Rudolf Kowalleck

Dominasteine

"Unwissenheit ist das größte Geistesgift“, lehrt der Dalai Lama und Recht hat er. Gleich nach ihm folgt meine Mutter und das kam so:

Als ich meinen Eltern Anna als ihre wahrscheinlich zukünftige Schwiegertochter vorstellte, nahm mich meine Frau Mama bei passender Gelegenheit zur Seite und begann im salbungsvollen Ton einer Priesterin auf mich einzureden.

Warum denn gleich heiraten? Eine Ehe sei doch nichts anderes als eine große Koalition im Kleinen. Ständig müsse ich faule Kompromiss schließen, die am Ende keine Seite wirklich befriedigen. Es gehe halt nicht, dass einer nach Dublin schippern will, der andere nach Sankt Petersburg und am Ende einigt man sich auf Kopenhagen.

Als sie bemerkte, dass ihre gut gemeinten Worte an mir abperlten wie Wassertropfen an einem Duschvorhang, folgte zum besseren Verständnis ein praktisches Beispiel:

„Stell dir vor, ihr wollt euch eine neue Sitzgarnitur kaufen. Du möchtest die aus Leder, Anna jedoch die mit dem Stoffbezug, was dann? Kauft ihr von der einen das Sofa und von der anderen die beiden Sessel? Wohl kaum, oder? Einer muss am Ende immer nachgeben und ich fürchte, mein Sohn, das wirst du sein.

Mir wurde klar, ginge es nach Queen Mum, würde ich den Pfarrer eine Münze werfen lassen, mit ihm Schnick-Schnack-Schnuck spielen oder ganz einfach sagen: Ach, wissen Sie, Hochwürden. Jetzt, wo Sie mich so direkt fragen, nö, lieber nicht.

Das hatte ich aber ganz und gar nicht vor.

Als Mutter endlich checkte, dass sie nicht zu mir in den siebten Himmel vordringen konnte, spielte sie ihren letzten Trumpf aus und offenbarte eine mir bis dahin vollkommen verborgene gebliebene Affinität zur Hochseefischerei. Sie orakelte: „Wenn du Anna heiratest, bekommst du nicht nur sie, sondern ihre gesamte Sippe gleich gratis dazu. Sie werden ihre Probleme zu deinen machen.“

Dabei sprach sie von Beifang, den ich jedoch im Gegensatz zu einem Fischer nicht einfach zurück ins Meer werfen könne.

Was habe ich mit Annas Familie zu schaffen?, dachte ich. Ich sollte es nur wenige Tage später erfahren.

Zu meinem Schrecken bittet mich Anna, ab sofort jeden Mittwochabend auf Annerose aufzupassen. Mit Kajo ist Feierabend. Angeblich hat er Doris mit einer jungen Referendarin betrogen, die nicht nur Lehrkörper werden wolle, sondern auch über einen zugegeben attraktiven verfüge. So habe er ihr erst den Hof und dann ein Kind gemacht.

Anna meinte, Doris sitze seither den ganzen Abend zu Hause vor dem Fernseher. Nachts liege sie wach und starre Löcher in die Decke. Anna hatte sie deshalb überzeugen können, mit ihr zusammen an einem Teddy-Kurs bei der Volkshochschule teilzunehmen, um mal wieder unter die Leute zu gehen und auf andere Gedanken zu kommen.

Für mich bedeut das allerdings den Supergau. Ich muss in dieser Zeit Annerose beaufsichtigen.

„Sei schön artig und tu, was er dir sagt“, mahnt Doris und mir trug sie auf, den kleinen Wonneproppen nicht mit Schokolade vollzustopfen. Unübersehbar hatten das andere bereits ziemlich erfolgreich vor mir versucht.

 „Kann ich fernsehen?“, fragte der kleine dicke Sonnenschein, nachdem wir  wieder alleine waren.

„Keine Ahnung“, antworte ich. „Ich bin kein Augenarzt. Woher soll ich das also wissen?“

„Ich habe eine DVD dabei. Bernard und Bianca die Mäusepolizei. Darf ich die gucken?“

Klar. Wie schön. DVD war gut. Da hatte ich wenigstens meine Ruhe.

Ich schaltete den Apparat an.

Annerose lümmelte sich indes gelangweilt auf der Auslegeware herum.

Ich setzte mich in meinen Sessel und genoss meinen wohlverdienten Feierabend und nur kurze Zeit später befand ich mich bereits in Schlummerland.

Der spitze Schrei einer Sopranistin nahe dem Frequenzbereich einer Hundepfeife entriss mich jedoch, wie ich glaubte, nur wenige Augenblicke später wieder Morpheus Armen.

Es handelte sich jedoch nicht um eine Opernsängerin oder gar Nina Hagen, sondern um meine Schwägerin Doris. Als ich meine Augen öffnete, entdeckte ich sie vor dem Fernseher stehend, auf den sie mit ihrem spitzen Zeigefinger wies.

„Was ist das!“, schrie sie mich an.

„Das nennt man gemeinhin einen Fernseher“, sagte ich noch etwas schlaftrunken.

„Das weiß ich auch, Du Idiot! Ich meine, was da läuft.“

Erst jetzt blickte ich genauer hin. Ich hatte offenbar die technische Begabung meiner Nichte unterschätzt. Sie hatte meine geistige Abwesenheit schamlos ausgenutzt und die Mäusepolizei gegen eine meiner privaten Aufzeichnungen ausgetauscht.

Dabei musste sie eine Folge der Wahren Liebe erwischt haben, die ich versehentlich mal aufgenommen hatte, weil ich den falschen Sender programmiert hatte oder so.

„Sofort schaltest du diesen Schweinkram ab!“, befahl Doris ihrem Töchterlein.

Annerose gehorchte unwillig.

„Zieh dich an, mein Kind. Wir gehen.“

„Was ist ein Fetisch?“, fragte Annerose unvermittelt.

Doris erstarrte.

„Jetzt siehst du, was dieser Wüstling angerichtet hat“, maulte sie in Richtung Anna. „Soll er es ihr doch erklären.“

Sie schäumte vor Wut. Ihr Atem ging schwer. Ihr Busen bebte.

„Da hat sie Recht“, kommentierte Anna. „Aus der Nummer lassen wir dich nicht raus.“

„Kein Problem“, sagte ich.

„Also, mein Schatz“, log ich. „Du weißt doch, was eine Fee ist, oder? Wie bei Schneewittchen zum Beispiel.“

„Ja, klar“, antwortete Annerose. „Was soll die blöde Frage?“

„Siehst Du. Ein Feetisch ist eben ein Möbelstück dieser Märchengestalt.

Anna runzelte die Stirn.

„Und was ist ein Swingerclub?“, wollte Annerose jetzt wissen.

Mir stockte das Blut.

„Ein Swingerclub? Äh, das ist ein Treffpunkt für Musikfreunde.  Du weißt doch, was Swingmusik ist, oder?“

Ich ahmte eine Trompete nach und spiele ein Medley der größten Erfolge von Glen Miller.

„Das reicht jetzt“, fuhr Doris mit seltsam mordlüsternem Unterton dazwischen. Sie nahm ihre Tochter an die Hand, doch Annerose wollte noch mehr wissen.

 „Und was ist eine Domina?“

Sekunden der Stille. Wir hörten nur das Ticken von Großmutters Standuhr.

„Eine Domina?“, fragte ich zurück, um Zeit zu gewinnen.

 „Eine Domina ist eine Bäckerin. Denk an Weihnachten, Annerose. Da gibt es doch immer diese leckeren Dominasteine.“

„Das ist aber jetzt albern“, rügte mich Anna.

„Albern!“, kreischte Doris. „Das ist blanker Unsinn. Die Dinger heißen, wie jeder weiß Domino-Steine, Dominooo!!“

„Das müsstest du als Pädagogin aber besser wissen, werte Schwägerin, konterte ich. Dominosteine heißen sie, wenn sie ein Mann gemacht hat. War es aber eine Frau, heißt es natürlich nach den Regeln der lateinischen Grammatik Dominasteine.“

Danach war die Diskussion abrupt zu ende. Annerose wurde förmlich aus unserem trauten Heim gezerrt.

„Ab jetzt wirst du den Kurs allein besuchen müssen“, erklärte Doris ihrer Schwester im Türrahmen stehend. „Diesem Menschen da werde ich Annerose jedenfalls nicht mehr ausliefern. Außerdem hat er ihr wieder Schokolade gegeben.“

Doris wischte ihrer Tochter hektisch mit einem Taschentuch über den vorlauten Mund. Dann knallte die Türe ins Schloss und weg waren sie.

Ich hingegen war zufrieden. Nie mehr Babysitten. Geht doch und meiner Mutter verlieh ich posthum den Ehrentitel „WM“, das stand nicht etwa für „Weltmeisterin“, sondern für „weises Mütterlein, Dalai Mama eben.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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