Karl-Heinz Fricke

Das alte Goslarer Freibad



In den dreißiger Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg strebten wir Kinder an den heißen Sommertagen dem Freibad des Sportvereins Goslar 08 zu, um uns abzukühlen und das Schwimmen zu erlernen. Das große viereckige Betonbecken war abgeteilt für flaches und tiefes Wasser. Ein älterer Mann, uns nur als Moses bekannt, nahm uns das Eintrittsgeld in seiner Bude am Eingang ab. Arm wie wir waren, hatten wir oftmals nicht die erforderlichen 10 Pfennige und somit warteten wir auf einen günstigen Moment, um an ihm vorbeizuschlüpfen, wenn er gerade eine Brause oder ein Nappo verkaufte. Wenn seine Aufmerksamkeit voll auf den Eingang gerichtet war, dann mussten wir über den hohen Drahtzaun beim Fußballfeld steigen, um an das Schwimmbecken zu kommen. Neben seinen Pflichten in der Bude ging Moses oft zum 50 Meter entfernten Schwimmbad um dort nach dem Rechten zu sehen. Wir Kinder bildeten die absolute Mehrheit der Badegäste und waren voll von verspieltem Unsinn, was Moses ständig kritisierte. Seine dauernden Ermahnungen hatten mit seinen Molchen zu tun, die wir gern eingefangen haben. Diese Tiere reinigten, laut Moses, die Betonwände des Beckens unter Wasser, da das Wasser während der Badesaison nicht ausgewechselt wurde und deshalt nicht gerade als sauber zu bezeichnen war und von drückenden Blasen oftmals gewürzt wurde. Die “Moliche”, wie Moses seine Schützlinge nannte, waren zahlreich und sie nahmen viel von dem anfallenden Unrat auf. Ich war gerade acht Jahre alt und entschlossen in dem Sommer das Schwimmen zu erlernen. Der Rest der Familie war wasserscheu und nicht willens in nasse Tiefen zu gehen. Ich wollte die Ausnahme sein, als Wassermann geboren eine ganz natürliche Sache. Zum Schulprogramm gehörte der Schwimmunterricht, der in der städtischen Badehalle abgehalten wurde. Todesmutig mussten wir in das tiefe Wasser springen , um mit dem nassen Element familiär zu werden. Nach dem Auftauchen hielt man uns eine lange Stange hin, um wieder aus dem Wasser zu kommen. Das gelang in den meisten Fällen. Es kam aber auch vor , dass der Schwimmlehrer als Retter fungieren musste. Im flachen Wasser des Freibades wählte ich einen aufgepumpten Fahradschlauch, den ich mir um die Brust schlang. Leicht wie eine Gänsefeder schwamm ich dahin. Dummerweise sagte ich mir, das  müsste auch gehen, wenn ich den Schlauch um die Beine legte. Versuch macht klug aber in diesem Falle hätte es mir fast das Leben gekostet, denn mein Kopf ging blitzschnell, trotz aller Anstrengungen es zu verhindern, unter Wasser. Im letzten Augenblick gelang es mir den Schlauch abzustreifen und halb betäubt tauchte mein Kopf wieder auf.Als das wöchentliche Schützenfest in der ersten Juliwoche in jenem Jahre vorbei war und die Schausteller ihre Buden abbauten und die unverkauften Waren einpackten, entstanden auch Müllhaufen, die hinterher von der Stadtverwaltung entsorgt wurden. An einem solchem Haufen entdeckte ich einige runde Blechbüchsen von etwa 40 cm Länge.  Ich nahm mir zwei davon und anfangs fiel es mir nicht auf, dass eine schwerer als die andere war. Die Büchsen hatten einen soliden Deckelverschluß und ich beschloss eine davon als Schwimmhilfe zu benutzen. Von dem Fahrradschlauch hatte ich die Nase voll. Zu Hause angekommen stellte ich beglückt fest, dass die schwerere Büchse noch halb mit Bonbons gefüllt war Das war eine unerwartete Kostbarkeit für uns arme Kinder, da für Süßigkeiten kein Geld übrig war. Die leere Büchse nahm ich zum Klempner, der mir freundlicherweise den Deckel an der Büchse kostenlos verlötete, so dass kein Wasser ins Innere dringen konnte. Danach ging es zum Freibad. Nachdem der Eintritt, wie gewohnt, gelungen war ohne über den Zaun steigen zu müssen. Ich schnallte mir die Büchse mit Hilfe eines alten Lederriemens waagerecht auf den Rücken und stieg dann auf der Eisenleiter ohne zu zögern ins tiefe Wasser, schwamm einige Runden ohne jegliche Furcht, atmete normal und auch die Schwimmbewegungen entsprachen der Richtigkeit. Am folgenden Tage ging ich erneut  mit der Büchse auf dem Rücken in das tiefe Wasser und wurde immer sicherer und vertrauter  mit dem Element. Plötzlich deutete ein Schwimmer nach hinten und sagte, ich hätte wohl meine Büchse verloren. Ohne mich umzudrehen, schwamm ich zum Ende und sah dann meine Büchse auf dem Wasser dümpeln. So erlernte ich das Schwimmen. Die Büchse schenkte ich einem Freund, der mich darum beneidet hatte. Als wir in der Schule wieder Schwimmunterricht hatten, markierte ich den Ängstlichen und nachdem man mich einfach ins Wasser geschubst hatte, schwamm ich zum Erstaunen des Schwimmlehrers  durch das Becken.

Karl-Heinz Fricke   27.5.2017

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