Christina Gerlach-Schweitzer

Der weise Uhu

Die Tiere hatten dem weisen Uhu einen Wald geschenkt, denn er war ihr Leiter und Führer und er sollte sorgenfrei für sie vordenken können. Von Zeit zu Zeit kamen sie vorbei und brachten ihm zu fressen und zu trinken, denn sie glaubten, dass er dann besonders viel Zeit zum Denken hätte.

Manchmal stellten die Tiere dem Uhu Fragen. Der Uhu mochte die Fragen aber nur, wenn er sie auch beantworten konnte. Die, die er nicht beantworten konnte, ärgerten ihn.  Er sagte aber trotzdem, dass er alle Fragen mögen würde. “Fragt, fragt, fragt mich alles", sagte er oft.

Einmal kam eine Schnecke zu ihm. Seine Augen waren fest geschlossen und er bewegte sich nicht, denn es war Tag und er schlief sehr tief. Die Schnecke aber glaubte, so wie alle anderen Tiere des Waldes, dass so ein weiser Uhu wie dieser, in einer  tiefen täglichen Meditation versunken sein musste und nachdenken würde.

“ Hey Uhu", sagte die Schnecke,“ du bist doch sehr weise. Sag mir bitte, was hinter deinem Wald ist.“ Der Uhu runzelte die Stirn und klappte ein Auge auf: „ Uhhuuuu“, sagte er gönnerhaft, „ ein anderer Wald“.“ Was kommt dann hinter dem anderen Wald?“, fragte die Schnecke.“ Uhhhuuu“, sagte der Uhu ärgerlich,“ noch mehr Wälder“.  Er fühlte sich gestört, durch diese Fragen, so mitten am helllichten Tag - und außerdem wusste er nicht, ob er alle Fragen würde beantworten können. “ Und dann dahinter?“, fragte die Schnecke weiter.( Die meisten Tiere waren ja  gut erzogen und sie wussten, dass man jetzt nicht weiterfragen durfte, um kluge Eulen  nicht in ihrer Denkarbeit zu stören, aber diese Schnecke scherte sich nicht darum, denn sie war besonders neugierig). Der Uhu runzelte die Stirn. Weil er genervt war, sagte er, was er immer in solchen Fällen sagte, wenn er Ruhe haben wollte: „ Uhhhhuuuu, hinter allen Wäldern kommt das Weltall, aber davon verstehst du nichts.“  Dann kappte er laut seinen Schnabel zu, schloss die Augen und versank wieder in seine Ruhe. Das Wort: “Weltall“, funktionierte eigentlich immer, um lästige Fragereien zu beenden. Immer wenn der Uhu vom „Weltall“ sprach, brachen die Tiere des Waldes in ehrfürchtiges Schweigen aus. Nein, das Weltall, das würden diese anderen Tiere nie begreifen. Was das Weltall ist, das wusste nur er selbst, der große weise Uhu, so glaubte er und er sagte das den anderen Tieren immer und immer wieder. Dann brachten  diese ihm noch bessere Sachen zu essen, damit er weiterhin für sie denken würde.

Diese eine Schnecke wollte es aber genauer wissen. „Hallo Uhu“, schrie sie deshalb so laut, dass die Eule vor Schreck fast rückwärts von der Tanne gefallen wäre, „was kommt denn nach dem Weltall?“ „Uhu,“ antwortete die Eule empört," nach dem Weltall kommt der Mond.“ Dann fügte sie noch hinzu: „und die Sonne und  die Sterne. Die Sterne sind übrigens unendlich in ihrer Zahl, wenn du es genau wissen willst, aber das begreift eine kleine Schnecke wie du sowie so nicht. Du solltest das Denken lieber mir überlassen, fügte er noch hinzu“, denn er fühlte sich gerade großartig. Er schrie ein mächtiges „Uuuuuuuhhhhhhuuuuu,“  in den Wald hinein, plusterte sich auf  und alle Tiere des Waldes erschraken und es beschlich sie große Ehrfurcht für den weisen Uhu.  „Aha“, sagte die kleine Schnecke, aber sie sagte es  nur ganz  leise, denn der Uhu hätte sie ja auch in seiner Wut fressen können.

 Dabei wusste die Schnecke viel mehr über das Weltall als der Uhu, denn sie hatte viel darüber gelesen und war außerdem schon selbst mal als Astronaut in einer Rakete durch ein Stückchen Weltall hindurch zum Mond geflogen. Der Mond war ja im Weltall mitten drin und nicht dahinter.Verärgert über die Dummheit des Uhus dachte die Schnecke bei sich, dass der Uhu  ja gar keine Ahnung vom Weltall hätte. Vielleicht würde der  bei dem Wort „Weltall“ immer nur an den tollen Menschen Neil Armstrong denken, oder an die arme Hündin Laika. Von den Mäusen, Skorpionen und Affen, die ins Weltall geschossen worden sind, wusste er bestimmt  nichts und von Weltraumschnecken schon gar nicht. Langsam, nachdenklich  und weiterhin leise kroch die kleine Schnecke, die eigentlich ein Astronaut war, tiefer in den Wald hinein, um sich eine Kleinigkeit zum Essen zu suchen. Sie sah gerade noch, wie der Fuchs dem Uhu etwas zum Abendbrot vorbei brachte.

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