Manfred Bieschke-Behm

Eine Geschichte von ARM und REICH


Ich erzähle eine Geschichte, die so oder ähnlich überall passieren kann. Auf der ganzen Welt gibt es schöne Plätze, auf denen es sich gut und gerne leben lässt. So geht es auch Frau Arm. Ihr kleines Häuschen ist umgeben von einem, man könnte sagen, verwunschenem Garten. Hier blüht, je nach Jahreszeit, alles, was Herz und Seele erfreuen kann. Jetzt im Frühling sind es Osterglocken, Primeln, Himmelschlüsselchen, Tulpen und Hyazinthen. Bei Frau Arm gibt es keine abgegrenzten Beete und es wird auch nicht jedes Unkraut gezupft. Alles darf bei ihr wachsen, wie die Natur es eingerichtet hat. Ein paar Obstbäume mir zum Teil knorrigen Rinden sind dabei Blüten zu treiben und lassen ahnen, dass es auch in diesem Jahr genug Äpfel und Birnen geben wird. Frau Arm ist mit dem, was sie hat, zufrieden. Ihr kleines Häuschen hat den Charme eines Knusperhäuschens. Frau Arm erfreut sich an die von ihr bunt bemalten Fensterläden und die rot gestrichenen Fensterrahmen. Rote Übergardinen und ein paar rot blühende Geranientöpfe, die in rotlackierte Blumenkästen, die vor den Fenstern hängen, lassen erkennen, dass rot ihre Lieblingsfarbe ist. Überall an den Außenwänden hat Frau Arm allerlei Wurzelwerk befestigt und alles, was sich aufhängen lässt. Würde jemand Frau Arm besuchen, würde der Gast vergeblich nach Luxus Ausschau halten. Was zum täglichen Leben benötigt wird, ist vorhanden. Ihr reichen ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle, einen Schrank in der Küche und einen im Schlafzimmer, eine Leselampe, ein gemütlicher Korbsessel, ein altes Fernsehgerät und ein Kofferradio sowie notwendiger Hausrat und ihre Katze. Frau Arm kann auf vieles verzichten, nicht aber auf Ihre Katze Minka. Dem schwarzen Kater mit der weißen Schwanzspitze erzählt sie alle, was sie bewegt. Auch Dinge, die er ganz bestimmt nicht versteht. Aber das ist Frau Arm egal. Wenn Minka auf ihren Schoß sitzt, sich kraulen lässt und kräftig schnurrt, ist die Welt in Ordnung. Auch für Minka. Natürlich hätte Frau Arm gerne einen Nachbarn, mit dem sie sich ab und zu unterhalten könnte, der gelegentlich zu ihr kämme, sich nach ihrem Befinden erkundigen würde und den sie ab und zu besuchten könnte. Da es keinen Nachbarn gibt, muss Minka sich alles anhören, was Frau Arm beschäftigt und bewegt.

Eines Morgens wird Frau Arm durch ohrenbetörenden Lärm geweckt. ‚Was ist hier los?’, fragt sie sich. Sie richtet sich auf, reibt sich den Schlaf aus den Augen, und eilt zum Fenster. Sie will sehen wer ihr den Schlaf raubt. Nur wenige Meter von ihrem Grundstück entfernt stehen Bagger, nähert sich ein Kranwagen, rollen Bauwagen heran und eine Anzahl von Bauarbeiter diskutiert mit Händen und Füssen. Ein Mann, der einen gelben Helm auf dem Kopf trägt, hält etwas in der Hand, das einem Bauplan gleicht. Rasch zieht sich Frau Arm das Notwendigste an und geht geradewegs auf den Mann mit dem gelben Helm zu. „Können sie mir erklären was das hier soll?“, erkundigt sie sich und bekommt zur Antwort: „Sie bekommen einen Nachbarn.“ Ohne, das Frau Arm den Mann auffordert Weiteres von sich zu geben erklärt er, dass neben ihrem Grundstück eine Villa gebaut, umgeben von einem großzügig angelegten parkähnlichen Garten, wird und das der Eigentümer noch in diesem Jahr einziehen möchte. Frau Arm hört interessiert zu und möchte wissen, wer das ist, der sich hier so großzügig niederlassen will. „Wenn es stimmt, was man mir zugetragen hat, erfüllt sich ein gewisser Herr Reich seinen Traum.“ „So, so. Ein Herr Reich erfüllt sich seinen Traum“, wiederholt Frau Arm und geht ohne zu grüßen zurück in ihr Haus. Kater Minka empfängt sein Frauchen, wedelt mit dem Schwanz und schaut Frau Arm ratlos an. „Ja Minka, die Zeit, dass wir allein auf weiter Flur sind, scheint vorbei zu sein. Wir bekommen einen Nachbarn.“ Minka scheint die Neuigkeit nicht zu interessieren. Vielmehr wartet der Kater auf sein Frühstück und läuft deshalb zur leeren Futterschüssel.

Mit großer Aufmerksamkeit beobachtet Frau Arm die Bautätigkeiten. Schnell war die Baugrube ausgehoben und das Fundament gesetzt. Tag für Tag nahm die weiße Villa an Form und Größe zu. Mit entsetzen musste Frau Arm mit ansehen, dass um die Villa herum ein ziemlich hoher schmiedeeiserner Zaun aufgestellt wurde. Schließlich war die Villa bezugsbereit und Herr Reich zog ein. Viele Möbelwagen fuhren vor. Emsige Möbelpacker schleppen kostbares Mobiliar die große Freitreppe hinauf und verschwanden hinter der prächtigen Eingangstür mit Gitter vor den Scheiben. Rechst und links von der Eingangstür befinden sich große Fester die keinen Einblick gewährten, weil schwere Vorhänge Einblicke verhindern. Am Eingangstor kein Namensschild. Nur ein Klingelknopf aus Messing und ein Briefkasten aus dem gleichen Material. Zusätzlich entdeckt Frau Arm eine Überwachungskamera und ein Hinweisschild, das sich auf dem Grundstück ein bissiger Hund befindet. Ein breiter weißer Kiesweg führt direkt zur Villa. Rechts und links wurden große Rasenflächen angelegt. Bäume, deren natürlicher Wuchs durch Beschneidungen unterbunden wurde und gestutzte Sträucher geben dem Anwesen etwas Unnatürliches. Aufgestellte Blumenkübel lassen vermuten, dass Wildwuchs nicht gewünscht ist.

Spätsommer. Längst wurden die Frühjahrsblüher durch Sommerblumen ersetzt. Die Bäume hängen von mit Äpfeln und Birnen. Frau Arm hat allerhand zu tun die Früchte zu ernten und zu verarbeiten. Gerade, als sie anfing erneut einen Korb mit Äpfeln zu füllen, nähert sich Herr Reich dem Zaun. Seinen Hund, den er an der kurzen Leine festhält, hat Minka entdeckt und würde, so scheint es, zu gerne durch den Zaun und die Katze jagen. Minka, wie immer neugierig, steht in ‚Hab Acht Stellung’ im Rahmen der Eingangstür, fegt mit ihrem Schwanz über den Gartenboden und kräuselt die Nase. Mit nach vorne aufgerichteten Ohren beobachtet er aufmerksam den Hund, der nicht nachlässt, an der Leine zu ziehen und seine Zähne zeigt.

„Guten Tag guter Mann. Sind Sie der Eigentümer dieser prachtvollen Villa?“

„Ja das bin ich. Darf ich mich ihnen vorstellen. Mein Name ist Heribert Reich und das ist Oskar, mein Hund.“

„Ich heiße Maria Arm und das ist mein Zuhause“, erklärt Frau Arm und deutet mit ausschweifender Armbewegung an, was sie ihr Eigen nennt.“

„Sehr schön Frau Arm. Wichtig ist, dass man sich wohlfühlt.“

Fühlen sie sich wohl?“, fragt Frau Arm und bedauert, die Frage gestellt zu haben.

Frau Arm erwartet keine Antwort und bekommt auch keine. Herr Reich ist nicht daran interessiert das Gespräch weiterzuführen und verabschiedet sich mit: „Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“

Das wünsche ich ihnen auch. Darf ich ihnen zum Abschied einen Apfel schenken?“

Noch bevor Herr Reich reagieren kann, reicht sie ihm einen Apfel durch den Zaun. Herr Reich nimmt das Geschenk, wendet sich ab und geht Richtung Villa. Auf den Weg dorthin sieht es sich den Apfel an und stellt fest, dass er eine braune Stelle hat. Er lässt den Apfel angewidert fallen. Gleich nachdem Mann und Hund hinter der Eingangstür verschwunden sind werden mehre Riegel getätigt. „Man kann nie wissen“, sagt Herr Reich zu seinem Hund und bindet ihn los. Frau Arm indes trägt ihren mit Äpfel gefüllten Korb ins Haus. Bewusst lässt sie die Eingangstür offen stehen. Sie stellt den Korb auf dem Küchentisch ab und setzt sich auf dem danebenstehenden Stuhl. Glücklich und zufrieden blickt Frau Arm hinaus in ihren Garten. Gerade, als zwei Eichhörnchen den Stamm der alten Kiefer umrunden, denkt sie darüber nach wie arm doch Reiche sein können.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.04.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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