Hartmut Wagner

Macho, Jogging and Loving

Die Strecke schlängelt sich auf und ab durch die Bürenbrucher Berge, über
riesenbusige, sanftbehügelte Hänge, dunkelbemooste, sumpfige Talsenken,
in denen die Landschaft versackt.
Auf moosweichen Joggingschuhen, die seine achtzig Kilo abfedern wie der
Ölfilm die Kraftkolben eines hochgezüchteten Roadsters, stampft er über
einen holprigen Wirtschaftsweg bergab zum Elsebach. Die Haut auf seinen
hageren, schmalen Läuferknien verrunzelt bei jedem Schritt zu einer
Gummigelenkwand, durch rohe Kraft zusammen gepresst.
Schweiß rinnt überall: In den Bart, den Nacken und die Halsgrube, stinkt
sauer. Deos und Duftwässer, nichts für ihn! Weicheier gibt es genug. Die
Schuhe qualmen. Der Pullover saugt salzige Flüssigkeit auf, riecht, ätzt nach
Mann, Energie, Quälerei, Bestie, Natur.
Die Strecke ist eine Frau. Sie foltert ihn, verlangt alles, gibt alles. Drückt seine
Lunge zusammen, gönnt ihm keine Pause, treibt ihn an den Rand des
Zusammenbruchs, lässt ihn nicht mehr los, lockt ihn in die käsemiefigen
Schuhe.
Er beweist der Körpermaschine: "lch habe Dich voll im Griff!" Dies herrliche
Instrument, das sich im Wald auflöst, mit dem Matschboden eine Einheit
bildet, sich an Dornen reißt, an Steigungen in Wassermassen und Keuchen
zerfließt. Das lebt, schwitzt, stinkt, rülpst und furzt.
Überlebensgroßer Stift bohrt sich in empfangsfreudige, breithüftige
Landschaft. Am Elsebach wabert Nebel. Milchige Wolke schwemmt über das
Tal. Schlierige Fäden regnen herunter.
Hände wühlen in glitschigen, heißen Achselhöhlen, tierische Düfte. Blaufrucht
qualmt heiß. Fleischiger Hut, lockerer Hautring, unbeschnitten und wild,
reiben am glutheißen Höllenloch, überflutet. Dickflüssiger Saft schmatzt
wohlig. Hysterische Kontraktionen, lustvoll, geschwollene Rundmuskeln
klemmen, massieren den fleischigen Hirtenstab, sanfte Schwellwellen.
Daumen und Zeigefinger glitschen auf schleimigem Fleischfetzen, langsam,
ganz langsam, aaah, sooo langsam, glibbern auf und ab. Keuchen, Pressen!
Die letzten hundert Meter Steigung hinauf!
Augenlider, langschwarz geschlossen, selbstvergessene knallrote Hitze.
Fleisch zerfällt, nachgiebige Knete, gierige Masse.
Kurven so sanft! Hände auf warmem, seidigem Samt. Glieder krampfen,
zucken, umschlingen. Weiche, üppig geschwungene Fleischkissen! Kraftrohr
schießt Salven, Glut, rohe Gewalt, knallige Eruption! Unschuld, schamlos,
tierisch, bewusstlos. Zunge auf klebrigen Zwischenreisen. Fleischberge
beben, heben und senken sich, zittern. Schweißzangen beißen und reißen,
weit auseinander, klappen zusammen, zerschmelzen.
Wahnsinn reitet auf Dämon in anderes Land, überspringt hoch
Jauchegruben des Alltags. Vitalität stößt Verklemmtheit vom Sockel.
Verknotetes Menschenbündel, untrennbare Einheit, verschweißt.
Ein Stück blauer Himmel, große, graue, vom Sturm gejagte Riesenwolken,
ein Klumpen schwarzer Schlamm, Waldboden, glitzernde Pfütze, dunkelweiß
glucksender Bach.
Leben im Rohzustand, glühende Hochofenhitze, rasende, hochtourige
Rennmaschine! Chefs schrumpfen zu nichts. Aktenkoffer verschwinden.
Bürokratie explodiert. Er, sein Körper, die Strecke! Nichts anderes existiert. Er
ist ganz bei sich und fast angekommen. Sein Schritt schwingt lang. Er umläuft
die gelbblau gestrichene Eisenschranke. Dann pisst er erstmal. Vor der
Schranke gebrauchte Papiertaschentücher, Präser. Der Platz erlebt im
Sommer und Winter manch heißes Gefecht.
Ficken im Wald, geschlossenes Auto. Der Bach rauscht. Das Mädchen stöhnt
brünstig. Scharfer Geruch steigt auf, Urwaldatem, Raubtierparfüm.
Auf seinem Weg dämpft jetzt feuchter Waldboden das Abrollgeräusch. Sein
Fuß fühlt sich wohl. Die Lunge arbeitet leicht, organisches Uhrwerk. Die
Strecke ist eben. Noch fehlt der Spurt. Regelmäßig berührt die Hacke zuerst
den Boden. Dann folgt der Mittelfuß. Zum Schluss federt die Fußspitze ab.
Er beschleunigt die Körpermasse. Kraftvoll gestrecktes Bein wächst aus
weißen Wollsocken sehnig empor. Hagerer, länglich bemuskelter
Oberschenkel verschwindet in sportlicher Kurzhose. Seine rechte Hand
schlägt mit offener Handfläche leicht auf die linke Brust. Das Bein greift
nach vorn aus. Er sieht und hört beim Laufen sich selbst. Die Schultern
nimmt er zurück. Der Kopf ruckt nach vorn. Er fühlt: Hier geht noch was.
Kraftströme fließen. Kühle Luft schmeckt nach Laub, Erde, Wasser, Regen,
Wind, Sonne und Beutetieren.
Er läuft, eine Maschine, ein Stück Wald. Ein wenig fliegt er schon. Rote
Fingerhüte am Waldrand nicken ihm freundlich entgegen. Langes Gras
umfächelt zart seine Schritte. Eine Distel sticht ihn, weckt seinen Kampfgeist.
Er spurtet bis zum braunen Telegrafenmasten. Atem faucht, zischt. Seine
Waden versteinern. Aber bis zum Mast muss er kommen. Wasser rollt den
Rücken hinunter. Er hat es geschafft.
Rehe jagen in weiten Sätzen in die Schonung. Er trifft sie immer hier. Hasen
hoppeln unschlüssig auf dem Weg vor ihm, schlagen urplötzlich Haken,
rasen, verschwinden im Unterholz.
Ein Habicht streicht über ihn hinweg, schreit Sehnsucht, Gier, Liebe.





 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.05.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Jahre wie Nebel: Ein grünes Jahrzehnt in dunkler Zeit von Horst Lux



Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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