Carrie Winter

Marilyn + John

Nachdenklich legte er den Telefonhörer zurück auf die Gabel und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Die aufgeregte Stimme der Hebamme schallte durch seinen Kopf wie in einem Alptraum, seltsam unecht. Aber er wusste, das sie nicht gelogen hatte. Es war wahr und bald würde es ganz America wissen, wenn er es nicht verhindern würde. Nur, wie? Eigentlich fiel es ihm nicht schwer, Entscheidungen zu treffen. Ja, vielleicht war es sogar eine seiner wenigen Lieblingsbeschäftigungen. In diesem Fall ging es aber um mehr als ein paar Bestechungen und Anklagen, es ging um eine Frau, die weltbekannt war und ihm Stunden des Glücks geschenkt hatte. Eine Frau, die genug Macht besaß um sein Leben zu zerstören. Und jetzt hatte sie noch ein weiteres Druckmittel, etwas, das in einer kalten alkoholgetränkten Nacht entstanden war. Oh, wie gut konnte er sich daran erinnern! Ihr schwitzender Körper auf seinem, nasse Haut, zerzauste Haare und Lippenstiftspuren am Hemd...
Übelkeit stieg in ihm hoch bei dem Gedanken, dass das alles in der Zeitung stehen würde. Abscheu gegen sie wuchs in ihm, und steigerte sich langsam aber sicher zu Hass. Marilyn war eine gemeine, unberechenbare Person, 2 Eigenschaften die sie verbanden. Vermutlich war diese Gemeinsamkeit der einzige Grund für den Fehler des Verlangens gewesen. Was auch immer es war, Liebe sicher nicht! Und deswegen würde er jetzt auch das einzig Richtige in dieser Situation tun! In diesem Moment ging die Tür auf und ein junger Mann im Designeranzug kam rein. Ein leichtes Lächeln lag auf seinem Gesicht und machte John klar, das er es wusste oder wenigstens ahnte. „Ich darf gratulieren.“ Er hielt ihm die Hand hin aber John ignorierte sie und sagte kühl: „Sie müssen sie vernichten.“ Das Lächeln verschwand und machte Erstaunen Platz. „Ich verstehe nicht ganz...Sie wollen, das ich sie umbringe? Ich kann doch eine Mutter nicht des Lebens berauben!“ rief er in gespieltem Entsetzen. Er genoss seine kurzzeitige Macht über einen der berühmtesten Männer des Landes. Solche Momente entschädigten ihn für die ganze Drecksarbeit die er in all den Jahren machen musste. Normalerweise ertrug John seinen Sarkasmus kommentarlos aber heute rastete er aus. Das alles war viel zu ernst als das man irgendwelche Witze darüber machen konnte! „Halt die Klappe! Du wirst die Hebamme und Marilyn töten! So schnell wie möglich!“ schrie er wütend während sein Gesicht rot anlief. Der Mann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen sondern goss Whisky ins Glas und stellte es auf Johns Schreibtisch. Angewidert betrachtete er die bernsteinfarbene Flüssigkeit vor ihm. In seinem Kopf dröhnte es, sein Magen schien sich zu verkrampfen. „Was ist mit Jessie?“ fragte er und versuchte beiläufig zu klingen. John starrte ihn an, als hätte er gefragt, ob Van Goghs Ohr in seiner Schreibtischschublade ist.
„Was soll mit dem Hund sein?“ In seiner Stimme schwang Verzweiflung darüber mit, das er sich mit diesem Idioten über einen Köter unterhalten musste anstatt die Morde zu planen.
„Ich mein doch nicht den Hund!“ Er begann zu lachen. „Ich rede von deiner Tochter!“
„Meiner Tochter?“ John zweifelte jetzt wirklich an Davids geistlichem Zustand. „Ich hab keine Tochter.“ David sah ihn mitleidig an und erklärte: „Vor ungefähr einer halben Stunde hat eine gewisse Marilyn eine Tochter namens Jessie bekommen, von der du angeblich der Vater bist. Und du weißt genauso gut wie ich, das ich das Wort `angeblich ` weglassen kann.“
„Woher kennst du ihren Namen? Und wieso hat Mary ihr Baby nach meinem Hund benannt?“ Langsam kam John der Verdacht, das alle hier einen Dachschaden hatten. Davids Schulterzucken zeugte auch nicht unbedingt vom Gegenteil. „Okay, vergessen wir das Ganze. Konzentrieren wir uns auf den Plan.“ Das einzige Problem war, das sie gar keinen Plan hatten, wurde John klar. „Ist doch ganz einfach! Ich lass es bei der Hebamme wie ein Unfall aussehen und bei Marilyn wie Selbstmord. Ich kann schon die Schlagzeile vor mir sehen, `Schauspielerin hält den Druck der Glamourwelt nicht mehr aus und bringt sich mit Tabletten um!´“ Für eine Sekunde durchblitzte John die Frage, ob David ein Gewissen hatte. Im selben Moment kam er schon zu dem Entschluss, das die Antwort darauf nur NEIN lauten konnte. Und genau aus diesem Grund hatte er ihn eingestellt. Er konnte niemanden gebrauchen, der sich seinen Befehlen verweigerte weil er sie für moralisch verwerflich hielt. Bei Leuten wie ihm und seiner Familie regierte die Selbstjustiz, das war schon immer so und würde vermutlich bei der Apokalypse immer noch so sein. „Bring sie einfach um.“ Sagte er genervt.
„Und was soll ich mit Jessie machen?“ entgegnete er gespannt. John hatte versucht nicht daran zu denken, das man mit dem Kind auch etwas machen musste. Am liebsten hätte er es einfach wieder in Marys Körper zurückgeschickt, aber das war nur eine Phantasievorstellung.
Er räusperte sich, sagte dann doch nichts. David merkte, das er Angst hatte. Angst vor den 4 Worten `Bring sie auch um.` Er hatte noch nie ein unschuldiges Kind getötet, das erst seit wenigen Stunden auf der Welt war. Es erschien ihm pervers und fast schon rassistisch. Jemanden nur wegen seiner Mutter das Leben zu nehmen...Es war der erste Schritt zum Wahnsinn.
„Jessie...Sie hat ja eigentlich nichts getan, oder?“ Unsicher blickte er zu David.
„Nein, eigentlich nicht.“ Antwortete er zögernd. Stille setzte ein und begann sich schwer auf die Schultern der beiden Männer zu legen. „Was würdest du tun?“ Diese Frage zeigte wie verzweifelt John wirklich war. In all der Zeit, in der David jetzt schon angestellt war, hatte er ihn kein einziges mal um Rat gebeten. David starrte die weiße Wand ihm gegenüber an und dachte an seine erste Begegnung mit Marilyn zurück. Er hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt, aber John hatte ihn natürlich nicht ernst genommen. ` Sie ist nur etwas ausgefallen. Das ist alles! Mach dir keine Sorgen, es wird schon nichts passieren.` Wie zuversichtlich er damals klang... „Vielleicht solltest du einfach das Ganze vergessen und so tun, als wäre das alles nie passiert.“ Schlug er achselzuckend vor. Ein kalter Blick voller Verachtung streifte ihn. John ballte seine Hände zu Fäusten und dachte, das David doch gar keine Ahnung von einem Leben als Kennedy hatte! Welche Verpflichtungen dieser Namen mit sich trug, wie viele Verbrechen man ignorieren oder ausführen musste. Das alles zerrte an seiner Energie und manchmal wachte er nachts schreiend auf und wünschte sich, der Hot Dog Verkäufer an der Ecke drüben zu sein. Es war fast schon krank, welche Macht seine Familie über dieses Land hatte. Präsidenten kamen und gingen, sie blieben ewig. Bekamen Kinder, die genau das gleiche wie sie durchmachen mussten oder sogar schlimmeres. Kinder...Jessie...
Er kam zum Anfang dieser Überlegungen zurück, die Zukunft seiner Tochter. Hatte sie unter diesen Bedingungen überhaupt eine Zukunft? Mutter tot, Vater unbekannt. Die besten Vorrausetzungen um ein psychisches Wrack zu werden. „Ein Waisenhaus!“ rief David erleichtert. „Bist du dir sicher, das du nicht gerade durchdrehst?“ Ob die Worte Ironie beinhalteten war Ansichtssache, David beachtete sie aber sowieso nicht. „Das wäre die perfekte Lösung! Niemand wird wissen, wer oder von wem sie ist. Am allerwenigstens sie selbst.“ John stand Davids Vorschlag skeptisch gegenüber. Er hatte schon zuviel erlebt als zu glauben, das sich das Problem so einfach lösen ließ. Was, wenn Jessie irgendwann rausfinden würde wer ihr Vater war und ihm dann alles kaputt machen würde? Genau wie in den Filmen immer...`Reiß dich zusammen!` Befahl er sich selbst. `Das Leben ist nicht wie ein Besuch im Kino!` „Okay! Mach es!“ Er wusste, das er es bereuen würde. Er hatte bereut, mit Marilyn Monroe geschlafen zu haben, er hatte bereut, ihre Schwangerschaft nicht zur Kenntnis zu nehmen und er hatte bereut, die amerikanische Verfassung angenommen zu haben. Also, wieso sollte John F. Kennedy diesen Entschluss nicht auch bereuen?

Diese Geschichte soll keine Beleidigung gegenüber John F. Kennedy oder Marilyn Monroe sein! Bitte nicht falsch verstehen! Es ist nur eine erfundene Story
und hat keineswegs etwas mit den Gefühlen zu tun, die ich gegenüber den beiden Personen habe!
Carrie Winter, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Hebamme Xenia praktiziert altes Heilwissen, feiert keltische Rituale und baut gleichzeitig als moderne Unternehmerin eine Network-Marketing-Organisation auf. Als sie von einem Geschäftspartner gebeten wird, seinen Bruder Thorsten für ihr gemeinsames Unternehmen zu gewinnen, ahnt sie noch nichts Schlimmes. Doch als sie Thorsten gegenüber steht, erkennt sie schockiert, dass es sich bei ihm um den Arzt handelt, mit dem sie sich noch wenige Tage zuvor in der Klinik erbitterte Gefechte geliefert hat. Für Thorsten ist dieses komische Geschäft, das sein Bruder mit dieser Xenia aufbaut, eine große Lachnummer [...]

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