Hartmut Wagner

Schulnoten müssen sein

Ödipus Lustig, Studienrat am kaufmännischen Salman Rushdie-Berufskolleg beim Dortmunder Emmaturm mit den Fächern ev. Religionslehre, Politik und,Spanisch, betrachtet seine recht gut bezahlte Lehrertätigkeit im Wesentlichen als unvermeidliche Plage, um mit dem Plagegeld Lesestoff, Rennräder, Socken, Käse, Hemden, Tomaten, Jacken, Bananen, Unterhosen, Zero-Colas und -Mixgetränke zu kaufen, gelegentliche Urlaubsreisen zu finanzieren und ab und zu ein sehr altes Gebrauchtauto zu erwerben. Manchmal jedoch empfindet er seine Arbeit sogar als entfremdete, langweilige und ekelhafte Tätigkeit. Dann überlegt er, ob er nicht zum nächsten Schuljahr nur noch die halbe Stundenzahl unterrichten soll, um mehr Zeit für angenehmere, wichtigere und vernünftigere Beschäftigungen bzw. Nichtbeschäftigun-gen zu bekommen: Ficken, Essen, Trinken, Lesen, Schreiben, Rennrad fahren, Schlafen oder Müßiggehen.

Der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier erwähnt in seinem Buch: “Le sacre du printemps”, “Das Frühlingsopfer", die entfremdete Arbeit, welche der Beschäftigte dem Kapitalisten gegen Lebenszeit und Geld verkauft. Sie dient nach Karl Marx nur dem Broterwerb, aber nicht der Selbstverwirklichung.

Der Kubaner nennt den Lohn für entfremdete Arbeit, die fast alle Menschen in kapitalistischen Ländern verrichten müssen, Geld des Teufels. Sie erhalten diesen Preis, weil sie den Willen zum eigenen Leben aufgeben und stattdessen ungeliebten, oft sinnlosen und manchmal sogar gesellschafts-schädlichen Beschäftigungen nachgehen, z.B. Waffen, Zigaretten oder Alkohol produzieren. Mit dem Teufelsgeld tauschen die Lohnsklaven das Erstgeburtsrecht auf ihre ganz eigene Bestimmung, ihre persönliche Aufgabe, den Willen und die Kraft, nur das zu tun, was ihnen Charakter, Herz und Seele raten, gegen das widerlich fettige und nahezu unverdauliche Linsengericht kapitalistischer Konsumfreiheit.

Sie verwechseln häufig Shoppingmeilen und Einkaufszentren, in denen das Geld für Konsumgerümpel nur so zum Fenster hinaus und in die tiefen Taschen räuberischer Ausbeutermilliardäre fliegt, mit dem Schlaraffenland. Schlaue Werbefritzen hämmern den Anhängern der Kaufreligion täglich ein, welche Herzensfreude es bereitet, allabendlich oder besser, auch noch jeden Morgen, hochprozentigen Schnaps hinunter zu schütten und manipulieren sie, neue Schuhe zu kaufen, obwohl sie schon fünfzig oder mehr Paare besitzen.

Gemäß dem Glaubensbekenntnis der Shoppingaberläubigen gehört Einkaufen zu den größten Menschheitsvergnügen und keineswegs zu den lästigsten, zeitaufwendigsten Alltagsnotwendigkeiten.

Den zu Profitquellen umfunktionierten Kauf- bzw. Habenmenschen, die entfremdete Arbeit täglich piesackt, skrupellose Lohnschreiber bzw. auswechselbare Fernsehfuzzis ständig desinformieren und denen stets aufs Neue Medienspülwasser die Gehirne wäscht, gilt folglich außer dem Einkaufen das Spaßhaben als höchster Lebenszweck, wobei der Spaß oftmals darin besteht, in unsäglichen Lokalitäten wie etwa dem “Bierbrunnen” in Cala Ratjada auf Mallorca Nächte lang die Gehörgänge mit überlautstarker Knattermusik zu bedröhnen, sich die Hucke voll zu saufen und dazu geistreiche Lieder wie “Finger im Po Mexiko” zu grölen.

Entknoten die Spaßvögel dann um 12 Uhr Mittags am Folgetag verknittert und verknattert ihre höchst unbequem ineinander verschlungenen Gliedmaßen, fragen sie sich erstaunt, warum sie überhaupt keinen Spaß empfinden, sondern einer tiefen Depression verfallen sind.

Eine solche überkam den Pädagogen Lustig einst während einer Kaffeerunde am Dienstag, dem achten März 1994, einem warmen, aber regnerischen Frühlingstag, in der ersten Pause von halb zehn bis zehn vor zehn. Er rührte auf seinem Stammplatz im Lehrerzimmer angeödet eine Tasse Milchkaffee gründlich um, der trotzdem weiter dampfte.

Übrigens hatte er ihn noch gar nicht bezahlt. Das war ihm gerade eingefallen,als er den Verwalter der Kaffeekasse, den Oberstudienrat Gottfried Lämmerhirt, wie fast an jedem Morgen ganz besonders freundlich gegrüßt hatte: “Schönen guten Morgen, lieber Herr Kollege Lämmerhirt!" Der Angeredete hob die schweren Lider über seinen bebrillten blauen Augen nur halb und grunzte: “Hwuch!” 

Das tat er gleichfalls fast jeden Morgen, aber dieses Mal ergänzte er das tägliche Grüßritual um eine Frage und eine Aufforderung, die gelegentlich dazu gehörten: “Hast du, Kollege Lustig, eigentlich den Kaffee schon bezahlt, den du da gerade trinkst? Die Kasse ist verdächtig leer und du bist heute mindestens schon bei der dritten Tasse angekommen. Außerdem könntest du mal das Geschirr aus der Spülmaschine nehmen."

Aber selbstverständlich habe ich meine Schulden beglichen. Und zur Hausfrau werde ich sofort, wenn ich diesen Kaffee getrunken habe." Die Lüge kam dem Studienrat glatt über die Lippen, denn schließlich gab es im Kollegium einen Oberstudiendirektor, einige Studiendirektoren und zahlreiche Oberstudienräte, die viel dickere bis dickere Gehälter bezogen und auch jede Menge Kaffee tranken. Gottfried Lämmerhirt trottete ungläubig und schlaftrunken seines Weges. 

Jemand, der ihn nicht kannte und ihn eines Morgens erstmals erblickte, wäre niemals auf die ldee gekommen, dass dieser Lehrer ab und zu auf seine knütterige Art witzige Statements und ironische Bemerkungen von sich gab. Und erst recht hätte sich kein zufälliger Morgengast des Lehrerzimmers vorstellen können, wie brillant der morgenmufflige Kaffeekassenverwalter im Lokalradio dann und wann über archäologische Zufallsfunde auf Dortmunder Stadtgebiet, im Zoo, Westfalenpark, in der Linienstraße, beim Baumarkt Kornfluss und am Fredenbaum oder anderswo, berichtete. 

Zwei höchst unsympathische Kolleginnen, die Ödipus zudem für total unfähig hielt, glücklicherweise gab es im Kollegium nur ganz wenige Kotzbrock(inn)en, hatten gerade als einzige Tischnachbar(n)innen ihm gegenüber Platz genommen. Um sein Stimmungstief los zu werden und sich abzureagieren, beschloss Lustig, sie ein wenig zu ärgern und posaunte aus, was Niemandin hören wollte: "Ich habe mir den Lehrerberuf nur wegen der langen Ferien, der vergleichsweise kurzen Arbeitszeit, dem ziemlich ordentlichen Gehalt und der Vorrechte des Beamtenstandes ausgesucht. Bekäme ich kein Geld für meine Arbeit, nicht einen Tag sähe man mich in dieser Schule."

Ein orkanartiger Wortsturm entbrauste ziemlich feucht den entrüstet aufgerissenen Mündern der zwei beisitzigen Damen: “Das merkt man an deinem Unterricht!", tönte die eine. “Lehrer sollte niemand werden, außer er ist engagiert und bereit, auch mehr zu tun als seine Pflicht. Engagement für Schüler und Schule, das gehört einfach dazu!”, mahnte pflichtbewusst empört die andere. “Ferien, Geld, Beamtenstatus, schöne Sachen natürlich, aber was zählt, ist das pädagogische Feuer, der tägliche Wille, Wissen, Werte, Kompetenzen, Fähigkeiten und Kenntnisse weiter zu geben!", erscholl ein zweistimmiger Lehrerinnenchor!

Wieso die erste missgünstige Kollegin irgendwas an seinem Unterricht gemerkt hatte, war Ödipus überhaupt nicht klar, denn niemals war sie Beobachterin auch nur einer einzigen seiner Unterrichtstunden gewesen. Trotzdem freute er sich sehr über die keifige Resonanz seiner Lieblingskolleginnen.

Ähnlich wie pawlowsche Köterinnen, hören sie nur den Schritt ihres menschlichen Ernährers, vermehrt Speichel produzieren, hatten Lustigs Reizworte die zwei Mitarbeiterinnen zu den erwarteten Worten und Sätzen veranlasst.

Wie er allerdings aus eigenem schmerzlichen Erleben erfahren hatte, betrachteten sich die beiden keinesfalls als seine Mitarbeiterinnen, sondern als vorgesetzte Oberpädagoginnen. Außerdem, das schickt der Autor hier voraus, hatte Ödipus sich zu früh gefreut. Die Beiden trugen im Diskursköcher noch einen sehr spitzen Mitteilungspfeil.

lm Moment aber erwiderte der faule, unmotivierte und überhaupt gar nicht engagierte Schlechtlehrer den erzieherischen Bestarbeiterinnen höhnisch:

Nur ein kurzes Statement zum Thema Engagement, dann lasse ich euch zufrieden. Ihr habt total übersehen, dass ich hier noch nch meinem 66. Geburtstag unterrichte und da ich an einem 10.Juli zur Welt kam, werde ich am Ende des Schuljahres rund zwei Jahre länger unterrichtet haben, als ich eigentlich brauche. Die Schlauberger Schulbürokraten haben trotzdem fast alle meine engagierten Kritiker im Gegensatz zu mir befördert.

Wahrscheinlich deswegen genießen sie bereits seit langem ihren Vorruhestand. Wann ist es denn bei euch so weit? Und schon viel früher haben sie zusätzlich ihre hoch bezahlte und engagierte Tätigkeit anders als ich regelmäßig durch Kuren und einige Male auch längere Krankheitszeiten höchst engagiert unterbrochen, allesamt Experten für chronische Leiden wie Burnout, Hörsturz, Magen- und Seelenschmerzen.”

Der Pädagoge sah kampflustig seine besten Freundinnen im Kollegium an. Die eine, Berta Bräsig, wirkte sehr schlank, trug einen gefärbten, kurz geschnittenen gelben Haarschopf und besaß grüngräuliche Augen. Sie war Studiendirektorin und selbstverständlich als Stundenplanexpertin höchst engagiert, so dass man sie an Freitagen gar nicht in der Schule antraf und an Montagen ziemlich selten.

Mit der anderen, ihrer Freundin Belinda Brodel, einer untersetzten Pummligen, deren rosige Gesichtshaut vor Lebensfreude und -weisheit glänzte, gefiel es ihr, auf Schulausflügen und -feiern Lieder zu Akkordeonklängen vorzutragen, bei denen lockere Zähne vor Begeisterung regelmäßig aus ihren angestammten Plätzen in Unter- und Oberkiefern der Zuhörer sprangen.

Belinda, von ihren Feinden, darunter auch Ödipus, wegen ihrer Schreistimme gern als “Bell-Lindo” bezeichnet, war der pädagogische Star des Kollegiums.

Alle Lehrproben zwecks Beförderung bestand sie mit der Note eins oder besser und so hatte sie es bereits in jungen Jahren zur Studiendirektorin mit pädagogischem Sendungsbewusstsein gebracht. Noch ein paar Jahre und sie war mit Sicherheit zumindest Chefin einer Filialschule des Berufskollegs, möglicherweise in irgendeinem nahegelegenen Jugendgefängnis. Den Jungknackis würde ab sofort ihre “Blubber" nicht mehr schmecken und sooft es eben ginge, wären sie statt im Unterricht auf dem stinkenden "Bello" zu finden.

Lustig hielt Belinda für ein lebendiges Beispiel dafür, was ständige Lobhudeleien und Beförderungen in den Behudförderten anrichten. Sie mutieren zu ungenießbaren, selbstgefälligen Ekelklöpsen.

Berta hatte einst ihren Kollegen Lustig im Beisein seines Freundes, des versierten Witzeerzählers Hanno Sehrfrau, eines jungen, blonden Schülerinnentraums mit kokettem Ziegenbärtchen, aus irgendeinem Grund, womöglich hatte sie wechseijährliche Hitzewallungen, ohne Vorwarnung als ziemlich schlampig bezeichnet. Die Gründe für ihre Kollegenbeschimpfung erläuterte sie nicht. Ödipus war platt. lhm fiel nichts ein und das war selten. Er hätte gern geantwortet: “Ach, alte Gänse schnattern manchmal viel."

Aber darauf kam er leider erst nach drei Tagen. Da wurde ihm zusätzlich erneut bewusst, dass die fast überall höchst beliebte Berta bei all ihren Stundenplanereien kaum auf festem schulrechtlichen Boden, wohl aber jenem kaum überprüfbarer Mauscheleien samt persönlicher Vorlieben und Abneigungen agierte.

Hanno übrigens rief Ödipus im Lehrerzimmer manchmal gern zu: “Ödi, Ödi, komm mal her!" “Ja, ich komme. Was gibt es denn? Den nächsten dreckigen Witz?” Die dunkelblauen Augen des Kollegen blitzten verschwörerisch. Er blickte nach hinten und vorne, nach rechts und links. “Ha, keine Frau in Sicht! Dann kann ich ja anfangen!

Ehefrau und Liebhaber liegen im Ehebett, rammeln, dass die Matratzen jaulen und die Liegestatt fast auseinander fliegt. Sie brüllt: 'Mehr, mehr, fester, fester! Ja gibs mir! Gibs mir gaaanz hart!' Der Fremdgänger stöhnt und keucht: 'Oooooch! Haaaa!' Die Schlafzimmertür kracht auf. Der Ehemann steht im Türrahmen, zeigt mit dem Zeigefinger anklagend auf den/die Übeltäter (in) und schreit wutentbrannt: 'Was macht ihr denn da?' Darauf flüstert die Ehefrau ihrem Gigolo ins Ohr: 'Habe ichs dir nicht gesagt? Der ist total bescheuert!" “ Hahahal Hohol Hihi!”

Auch Studiendirektorin “Bell-Lindo” hatte den Pädagogen Lustig einst unverhofft attackiert, als ihn kurz vor dem Pausenende sein Freund Theo Bein um das Klassenbuch der Einzelhandelskaufleute bat. “Das geht jetzt nicht mehr. Die Klasse wartet schon auf dich. Die Schüler sagen, dass du immer zu spät kommst."

In diesem Fall blieb Lustig ruhig, händigte Theo das Klassenbuch aus und bemerkte: “Auch wenn du dich bis zum Amt der Studiendirektorin empor geschleimt hast, meine Vorgesetzte bist du deswegen trotzdem nicht. Erinnere dich mal an die letzte Woche. Da kamst du eine Viertelstunde vor Stundenschluss fröhlichen Schrittes aus meiner Klasse EHK 3. Wahrscheinlich sollten die Einzelhandelskaufleute in dieser Viertelstunde ohne Lehrerin in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit lernen, wie man selbstständig Heilbutt, Senf oder Schaumküsse verkauft."

Der Kollege Bein bemerkte: “Das wird doch immer schlimmer hier. Jetzt halten sich schon Kolleginnen für Chefs und auserwählt!"

lm Augenblick aber genoss Ödipus vergnügt den  Verdruss der zwei Superpädagoginnen über sein niveauloses Outing als geldgieriger, arbeitsscheuer Ferien- und Freizeitfan, trank seinen Kaffee aus und wollte gerade zur Kaffeemaschine marschieren, um sich einen weiteren zu zapfen.

Da brachen Berta und Belinda auf und letztere säuselte zuckersüß: “Ach Ödi du sollst bitte noch in dieser Pause zum Chef kommen. Vielleicht will er ja deine unverhoffte Beförderung zuerst dir selbst verkünden." Lustig dachte: “Was der wohl wieder für komische Wünsche hat?“ Und das auch noch genau vor meiner Freistunde."

Der Leiter des Berufskollegs hieß Egon Plätschke-Wichtig, war OSTD, Oberstudiendirektor, und hatte mit Bedacht genau diese Zeit für das Mitarbeitergespräch gewählt: “Der Lustig, dieser großmäulige, renitente Faulpelz, soll ruhig mal ein Bisschen von seiner reichlichen Freizeit opfern. Das ist hier schließlich eine Schule und kein Erholungsheim”, überlegte er.

Der Kollege, um den es ging, hatte sich gerade einen weiteren Kaffee eingegossen und außerdem in der Schulcafeteria ein mit Zwiebeln belegtes Mettbrötchen gekauft. Die beiden schmackhaften Nahrungsmittel nahm er als Stärkung vor dem Zwiegespräch mit Egon zu sich. Außerdem beschloss Lustig, erst um zehn Uhr, also zehn Minuten nach Pausenschluss, im Chefbüro zu erscheinen. Sollte Egon ihn doch im Lehrerzimmer suchen, wenn er ihn so dringend sprechen wollte.

Ödipus lächelte vor sich hin, als ihm einfieI, mit welch musikalischer Hingabe einst ein angesäuselter Lehrer(lnnen)chor in einem Sauerländer Klostersaal einen alten Schlager aus den fünfziger Jahren vortrug: “Ach Egon, Egon, Eeeeegon! Ich hab ja nur aus Liebe zu dir, ja nur aus lauter Liebe zu dir, ein Glas zu viel getrunken!” Diese Vorführung, bei der zahlreiche ältere Kolleg(inn)en unter den Tischen umher rollten, auf denen viele jüngere etwas wacklig Tango tanzten, fand am Abend eines pädagogischen NLP-Fortbildungsseminars also in der Frei- und nicht in der Arbeitszeit statt. Am grauen Morgen danach herrschte gähnende Leere in dem riesigen Kühlschrank, in dem am Abend noch gewaltige Stapel aus Bierflaschen lagerten.

Ein hoch bezahlter Coach hatte während dieses Seminars Ödipus einmal dazu veranlasst, zwecks Lockerung körperlicher und seelischer Verspannungen der Teilnehmer als Vorsänger gregorianischer Chorlieder eine Pädagogenpolonäse durch die klösterlichen Gemächer und lnnenhöfe anzuführen.

Wer nicht weiß, was "NLP" bedeutet, dem hilft ganz schnell der entsprechende Wikipedia-Artikel, Stand: 10.10.2014, aus der Patsche:

Das Neuro-Linguistische Programmieren (kurz NLP) ist eine Sammlung von Kommunikationstechniken und Methoden zur Veränderung psychischer Abläufe im Menschen, die unter anderem Konzepte aus der klientenzentrierten Therapie, der Gestalttherapie, der Hypnotherapie und der Kognitionswissenschaften sowie des Konstruktivismus aufgreift. Die Bezeichnung „Neuro-Linguistisches Programmieren“ soll ausdrücken, dass Vorgänge im Gehirn (= Neuro) mit Hilfe der Sprache (=linguistisch) auf Basis systematischer Handlungsanweisungen änderbar sind (= Programmieren).“

Ödipus ist beim Spanischlernen auf dieses Konzept zumindest teilweise selbst gekommen, ohne es allerdings namentlich zu kennen. Es soll nämlich auch beim Vokabellernen helfen. Immer wieder stellt er fest, dass er einzelne Vokabeln viel schlechter lernt als andere. Die Gründe dafür weiß er bis heute nicht. Ein solch harter Vokabelbrocken war für Lustig zum Beispiel: „La maquetación“, „das Layout“. Er übte die Vokabel wieder und wieder, aber immer vergeblich. Schließlich fiel ihm das ähnliche Wort: „EI maquillaje“, das Makeup“ ein. Und schon hatte er gewonnen. Immer, wenn er wissen wollte, was „Layout“ auf Spanisch heißt, dachte er an „maquillaje“ und gleich fiel ihmaquetación“ ein. Dass er damit einen Teil des „NLP“ für sich erfunden hatte, war ihm gar nicht bewusst. Ob allerdings die Verbreitung der NLP-Theorie mittels einer ganzen NLP-Industrie, durch teure Coaches und zeit- sowie kostenintensive pädagogischer Fortbildungsseminare unerlässlich ist, um schulische Lernprozesse zu verbessern und zu beschleunigen, bezweifelt Ödipus doch sehr.

Hätten ihn an seiner im Vergleich zu anderen Tätigkeiten sehr wenig entfremdeten Arbeit nicht zumindest das Unterrichten sowie der Umgang mit seinen Schülern und den meisten Kollegen gefallen, er hätte sie schon längst aufgegeben. Allerdings bereut er mittlerweile, dass er nicht in einem Sabbatjahr, einem unbezahlten Urlaubsjahr, erprobt hat, ob er nicht die Fähigkeit besitzt, Gedichte, Geschichten und Bücher zu schreiben, mit denen er den Lesern Freude und Vergnügen bereiten, vielleicht die Welt verändern und sogar genug für ein auskömmliches Leben verdienen kann.Die Schule als Lernort und Organisation stellt nach Ansicht des Pädagogen ein derart misslungenes Unternehmen dar, dass er sich jeden Morgen beim Aufstehen darüber wundert, wieso auf diesem morschen Bildungsfundament der deutsche Staat immer noch relativ reibungslos funktioniert.

Schon der inflexible zeitliche Rahmen behindert humaneres Lernen und Eıziehen. Warum müssen die jüngeren Schüler beispielsweise wie die älteren im Winter bereits um acht Uhr morgens noch während der Dunkelheit in der Schule erscheinen, und dürfen nicht eine oder zwei Stunden später am hellen Tag kommen? Besonders die ewig langen Lehrerkonferenzen mit einer Vielzahl überflüssiger Wortbeiträge vermiesen Lustig seinen leider nur potentiell erfreulichen Pädagogenberuf. Noch schlimmer allerdings findet der Lehrer die ständigen pädagogischen Kampagnen, mit denen Karrieristen in pseudowissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Soester westfälischen Institut für Unterrichtsplanung ihre teure und überflüssige Existenz rechtfertigen. Mittels aufgedonnerter Fachbegriffe - aufgemotzt: “Termini technici” - erklären sie ständig aufs Neue uralte pädagogische Erkenntnisse zu nobelpreisverdächtigen didaktisch-methodischen Sensationen.

So verwandelten sie irgendwann nach der Jahrtausendwende mühelos das Anschaulichkeitsprinzip aus dem mittelalterlichen “Orbis Pictus” ( geschrieben 1653 ), “Bebilderte Welt", des böhmischen Meisterlehrers Johann Amos Comenius, und die Forderung nach Exemplarität des deutschen Ankerpädagogen Wolfgang Klafki der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in die erzieherische Gegenwartstrivialität der Handlungsorientierung. Deren Relevanz für den Unterricht hat jeder durchschnittlich intelligente Lehrerkandidat meist schon vor Antritt seines Studiums ohne jegliche geistige Anstrengung klar erfasst und selbst der begriffsstutzigste spätestens am dritten Tag des ersten Studiensemesters.

Ganz besonders jedoch hasst Lustig an seinem Beruf die Vergabe scheinbar gerechter und objektiver Leistungsnoten. Er hält das Benotungssystem für die schlimmste innerschulische Fehlentwicklung, weil es vom Lehrer Unmögliches, nämlich Gerechtigkeit, verlangt.

Der Schulgong schlug gerade zehn. Ödipus schlürfte die letzten Reste genüsslich aus der Kaffeetasse. Sein Chef Egon Plätschke-Wichtig hatte ihn immer noch nicht persönlich zu dem höchst wichtigen Gespräch aus dem Lehrerzimmer abgeholt und Lustig schwante sehr Übles, nämlich eine Belehrung bzw. ein Streitgespräch über die unerlässliche Notwendigkeit von Schulnoten im Allgemeinen, die zu guten in seinen beruflich nicht unbedingt erforderlichen Fächern Spanisch und Politik und ganz besonders die völlig undifferenzierten, noch besseren im Fach ev. Religion.

Ödipus betrat das Direktorenzimmer. Vorher hatte er noch ein wenig mit seiner Freundin, der Chefsekretärin, Frau Clara Gut, geschäkert. Sie informierte ihn in der Regel über die wichtigsten Vorgänge und Geheimnisse im Direktorium. Den Termin der heutigen Sitzung hatte Egon Plätschke-Wichtig aber anscheinend eisern verschwiegen.

Die Vorzimmerdame, gemüt- und rundlich, war wie Lustig ein richtiger Bücherwurm bzw. eine leidenschaftliche Bücherwurmin. Er hatte ihr vor zwei Wochen Thornton Wilders: “The Bridge of San Luis Rey", “Die Brücke von San Luis Rey”, geliehen und Clara hatte der Roman sehr gut gefallen: “All die Unschuldigen, die ein grausames Schicksal in den Tod reißt. Hat das alles einen Sinn? Ich bekam richtig Mitleid, musste weinen und über mich selbst nachdenken. Und der Priester, der alle Lebenswege der Verunglückten erforscht, landet wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen! Die katholische Kirche, wie schrecklich und brutal!"

Heute habe ich dir einen Geschichtenband W.S. Maughams mitgebracht: „Die drei dicken Damen von Antibes“, „Gigolo und Gigolette“, aber vor allem "Lord Mountdrago“ haben mir ganz besonders gefallen. ln der letzten Geschichte werden die Träume des englischen Außenministers Lord Mountdrago auf albtraumhafte Weise wahr, so dass er selbst stirbt, sein berühmter persönlicher Psychotherapeut Dr. Audlin am Ende nicht mehr ein noch aus weiß und schließlich selbst dem Wahnsinn sehr nahe ist."

Clara strahlte Lustig an: “Vielen Dank, da weiß ich schon, wie ich meinen Feierabend verbringe. Übrigens, der Chef ist heute ein Bisschen komisch drauf!" “Ach, das ist ja nichts Neues!" “Trotzdem, viel Glück!”

Egon saß verloren in seinem üppig gepolsterten, voluminösen Chefsessel, fett, klein und gefährlich wie so viele niedrig gewachsene Männer, man denke nur an Napoleon. Ödipus, der ihn um Haupteslänge überragte, begrüßte ihn mit einem pflichtgemäßen: “Guten Morgen!” Diesen Gruß erwiderte Direktor Plätschke-Wichtig noch ein kleines Bisschen pflichtgemäßer.

Er strich seine dunkelblonde Stirnsträhne aus dem Gesicht nach oben. Die Locke Glückskalb", hatte sie Ödipus zum Gedächtnis an Thomas Manns Geschichte: “Die vertauschten Köpfe" getauft, eine lustige und hintersinnige Erzählung über eine schöne lnderin zwischen zwei Männern, einem Intellektuellen und einem Kraftprotz.

Dann fragte der Chef: “Wie geht's denn so?” “Och, 'más o menos', 'so lala'! Eigentlich ganz gut! Allerdings hätte ich jetzt normaler Weise eine Freistunde!”

“Mann, das habe ich doch ganz vergessen! Tut mir wirklich leid. Aber ich will es kurz machen! Doch leider ist das Thema etwas heikel!” “Tja, Berta und Belinda hatten schon so etwas angedeutet!" “Denen kann man aber auch gar nichts anvertrauen. Ich hatte extra um strengstes Stillschweigen gebeten. Kannst du dir schon denken, um was es geht?" “Nein, ich hatte ja überhaupt nicht mit unserer Privatkonferenz gerechnet! Na, wo du mich so fragst. Bestimmt geht es wieder wie neulich erst um meine Notenvergabe. Ach, wäre ich doch bloß auf einer Waldorfschule! Da verzichten sie bis zum Abiturjahrgang auf herkömmliche Schulnoten wie in den ersten  Grundschuljahren. Stattdessen gibt es hier wie dort individuelle Gutachten über Leistungsstand und schulische Fortschritte. Die sind doch viel aussagekräftiger und hilfreicher für die Steuerung nachhaltigen Lernens.

Aber, was rede ich denn hier? Das weißt du ja sicher alles drei Mal besser als ich. Was bei Grund- und Waldorfschülern machbar ist, warum geht das eigentlich anderswo nicht?"

Egon hob mit der Linken seine rötliche Hornbrille von der Nase und strich mit der rechten Hand über sein brillenfreies Gesicht: “Du hast ganz Recht. Es geht um deine Noten, auch und weil wir eben weder eine Grund-, noch eine Waldorfschule, sondern ein Berufskolleg sind. Wir haben es mit der Wirtschaft zu tun, Industrie, Banken und Versicherungen, und die wollen Leistungsbewertungen, belastbare Zahlen, keine nebulösen Pädagogenformulierungen. Wir müssen Schülermaterial veredeln und den Unternehmen und Betrieben gebrauchsfertig zuliefern. Die wollen keine Bedenkenträger, Selbstdenker und Selbstverwirklicher, die wollen Speditions-, Bank-, Büro- und lndustriekaufleute, Buchführung, EDV, Waren- und Lagerwirtschaft, Einkauf und Marketing, aber nicht Politik, Religion oder Sprachen, falls es nicht gerade um lm- und Export geht.

Was meinst du, wie mir die Unternehmer im Nacken sitzen? Die wollen am liebsten alle allgemein bildenden Fächer aus dem beruflichen Unterricht streichen und fragen mich: 'Was soll denn das? Deutsch, Sport, Politik und Religion in der Berufsschule! Wir brauchen keine Schwätzer, sondern Macher!' Und du bestärkst sie noch in ihren Ansichten, indem du viel zu gute Noten gibst. In Religion alle sehr gut oder gut! Das nimmt doch keiner ernst.

Auch in Poilitik und Spanisch versaust du den ganzen Notenschnitt. Wie soll ich das gegenüber den anderen Kollegen und unseren Betrieben rechtfertigenl? Sind alle Schüler sehr gut, ist es keiner! So geht das doch einfach nicht."

Egon hatte sich irgendwie aufgebläht, denn er füllte seinen Sessel etwas kompletter aus. Sein Gesicht leuchtete ein wenig rosiger als bei Lustigs Eintritt.

Möchtest du was Leckeres?" fragte Chef Plätschke-Wichtig dann und schob Ödipus einen Kristallteller mit Pamps Cakes zu, diesen halb schokoladigen, halb fruchtcremigen Mürbeplätzchen. Als „Ödi” vor vierzehn Tagen den Chef für einen Schöffentermin beim Landgericht Hagen um einen freien Tag gebeten hatte, standen die Süßigkeiten ebenfalls auf dem Cheftisch, womöglich die selben.

ln Hagen ging es um einen Hausmeister, der bei heißen Sexspielchen seine Lebensgefährtin, eine Kindergärtnerin, an ein französisches Bett zwar gefesselt, aber nicht wieder losgebunden hatte. Auf Verlangen Lustigs musste der Gebäudepfleger dessen Hände mit dem gleichen Knoten fixieren, den er für seine Gespielin benutzt hatte. Beim Publikum im Gerichtssaal der großen Strafkammer kam die anschauliche, exemplarische und handlungsorientierte Vorführung sehr gut an. Es applaudierte sogar, als Lustig trotz größter Anstrengungen nicht frei kam. Der Vorsitzende Richter unterband aber mit strengen Worten den unangemessenen Beifall: “Meine Damen, meine Herren! Hier spielt doch nicht die Volksbühne Ergste!"

Der Untergebene lehnte das freundliche Angebot des Schulleiters ebenso freundlich ab: “Ach nein, danke! Ich muss auf Zucker und meine Figur achten. Sonst würde ich selbstverständlich zugreifen. Außerdem kann ich meistens nicht aufhören, wenn ich einmal angefangen habe. Doch trotzdem, sehr nett das Angebot."

Du Figur und Zucker! Wie das blühend Leben siehst du aus!“ “Tja, das mag so sein und freut mich sehr, aber was das Auge wahr nimmt, stimmt nicht immer mit der Wirklichkeit überein. Das hat mir meine liebe Schwägerin Erika mit Blick auf den Gesundheitszustand meines fünf Jahre älteren Bruders Klaus neulich mitgeteilt, der noch viel besser aussieht als ich. Erika bewirtet mich übrigens immer ganz hervorragend in ihrer höchst geschmackvoll eingerichteten und bequemen Eigentumswohnung. Ihr Espresso! Einfach Spitzenklasse."

Tja, damit kann ich leider nicht dienen. Aber dies ist ja auch kein Kaffeekränzchen!“ antwortete die ein wenig kurz gewachsene Führungspersönlichkeit, nicht zuletzt das Endergebnis vieler Schulleiterkurse und -seminare. Lustig glaubte allerdings manchmal, Egon habe auf diesen wichtigen Veranstaltungen seine Aufmerksamkeit mehr den weiblichen Kollegen und dem Biertrinken zugewandt als den Referaten der Direktorenerzieher.

Nach seiner berufskollegischen Programmrede und dem Gebäckgeplänkel saß vor Ödipus wieder ganz der Alte.

Lustigs Gedanken schweiften ab zu einem Fußballturnier der Lehrer, das neulich in einer Dortmunder Berufsschulturnhalle stattgefunden hatte. Auch einige Kollegen des kaufmännischen Salman Rushdie-Berufskollegs, unter anderen Ödipus und sein Chef, nahmen teil.

In der Umkleidekabine, die nach altem Gouda und Achselschweiß roch, blinzelte Lustig aus den Augenwinkeln auf die hochmoderne chefliche Feinrippunterhose mit Doppeleingriff. Der Schinkenbeutel blinkte weiße Signale in die käsefüßige Finsternis. Wahrscheinlich hatte ihn “Mamma” gekauft. Die Cheffrau stammte aus Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel oder Glabotki, so genau wussten das die KolIeg(inn)en nicht, liebte aber jedenfalls mit heißem Heizen den Gelsenkirchener Barock, wovon neben Egons Unterhosen auch sein Wohn- und Chefzimmer Zeugnis ablegten. Dort triumphierten eine riesige Schrankwand aus Eiche mit indirekter Beleuchtung, ein gigantisches Ecksofa aus dem gleichen Holz mit abnehmbaren Polstern in schwarz-gelbem Velour, hier ein röhrender Hirsch und eine rassige Zigeunerin mit rotem Kopftuch in wuchtigen verschnörkelten Goldrahmen.

War “Mamma” in der Schule, ruhte das Chefamt Egons zeitweise.

Der spielte zwar genauso gut Fußball, wie er das Fach EDV unterrichtete, hielt sich aber nichtsdestotrotz für einen pädagogischen Flügelflitzer der Extraklasse. Und außerdem war er nun mal der Boss.

Deswegen traute sich der Trainer Albert Rubbel, ein Späthippie und Oberstudienrat für Deutsch mit langer grauer Kopfmatte, einfach nie, Egon an den Ort zu verbannen, wo er hin gehörte, nämlich auf die Reservebank.

Und so hoppelte denn Herr Plätschke-Wichtig während der vollen Spielzeit wie ein orientierungsloses Bahndammkarnickel auf der Suche nach der verlorenen Möhre über das grüne Plastikspielfeld. Über den erstklassigen Mittelstürmer Lustig allerdings stoppelte der hippieske Berufsschulgermanist spöttisch satirische Einfachstreime zusammen: “lch, der allerbeste Trainer, sähe Fehlfuß Ödipus immer gerner lieber ferner!"

In seiner eigenen Mannschaft, alte Herren der SG Eintracht Ergste, fühlte Ödipus sich einst ähnlich gemobbt. Ein Spiel seines Klümpchenvereins gegen die alten Herren der berühmten SG Wattenscheid 09 im dortigen Stadion stand bevor. Damals spielte die Erste Wattenscheids noch in der Bundesliga.

Bei den Gegnern trat auch ein Boss mit. Der war aber kein Schulleiter, sondern der große Klaus Steilmann, mächtiger, stinkreicher Textilfabrikant und Präsident der Fußballabteilung.

Er pflegte sich kaum zu bewegen und bekam von den eigenen Mitspielern, meist leitenden Angestellten seines Unternehmens, viele Bälle torschussgerecht auf die Füße gelegt. Wie gerne hätte ihm Lustig die Kugel ein oder gar mehrere Male abgenommen! Der Ergster Altherrenmanager und -trainer Knalle Schopper aber hatte kein Einsehen und hielt Ödipus nicht für würdig, dem Wattenscheider Vereins- und Unternehmenschef den Ball durch die Beine zu spielen.

Der Pädagoge erhob lautes Protestgeschrei, aber ohne Erfolg. Wutentbrannt verließ er das Stadion und rannte zum Bahnhof, um mit dem Zug allein nach Ergste zurück zu fahren, obwohl er eigentlich in Knalles Auto heim kehren sollte.

Zornmütig bis oben hin vergaß Lustig ganz, eine Fahrkarte zu lösen. Die musste er dann nach dem Umsteigen auf dem Dortmunder Hauptbahnhof im Zug nach Iserlohn bezahlen und zusätzlich eine Strafe von vierzig DM wegen Fahrens ohne Fahrschein.

Noch gerade rechtzeitig fiel dem Lehrer Lustig ein, dass er kein Fußball-, sondern ein Rechtfertigungsgespräch über seine und die Schülernoten im Allgemeinen zu führen hatte. Deswegen hub einer der stachligsten Mitarbeiter Egons an: Ja, ich weiß, dass wir  unsere Schüler hier nicht nur nach Noten, sondern sogar vorher noch zusätzlich nach Punkten beurteilen sollen, mittels deiner belastbaren Zahlen also. Aber erfüllt dieses Noten- und Punktesystem nicht nur sehr oberflächlich das Ziel einer unparteiischen Bewertung der Schülerleistungen? Sitzen wir nicht einem bequemen Selbstbetrug auf?"

Ödipus räusperte sich kurz. Egon hob missbilligend die Augenbrauen: Selbstbetrug, SeIbstbetrug?! Verstehe ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht."

Ach Egon! Das musst du doch wissen! Zahllose wissenschaftliche pädagogische Studien zeigen nämlich, wie willkürlich Lehrer Schülernoten verteilen.

Legt man ein und dieselbe Schülerarbeit unterschiedlichen Pädagogen zwecks Bewertung vor, weichen anschließend die Noten regelmäßig stark voneinander ab. Das gilt nicht nur für Deutscharbeiten oder Schülerprodukte aus dem Kunstunterricht, bei denen die unterschiedlichen Noten noch ansatzweise verständlich wären, da Geschmacks- und Stilfragen eine Rolle spielen. Nein, das trifft auch für Leistungen in Mathe und Physik zu. In diesen naturwissenschaftlichen Fächern kommt pädagogischen Laien eine objektive Zensurenvergabe ganz besonders einfach vor.

Doch dient dein schönes Notensystem überhaupt nicht in erster Linie einer Verbesserung der Bewertung, sondern vielmehr der Beruhigung beunruhigter Lehrergewissen. Jeder erfahrene Lehrer weiß nämlich, dass persönliche, menschliche und pädagogische Vorurteile und Unzulänglichkeiten sowohl die scheingerechten Punktezahlen wie die scheinobjektiven Noten bestimmen.

Da aber Punktezahlen ihm irgendwie mathematische Exaktheit vorgaukeln, lehnt sich der zufriedene Zensurenkonstrukteur nach scheinbar erfolgreicher Punktesammelei entspannt im Sessel zurück und denkt: 'Nun iss und trink reichlich, du Gesegneter des Herrn, denn die pädagogische Frage der Gerechtigkeit ist endgültig gelöst und du hast dir dein reichhaltiges Mal redlich verdient!'

Und friedlich kaut der Herr Oberstudienrat eine pralle Hähnchenbrust dem erwartungsvollen Verdauungstrakt entgegen.

Dann aber veranstalten plötzlich in seinem Kopf gleichzeitig Über-lch, Ich und Es eine dreistimmige didaktisch-methodische Kakophonie, aus der dem verschreckten Notenakrobaten immer wieder eine unerbittliche Gedankenfolge das Lehrergewissen zerhämmert: 'Das ist doch alles Unsinn, was du da gemacht hast. Deine Noten, die kannst du dir irgendwo hinstecken. Die sind alles Mögliche, aber nicht gerecht.'

Und auf einmal schmeckt das höchst delikate Dessert aus Mousse au Chocolat nach Packpapier, denn das Gewissen und die Vernunft reden: Erinnere dich mal an die wirklich schlechten Schüler, die trotz ihrer Noten, wenn auch nur selten, aber eben doch manchmal im Leben durchaus ihren Mann standen und an die ausgezeichneten, die sich nach der Schule gelegentlich äußerst kümmerlich durchs Leben schlugen.'

Damit der Nachtisch wieder besser schmeckt, antwortet dann der Objektivpädagoge: "Jaja, Ausnahmen gibt es eben überall. Aber im Großen und Ganzen funktioniert doch unser Notensystem!"

Bevor er fort fuhr, wollte Ödipus seine Argumente ordnen. Er beschloss, sich zu konzentrieren, indem er das röhrenden Geweihtier scharf ins Auge fasste, das über dem Chefhaupt massiv die Wand verunzierte. Aber Lustigs Überlegungen irrten ins Weite der weißen Raufaserfläche und seiner Vergangenheit als künstlerischer Mitgestalter des Salman-Rushdie-Berufskollegs ab.

Nachdem nämlich einst "Mamma" den röhrenden Hirsch und die rassige Zigeunerin an die Wand der Plätschke-Wichtig-Räumlichkeiten geklatscht hatte, befielen Studienrat Ödipus und den Kollegen Wolle Schick starke künstlerische Magenschmerzen.

Und so hatten sie sich denn erboten, die bisher bildlosen Unterrichtsräume, Gänge und Korridore ihrer Lehranstalt durch malerisch ansprechende Gemälde zu verschönern. Zu diesem Zweck behängten sie die Schulwände an mehreren freien Nachmittagen mit Bildern ausgewählter Maler, die über jeden künstlerischen Zweifel erhaben waren.

Nachdem so mancher Bohrer abgebrochen und der eine oder andere Fingernagel blau angelaufen war, konnten Lehrer- und Schülerschaft endlich Werke des ehemaligen Nürnberger Bürgers Dürer wie “ Die Wiese", “Der Hase” und  “ Die betenden Hände” genießen oder vor seinem “Ritter, Tod und Teufel” erschrecken.

Auch einige der flächigen und exotischen polynesischen Damen des ewig geldknappen Ex-Bankiers und Liebhabers sehr junger Exotinnen Gauguin strahlten ihre Betrachter bunt an. Dazu konnte man in des Ohrlosen van Goghs Nachtcafé Platz nehmen oder durch einige seiner prächtigen Sonnenblumenfelder schreiten, die er während seines Aufenthalts im südfranzösischen Arles schuf.

Die Leihgaben eigener Werke des Schülers Orhan Teke und des Kollegen Hasso Kasten hatten Wolle und Ödipus im Schulinnenhof vor dem Lehrerzimmer untergebracht, eine Marmorskulptur mit dem Titel: “Zerrissene Welt” und eine Installation aus rostigem Metall ohne Namen.

Den Schönheitssinn des Kollegen Schick befriedigten außer Gemälden auch seine gelbe Jacke aus Weichleder, gleichfarbene höchst elegante und teure Schuhe, ein ebenfalls gelber Sportflitzer der Marke „Presche“ und am meisten die wohl geformten langen Beine, ausnahmsweise nicht gelb, der Kollegin und fünffachen Mutter Birgit Üppig aus Balve im Sauerland, die bei den Bürokaufleuten lehrte.

Während der nachmittäglichen Kuratorenarbeit am schulischen Kunstschatz musste Lustig immer wieder begeisterte Beinereien des Kollegen Wolle erdulden. Bei Worten blieb es später nicht. Er verließ seine langjährige Lütgendortmunder Lebensgefährtin, sie ihren weder kunst- noch modebewussten Ein-Sterne-Koch. Und Kollege samt Kollegin mit Kinderschar kauften ein Haus in Lünen. Dort wohnen und lieben sie noch heute, da sie bis jetzt glücklicherweise nicht gestorben sind.

Gelbe Lederjacke, gelbe Schuhe und gelber Sportwagen allerdings, wo sind sie nur geblieben? Heute transportiert Wolle Schick seine große Familie in einem biederen, aber immerhin Cerpedes-Kombi, und organisiert Kindergeburtstage samt Reiterhofbesuchen.

Lustig nimmt Freund und Kunstverehrer Wolle gelegentlich auf die Schüppe und fragt: “Na, was machen denn die lieben Kinderchen und die familiäre Erziehungsarbeit?” “Sei du mal schön still! Heiratet mit sechzig eine 32 Jahre jüngere Kubanerin und hat immer noch keinen Nachwuchs gezeugt."

Netter Weise beförderte die Schulaufsicht in Schlauberg Wolle vor kurzem zum Oberrat. Mit dem Gehaltsplus kann er seinem kinderreichen Clan jetzt ein wenig mehr Lebensqualität bieten. “Was lehrt uns diese Geschichte nun?“, würde Deutschlehrer Albert Rubbel sicher fragen, behandelte er sie mit seinen Schülern im Unterricht. Und ein pfiffiger Schüler könnte darauf richtig antworten bzw. sogar singen: “Das machen nicht nur die Beine von Dolores!”

Birgits Ein-Sterne-Koch lernte Ödipus übrigens noch vor der Scheidung kennen. Er hatte aus Versehen ihr Schlüsselbund samt Autoschlüssel vom Tisch im Lehrerzimmer genommen und in die Tasche gesteckt. Seitdem bringen immer alle Kolleg(inn)en schnellstmöglich ihre Schlüssel in Sicherheit, wenn Ödipus alias “Schlüsselmonster”' auftaucht. Erst um fünf Uhr nachmittags bemerkte er seinen Fehlgriff, rief sofort Birgit an, die mit dem Taxi nach Balve gelangt war und bekannte seine Missetat. Dann raste er mit seinem klapprigen Kombi, einem „Weg Klodeo“, in das finstere Sauerland. Dort öffnete ihm der Hausherr, den irgendwelche Küchendämpfe grau gefärbt und ein dicker Bauch zum Kauf einer grotesken Schlotterbüx veranlasst hatten.

Lustig erinnerte sich und der Koch tat ihm leid, denn dem Lehrer fiel umgehend der modische Kollege und Beinliebhaber Wolle Schick ein, und im gleichen Moment, was er seiner Anti-Punkte- und -Notentirade noch hinzufügen konnte:

Ein guter und erprobter Lehrer bewertet übrigens ob mit Noten, Punkten oder pädagogischen Gutachten seine Schüler meist ungefähr richtig. Selbst der beste Lehrer allerdings begeht bei einem Noten- und/oder Punktesystem gelegentlich grobe Schnitzer, womit bei Gutachten sicherlich auch ab und zu, aber niemals in der gleichen Häufigkeit zu rechnen ist. Vollkommene Gerechtigkeit gibt es bei keiner Lehrerbewertung und deshalb, lieber Egon, glaube mir eins: Es ist höchst sinnvoll zumindest darüber nachzudenken, ob auf eine Bewertung von Menschen durch Menschen nicht überhaupt zu verzichten ist. Ansonsten wäre schon viel erreicht, wenn wir Lehrer uns nicht mehr überheblich für perfekte Vollstrecker vollkommen gerechter Bewertungssysteme hielten, sondern selbstkritisch für mängelbehaftete Sachwalter des UnvoIlkommenen.”

Chef Egon stöhnte gequält: “Seit Jahren tischt du mir immer den gleichen Harzer Käse auf. Der riecht auch heute noch nicht besser. Kapier das doch mal endlich! Ich verstehe viele deiner Einwände. Aber wir leben nun mal im Hier und Jetzt und nicht in einer Traumwelt, Utopia, Lummerland oder sonstwo. 'Visionäre gehören in die Klapsmühle!' Du weißt doch, das war bestimmt kein Dummkopf, der das gesagt hat. Wir müssen Schüler bewerten, und so gerecht wie möglich! Deswegen Punkte und Noten!”

Ödipus rang die Hände: “Jaaa, klar, klar, klar! Aber es gab doch mal eine Zeit, zu der man in Berufsschulen zumindest die mehr oder weniger erfolgreiche Teilnahme am Religionsunterricht nicht in sechs Zahlen, sondern nur in drei verbalen Aussagen auf den Zeugnissen bescheinigte: „Teil genommen“, „rege teil genommen“, „sehr rege teil genommen“.

Aber sogar die Religionslehrer haben anscheinend Jesu Worte vergessen: 'Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!' ( Matthäus 7, Vers 1 ), denn die Zahlenfetischisten unter den irdischen Kontaktpersonen Gottvaters verließen diesen hoffnungsvollen Pfad aus der scheingerechten Zensurenhölle leider irgendwann und auf einen kleinen Schritt nach vorn folgten drei große Sätze nach hinten.

Die Existenz des ollen himmlischen Rauschebartes allerdings bezweifelte ja bereits der alte Grieche Xenophanes aus Kolophon in Kleinasien vor ungefähr 2500 Jahren. Der meinte nämlich, könnten Tiere malen und bildhauern, würden Löwen ihre Götter als Löwen, Giraffen als Giraffen und Kakerlaken als Kakerlaken malen bzw. in Marmor schlagen. Und nicht von ungefähr  stellten Äthiopier ihre Götter schwarzhäutig und stumpfnasig,Thraker die ihren blauäugig und rothaarig dar. Außerdem, gäbe es Gott wirklich, wäre er nur ein einziger, und zwar einer, der ganz anders dächte, sich verhielte und aussähe, als wir Menschen meinen. Die griechischen Sagen Homers und Hesiods über Titanen, Giganten und Zentauren hielt Xenophanes für alte Kamellen, mit denen man die Herzen wackliger Großmütterchen oder unschuldiger Kinder erfreuen könne."

Lustig schöpfte kurz Atem, als er bemerkte, dass sein Gegenüber Egon nichtmehr an sich halten konnte. Der explodierte fast: “Und das erzählt mir hier ein evangelischer Theologe,ein Religionslehrer! Vollkommen unmöglich ist das! Ganz und gar unmöglich!”

Doch der fuhr ungerühıt fort: "Überhaupt nicht! Kannst du alles in der sehr lehrreichen, spannenden und sprachlich perfekten Philosophiegeschichte Christoph Helferichs nachlesen! Überaus empfehlenswert, vor allem für Aficionados”, „Fans", „Anhänger" der doppelten Buchführung, der PortfolioSelection-Theorie, des Marketings und der Lagerwirtschaft!

Doch ich will dir nicht weiter die letzten Nerven rauben. Noten und Punktzahlen, was sagen die denn schon aus? Sie beinhalten subjektive Urteile in Zahlen ausgedrückt, liefern aber keine verbale Begründung für ihr Zustandekommen. Über die Ursachen, die den Lehrer dazu veranlassen, eine Schülerarbeit auf einem bestimmten Zahlenniveau anzusiedeln, geben höchstens die meist spärlichen Anmerkungen am Rande oder unter einer Schülerarbeit Auskunft.

Will aber ein Studien- oder Oberrat die Leistungen seiner Schüler wirklich verbessern, muss er ihnen erklären, was an ihrer Arbeit sachlich falsch ist und vor allem, warum bestimmte Mängel auftreten. Erst dann findet sinnvolles Lernen statt, das sie in Zukunft verhindert.

Die herkömmlichen Noten fördern doch nur mitleidlose Konkurrenz, bewirken Überheblichkeit, Neid, Leistungsdruck, Versagensängste, Motivationsverlust und verhindern die Selbstständigkeit der Schüler, mit bösen Folgen. Denn die Schüler betrachten die Noten des Lehrers als wichtigsten Erfolg ihrer Lernbemühungen.

Freude am Lernen, Neugier auf das Leben, eigenständiges Denken, Selbstbewusstsein, Welt-, Menschen- und Selbsterkenntnis, all das weicht einem egoistischen Trieb nach guten Noten. Viele Eltern unterstützen ihn, damit ihr Kind später in der kapitalistischen

Hölle der entfremdeten Arbeit besser nach oben buckelt und nach unten tritt.

Ein Schüler, der „sehr gut“ für seine Arbeit erhält, neigt dazu anzunehmen, sie sei vollkommen, obwohl fast alle „sehr guten“ Schülerleistungen hier und da noch verbesserungsfähig sind.

Für Gedichte wie Claudius' „Sternseherin Liese“ und Storms „Graue Stadt am Meer“ oder Symphonien wie die Beethovens bzw. Mozarts gilt das nicht. Da steht jedes Wort oder jeder Buchstabe am richtigen Platz und dort stimmt jeder Ton, jede Quinte oder Oktave. Aber Schülerarbeiten, selbst die besten, sind eben nur höchst selten Kunstwerke."

Ödipus schwieg und sein Vorgesetzter Plätschig-Wichtig schüttelte ärgerlich den Kopf: “Du bist doch hier nicht an der philosophischen Fakultät irgendeiner Uni, sondern in der grauen Alltagsrealität des Salman Rushdie-Berufskollegs in der alles anderen als romantischen Stadt Dortmund. Hier krempeln sie die Ärmel auf. Hier herrschten einmal Kohle, Stahl und Bier und jetzt regieren Versicherungen, Banken, lT- und andere Dienstleister, die Universität und das Technologiezentrum. Die neue Zeit bricht an. Hast du das noch nicht mit bekommen? Wir werden und müssen Schritt halten! Merk dir das! Und jetzt muss ich zu einer dringenden Besprechung in die Industrie- und Handelskammer. Oberbürgermeister und Stadtkämmerer sowie die wichtigsten Vorstandsvorsitzenden der Dortmunder Unternehmen kommen auch. Die würden dich nur auslachen!”

Egon Plätschig-Wichtig war im Begriff aufzustehen, aber Ödipus hielt ihn zurück. Während er in seinem schäbigen Rucksack kramte, bemerkte er: “So kommst du mir nicht vondannen. Da ich im Sommer endgültig gehe, habe ich schon eine Abschiedsrede geschrieben und die hörst du dir zumindest teilweise jetzt an." “Ich lasse mich doch nicht zum Zwangspublikum verwursten! Du siehst doch, ich habe wirklich keine Zeit. Naja, wenn's unbedingt sein muss. Aber nicht mehr als fünf Minuten. Mann, findest du das überhaupt in deinem Chaos!”

Na klar! Hier habe ich es!” Ödipus zerrte einige zerknitterte Zettel aus dem Rucksack, glättete sie ein wenig und fing an vorzulesen. Egon erhob energisch Einspruch: “Den ganzen Mist willst du mir doch wohl jetzt nicht zumuten. Es reicht, wenn ich mir das auf deiner Abschiedsfeier anhören muss. Beschränke dich doch bitte auf die pädagogischen Aspekte."

Lustig zuckte enttäuscht mit den Schultern: “Du bringst dich um ein intellektuelles und rhetorisches Meisterwerk, aber wenn du keine Zeit hast und unbedingt zur IHK musst, dann kürze ich eben alles."

Er raschelte kurz mit dem Zettelpacken und begann übergangslos vorzulesen: “Liebe Kolleginnen und Kollegen!"

"Mann oh Mann! Du schaffst mich noch!", schrie Egon wütend, “Ich sitze doch ganz alleine hier vor dir! Das Wesentliche! Fakten! Fakten! Fakten! Mach endlich hinnel” Der Notenfeind hustete ärgerlich und las von Neuem: “Dass unsere Schule nach einem der größten Dichter der Erde heißt, dass sie Europaschule ist, Europatage veranstaltet und Lehrerkollegium wie die Schülerschaft international zusammen gesetzt sind, gefällt mir sehr gut. Welch besseres Mittel gegen religiösen und nationalen Fanatismus gibt es als die Achtung der guten Elemente vieler Kulturen und der menschlichen Weisheit vieler Nationen?

Ich habe immer versucht, Solidarität, Mitgefühl, Höflichkeit, eigenständiges Denken und Handeln, Kreativität und Fachwissen zu vermitteln. Ich hoffe, dass ich das zumindest ansatzweise erreicht habe.

Wohin basis- und ethikloser Fachidiotismus führen, zeigen die gegenwärtigen weltweiten Wirtschaftskrisen. lch meine, sie bezeugen Bildungs- und Erziehungsnöte. Die hohe Wertschätzung von Konkurrenz und Leistung ist nach meiner Ansicht nicht gerechtfertigt. Lehrer sollten ich-starke, selbstständige Menschen heran bilden, die ihr Leben soweit möglich im Griff haben und zum menschlichen, politischen und wirtschaftlichen Fortschritt fähig sind, nicht aber moralisch zweifelhafte Zulieferdienste für die unersättliche Profitmaschine des Kapitals leisten. 

Wer glaubt, Lehrer seien Einzelkämpfer, irrt sich. Ohne Hilfe, Rat und Kritik seitens der Schüler und Kollegen kann kein Pädagoge vernünftig arbeiten. Ja, auch Kritik ist wichtig, so sie denn berechtigt ist, freundlich vorgetragen wird und nicht als Camouflage für Mobbing dient. Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.."

Der Schulleiter war nicht mehr zu halten und unterbrach den Kollegen Lustig barsch: “Eine wirklich superschöne Rede, aber die ändert gar nichts daran und das ist mein letztes Wort dazu: Schulnoten müssen, müssen und müssen sein!”

Ödipus hatte das Ergebnis des Dienstgespräches voraus geahnt und empfand frustriert tiefe Trauer. Fiele jedoch Egon einmal angeheitert in den Dortmunder Phönixsee, war Lustig trotzdem fest entschlossen, ihn natürlich fast sofort wieder heraus zu fischen. Schließlich war er christlicher Religionslehrer und hatte vor langer, langer Zeit einmal den Grundschein der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft ( DLRG ) erworben.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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