Ein Gespräch hat viele gute Seiten, es hat allerdings auch Schattenseiten. Das zu erkennen, kann die Sache eines Moments sein. Oder auch nicht. Es gehört schon eine gehörige Portion Glück dazu, den Augenblick am Rockzipfel zu erwischen, wenn mir das richtige Wort einfach nicht einfallen will. Hinterher - ja hinterher weiß ich genau, was ich sagen wollte.
Warum vorher nicht?
Marlene fragte mich heute früh, ob ich abends mit ihr ins Theater gehen würde. Sie hätte noch eine Karte übrig, ihre Freundin Ricki wäre verhindert und ich würde doch genau der richtige Partner für diesen Abend sein. Später könnte man dann ja noch den Tag im Gambrinus enden lassen.
Sie strahlte mich mit ihrem frühlingshaften Lächeln an, dass ich es nicht wagen konnte, ihr so einfach einen Korb zu geben.
Im Geiste zählte ich rasch den Inhalt meines Portemonnaies zusammen: Also, mit dreifünfundsiebzig wird dieser Abend bestimmt ein Fiasko. Wie aber bringe ich ihr das bei, ohne mich zu blamieren? Muss ja nun nicht jeder wissen, dass ich zwei Tage vor Ultimo blank bin.
Ich überlege im Schnelldurchgang. Möchte ich mir solch ein hypermodernes Theaterstück anschauen, von dem später jeder behauptet, so etwas Schönes habe er noch nie gesehen?
Nein, sicher nicht! Heinrich von Kleist würde im Grabe rotieren, wenn er seinen »Zerbrochenen Krug«auf einem fiktiven dörflichen Fußballplatz sehen würde. Dorfrichter Adam begeht sein Techtelmechtel mit der kleinen Eva hinter einem Kassenhäuschen, während Mutter Marthe mit einem zerbrochenen Nachttopf durch den Haupteingang rennt.
Also kurz und bündig »Nein« gesagt. Aber wie sagt man das kurz und bündig, ohne das dieses Mädchen mich mit Verachtung straft?
Meine Mutter fällt mir da ein. Sie sagt in solchen Situationen: »Notlügen sind immer dann erlaubt, wenn nichts andres mehr hilft!«
Nun gut, dann notlüge ich eben mal, obwohl das nicht so mein Ding ist. »Also Marlene, ich muss heute, - also es ist so, - ich wollte, äh, - schade, ich kann, - äh - es geht heute leider nicht.«
Marlene sieht mich an. Ihr durchdringender Blick zeigt mir auf, dass sie mich durchschaut hat.
»Du willst nicht mit mir ins Theater gehen, sehe ich das richtig?« Ihr Blick wechselt von den Frühlingsfarben zu einem gewaltigen Herbststurm. Ich ahne schon Schreckliches.
»Weisst du - diese Stücke liegen mir nicht so. Ich mag es nicht, wenn die alten Klassiker so verhunzt werden. Verstehst du? Ist nicht so mein Ding.«
»Und das ist der einzige Grund? Jetzt sei ehrlich.«
»Ich - «, meine Augen irren unruhig umher, bleiben auf ihrem kleinen Busen haften, wandern weiter und - ja, bis ich endlich den Mut aufbringe, ihr die Wahrheit zu beichten.
»Ja, du hast ja recht, wir beide«, ich gerate wieder ins Stocken, weil sie mich so durchdringend ansieht,»wir passen irgendwie nicht zusammen. Du bist wirklich ein nettes Mädchen, ganz bestimmt, aber - aber nicht mein Typ!«
Sie steht da wie angewachsen. Ihre Finger spielen unablässig mit dem kleinen Täschchen, das sie in den Händen hält. Dann nickt sie, mehrfach und immer heftiger werdend. Dreht sich dann abrupt um und ruft, indem sie davonläuft: »Du bist ein Esel!«
Ich bin ein Esel. Das war eine nicht zu überhörende Tatsache, die Marlene zu diesem Vorfall äusserte. Doch insgeheim klopfe ich mir auf die Schulter, dass ich eisern geblieben bin. Jetzt wird sie natürlich morgen überall in der Firma bei ihren Kolleginnen erzählen, was ich für ein sturer Bock bin.
Na gut, soll sie. Für mich ist nur wichtig, dass Marianne zu wissen kriegt: Marlene hat mich nicht abgeschleppt!!
Das ist mir wichtig, denn wir beide sind nämlich füreinander bestimmt. Na gut, ich denke es jedenfalls, bei ihr bin ich mir nicht sicher, aber ich hoffe es auch. Sie sucht meine Nähe und ich möchte auch ständig mit ihr zusammen sein! Ob das nun wohl Liebe ist? Das krieg ich auch noch raus.
***
Für Marlene bin ich gestorben. Rest in peace. Das erfuhr ich heute Morgen. Als ich sie freundlich grüße, geht sie ohne ein Wort an mir vorbei. Aber ich tröste mich: Auch die Luft, die man manchmal zu sein scheint, braucht der Mensch zum Leben.
Morgen werde ich Marianne ins Kino einladen. Jenseits von Eden, mit dem unvergessenen James Dean! Ich weiß es, weil Marianne mir davon erzählt hat, dass sie diesen Film liebt. Naja - und ich habe ja morgen auch wieder etwas mehr als Drei-Euro-fünfundsiebzig in der Tasche!
Als ich durch das Großraumbüro hindurch zur Expedition gehe, stehen da drei der Mädchen am Kaffeeautomaten.
»Durch diese hohle Gasse muss ich gehen, es führt kein andrer Weg zum Hof«.
Friedrich Schiller wäre mir bestimmt behilflich gewesen, er hätte den Tell bei uns auf dem Hof warten lassen, nehme ich an. Aber da der gute Friedrich schon lange tot ist, bleibt mir keine Wahl: Ich muss an ihnen vorbei.
Wie ich es erwartet habe, das Gegacker der Drei mit gleichzeitigen anzüglichen grinsenden Blicken macht mich nur stark. Jawohl! Ich gehe - mit einem spöttischen Ausdruck im Gesicht - (hoffentlich war er spöttisch genug) - an ihnen vorbei, ganz konzentriert in meinen Papieren blätternd, die ich in der Hand halte. Als ich auf der Laderampe bin, atme ich erst mal tief durch! Das wäre geschafft.
Aber da fällt mir ein, ich muss ja auch wieder zurück? Aber da werde ich außen herum durch den Haupteingang gehen, (eigentlich ist das nicht erlaubt) da komme ich dann von der anderen Seite ins Büro.
***
Marianne hat vorhin zugesagt, als ich sie anrief. Um halb Acht treffen wir uns vor dem »Capitol«. Ich freue mich riesig. Der Nachmittag plätschert so dahin, nichts Weltbewegendes geschieht heute, Montags ist nie so viel los. Denke ich.
Um halb vier kommt der Chef plötzlich an meinen Schreibtisch. »Joachim!« Oha, da ist jetzt wieder etwas im Busch, hoffentlich nichts Böses für mich.
»Joachim, sie müssen heute mal zwei-drei Stunden anhängen, da kommen noch drei LKWs, die Ladungen müssen noch verzollt werden.«
Ich hab es doch geahnt, ich hab es geahnt! Verflixte ... Ich kann gerade noch den Rest unterdrücken, der Alte guckt mich so seltsam an, dass ich nichts weiter sagen kann als »OK, Chef!«
»Wusste ich es doch, dass ich mich auf Sie verlassen kann«, meinte er dann. »Ich denke, dass wir um zwanzig Uhr fertig sind!«
Adieu Marianne. Adieu James Dean. Adieu schöner Abend.
Ich versuche Marianne noch zu erreichen, keine Chance, die ist schon daheim. Wo hab ich denn ihre Nummer? Verzweifelter Versuch, ihre Telefonnummer zu finden. Auskunft anrufen, na klar. Ach du grüne Neune - wie heisst sie denn nun mit Nachnamen? Irgend etwas mit Schr ...?
Ich rufe zu Hause an. Mama lässt mich gar nicht zu Wort kommen: »Du, da hat ein Mädchen angerufen, eine Marianne Schrader, ich soll dir sagen, da wäre etwas Dringendes dazwischen gekommen, Ihr solltet das Treffen auf Morgen verschieben! Hast du verstanden, Morgen? Gleiche Zeit!«
Siehst du, das meinte ich: Es kommt immer anders, als man denkt!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.02.2017.
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Jahre wie Nebel: Ein grünes Jahrzehnt in dunkler Zeit
von Horst Lux
Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.
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