Marcus Olivier

MIETENDRIN - Geschichten aus der Gartenstadt Kapitel 3

Kapitel 3

Die geheimnisvolle Gartentür

 

So sehr man sich auch vornimmt nie wieder zu Lebzeiten solchen Aufwand im Garten zu treiben, hält man es nicht lange aus sofern das Wetter mitspielt.
Der Wunsch nach Erholung im eigenen Grün wird, wenn gepaart mit Kreativität und Opferbereitschaft, umso befriedigender gestillt durch einsatzvolles Anpacken.

Erstaunlicherweise habe ich diese sogar erschöpfende Arbeit nie als nervig oder lästig empfunden, das Bier schmeckt in der Tat noch besser, wenn man seine vollendeten Werke zufrieden betrachten kann im Lichte der lieblichen Abendstimmung.

Im Garten ergeht es einem keineswegs anders als in den eigenen vier Wänden: Das mulmige Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Man kann es nicht beweisen – noch nicht – doch du weißt es genau: Hier war jemand! Hat das Glas nicht heute Morgen ganz woanders gestanden?
Hängt die Klobürste nicht immer anders herum?

So hielt ich inne und beschloss, nochmals den Kopf von ganz links nach rechts schweifen zu lassen und kam erneut nur knapp bis zur Mitte. Das musste es sein: Gerade gestern hatten wir doch die Steinskulptur anders herum auf den Holzeimer gestellt. Und dabei hatten die geschmackvollste Frau und ich noch so lange beraten, wie herum dieses verdammte Ding nun tatsächlich wie eine Schildkröte aussehen würde. So herum sah sie jedenfalls aus wie ein brasilianischer Fußballfan nach einem 1:7.

Ich beschloss also, sofort mal nachzufragen: „Sag mal Schatz, warum gefällt Dir die Schildkröte so herum nun doch besser? Ich dachte, wir waren uns doch einig?“
 

Meine bessere Hälfte kam aus der als Schuppen umfunktionierten Garage heraus und sah mich verständnislos an. „Das wollte ich Dich eigentlich noch fragen. Willst Du wirklich, dass dieses ohnehin hässliche Geschenk von Tante Uschi nun erst recht aussieht wie ein überfahrener Frosch mit Mütze?“

Jetzt war ich ratlos. Flocke sah an uns beiden hoch, was keineswegs mehr Licht in die Wirre meiner Gedanken brachte.

„Aber was soll denn das? Glaubst Du, dass Frau Schulz hier her kommt wenn wir nicht da sind und die Kunstwerke um arrangiert? Ist doch wohl Blödsinn, oder?“

Die gelassenste aller Lebenspartnerinnen zuckte die Achseln. „Eigentlich nicht. Aber von selber dreht sich so ein Ding doch nicht auf den Kopf.“

Ich leerte mein Bierglas, stand auf und drehte das Kunstobjekt wieder in die Funktionsrichtung „Schildkröte“. Eigentlich war mir das Ganze egal, immerhin hatte dieser ansonsten talentlos geformte Klumpen keine Leuchtfunktion, war somit äußerst sparsam und machte auch keinen Krach. Wenn wir etwas Glück hätten, würde dieser geschmackslose Götze in wenigen Wochen von den Büschen überwuchert werden und nie wieder auffallen, bis zum Winter wenigstens.

Kaum fertig damit, fragte mich die ordentlichste Mitbewohnerin von allen: „Wo ist die Gartenschere? Ich habe die vorne vor die Garage gelegt, weil ich noch an die Rosen wollte.“

Dieser Frage maß ich keine größere Bedeutung bei – erstens weil ich mit Gartenscheren ungefähr so oft beschäftigt bin wie mit dem Nachschauen der österreichischen Handballergebnisse.
Zweitens weil mein Schatz ständig etwas suchte und diese Frage ohne Zweifel in die Kategorie „rhetorische Selbstgespräche“ von mir abgeheftet wurde.

Das dritte Bier war fast noch besser als das Erste. Allmählich wurde es dunkel und noch immer war die aufgelösteste Gartenfee von allen auf der Suche nach ihrer Rosenschere.

„Lass uns nach oben gehen, “ schlug ich vor. „Du findest das Ding im Dunkeln sowieso nicht und morgen stolperst Du wahrscheinlich darüber.“

Gesagt, getan. Schon fünfundvierzig Minuten später waren wir in unserer Wohnung. Ich freute mich auf den nächsten Morgen, den Ersten eines langen Wochenendes.
Zehn Quadratmeter Holzfliesen warteten darauf, verlegt zu werden. Wenn alles gut ging, würden wir morgen schon unser erstes Abendbrot auf einer glatten, trockenen Holzterrasse in der Frühsommersonne genießen können.

Bei meinem ersten Gang mit Flocke glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu können: Die polyresinene Schildkröte stand wieder Kopf!
Unfassbar – dieses ansonsten leblos wirkende Ungetüm verfügte doch tatsächlich über die Fähigkeit, sich auf ihre hölzernen Sockel zu drehen.
Ich beschloss, mir diese Eigenmächtigkeiten ohne meine Einwilligung nicht weiter bieten zu lassen.
Mit einem entschiedenen „das wollen wir doch mal sehen“ öffnete ich die Garagentür, um mir die dort befindliche Tube Soudal zu angeln. Bisher hat nichts von dem, was ich mit viel Geduld und Fingerfertigkeit ansoudaliert hatte jemals wieder seine zugedachte Position verlassen.
Nun ja, wenigstens fast nichts, aber von gewissen Baueinsätzen auf dem Flughafen Schönefeld wollen wir an dieser Stelle nicht sprechen…

Siegesgewiss lächelnd griff ich meine Zaubertube und wollte mich der Skulptur zuwenden, als ich beinahe zu Tode erschrak: Ich nahm einen Schatten hinter mir wahr und fuhr herum:

Eine furchteinflößende, grauenerregende Gestalt hatte sich mir lautlos genaht und hielt in ihrer mutmaßlich gewaltbereiten Hand ein Werkzeug, das noch am Vorabend die enttäuschteste Ehefrau von allen vergeblich gesucht hatte: Frau Paulsen, unsere Nachbarin zur Rechten ragte drohend über mir auf und hielt die so schmerzlich vermisste Rosenschere in ihrer linken Hand!

Sie war nur mehr einen Meter hinter mir – die ganze Szene erschien mir in jenem Moment unmittelbar wie die schicksalshafte Erscheinung des Sensenmannes, der sein nächstes Opfer in die Anderswelt entführt. Alles passte: Der kalte Dunst, die lautlose Annäherung eines ausdruckslosen, blutleeren Wesens und die Sense, nun ja, also die Rosenschere.
Aber man weiß ja inzwischen, dass die Größe allein nicht entscheidend ist.

AAAAHHH! FRAU PAULSEN!!!! WAS SOLL DAS???“

Flocke, dieser verdammte Kuschelköter, machte nicht die geringsten Anstalten zu kläffen; geschweige denn, meine unmittelbar bevorstehende Abreise aufzuhalten und leckte der Rosen-scherensensenfrau freundlich die Kniekehlen.

Schon klar, dieser Eindringling wurde von ihr fälschlicherweise als guter Bekannter klassifiziert.

Du meine Güte! Nun regen Sie sich mal nicht so auf, ja? Ich schneide hier nur den Bambus runter, das dauert nicht mehr, ich meine Sie können ja gleich wieder.“

Mir war noch unklar, ob ich erleichtert oder wütend sein sollte. Immerhin hatte Frau Paulsen sich für heute Morgen eine andere Tätigkeit ins Arbeitsheft geschrieben als „Muss Herrn Olivier ans andere Ufer bringen“. Aber zum Geier noch mal, was machte die Nachbarin um acht Uhr dreißig Morgens in meinem Garten???

Was zum Geier machen Sie hier morgens um halb neun in meinem Garten?“ herrschte ich Frau Paulsen an.

Langsam bekam ich wieder Kontrolle über meine Sinne und wollte Herr der Situation auf meinem Grün werden, so wie ein FC Bayern gegen Köln.

Na das sage ich doch, unser Bambus wächst immer hier rüber, das sieht nicht aus, man sollte den nicht so einfach!“

Das war doch die Höhe! Was ging diese Esoterikpraktikantin der Bambus auf unserer Seite an?

„Wie kommen Sie dazu, auf unserem Grundstück herumzuschleichen und irgendwelche Gartenarbeiten zu machen? Und überhaupt ist unser Tor doch wohl noch verschlossen!“

Frau Paulsen war überhaupt nicht aus dem Konzept zu bringen.
„Das habe ich bisher immer so, weil auch Frau Schulz das so gut fand. Deswegen ist mein Tor ja auch immer offen zu Ihnen.“

Das konnte ja noch heiter werden auf meiner neuen Grünflache! Da gab es also hinter irgendwelchen Büschen noch geheime Hinterpforten und Frauen, deren Tor zu mir offen stand. Wenn dass die eifersüchtigste Ehefrau von allen erfahren würde…

So. Jetzt reicht´s mir aber! Wie Sie vielleicht schon mitbekommen haben werden, wohne ich mit meiner Frau seit einigen Monaten hier und dies ist UNSER Gartenteil. Hier hat weder eine Frau Schulz, noch ein Herr Liebelt und auch kein anderer Mensch außer uns selbst uneingeladen etwas verloren. Ist das unmissverständlich klar?!“

Frau Paulsen schickte sich zum Rückzug an.
„Du lieber Himmel, Sie machen aber auch eine Mücke aus diesem Bambus, aber wenn Sie so wollen dann müssen Sie eben selber!“

Ich war von dieser Dreistigkeit regelrecht fassungslos. Augenscheinlich hielt die Zeitgenossin noch nicht einmal ein Wort der Entschuldigung für angebracht.

Inzwischen hatte sie mir den Rücken zugedreht und warf die original Olivier´sche Rosenschere auf unseren Tisch.

„Sagen Sie mal, Frau Paulsen, wenn ich plötzlich spontan und ungebeten auf Ihrem Grundstück auftauche und an der Schaukel ihrer Tochter rumschraubte, nur weil ich der Ansicht bin, dass bei Ihnen ein paar Schrauben locker sind, wie fänden Sie denn das?“

Noch einmal drehte sich die weiße Frau zu mir um, bevor sie, in morgendliche Nebelschwaden gehüllt, in einem hinterwärtigen Gebüsch in Richtung Geheimtür entschwinden konnte.

Tun Sie ruhig, was Sie je bereuen würden! Und übrigens sollten Sie nie wieder Ihre komische Gartendekoration, das sieht ja aus wie eine Plastik aus Hundekot!“

Damit war sie weg. Und ich war noch lange danach platt.
An diesem Wochenende würde die Holzterrasse noch warten müssen. Ich hatte ein etwa drei Meter tiefes Loch zu buddeln, um einer gewissen Skulptur darin ein für alle Mal einen angemessenen Aufenthaltsort zu geben.

Nachdem ich mich mit einer ausreichend professionellen Urwaldausrüstung durch Buschwerk ans Ende unseres Grundstücks durchgekämpft hatte, fand ich tatsächlich eine unverriegelte Gartenpforte, die zu den Paulsens nach nebenan führte. Diesem Zustand half ich mittels einem Holzbalken, einem Akkuschrauber und drei Messingschrauben ab.

Noch heute gehe ich manchmal, in schlaflosen Nächten, an unser Fenster und schaue nach einer blassen Frau, die unheilvoll winkend über das Gras schreitet.
Rein vorsichtshalber habe ich mal eine Gesetzesblattdefinition über Hausfriedensbruch gegoogelt und auch einige Urteile aus der Vergangenheit dazu ausgedruckt.

Aber Geister und Verrückte werden davon wohl kaum zu beeindrucken sein.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.04.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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