Annelie Kelch

Im Buddenbrookhaus, zweiter und letzter Teil

Ich habe endlich die „Buddenbrooks“ gefunden, nachdem ich lange nach dem Buch gesucht habe; aber ich wusste ganz genau, dass ich es bei meinem letzten Umzug eingepackt und in der 'neuen' Wohnung wieder ausgepackt hatte. Mich dürstet förmlich danach, es zu lesen (zum dritten Mal), nachdem ich Ostermontag im Buddenbrookhaus war, wie ihr längst wisst.

Ja, ich m u s s dieses Buch demnächst unbedingt ein drittes Mal lesen, nämlich unter dem neuen Aspekt, dass Thomas Mann bei dessen Niederschrift erst Anfang zwanzig war, woran ich beim ersten und zweiten Mal nicht gedacht habe.

Und nun geht' s weiter mit der Führung, ihr Lieben:
Einige ältere Damen haben sich bereits in die Lederstühle fallen lassen, weil sie nicht mehr stehen können; aber ich halte tapfer durch, obwohl noch ohne Frühstück und Mittag, weil auf Frühlingsdiät. - Mir entgeht kein Wort, das unser Museumsführer zitiert. Ich speichere alles in meinem Köpfchen – insbesondere für euch. - Also, der Thomas braucht sich nicht allzu lang beim Bayrischen Infanterieregiment zu schinden; er wird wegen Dienstuntauglichkeit entlassen. Dazu schreibt er im 'Lebensabriss': „Geschrei, Zeitvergeudung und eiserne Schmuckheit quälten mich über die Maßen …!“ - Darüber hinaus litt er an einer Sehnenscheidenentzündung im Fußgelenk. Das Marschieren lag ihm ganz und gar nicht.

Thomas Mann, innerlich zerissen, wird nach den Buddenbrooks – rein äußerlich – zum „feinen, überaus korrekten Herrn“, stets untadelig gekleidet, meist mit Krawatte und Hut, anders wird man ihn nicht mehr antreffen - außer vielleicht im Urlaub in Travemünde, im Strandkorb ruhend; dort trägt er mit Vorliebe „Bademantel“. Thomas begründet seine strenge 'Kleiderordnung' damit, dass ein Künstler, in dessen Seele zwangsläufig das Chaos vorherrscht, weil diverse Gefühlsstürme darin toben (müssen), wenigstens äußerlich manierlich und sauber gekleidet sein sollte. - Daran wird er sich bis an sein Lebensende halten.

Anno 1904 verlobt sich Thomas mit Katja Pringsheim, die eigentlich Mathematik und Physik studieren soll, was damals für junge Frauen noch recht unüblich ist. Die Großmutter will es so. Katja hingegen möchte viel lieber reisen und Party machen. Thomas macht beiden einen Strich durch die Rechnung. Er heiratet Katja 1905 in München. Dazu schreibt er an Heinrich: „Das ganze war ein sonderbarer und sinnverwirrender Vorgang, und ich wunderte mich den ganzen Tag, was ich da im wirklichen Leben angerichtet hatte, ordentlich wie ein Mann.“ - Nun ja, der Ärmste hat sich, wie wir aus seinen Tagebüchern wissen, später nur noch in Männer verliebt und allerhand an Seelenpein erleiden müssen. - Indes werden 1905 die Kinder Erika und 1906 der Sohn Klaus geboren; 1909 kommen Golo und 1910 Monika zur Welt, während Vater Thomas „Königliche Hoheit“ und „Tod in Venedig“ beendet und mit den Vorbereitungen zu „Felix Krull“ beschäftigt ist.

Unser Museumsführer erzählt uns, dass Heinrich 1914 die Prager Schauspielerin Maria Kanová heiratet. Zwei Jahre später wird sein einziges Kind, die Tochter Leonie, geboren. Anno 1930 lässt sich Heinrich von Maria scheiden, die, jüdischer Herkunft, 1947 an den Folgen der Folterungen im KZ Theresienstadt sterben wird; aber Thomas, wann immer er sich in Prag aufhält, wird seiner ehemaligen Schwägerin bis zu deren Internierung jedes Mal einen Besuch abstatten. - Lieb, nicht wahr?

Nach dem Erscheinen „Gedanken im Kriege“ (1915) bricht Heinrich den Kontakt zu seinem Bruder ab. Thomas' Gedanken sind ihm entschieden zu deutschnational; Heinrich steht den Sozialdemokraten nahe. Gleichwohl zählte Thomas Mann später zu den wichtigsten prominenten Gegnern des Nationalsozialismus!

An dieser Stelle muss ich euch leider noch mitteilen, dass die Schwestern von Heinrich und Thomas, Carla und Julia, Selbstmord begangen haben, Carla anno 1910 und Julia im Jahre 1927. Auch Heinrichs zweite Frau, Nelly Kröger (Heirat 1939), wählt 1944 den Freitod. Sie litt unter schweren Alkoholproblemen.

Die Brüder Thomas und Heinrich verstehen sich längst nicht mehr, sind sich nahezu spinnefeind. Katja, Thomas' Frau, versucht, die beiden zu versöhnen. Unser Museumsführer beruft sich auf ein Foto, darauf beide nach einem „Scheinfrieden“ nebeneinander stehen wie zwei sich im Grunde fremd gebliebene Außenminister, die sich privat nicht das Geringste zu sagen haben.

Heinrich Mann verfasst von 1935 bis 1938 den zweibändigen historischen Roman „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“. Thomas schreibt das Buch „Der Zauberberg“ und erhält 1929 den Nobelpreis für Literatur (für „Buddenbrooks“).

Thomas Manns Werke bleiben am 10. Mai 1933, dem Tag der Bücherverbrennung, verschont, obwohl er aus dem Münchener Literaturbeirat ausgeschlossen wurde. Bruder Heinrichs Bücher hingegen und die seines Sohnes Klaus (Sohn von Thomas) werden vernichtet.

Am 23. August 1933 wird Heinrich die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.
Er flieht mit Nelly nach Frankreich, in das Land, das er liebt wie kein zweites; (darüber hinaus spricht er hervorragend Französisch), während Thomas mit seiner Familie in die Schweiz emigriert. Dorthin wird er nach Beendigung des II. Weltkrieges auch wieder zurückkehren und bis zu seinem Tod am 12. August 1955 bleiben. Als Todesursache wird eine schwere Verkalkung der großen Beinarterie und deren Folgen (Arteriosklerose) bekanntgegeben. Thomas Mann wurde 80 Jahre alt. Er wird in Kilchberg, seinem letzten Wohnort, nahe bei Zürich, beigesetzt.

Vorerst jedoch beendet Thomas seinen Joseph-Roman und emigriert 1939 mit seiner Familie in die USA, deren Staatsbürgerschaft er 1944 annimmt. Heinrich und Nelly folgen ihm; aber während Thomas Mann, der rechtzeitig Geld in die Schweiz transferieren konnte, dort zumindest nicht darben muss, sieht sich Heinrich bald am Existenzminimum angelangt. Thomas unterstützt seinen Bruder durch regelmäßige Geldüberweisungen. - Noble Geste, nicht wahr?

Thomas vollendet nach dem Krieg „Dr. Faustus“ und schreibt den Roman „Der Erwählte“, während Heinrich, der 1949 zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin gewählt wird, noch in Santa Monica, Kalifornien, weilt. Er stirbt 1950 vor seiner geplanten Rückkehr nach Deutschland und wird in Kalifornien begraben. Erst 1961 wird seine Urne in die BRD überführt und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt.

Nach den Brüdern Thomas und Heinrich werden die Literaturpreise „Thomas-Mann-Preis“ und „Heinrich-Mann-Preis“ vergeben.
Die zwischenzeitlich leider verstorbene Schriftstellerin Christa Wolf zum Beispiel erhielt für ihr Werk anno 2010 den Thomas-Mann-Preis.

Die Führung im Erdgeschoss ist nun beendet, und ich bin froh, dass ich mich wieder bewegen und ein paar Treppen steigen darf – ins obere Stockwerk nämlich, darin sich u.a. ganz wunderschön das sogenannte „Gesellschaftszimmer“ und das „Landschaftszimmer“ befinden. Landschaftszimmer deshalb, weil die Wände mit riesigen Gemälden geschmückt sind, darauf Landschaften zu beschauen sind. Ich habe dieses hübsche Landschaftszimmer für euch fotografiert (seht bitte unten); ihr könnt' an der rechten Wand beim Fenster eines dieser Gemälde erspähen. Was mich besonders gefreut hat, sind die Gardinen, die so schön auf dem Boden umherwallen. Ich habe mich gefragt, weshalb ich mir früher immer die Mühe gemacht habe, Gardinen zu kürzen – so sieht es doch viel hübscher aus. - Oder? - Auf diesem Foto könnt ihr auch den pinkfarbenen Thomas entdecken, der ja sonst unten im Flur herumstehen muss und nicht ins Landschaftszimmer darf. Ich habe ihn nur für euch dort eingefügt.
Das Gesellschaftzimmer ist auch nett eingerichtet, mit einem sehr großen Tisch, vielen Stühlen, einem Piano, und einem ganz wunderschönen, gediegenen Buffett. Das waren u.a. also zwei Zimmer, in denen die Buddenbrooks gewaltet und geschaltet haben könnten – ähnlich jenen Zimmern im Hause der Familie Mann damals - zu Lebzeiten des Senators Thomas Johann Heinrich Mann in Lübeck.
Die Führung ist jetzt beendet, ihr Lieben; ich schaue mir oben noch die schönen alten Bücher in den Vitrinen an, kaufe im Shop eine herrliche Riesenpostkarte vom Buddenbrookhaus mit Thomas im Vordergrund - als er noch sehr jung und sehr gutaussehend war, die im übrigen überaus preiswert ist, nicht mal zwei Euro kostet, und begebe mich schleunigst auf den Heimweg.

Ich habe ziemlichen Hunger und – es ist wahnsinnig kalt draußen.

Übrigens, im Shop von Literatpro habe ich vor einigen Tagen das Buch „Der Zauberberg“ u.a. Werke von Thomas Mann gesehen. Ich glaube, ich bestelle mir demnächst zumindest den „Zauberberg“, den ich irgendwann an irgendwen verschenkt und leider nicht mehr in meinem Besitz habe.

Danke, dass ihr mir gedanklich gefolgt seid. Mir hat das Schreiben jedenfalls Spaß gebracht. - Bis zum nächsten Museumsbesuch; ich habe nämlich überdies zwei ganz besondere Eintrittskarten erhalten, wie ich gestern feststellen konnte, für die es insgesamt 40 % Ermäßigung auf die Eintrittspreise für andere Museen hier in Lübeck gibt – und das Günter-Grass-Haus habe ich mir bislang für einen anderen Schlecht-Wetter-Tag „aufgespart“.

Liebe Grüße an euch,
Annelie

 

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