Cristine Keidel

Allein unter Nichtreiterinnen

Jeder Mensch hat verschiedene soziale Gruppen, denen er sich zugehörig fühlt, sei es die Familie, am Arbeitsplatz oder der Freundeskreis. Die wichtigste Gruppe für eine Reiterin ist natürlich die Stallgemeinschaft. Hier hat sich jedes Mitglied durch Abzeichen, Lehrgänge, soziales Engagement oder Turniererfolge seinen Status erkämpft und einen festen Platz in der Gruppe. Alle haben einen ähnlichen Erfahrungshintergrund und gleiche Interessen, die Gemeinschaft ist relativ homogen. Man fühlt sich wohl unter Seinesgleichen und verbringt möglichst viel Freizeit mit diesen Menschen. Nun ist es aber so, dass es außerhalb der Reiterwelt noch eine Gruppe gibt, die sich „nichtreitender Freundeskreis“ nennt, in der man sich auch ab und zu mal Blicken lassen muss. Und so war ich kürzlich zu einem Mädelsabend eingeladen.

 

Ich kam natürlich als letzte, weil ich vorher noch schnell im Stall das Pferd habe laufen lassen, damit der Dicke wenigstens etwas Bewegung heute bekommt. Verzweifelt suche ich zwischen den handlichen Kleinwagen und schicken Limousinen einen Parkplatz für meinen PS-starken überdimensionalen SUV. Keine Chance, erst drei Straßen weiter finde ich etwas Passendes und muss den ganzen Weg auf den ungewohnten High Heels zurücklegen. Als ich endlich bei meiner nichtreitenden Freundin ankomme, sitzen alle anderen schon um den Tisch herum und schauen missbilligend auf meine weißen Beine. Es ist Ende August, ich habe zur Feier des Tages ein Kleid angezogen und meine Beine sehen zum ersten Mal in diesem Jahr Tageslicht. Spätestens ab Ende März werde ich zwar aufgrund meiner Reitplatzbräune regelmäßig gefragt, ob ich im Urlaub gewesen sei, aber diese Farbe beschränkt sich nur auf Gesicht und Arme, der Rest des Körpers bleibt weiß. Zum Glück hat ein führender Hersteller UV-durchlässige Reithandschuhe auf den Markt gebracht, somit sind weiße Hände kein Thema mehr. Aber Reithosen und -Stiefel, in denen man braun wird, gibt es meines Erachtens noch nicht.

 

Die anderen Frauen am Tisch sind bis ins letzte Detail perfekt durchgestylt: angefangen von der aufwändig gesträhnten Föhnfrisur über topmodische Kleidung bis hin zu farblich darauf abgestimmten Gelnägeln ist alles optimiert. Heidi Klum hätte bestimmt für jede der anwesenden ein Foto, nur für mich nicht: Das Kleid ist schick, aber vom letzten Jahr, die Haare – selbstgefärbt – im praktischen Dutt zusammengezwirbelt und die Fingernägel… naja.

 

Nach der Begrüßung setze ich mich und versuche, den Gesprächen zu folgen. Als ich „Manolo Blahnik“ aufschnappe sage ich erfreut: “Ist das nicht der sympathische junge Mann aus Ungarn mit der gefühlvollen Freiheitsdressur?“ Irritiert werde ich angestarrt bis mich meine Freundin aufklärt: „Es geht um Schuhe.“ Aha. Erstaunt erfahre ich, dass man für zierliche Sandalen, die aus einer Ledersohle und zwei Riemchen bestehen genauso viel bezahlen kann wie für ein paar qualitativ hochwertige Reitstiefel mit Reißverschluß.

 

„Interessierst Du Dich denn gar nicht für Mode?“ werde ich von meiner Sitznachbarin gefragt. „Doch“ antworte ich und denke an die nächste Herbst/Winter Kollektion von Eskadron, der ich bereits jetzt entgegenfiebere. Ich gebe jedes Jahr ein Heidengeld aus für schicke Reithosen im Five-Pocket-Style, atmungsaktive Reitshirts, Handschuhe und Reitjacken. Dazu passend und farblich aufeinander abgestimmt Schabracken, Bandagen und Fliegenmasken. Ich käme nie auf die Idee, von der Autobahn einen Abstecher zum nächsten Modeoutlet zu machen, kann aber an keinem Krämer Mega Store vorbeifahren. Zu Weihnachten wünsche ich mir statt Brillanten lieber einen neuen Sattel. Überhaupt interessiert mich bling-bling nur an Stirnriemen, Hufglocken und Abschwitzdecken, nicht an mir selbst. Ich gehe nicht zur Modemesse, sondern auf die Equitana, habe keine Karten für Konzerte, sondern fürs CHIO in Aachen. Meinen Urlaub verbringe ich nicht im 5-Sterne-all-inclusive-Hotel in Dubai, sondern auf einem Trail hoch zu Ross quer durch Island oder in einem Dressur- und Ausbildungsstall in Portugal. Wo andere kistenweise Vino Tinto aus dem Urlaub mitbringen, habe ich einen Andalusierhengst im Gepäck.

 

An diesem Abend stoßen nicht nur Welten, sondern ganze Paralleluniversen zusammen. Man ist höflich miteinander, aber hat sich nicht wirklich etwas zu sagen. Naja, denke ich auf dem Heimweg, wenigstens war das Essen gut.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.05.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

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