Christina Gerlach-Schweitzer

Dem Frieden zuliebe

Alle Pflanzenfresser der Steppe waren zusammen gekommen und hatten in ihrer Lobby beschlossen, dass die Löwen verabscheuungswürdige Raubtiere seien. Sie erließen ein Dekret, dass Löwen ab heute nur noch Gras zu fressen hätten. Das war demokratisch, denn  die Pflanzenfresser waren in der Mehrzahl.

Ein paar große Antilopen überbrachten den Löwen den Beschluss und erklärten ihnen, dass dadurch der Frieden  zwischen Pflanzenfressern und Raubtieren von nun an in alle Ewigkeit gesichert wäre, wenn sich die Löwen an diesen Beschluss halten würden. Ohne fleischfressende Raubtiere gäbe es  kein Erschrecken mehr in der Welt, keine Furcht, keine Flucht, kein Leid. Würden die Löwen sich aber nicht an die neuen Auflagen halten, dann wüsste man schon welchen Strafe man ihnen zufügen würde, sagten sie jedenfalls.  

Die Löwen diskutierten und sie verstanden das Projekt der Pflanzenfresser. Für alle überraschend waren sie einverstanden und beschlossen für das Wohlergehen aller Tiere zu leiden. Sie begannen Gras zu fressen, so wie es die anderen Tiere taten. Da ihre Mägen aber nicht für Pflanzenkost gemacht waren, magerten sie rasch ab. Einige Löwen wurden unzufrieden, andere drohten mit Meuterei, wieder andere starben. Die Löwenkinder wurden krank und schwach. Trotzdem hielten die Löwen den Vertrag ein, dem sie ja zugestimmt hatten,weil er Aussicht auf eine wunderbar friedliche Welt bot. Das beschlossene Prinzip, für den Frieden zu sein, war gur. Es war ein wunderbares Bild für alle Betrachter, wenn Löwen und Gazellen in der Steppe nebeneinander das Gras weideten, Beeren suchten und Wurzeln fraßen.

Die Pflanzenfresser setzten den Löwen für ihr so vorbildliches Verhalten sogar ein Denkmal. Antilopen, Gazellen, Zebras, Gnus bemühten sich um die Freundschaft der Löwen. Doch die Löwen begannen aus zu sterben. Die Pflanzenfresser  dagegen begannen sich zu vermehren, erst langsam, dann schneller, dann rasend schnell. Es gab keine Zukunftsangst, keine ständige Fluchtbereitschaft, die Kraft kostete, es gab jetzt niemanden mehr, der ihren Bestand dezimierte. Alle fraßen sich jetzt  gegenseitig das Gras weg und tranken die Wasserlöcher trocken. Die Weideländer wurden noch durch die Löwen zusätzlich belastet und gaben immer weniger her, weil sie so zertrampelt wurden.Eine große Hungersnot brach aus. Die sonst so braven Pflanzenfresser gingen mit ihren Hörnern aufeinander los, mit ihren Klauen, Hufen und Zähnen. Jeder wurde jedermanns Feind. Alle neideten allen alles. Es tobte ein furchtbarer Krieg.

So konnte das nicht weiter gehen. Man erinnerte sich an die früheren besseren Zeiten, damals, als man sich nur gegen Löwen zu verteidigen hatte. Die Vorsichtigsten, die Stärksten hatten damals die besten Chancen gehabt zu überleben. Heute überlebten die Rücksichtslosesten, die Egoistischsten und Hinterhältigsten. Also bat man die Löwen wieder zu jagen. “Nein,“ sagten diese, wir lehnen das ab. Man bat und bettelte,ohne Erfolg. “Es hat uns so viel Mühe gemacht", sagten die Löwen, "uns an das elende Steppengras zu gewöhnen. Wir haben zu große Opfer gebracht. Unsere Vormachtstellung haben wir auf dem Altar des Friedens geopfert. Wir sind durch das ewige Gras, Gras, Gras so schwach geworden, dass wir gar nicht mehr jagen könnten, selbst wenn wir es wollten. Unsere besten Jäger sind mittlerweile tot, unsere Kinder haben nie gelernt zu jagen. Wir haben ihnen gutherzigerweise beigebracht, dass Jagd nur Mühe, Arbeit und die Verbreitung von Angst ist. Jetzt sollen wir all das umstürzen?" Doch die Führer der Pflanzenfresser beknieten die Löwen weiter und sie versprachen sogar ihre Herden immer recht dicht bei den Löwen zu weiden, damit die Jagd nicht so schwer wäre, für die geschwächten Löwen. Die Anführer der Huftiere litten sehr unter dem Verrat, den sie an ihren eigenen Herdengenossen begehen würden. Aber es sollte ja dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Endlich stimmten die Löwen zu. Es geschah, wie beredet und bald war das Gleichgewicht der Natur durch die jagenden Löwen wieder hergestellt. Das Steppengras wuchs wieder schneller, als die dezimierten Tiere es abfressen konnten und die Pflanzenfresser begannen nichts auf der Welt mehr zu fürchten, als die Löwen. Man schimpfte und entsetzte sich über diese verabscheuungswürdigen, hinterhältigen Tiere. Die gemeinen Löwen würden den paradiesischen Frieden zerstören und so weiter. Hier die lieben Tiere, da die bösen.  Nur selten erwähnte jemand mahnend, dass die Löwen ja auch nur ihren Hunger stillten."Nein,nein", Löwen wären Bestien, aber irgendwann einmal, irgendwann, wenn die Löwen kein Fleisch mehr fressen würden, dann wäre Frieden,  begannen die Tiere der Steppe zu hoffen. Sie hatten einen Traum.

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