Laura Denkhaus

Atem der Träume III

Ich stehe auf der leeren Lichtung, die nun so unendlich groß wirkt, und sehne mich nach einem erneuten Aufwallen der Magie, die mich noch vor wenigen Augenblicken umgeben hat. Doch dieser Traum ist nun einem anderen gewichen. Ich merke, wie mein Körper an Masse und Größe gewinnt, denn meine Augen entfernen sich vom Boden. Mein wuchtiger Leib wird von einem dichten schwarzbraunen Fell eingefasst. Auch die Lichtung und der Wald haben sich verändert. Alle Blätter hatten so sehr nach der Erde gelechzt, dass die Bäume jetzt nackt dem rauen Winter ausgeliefert sind. Die Erde hat ihren weißen Mantel angelegt, der auch in der Nacht noch die Welt aufhellt. Ich schaue hinauf in die Sterne. Es wirkt, als hätte jemand einer Göttin ihre diamantene Kette entrissen und die einzelnen Kristalle auf dunkelblauem Samt verstreut. Eine Sternschnuppe zerreißt den Samt wie eine präzise Klinge. Plötzlich fühle ich mich den Diamanten ein Stückchen näher. Verwirrt will ich mich von der Präsenz der Lichtung überzeugen, doch meine Augen suchen die Umgebung vergebens nach einem Waldrand oder Ähnlichem ab. Der Boden unter der dünnen Schneedecke ist aus Stein und ich bemerke, dass ich am Rand einer Klippe stehe. Das Licht fällt nicht bis zum Boden und so weiß ich nur, dass sich ein schwarzer Abgrund wenige Schritte von mir und dem Mann, der seit wenigen Augenblicken an meiner Seite steht, in die Tiefen der Erde bohrt. Es mag für Außenstehende ein sonderbares Bild sein einen Bär und einen Mann auf einer Klippe in die Sterne starren zu sehen, doch ich bin mir im Klaren darüber, dass uns die Ungewissheit eint. Ich spüre seine Angst. Dann erlischt ein Stern, als hätte man ein Licht ausgeschaltet. Ein weiterer. Jemand sammelt die Diamanten ein, um der Göttin ihre Kette darreichen zu können, doch damit beraubt dieser uns des beruhigenden Lichts. Stern für Stern versiegt. Einsam steht der Mond am Himmel, doch eh er seinen Freunden nachtrauern kann, verschwindet auch er und wir stehen in vollkommener Dunkelheit. Ich spüre, wie der Mann ängstlich dichter an mich heranrückt und schließlich die Finger seiner rechten Hand in meinem dicken Fell vergräbt. Das Schwarz wird immer aufdringlicher und droht uns zu ersticken. Der Boden, der uns als einziger noch Halt gibt, beginnt zu schwanken und mit einem ohrenbetäubenden Geräusch, das dem Seufzen eines Titanen gleicht, stürzt der Teil der Klippe, der uns trug, in die Tiefe. Gelähmt vor Angst und nur noch umgeben von dem Schwarz, das widerlich an uns leckt, werden wir in die Tiefe gezogen. Fall. Todesangst. Ich spüre wie sich die verkrampften Finger in meine Haut bohren, doch der Schmerz erinnert mich an das Leben und fließt als kleiner Fluss in das Meer meiner Angst. Mit der ungeheuren Wucht des Aufpralls verschwindet der Mann, doch der Schmerz, die Angst und ich werden unter Steinen und Sand begraben. Die Erde nimmt mich in sich auf. Ich weiß ihre liebevolle Umarmung zu schätzen und schließe meine Augen.

Es ist zu mühsam, sich aus dem Schutt herauszugraben, also verlasse ich diesen Körper. Ich werde eine neue Erscheinung annehmen, wenn ich die Oberfläche erreicht habe. Ich möchte mich aus dieser zertrümmerten Hülle lösen und in den Himmel schwingen, doch die Erde will mich noch nicht gehen lassen. Irgendetwas zerrt mich tiefer ins Erdreich und ich bin bereit dem Ruf zu folgen. Meinen geschundenen Leib lasse ich dennoch zurück, denn er würde meine Reise behindern. Ich gleite durch Erde und Steine, als glichen sie in allem der Luft, und folge dem immer lauter werdenden Ruf. Als dieser mich fordert langsamer zu werden, merke ich, dass ich mein Ziel erreicht habe. Auf einmal umgibt mich wieder Luft und ich erkenne vier Menschen, die sich in einem in den Grund gehauenen Raum befinden. Die Wände sind kahl und nur das Nötigste ist hier zu finden. Einen kleinen Jungen identifiziere ich als den Träumenden. Plötzlich geht ein Ruck durch den kalten Raum, gefolgt von einem Beben, das Staub und Steinchen in feinen Rinnsalen wie bei einer Sanduhr von der Decke bröseln lässt. Dennoch ist es nicht Angst, die diesen Traum bestimmt, nein, mich ergreift Dankbarkeit und Trost. Der kleine Junge war einer Frau, die ihn nun behutsam flüsternd mit einem Lied beruhigt, in die Arme gesprungen und hatte seinen Kopf Schutz suchend an der Stelle, an der ihr Hals in die Schulter übergeht, geborgen. Der fürsorgliche, liebende Blick der Mutter gleitet zu dem etwas älteren Mädchen, das sich ebenfalls in diesem Raum befindet, und lädt auch sie in die Trost spendende Umarmung ein. Nach kurzem Zögern von Seiten des Mädchens sitzen sie zu dritt auf dem harten Boden eines Bunkers und sind dankbar für die Liebe der Anderen. Nur wenige Augenblicke vergehen, bis auch der Vater sich in die Liebe seiner Familie flüchtet und meine Tränen mich zur Oberfläche treiben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.04.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Aus dem Wald in die Pfanne ... Tief unterm Büschel Gras versteckt, mit einem Blatt noch abgedeckt, beobachtet ein Pilz im Wald so manch befremdliche Gestalt. Sie schlurfen, ein paar trampeln auch, in Stiefeln und 'nem Korb vorm Bauch, das scharfe Messer in der Hand, den Blick zum Boden stets gewandt. Ein Freudenschrei, ein scharfer Schnitt, so nehmen sie Verwandte mit; und der versteckte Pilz, der weiß, im Tiegel ist es höllisch heiß. So brutzeln aber will er nicht! Da bläst ein Sturm ihm ins Gesicht, es rauscht und wirbelt ringsherum, schon bebt der Wald - ein Baum fiel um. Genau auf seinen Nachbarn drauf. Das ändert seinen Denkverlauf: "Welch übles Ende: Einfach platt! Da mach' ich lieber Menschen satt." Drum reckt er sich aus dem Versteck, er will jetzt plötzlich dringend weg: "Vergesst mich nicht! Ich bin gleich hier und sehr bekömmlich, glaubt es mir."

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