Gertraud Widmann

Unser Gickerl Hansl

                          
Die „schlechte“ Zeit war noch lang nicht vorbei ...

Deshalb freuten wir uns ganz besonders, als wir erfuhren, dass uns ein Kollege meines Vaters ein Hendl (Huhn) bringen wollte. Das erste Mal in unserem jungen Leben (mein
Bruder Hubert war damals vielleicht fünf und ich sieben Jahre alt) würden wir ein Brathendl essen dürfen. Uns lief jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.

Als der Kollege eines Tages tatsächlich das versprochene Huhn vorbei brachte, da sahen wir es: Erstens, das Huhn war in Wirklichkeit ein Gickerl (Gockel), zweitens war der klein und mickrig und drittens, er lebte noch!
Die Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen:
   »Ja du lieber Himmel, dieses Tier ist ja nur Haut und Knochen! Das müssen wir erst einmal zwei, drei Monate `rausfüttern! So können wir diesen Gockel doch nicht braten!«.
Und so durfte dieser schwächliche weiße Gickerl vorerst zumindest, sein Leben behalten. Allerdings unter einer Bedingung: Auch wenn wir immer noch in dieser äußerst baufälligen Ruine wohnten, Sauberkeit war hier oberstes Gebot. Deshalb mussten wir das Gebiet, in dem sich der Gickerl bewegte, täglich mit frischem Zeitungspapier auslegen. Ja und nachdem mein Bruder diesen kleinen Kerl sofort in`s Herz geschlossen hatte, ihn als sein Haustier betrachtete und ihm den Namen „Hansl“ gegeben hatte, sollte das kein Hindernis darstellen.

Man möcht`s nicht glauben, nach gut ein, zwei Wochen „Training“, hörte der kleine Gickerl doch tatsächlich auf seinen Namen und kam angetrippelt wenn man ihn rief. Als er dann zum ersten Mal krähte (eigentlich war`s eher ein krächzen), waren wir Kinder ganz aus dem Häuschen.
   Noch heute sehe ich meinen Bruder vor mir, wie er auf der Ottomane in der Küche sitzt. Über seine Knie hatte er sicherheitshalber, weil er im Sommer immer  kurze Lederhosen
trug, ein Handtuch gelegt, und darauf hockte sein „Hansl“. Dieser hatte seine Augen ge-schlossen und döste vor sich hin, während ihn Hubert ganz liebevoll streichelte. Ein herrliches Bild gaben sie ab - die zwei.

Alles lief bestens, bis die Ferien kamen. Wir wollten heuer nämlich zwei Wochen bei unserer Oma im Bayerischen Wald verbringen. Aber wer würde sich in der Zwischenzeit um unseren Gickerl kümmern?  Da traf es sich gut, dass Vater eh nicht mitfahren wollte. Erstens weil`s ihm in diesem „Bauernkaff“ sowieso immer zu langweilig gewesen war und zweitens, weil er arbeiten musste. Also würde er in dieser Zeit unseren „Hansl“ versorgen können. Wir waren beruhigt.

Die Zeit bei unserer Großmutter und den vielen Tieren, von denen man einige sogar streicheln durfte, sofern sie es sich gefallen ließen, hätte so schön sein können. Wie gesagt, hätte! Aber mein Bruder hatte bereits nach einer Woche so Zeitlang nach seinem „Hansl“. Himmel nochmal, wie das nervte. Die Mutter und ich ließen uns aber nicht drausbringen. Wir genossen einfach die Zeit, auch wenn wir zwei (na klar, auch meine „Arbeitskraft“ war gefragt!) auf den Feldern, im Haus und im Stall kräftig mitarbeiten mussten.
   Als schließlich unsere Ferien zu Ende gingen, war ich die Einzige die darüber traurig war. Mutter hatte die Arbeit auf dem Bauernhof doch ein wenig zu schaffen gemacht und mein Bruder hatte sowieso nur noch seinen „Hansl“ im Kopf gehabt.

Nach einigen (!) Stunden Zugfahrt waren wir endlich wieder in München angekommen. Ja und unser Haus stand - trotz Baufälligkeit, - noch immer. .Mein Bruder rannte wie der Blitz in den ersten Stock und klingelte wie verrückt. Vater öffnete die Tür.
   »Griaß di, Papa!«, rief Hubert noch schnell, warf seinen Rucksack ins Eck und rief nach seinem „Hansl“
Jetzt rissen wir aber die Augen auf, denn es kam kein mickriger Gickerl daher. Nein, es kam ein wunderschöner weißer Hahn, mit langen weißen Schwanzfedern und einem mächtigen roten Kamm auf uns zu stolziert - dabei  krähte er laut und kräftig.
Mein Bruder war ganz gerührt, als er seinen „Liebling“ wieder auf den Arm nehmen konnte. Und der ließ es sich doch glatt immer noch gefallen. Die beiden setzten sich aufs Sofa und es sah ganz so aus, als wären sie nicht einen Tag getrennt gewesen.

Alle hätten glücklich und zufrieden sein können ...
Doch dann kam`s wie`s kommen musste: Vater entschied, ohne auf unser tränenreiches bitten und betteln Rücksicht zu nehmen, den Gockel endlich zu schlachten! Der Mutter tat es in der Seele weh, als sie unseren Kummer sah und versuchte uns zu beruhigen:
   »Nein, das glaube ich jetzt nicht, dass Papa den Gickerl schlachtet, nein bestimmt nicht, ihr werdet schon seh`n!«.
Aber am nächsten Morgen hing unser „Hansl“ schließlich DOCH geschlachtet und gerupft in der Speisekammer! Alles war Lüge gewesen! Wie konnten uns das die Eltern nur antun?

Mein Bruder und ich flüchteten uns an diesem - für uns so grauenvollen Sonntagmorgen - in den hintersten Teil unserer zerbombten Wohnung. Wegen Baufälligkeit war uns Kindern zwar das Betreten dieses Teils verboten worden, doch das war uns jetzt sch…egal. Wir rannten über einen wackligen Steg, den Vater nach dem Krieg über den großen Schutt-haufen (der einst die Rückseite des vierstöckigen Hauses war) gebaut hatte, zu unseren Hasenställen. Dort holte sich jeder einen Hasen heraus und setzte sich damit auf den Boden. Wir begannen sie zu streicheln, immer und immer wieder, während unsere Tränen unaufhörlich in ihr Fell tropften.
   Plötzlich stieß mein Bruder einen markerschütternden Schrei aus. Mit weit aufgerissenen Augen schubste er mir seinen Hasen in den Schoß und kletterte waghalsig den Schuttberg hinunter. Kurz darauf tauchte er wieder auf, in seiner kleinen Hand hielt er den Kopf vom Hansl ... Huberts Gesicht war wie versteinert. Er wickelte den Kopf in sein Taschentuch und verschwand. Als er nach einer Weile wiederkam, hatte er eine kleine Schachtel dabei. Die versteckte er kurz darauf an einem geheimen (?) Ort.

Unseren Eltern konnten wir diese „Tat“ lange Zeit nicht verzeihen und den Sonntagsbraten werden die Eltern alleine gegessen haben!

Hubert und ich aßen jedenfalls NICHTS!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.06.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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