die Sterne alleine schaffen es nicht, den Himmel zu erhellen. Meinst du nicht, dass andere den Mond vermissen würden?“

Die Elfe Morgentau überlegte kurz. Eine Antwort fiel ihr nicht ein.

„Es gibt Dinge, die können einem nie allein gehören. Der Mond gehört allen Lebewesen, so wie die Sonne und die Sterne. Verstehst du das Morgentau?“, erkundigte sich der Mondfalter und sah der Elfe dabei ganz tief in ihre weit aufgerissenen himmelblauen Augen.

Die Elfe Morgentau überlegte, ob sie das verstand, was ihr der Mondfalter gerade erzählt hatte. Sie brauchte noch etwas Zeit zum überlegen und erkundigte sich deshalb: „Sag mir lieber Mondfalter, woher weißt du das alles, was du mir erzählt hast.“

„Liebe Elfe Morgentau nicht umsonst heiße ich Mondfalter. Wir Mondfalter wurden vom Mond zur Erde geschickt um alle Fragen, die den Mond betreffen zu beantworten. Die Sonne schickt ihre Sonnenkäfer und die Sterne ihre Sternenkäfer, um Fragen zu beantworten.“

„Ach so“, entfuhr es der Elfe Morgentau. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Du hast ja so recht. Wie konnte ich annehmen, dass der Mond nur noch für mich da zu sein hat? Natürlich sollen alle den Mond betrachten können und natürlich brauchen wir alle das Licht des Mondes.“ Als Morgentau sagte: „Was wäre der Himmel ohne einen leuchtenden Mond?“, schaute sie mit einem Auge hinauf zum Mond und mit dem anderen Auge hinüber zum Mondfalter, der ihr erfreut zunickte. Das Lächeln des Mondes, das nicht zu übersehen war, erwärmte ihr Herz. Erneut feuchteten sich ihre Augen. Die zwei, drei Tränen, die sie vergoss, glichen Diamanten, in den sich das Mondlicht brach.

Nachdem sich die Elfe Morgentau beruhigt hatte, bedankte sie sich bei dem Mondfalter, dass er ihr klar gemacht hatte, dass es Wünsche gibt, die es besser nicht geben sollte, weil sie keine guten Wünsche sind. Vor allem bedankte sie sich dafür, das der Mondfalter der Elfe seine Freundschaft angeboten hatte.

„Ist schon gut liebe Elfe Morgentau. Morgen schaue wieder vorbei und dann können wir gemeinsam etwas unternehmen. Aber jetzt lege dich hin und schlafe dich erst einmal so richtig aus.“

Die Elfe Morgentau bekam nicht mit, dass der Mond beschützenden Mondstaub über sie rieseln ließ. Sie schlief ganz schnell ein.
Ob Morgentau in jener Nacht geträumt hatte, wissen wir nicht. Aber das ist auch egal. Wichtig ist, dass die Elfe seit der Begegnung mit dem Mondfalter nachts wieder schlief und das der Mond ihr Freund ist, auch wenn sie ihn nicht für sich alleine hat.

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