Günther Würdemann

Der Zwilling

Der neue Schüler konnte ganz schön nerven. Sogar seinen Mitschülern wurde es manchmal zu viel, wenn er häufig den Unterricht störte, sei es durch unsoziales Verhalten, unaufgefordertes Dazwischenrufen oder auch durch wildes Schaukeln mit dem Stuhl. Er hatte sogar schon Bekanntschaft mit den Rippen der altertümlichen Zentralheizung gemacht. Der Schmerz nahm ihm zwar kurz den Atem. Doch das alles störte ihn nur wenig. Sein dickes Fell bewahrte ihn vor größerem gesundheitlichen Schaden. Nur - so konnte es nicht weiter gehen. Ein geordneter Unterricht war zeitweise kaum möglich. Nachdem ich mir das auffällige Verhalten einige Tage angesehen hatte, schritt ich zur Tat. Strafen oder die Androhung derselben schienen mir unpädagogisch. Und Unterstützung vom Elternhaus konnte ich aus verschiedenen Gründen nicht erwarten. Also bündelte ich meine umfangreichen pädagogischen Erfahrungen und Weisheiten – ich wollte ja schließlich auch vor mir selbst beweisen, dass der Staat die Kosten für mein Studium nicht ganz umsonst ausgegeben hatte – und versuchte dem Schüler im persönlichen Gespräch  möglichst unvoreingenommen gegenüber zu treten und ihm gleich zu Beginn des Schuljahres in seiner neuen Klasse positive Anreize zu vermitteln. In Verdrehung der eigentlichen mir bekannten Verhaltensprobleme versuchte ich ein Gespräch mit ihm unter vier Augen. Ich erzählte ihm, dass er mir von der Lehrerin aus der von ihm vorher besuchten Klasse als unauffällig und arbeitseifrig beschrieben worden sei und ich über sein derzeitiges Auftreten sehr enttäuscht sei. Er hörte sich das alles (ausnahmsweise und ohne mit dem Stuhl zu schaukeln!) ruhig und aufmerksam an und antwortete mir dann :“ Das, was Sie mir erzählen, ist durchaus richtig. Es gab diesen Schüler. Das war mein Zwillingsbruder. Der ist aber leider in der Zwischenzeit verstorben.“ So durfte ich ihn volle 2 lange Jahre ohne besonders erkennbare Fortschritte genießen. Das heißt, im Laufe dieser Zeitspanne hat sich doch etwas geändert. Er ist um einige Zentimeter gewachsen. Ganz von allein, ohne Beeinflussung von außen. Und dieser eine sichtbare positive Fortschritt kann einem Lehrer ungeahnte Freude bereiten. Jedenfalls mir ...

Als ich diese Geschichte schrieb, erinnerte ich mich
an einen alten Witz, in dem auch ein Zwilling eine
Rolle spielt: Ein gestandener Geschäftsmann trifft
seinen alten Professor wieder:" Hallo, Herr
Professor. Kennen Sie mich noch? Ich habe vor Jahren
bei Ihnen studiert und meine Prüfungen absolviert."
Der Professor überlegt einen Moment und antwortet
dann:" Ja, ja .Ich erinnere mich an Sie. Sie waren
doch der mit dem Zwillingsbruder?" Der Angesprochene
bestätigt das. "Das ist ja toll. Aber...", der
Professor gerät ins Grübeln." Sagen Sie mir. Wer
steht denn nun vor mir? Sind Sie das ..oder Ihr
Zwillingsbruder?"
Günther Würdemann, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Günther Würdemann).
Der Beitrag wurde von Günther Würdemann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.03.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Günther Würdemann als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Oasenzeit. Gedichte und Geschichten von Rainer Tiemann



Hin und wieder brauchen Menschen Ankerplätze in ihrem Leben. Sie suchen deshalb nach Oasen, die Entspannung bieten. Dies können geliebte Menschen, die Familie oder gute Freunde sein. Für manche sind es ganz bestimmte Orte oder Landschaften. Anregungen oder Ruheorte, z.B. durch entspanntes Lesen von Lyrik zu finden, ist ein Anliegen von Rainer Tiemann mit diesem Buch „Oasenzeit“. Es lädt dazu ein, interessante Regionen, z.B. Andalusien, Cornwall, die Normandie oder das Tessin zu entdecken. Aber auch Städte, wie Brüssel, Florenz und Paris, Schwerin, Leipzig oder Leverkusen können Oasen sein, die jeder Mensch neben dem Glück der Liebe zeitweise braucht.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Schule" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Günther Würdemann

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Grünkohloma oder: Oma Werner und der Grünkohl von Günther Würdemann (Wie das Leben so spielt)
Wir sind ihm nicht egal! von Heidemarie Rottermanner (Schule)
Ein Date, ein Tag im Dezember 2001 und ein DejaVu... von Kerstin Schmidt (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen