Bernhard Pappe

Der Gott, das Wunder und ich

Ich wachte auf. War ich wirklich wach oder war es nur ein luzider, surrealistischer Traum? Das Nachdenken darüber wich der Aufmerksamkeit für den Mann, der am Ende meines Bettes saß und mich zu mustern schien.

„Fürchte dich nicht.“

Sagten das nicht Engel, wenn sie zu Menschen Kontakt aufnehmen wollen? Mussten Engel Flügel haben? Der Mann besaß jedenfalls keine. Hinter ihm warf der Mond sein Licht durch das Fenster. Die Silhouette offenbarte weiche Gesichtszüge. Einschätzen konnte ich den Mann nicht. Weder seine Physiognomie, noch sein Alter erschlossen sich mir. Trug er ein wallendes Gewand? Meine Augen passten sich nicht an die Dunkelheit an. Aufatmen, also doch nur ein luzider Traum.

„Ich bin kein Traum. Ich bin tatsächlich bei dir und so wirklich, wie das Leben eben wirklich ist“, hörte ich eine Stimme sagen. Ich vernahm die Worte in meinem Bewusstsein, erfasste ihre Bedeutung und war mir dennoch nicht sicher, ober der Mann sie überhaupt ausgesprochen hatte.

„Ein Gott muss nichts laut aussprechen, um sich verständlich zu machen.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht oder war es nur das Spiel des Mondlichts? Mich beschlich keine Angst. Ich richtete mich im Bett etwas auf, meinen Blick fest auf ihn geheftet.

„Ich will an dir ein Wunder tun.“

Hernach stand Schweigen im Raum.

„Ich will ein Wunder tun, um mich der Welt zu offenbaren. Von Zeit zu Zeit muss ein Gott das tun. Menschen neigen dazu, einen Gott aus ihrem Denken zu verdrängen.“

Ich dachte nicht daran, mein Schweigen zu brechen.

„Ich kenne deinen Wunsch, deinen Traum…“

Was meinte der Mann? Hatte ich nicht viele Träume in meiner Phantasie?

„…die Sprachen der Welt zu verstehen. Daher gewähre ich dir eine Gunst. Überall, wo du dich auch aufhalten magst, wirst du die Sprache der dortigen Menschen verstehen und ebenso fließend sprechen können. Du kannst ihre Schrift lesen und in ihrer Sprache schreiben. Als du auf Reisen warst, da hast du dir diese Fähigkeiten manches Mal gewünscht. Die Menschen hinter den Grenzen des eigenen Landes einfach nur verstehen. Du dachtest an ein Märchen, an eine Fee mit drei Wünschen. Du wolltest nur diesen einen Wunsch erfüllt haben. Zugegeben, ich bin keine Fee und der Wunsch ist auch nicht klein, aber ich kann ihn erfüllen.“

Er schaute erwartungsvoll in meine Richtung. Mir entrang sich immer noch kein Laut.

„Du weißt, alles hat seinen Preis. Daher ist mein Wunder für dich an eine Bedingung geknüpft. Du sollst im Gegenzug mein Wort in aller Welt verkünden. Das ist doch erfüllbar, oder?“

Erneut wendete er sich mir erwartungsvoll zu. Meine Gedanken gingen in einen Rotationsmodus über. Was kam jetzt?

„In deinem Kulturkreis gilt Schweigen als Zustimmung. Also werde ich das Wunder vollbringen.“

Den kleinen Moment seines Zögerns nutzte ich, um mein Schweigen abrupt zu beenden.

„Nein, ich brauche das Wunder nicht. Die Menschen in der Fremde verstehen, ja, aber nicht um diesen Preis. Es ist nicht mein Traum, die Lehre eines Gottes zu verkünden. Schon gar nicht, ohne darüber nachgedacht zu haben.“ Ich war impulsiv, vielleicht sogar laut.

Mein Besucher gewährte mir keine Gunst, er tat kein Wunder an mir. Er zuckte nur kurz mit den Schultern.

„So sei es. Plage dich weiter mit dem Wenigen an Sprache, das man dir seit Geburt beibrachte. Ich finde schon jemand, der meine Worte in der Welt verkündet. Mag sein, sogar zum Preis eines geringeren Wunders.“

Die Gestalt verblasste im Mondlicht. Ich schloss die Augen. Die Begegnung brannte sich in mein Gedächtnis ein.

Sie aufzuschreiben, ich vermag es nur in meiner eigenen Sprache. Es hätte seinen Reiz, sie im Französischen oder Spanischen niederschreiben zu können, ganz zu schweigen von einer Sprache des Orients oder in der Sprache Buddhas. Ja, es hätte seinen Reiz, aber nicht um jeden Preis. So bleibt mir die Freiheit und Reinheit des eigenen Denkens.

 

© BPa / 06-2016

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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