Engelbert Blabsreiter

Das Licht der Welt erblicken

Langsam und fast wie in Zeitlupe, bewegte sich Max mit seinem Rollator auf dem Dammweg des Flusses fort. Mühsam reihte sich ein Schritt an den anderen und seine Hände klammerten sich etwas unsicher, aber trotzdem fest um die Griffe seines Gefährts. Jahrzehntelange Schwerstarbeit hatte seinen Rücken gebeugt und seine Gelenke schmerzten bei jedem seiner unsicheren Schritte.

Die Bank im Bereich der neuen riesigen Betonbrücke, die den Fluss überspannte, lud ihn zum Verweilen ein und diese Einladung nahm er gerne wahr. Wie angenehm ihm das Hinsetzen und die Entlastung seiner schmerzenden Gelenke war, konnte man nur erahnen. Wehmütig begutachtete er das mächtige Bauwerk, während die wohlige Kraft der Sonne seinen Körper wärmte. Diese Brücke schlug aus seiner Sicht als riesiger Fremdkörper eine scheußliche Schneise in die Landschaft zu beiden Ufern und dieser Anblick fügte ihm zu seinen zahlreichen körperlichen Gebrechen auch noch seelischen Schmerz hinzu.

Das Flussufer war jetzt mit Nagelfluh-Steinen verbaut, der Flusslauf begradigt worden und sein geliebter Fluss glich mehr einem sterilen Kanal, als einem natürlichen Flusslauf, den er aus seiner Kindheit kannte. Bei diesem Anblick wurden viele Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten in ihm wach.

Als kleiner Junge war er als abenteuerlustiger Entdecker oft am Flusslauf unterwegs gewesen, um die kleinen und großen Wunder des Flusses zu entdecken. Natürlich erst nachdem er die Hausaufgaben erledigt hatte und auf dem landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern keine Arbeit für ihn vorgesehen war.

Eine Stelle am anderen Ufer, beim Zulauf eines kleinen Grabens in den Fluss, erinnerte ihn an ein ganz besonderes Erlebnis. Stundenlang lag er damals manchmal im hohen Gras, um einen Eisvogel zu beobachten. Das wundervolle Gefieder und die geniale Fähigkeit sich von einem Ast aus zielgenau in die Wasserfluten zu stürzen, faszinierten ihn schon damals. Das Wasser das durch den Graben in den Fluss mündete, war dunkelbraun gefärbt und voller Nährstoffe aus einem nahegelegenen Moorgebiet. Trotzig fügte der kleine Graben sein dunkles Wasser dem klaren Wasser des Flusses hinzu und irgendwie schien er sich dagegen zu wehren bis zur Unkenntlichkeit verdünnt zu werden. Kleine Fische tummelten sich gerne in dem wärmeren Wasser an dieser Stelle. Sie wurden von den zahlreichen Nährstoffen die das dunkle Moorwasser bot angezogen. So fand der Eisvogel immer ein gutes Nahrungsangebot an dieser Stelle des Flusses.

Regungslos lag Max wieder einmal im langen Gras, um auf seinen gefiederten Freund zu warten. Und es dauerte auch nicht lange, da sauste der Eisvogel wie ein Blitz, scheinbar aus dem Nichts kommend über die glitzernde Wasseroberfläche, um auf einem Bäumchen direkt über der Mündung des Baches Position zu beziehen.

Gebannt blickte er auf die Wasseroberfläche und drehte seinen Kopf mal links mal rechts, als ob er zur Sicherheit sein potentielles Opfer lieber mit beiden Augen begutachten möchte. Der für seinen kleinen Körper übergroße Schnabel ließ ihn dabei ein bisschen lustig aussehen. Das Gefieder glitzerte im Sonnenlicht in phantastischen Farben und bei jeder seiner ruckartigen Bewegungen zauberte das Licht einen neuen schimmernden Effekt auf dem Federkleid hervor.

Urplötzlich stürzte er sich in die braunen Fluten am Rand des Flusses und genauso schnell, saß er auch wieder auf dem Ast, von dem er sich wenige Sekunden vorher gestürzt hatte. Nur.... jetzt hatte er ein kleines zappelndes Fischlein in seinem Schnabel und schien seine Beute zuerst einmal in Ruhe zu begutachten. Offensichtlich war er mit seinem Fang zufrieden, nur ...die Zappelei musste jetzt aufhören. In einer blitzschnellen, schwungvoll eleganten Bewegung knallte er den kleinen Fisch mit dem Kopf auf den Ast auf dem er saß. Aber der Fisch zappelte immer noch. So wiederholte er den Vorgang noch mehrere Male, um dann schließlich den regungslosen Fisch mit einer kleinen Drehung in seinem weit aufgerissenen Rachen verschwinden zu lassen.

Als sich ein paar Ameisen an Max´s nackten Beinen zu schaffen machten und er sie mit einer kleinen Bewegung abschütteln wollte, wurde der Eisvogel sofort auf ihn aufmerksam und wenige Momente später war er auch schon außer Sichtweite.

Aber während der Zeit in der er auf den Eisvogel gewartet hatte, weckte schon wieder eine neue Entdeckung sein Interesse. Das war typisch für ihn.

Ein kleines Loch an seinem Liegeplatz erweckte seine Neugierde. Die Behausung einer Grille ist immer einen kleinen Spaß wert dachte er. Er riss einen längeren Grashalm ab und stocherte damit in das kleine Loch in der Erde. In kleinen kurzen Stößen trieb er die Grille im Bau zum Wahnsinn, bis sie schließlich entnervt von der Kitzelei aus dem Loch heraus kam. Und schon hatte er sie gepackt um sie genau zu inspizieren. Nach ein paar Minuten genauer Begutachtung ließ er sie vor dem Loch wieder frei und die Grille suchte blitzschnell ihr altes Versteck auf.

Sogleich ging es an das nächste Abenteuer. An der Uferböschung unter der Wasserlinie fanden sich oft Löcher die Bisamratten gegraben worden waren. Wenn man langsam und vorsichtig in die Löcher hineintastete konnte man einen Fisch überraschen und packen, da der Weg in den Fluss durch die Hand bzw. den Arm versperrt war . Schon so manchen Fang hatte er damit gemacht. Max musste bei dem Gedanken daran lachen, war es doch ein nervenkitzelndes Gefühl, es hätte ja auch der Eingang zum  bewohnten Bau einer Bisamratte sein können. Manchmal waren die Löcher so tief unter der Wasserlinie, dass nur noch sein Kopf über dem Wasser war, als sein Arm tief in das Loch eindrang. Er wusste nie genau was er in dem Loch gerade gepackt hatte. Aber passiert ist ihm eigentlich nie etwas, außer dass ihm so mancher glitschiger Fisch entkommen ist und er von seiner Mutter wegen der triefend nassen T-Shirts zurechtgewiesen wurde.

Aber jetzt.... nach all den vielen Jahren, hatte er schon lange keinen seiner geliebten Eisvögel mehr sehen können. Nur der Fluss floss wie immer dahin, wie auch die Zeit, die in all den Jahren tiefe Furchen im Gesicht  von Max hinterlassen hatten. Er fühlte, dass ihn der Fluss des Lebens bald verlassen würde und so genoss er die Erinnerungen aus seiner unbeschwerten schönen Kindheit ganz besonders und immer öfter.

Als Max wenige Monate später zu Grabe getragen wurde, erinnerte sich der Priester an eines seiner letzten Gespräche mit ihm.
Wenn ich gestorben bin und wieder auferstehen darf, erzählte er dem Priester, dann möchte ich als Eisvogel das Licht der Welt erblicken. Ich könnte dann die Welt von oben betrachten und blitzschnell ins Wasser eintauchen. Ich wäre immer am Fluss und könnte jeden Tag etwas Neues entdecken. Kleinen Fischen nachzustellen wäre erlaubt und ich dürfte wie der Wind, blitzschnell und ganz knapp über die glitzernde Wasseroberfläche fliegen.

Auch wenn ich als Eisvogel nur 10 Jahre alt werden könnte….. das wäre es wert.

©Engelbert Blabsreiter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.02.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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