Achim Berner

Vergeblich!

Ich stand in einem Treppenhaus. Der Aufzug ging nicht. Aber ich hätte mich eh nicht getraut, mit ihm zu fahren. Soviel verstand ich, auch wenn man mit diesem am schnellsten oben gewesen wäre. Ein wackeliges, vom Rost dunkel braun gefärbtes Gitter sollte verhindern, dass man in den Schacht, der ohne Boden schien, fallen könnte. Die Lampe im Aufzug flimmerte bedrohlich. Ein schwaches Licht für die enge Kammer. Also, die Treppe. Sie hatte stabile Treppenstufen. Sie boten genug Platz um den ganzen Fuß bequem darauf zu stellen. Ein edel verschnörkeltes Geländer auf das man sich ruhig mit vollem Gewicht stützen konnte, so mächtig und so gut befestigt, dass es wohl unverwüstlich war. Das beunruhigende Knarren solcher Stufen aus alten Dielen war hier ausgeschlossen. Ein dicker, farbenfroher Teppich dämpfte die Geräusche. Er war mit glänzenden Messingbeschlägen befestigt, um ein Wegrutschen zu vermeiden. Und als mein Blick ganz nach oben ging, sah ich das Leben dort stehen. Ganz oben, da wo die Treppe vollkommen zu leuchten schien vor Pracht, da stand es. Ich wollte mit aller Gewalt da hinauf. Ich wünschte mir nichts sehnlicher. Ich wollte mit voller Kraft springen. Ich wollte so viele Treppenstufen wie möglich auf einmal nehmen. Am liebsten alle auf einmall. Was mir auch möglich schien, denn ich bin ein sehr geschickter Mensch. Ich konzentrierte mich und stellte mir vor wie ich springe und ganz besonders das sanfte Landen in den starken Armen, das leichte Abbremsen meines Fluges auf der warmen Brust. Ich nahm meine Arme in die Höhe, so als könnte ich es schon greifen. Ich machte mich so lang wie möglich und streckte meine Finger mit aller Gewalt geradeaus. Dann ging ich leicht in die Knie. Mir wurde immer wärmer und ich sprang. Und ich fiel und aller Halt glitt unter mir weg. Ich fiel tiefer und tiefer, immer tiefer.



Vergeblich 2a!



Ich war gefallen, abgestürzt, ohne Halt, immer tiefer und tiefer. Nun lag ich in einem Treppenhaus. Augen zu. Mein Kopf tat mir weh. Ich bin mit ihm auf die letzte Stufe aufgeschlagen, da ich gefallen bin immer tiefer und tiefer. Vor meinen Augen sah ich es, das Leben im strahlendem Glanz. Ich träumte, dass ich hochkam und die Treppe empor stieg. Es gab auch einen Aufzug, doch er funktionierte nicht, vom Rost zerfressen, braun gefärbt. Ich träumte ich würde Stufe für Stufe, na ja vielleicht auch mal zwei oder drei auf einmal, hinaufsteigen und irgendwann würde es mich in die Arme nehmen. Sanft würde ich in den starken Armen, an der warmen Brust des Lebens landen. Ich überlegte ob ich meine Augen öffnen sollte. Würde ich den Traum verlieren? Ich wusste nicht wo ich war. Ich war im Treppenhaus! Aber wo? Wahrscheinlich unten, ganz unten! Ich fragte mich wie es dort aussah. Ich traute mich aber nicht die Augen zu öffnen. Der Boden fühlte sich dreckig an. Eine dicke Staubschicht bedeckte ihn. Es war nicht unbedingt angenehm dort zu liegen aber der Boden war nicht kalt, nein ich fror nicht. Wenn dies hier das Souterrain war, dann musste unter diesem Boden ein solides Fundament mit einer guten Isolierung sein. Ich lächelte. Ich rutschte noch ein wenig hinunter, so dass mein Kopf nicht mehr auf der Stufe lag. Ich legte mich flach auf den Boden. Der Schmerz in meinem Kopf, der Verlustschmerz, die Sehnsucht, lies nach. Zufriedenheit heilte die Wunden. Ich konnte entspannt weiter träumen und ich machte die Augen nicht auf. Ich lächelte.


Vergeblich 2b - oder 2Be...gegnungen!



An so einem Ort war ich nie zuvor gewesen. Eigenartig, unheimlich. Ich war verunsichert. Ich verstand nicht was dort passierte. Ich stieg hinauf, in einem Treppenhaus, denn ich war gefallen immer tiefer und tiefer. Aber ich war wieder aufgestanden, obwohl mir alles weh getan hatte vom Sturz. Mein Kopf und mein Herz! Dennoch ich war aufgestanden. Es hatte mich viel Überwindung gekostet, denn ich wollte liegen bleiben, so verdreht und ungemütlich wie ich dort gelegen hatte. Auf der ersten Stufe stand schon jemand. Ich kannte ihn nicht sehr gut, sonst wäre ich dort wahrscheinlich nicht gelandet. Er berührte mich und ich zitterte. Hinlegen, Augen schließen. Nein vorwärts. Die Stufe auf der er stand glitt plötzlich von mir weg. Schnell schien sie unerreichbar. Die Überwindung! Sie wollte oder besser er wollte wohl nicht, dass ich auf sie steige. Ich musste versuchen einen Schritt zu tun. Und als ich dies geschafft hatte, stand ich auf der ersten Stufe. Sie hatte sich nicht bewegt und er war weg, verschwunden, als ob er nie da gewesen wäre. Ich verstand nicht was dort passierte. Ich habe ihn natürlich noch hin und wieder, einige Treppenstufen höher getroffen. Aber nun kannten wir uns und je öfter er mir begegnete umso freundlicher begrüßten wir uns. Er stand meistens auf den Stiegen, auf denen der farbenfrohe Teppich Risse hatte, die Messingbeschläge, die ein Wegrutschen vermeiden sollten, locker waren oder sogar die Dielen, mit denen die Treppenstufen gebaut worden waren, beschädigt waren. Aber wenn ich ihn dann mal verscheucht hatte, bewiesen sich gerade diese Stufen als besonders und boten meinen Füssen ausreichen Halt. Von hinten, über meine Schulter sagt er mir, dass er nie ganz weg gehen würde. Ich mochte ihn nicht, aber ich verstand, dass ich ihn brauchte und dass es passieren musste, dass wir uns trafen. Ein Treffen auf den "besonderen" Treppenstufen. Gerade über einer dieser Tritte, auf denen der Halt ausreichend aber nicht wirklich sicher war, hing eine Lampe. Mir war sie, ehe ich auf dieser Stufe stand, nicht aufgefallen, obgleich diese Lampe die einzige im Treppenhaus war. Sie war nicht sehr hell, aber ihr Licht war warm und freundlich. Auffällig schön sah dieser Leuchter aus, er passte nicht in seine Umgebung. Eine gefühlvolle Form hatte die Wandbefestigung und das Glas, das um die Glühbirne befestigt war, schimmerte in satten Farben. Als ich in diese Lampe sah, sah ich es dort wieder stehen. Nicht ganz oben, ich spürte es nah bei mir. Und obwohl oder gerade weil ich auf dieser Treppenstufe stand leuchtete die Lampe prachtvoll. Ich spürte die starken Arme und die warme Brust. Hatte nicht jede Stufe Prachtvolles? Mir fiel in diesem Moment auf, dass ich an fast jeder Stufe etwas Warmes entdeckt hatte. Und gerade auf den Treppenstufen, auf denen zuvor er mir im Weg gestanden hatte, gab es Bedeutungslosigkeiten, die mich berührt hatten und die mir Kraft gegeben hatten, die Treppe weiter hinaufzusteigen. Es machte mir Freude zu steigen, langsam, vorsichtig und ohne Hast. Stand es oben, ganz oben, da wo die Treppe vollkommen zu leuchten schien vor Pracht? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich wollte nicht mehr mit aller Gewalt da hinauf. Denn ich spürte es in mir, nicht weit weg, nicht in Dingskirchen, nein direkt dort auf der Treppenstufe, auf der ich stand, irgendwo zwischen oben und unten. Es auf meiner Stufe, das Leben.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Achim Berner).
Der Beitrag wurde von Achim Berner auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Achim Berner als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Erlebtes Leben: Mein Meerestraum von Fritz Rubin



Versunken in des Meeres Brandung / sitz’ ich am weiten Strand, / das Salz der Gischt auf meinen Lippen, / durch meine Finger rinnt der Sand.
Ich schließ’ die Augen, / geh’ ein in die Unendlichkeit, / es ist ein irres Sehnen / bis hin zur Ewigkeit.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Achim Berner

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Eine Überraschung von Marija Geißler (Wie das Leben so spielt)
Ein Date, ein Tag im Dezember 2001 und ein DejaVu... von Kerstin Schmidt (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen