Paul Pauli

Sensibel

Heute Morgen kam die U11 zu früh. Ich schaue meistens nicht vorher nach, aber wenn ich zur U-Bahnhaltestelle gehe gibt es dort eine Elektronische Anzeige die man schon vom weiten erkennen kann.
Ich blinzle dann immer ein wenig um von so weit weg wie möglich die Angaben lesen oder besser gesagt erahnen zu können. Welche Bahn ist das jetzt?
Steht da sofort oder ist das nur die Endung der angegebenen Endhaltestelle. Welche Richtung, zehn oder elf Minuten? Wenn da sofort steht, renne ich meistens los.
Ich schaue also zur Tafel, blinzele, drei Bahnen sind angeschlagen. Die ersten beiden, am Ende eine Sieben oder eine Eins?
Die oberste Zeile, doch eine vier? Ich komm näher, Nein sechs Minuten bis die Bahn kommt.
Kurz vorm Runtergang bleibe ich stehen und bewundere drei, an einer Straßenlaterne befestigte Wahlplakate. Ganz oben die Linke, darunter die FDP. Unten die MLPD.
„Zeig Stärken, für bezahlten Wohnraum, nicht nur am Arsch der Welt“. Sagt die Link.
"Freiheit wagen, Chancen er öffnen. Es geht um unser Land". Blühmt Martin Weber Für die FDP.
Jeder weiß, dass es um niedrigere Löhne und Lockerung des Kündigungsschutzes geht.
Die MLPD klagt, ganz leise vom Rande der Gesellschaft: "Mach mit! Damit sich wirklich etwas ändert".
Ich gehe nach unten zum Gleis. Die U-11 ist groß Angeschlagen, Und kommt sofort, so zeigt die Tafel.
Nicht sechs, nicht 5 Minuten, wie am Ende der Zeile, der überirdischen Anzeige, zu lesen war.
Die U-Bahn kommt und ich steige ein. Nur eine Haltestelle.
Ich schaue mich kurz um und blicke in die etwas verschlafenen, gelangweilten sonntags morgens Gesichter meiner Mitfahrer.
Schon da. Ich gehe zum Fahrstuhl, der auf mich wartet. Ich fahre gerne mit dem Fahrstuhl, weil es schneller geht, weil man nicht auf der Rolltreppe zwischen den ganzen Leuten warten muss, Gesicht in Arschhöhe, Gesicht in Arschhöhe… und weil ich mir gerne beim Fahren verschiedene Erdschichten vorstellen.
Unten Lava, Gesteinsschichten, Dinosaurierknochen, Faustkeile und ein menschliches Skelett. Natürlich auch ein Skelett von einem Mamut.
Etwas Müll. Und schon erfährt man aus der Erde hinaus.
Ich betrete den Fahrstuhl, Drücke die null Und werfe einen Blick in Richtung Bahnsteig. Manchmal kommt da noch jemand und will mitfahren, manchmal hoffe ich darauf, dass der Fahrstuhl losfährt bevor die andere Person ihn erreicht. Nur ganz, ganz selten, bei ganz schlechter Laune, gebe ich dieser seltenen Versuchung nach und halte ihn nicht auf.
Eine Frau eilt zum Fahrstuhl also mache ich einen kleinen Hüpfer zur Tür und schiebe mein Fuß gerade noch rechtzeitig dazwischen. Die Frau freut und bedankt sich. Sie ist klein, dicklich und etwa Mitte Fünfzig. Sie macht einen netten Eindruck. Die Tür geht zu, die Frau bewegt sich, die Tür geht wieder auf.
"Sie dürfen sich nicht bewegen" flüstere ich der Frau zu.
Die Dame schaut mich an und wir beide halten für einen kurzen Moment still. Die Tür schließt sich diesmal ganz und der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Ich atme auf und setze nach: "Die Tür ist sehr sensibel eingestellt, bei der kleinsten Bewegung geht sie wieder auf". Die Frau lächelt mich an und antwortet: "Wenigstens ist die Tür sensibel“.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.05.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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