„Dass ich von anderen hören muss, dass deine Versetzung gefährdet bist, finde ich gar nicht gut“, schimpfte Janines Vater. „Stimmt das Gerücht oder nicht?“
„Was ist ein Gerücht?“, fragte Janine mit Unschuldsmiene.
„Eine Behauptung oder Vermutung, die Menschen, oft aus reiner Gehässigkeit oder Missgunst, in die Welt hinausposaunen, ohne zu wissen, ob es stimmt oder nicht.“
„Das ging zu schnell. Kannst du das noch einmal langsam wiederholen? Und mit weniger Wörtern, wenn das möglich ist.“
Aber auf dieses Ablenkungsmanöver ließ sich Janines Vater nicht ein.
„Stimmt es nun, dass du nicht versetzt wirst oder nicht?“
„Woher soll ich das wissen? Ich gebe doch nicht die Noten, sondern meine Lehrer.“
„Ja, und? Haben die was durchblicken lassen?“
„Nö, meine Klassenlehrerin hat nur gesagt, dass ich mich mehr anstrengen und besser im Unterrricht aufpassen soll.“
„Und tust du das?“
„Manchmal.“
„Und warum nicht immer?“
„Wir sind 28 in der Klasse. Da kann ich mich gar nicht immer anstrengen und besser aufpassen. Die anderen wollen ja auch mal.“
„Seltame Argumentation. Das musst du mir erklären.“
„Was bedeutet Argumentation?“
„Komm, Janine, weich nicht aus. Beantworte meine Fragen.“
„Über dich gibt es auch ein Gerücht“, schlug Janine einen plötzlichen Haken in der Unterhaltung.
„Ach, auf einmal weißt du, was ein Gerücht ist …?“
„Das hast du mir doch gerade erklärt: „Eine Behauptung oder Vermutung, die Menschen, oft aus reiner Gehässigkeit oder Missgunst, in die Welt hinausposaunen, ohne zu wissen, ob es stimmt oder nicht.“
„Dein Gedächtnis war schon immer bewundernswert. Und was soll das für ein Gerücht sein? Da bin ich jetzt mal gespannt.“
„Dass du dich zu wenig um deine Tochter kümmerst und dass sie deswegen in der Schule nachgelassen hat und dass sie vielleicht ein Jahr wiederholen muss, wenn sie ihre Lücken nicht ganz schnell aufholt.“
„Und wer hat dieses Gerücht in die Welt gesetzt?“
„Du kennst sie, aber ich habe geschworen, den Namen nicht zu verraten. Und es gibt noch ein Gerücht.“
„Es wird ja immer schöner. Komm, rück schon raus damit. Ich bin auf alles gefasst.“
„Dass du dir vorgenommen hast, jeden Tag mit deiner Tochter zu üben, damit sie doch noch in die nächste Klasse kommt.“
„Und wer weiß so genau über meine Absichten und Pläne Bescheid? Werde ich abgehört oder überwacht, oder was? Komm, sag mir, wer diese Gerüchte verbreitet, und ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, um die Katastrophe zu verhindern. Notfalls nehme ich vier Wochen unbezahlten Urlaub.“
Janines Vater erwartete, dass Janine fragen würde: „Was ist das – eine Katastrophe?“, aber Janine schwieg und kaute unentschlossen auf ihrer Unterlippe.“
„Du musst es aber für dich behalten.“
„Natürlich, das ist doch Ehrensache. Ich habe dich doch noch nie verraten, oder? Komm, rück schon raus mit dem Namen. Ich tue demjenigen schon nichts.“
„Ich.“
17 - 06 - 2012
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.05.2017.
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