Dimitri Ermolenko

Die Sucht

Am Abgrund deiner leidenden Seele

Hast du überhaupt eine Ahnung, was echtes Begehren ist? Was dieses innere Gift mit meinem Verstand tut? Wie inbrünstig frisst diese tückische Schlange meine Seele und führt mich in Versuchung! Was bloß mit mir passiert… 
Das erzähle ich dir jetzt.
Wieder habe ich sie heute gesehen. Ich ging wieder in diese Bar, und ich bekam den Eindruck, sie hätte mich wieder erwartet. Ich schaute kurz und zaghaft auf sie, aber ich musste meinen Blick schon nach wenigen Sekunden von ihrer prächtigen Ausstrahlung abwenden.
Mein Antlitz wurde langsam rot, ich fing an, lauter und schneller zu atmen. Unbewusst biss ich meine untere Lippe und stellte mir vor, wie ich sie mit meinem Mund zart, aber gleichzeitig unfassbar gierig berühre.
Sie ist jeden Abend in dieser gemütlichen Bar zu sehen. Und jeden Abend gehe ich an diesen sündhaften Ort, um bloß ihre wunderschönen markanten Formen optisch zu genießen. So erhaben, aber auch so dezent erscheint sie mir.
Diesmal habe ich aber meine Ängste bekämpft. Es wurde endlich Zeit zu handeln.
Ich ging auf sie zu, meine Hände zitterten so heftig, meine kalte Stirn hörte plötzlich auf, so intensiv zu schwitzen. Meine Beine wollten nicht mehr laufen, aber ich riss mich zusammen und setzte meine Bewegung ihr gegenüber fort.
Ich stand direkt vor ihr, ich dachte nur daran, wie leidenschaftlich ich sie jetzt genießen werde.
Dennoch geschah das nicht. Ich stand wie angewurzelt. Ich habe sie nicht angerührt, weil ich doch ihre unguten Pläne durchschaut habe. Sie wollte mich doch nicht selig machen, sie wollte bloß mein Blut…
Sie will nur meine Brust aufschneiden und mich ausbluten lassen, und bevor ich meinen letzten befreienden Atemzug mache, wird sie wohl meine tiefen Wunden zunähen und mich lachend weiter mit ihrem so leckeren Inneren beglücken, bis ich meine ganzen Lebenssäfte ihr weggebe. So eine wie sie verschlang mein Blut bereits mehrmals, gierig und boshaft.
Das Amüsanteste daran ist, dass ich mich meinem Schicksal „freiwillig“ ergeben habe. Mir war immer bewusst, womit ich in Wirklichkeit zu tun habe. So ein blinder Idiot bin ich gewesen, aber nun sind meine Augen offen. 
 Das war keine heimtückische Frau, mein neugieriger Freund, das war dennoch etwas genauso Gefährliches und Berauschendes – eine Flasche Scotch.
Es geht also nicht darum, woran du gerade gedacht hast. Aber es ist noch besser. Es geht um Alkohol. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass manche anonyme Alkoholiker meine obere Flaschendarstellung in ihrer traurigen Wirklichkeit ebenso erleben.
Erlaub mir, also, dir meine Geschichte zu erzählen, mein Freund.

Alkohol ist eine der größten Geißeln der modernen Zeit. Es gab schon immer irgendwelche alkoholische Getränke in der ganzen Welt, aber meines Erachtens wurde der Massenkonsum der Spirituosen erst in den letzten Jahrzehnten erfolgreich popularisiert. Heute ist das ein kolossales Geschäft mit einem Umsatz von unzähligen Milliarden.
In unserer Zeit betrifft das Thema Alkoholkonsum in irgendeinem Maße fast jede Person. Auch ich hatte und habe Kontakt mit dem Alkohol. Zum ersten Mal erfuhr ich, was ein Kater ist – und damit meine ich nicht das Tier –, als ich 14 Jahre alt war und glaub mir: die Hölle auf Erden existiert tatsächlich.
Das war der Sommer 2009. Damals war ich in Großbritannien, in London genauer gesagt, und nahm dort mit anderen jungen Leuten an einem 4-wöchigen Sprachkurs teil.
Bevor ich nach London kam, hatte ich eine perfekte Reputation gehabt – ich war immer streng gegen Rauchen, Saufen, Drogen und andere beliebte jugendliche Tendenzen. Ich hatte in diesem Lebensabschnitt ganz andere Interessen.
Aber am letzten Abend meiner Reise in England passierte einfach alles. Alles, was für mich früher tabu oder unbekannt war, trat in mein Leben durch die geöffnete Haustür meiner engelhaften Unschuld. Nein, ich habe nichts Außergewöhnliches gemacht, aber die Eindrücke waren unbeschreiblich.
Selbstverständlich wurde ich von erfahreneren Leuten abgefüllt, dass ich ziemlich bald sehr betrunken wurde. Damals entdeckte ich was ganz Großartiges. Mir ging es so gut wie noch nie zuvor. Ich fühlte mich so glücklich und erleichtert, das war eine tolle Nacht. 
 Am nächsten Tag lernte ich seine Majestät Kater persönlich kennen. Was ich damals empfand, kann man nicht beschreiben. Nach der gestrigen Ekstase kam ganz plötzlich einer der bösesten Körperzustände, die ich jemals hatte. Dieser Schmerz…
Ich war komplett zertrümmert, innerlich und äußerlich. Diesen Zustand hatte ich noch die nächsten drei Tage. Ich war tatsächlich krank. Und der Alkohol war mein persönlicher Virus.
Unser Flug war erst spät am Abend und wir hatten noch einen letzten Ausflug in irgendein altes englisches Schloss außerhalb Londons. Die lange qualvolle Busfahrt überlebte ich gerade so. Nachdem wir an diesem Ort angekommen sind, gingen wir sofort herein, als hätten wir gar kein Interesse an einer Führung gehabt. Das war aber keine Täuschung ─ wir hatten nur ein konkretes Ziel: Schlaf.
Die Müdigkeit der russischen Schüler war sehr verdächtig, denn wir alle legten uns nebeneinander auf das Gras im inneren Hof des Schlosses und schliefen direkt alle zusammen ein. Der Rasen war sehr grün und weich, dass wir dort ungefähr vier Stunden geschlafen haben. Wir alle waren vollkommen verschiedene Persönlichkeiten, aber in diesen vier Stunden waren wir mehr als eine Gruppe verkaterter Touristen. Wir waren an einem gemeinsamen Leiden beteiligt, wir hatten miteinander so ein gutes Verständnis, welches wir früher nicht in jeder Situation aufbauen konnten. Das war einfach so geborgen mit den anderen. Noch ein witziger positiver Punkt des Alkoholkonsums in der Nacht. Diese überraschende Vereinigung.
Dieser Mittag war so idyllisch, so sicher. Ich träumte so ruhig unter dem Himmel. Der Himmel…
Ich schaute diesen perfekten Himmel nach dem Aufwachen an, und es ist komisch zu sagen, aber ich dachte in diesem Augenblick wirklich an nichts. Ich betrachtete das Himmelblau und die weißen schwimmenden Wolken. Mein erschöpfender Schmerz war nicht mehr zu spüren. Mein kurzer Schlaf brachte mich zurück zum angenehmen Atmen. Meine ganzen Sinne konzentrierten sich auf die Natur um mich herum. 
Der lautlose stille Wind war doch plötzlich zu fühlen, aber er wehte nicht böse, sondern mit großer Liebe, dass jeder Lufthauch meine Stirn und meine Haare so kokett kitzelte. Das gewöhnliche Wasser aus der Flasche schmeckte so fantastisch lecker, dass ich jeden einzelnen Schluck wie zum ersten Mal tat.
Meine Nase roch den von der Sonne erwärmten Boden, welcher so gut nach so vielen verschieden Naturaromen duftete. Die fröhlichen Vögel zwitscherten so eine reine Melodie und bezauberten damit meine Ohren. 
Aber das größte Wunder konnte ich mit meinen Augen beobachten – den Himmel. Vielleicht lachst du schon, dass ich so oft diesen riesigen blauen Fleck über unseren Köpfen erwähne, und du fragst mich wahrscheinlich, was man an diesem dämlichen Himmel finden kann, aber glaub mir – was du für gewöhnlich hältst, kann in jedem Augenblick ganz plötzlich eine neue Bedeutung finden.
Im Hauptwerke "Krieg und Frieden" von dem größten russischen Schriftsteller Lew Tolstoi spricht der sterbende Held Fürst Andrei Bolkonski folgende Sätze aus: «… ganz anders ziehen die Wolken über diesen hohen, unendlichen Himmel dahin. Wie kommt es, daß ich früher niemals diesen Himmel gesehen habe? Wie glücklich bin ich, daß ich ihn endlich sehe. Ja! Alles ist eitel, alles ist Lug und Trug, außer diesem unendlichen Himmel. Es gibt nichts, nichts außer ihm … Und auch er ist wohl nicht … nichts ist … außer der Stille … der Ruhe … Gott sei Dank!»
Erst im Todeskampf verstand der ehrgeizige Aristokrat, dass er sein ganzes Leben nur seinen Ambitionen blind gefolgt hat. Er begegnete im Krieg seinem größten Idol – Napoleon Bonaparte. Der französische Kaiser verkörperte in Andreis Augen die Größe eines einzelnen Menschen. Der geniale Stratege, der sich so mutig der ganzen Welt entgegensetzte. Der würdige Franzose demonstrierte allen, wie sein gewaltiger Wille unverbrüchlich und skrupellos durch den ganzen Kontinent strömte. Bolkonski beeindruckte Bonapartes Apotheose, ihm beeindruckte dieser Wille zur Macht von Napoleon hellauf, er wollte bis zu seinem Tod das selbst erleben. Fürst wollte der Herrscher über etwas sein, was er niemals begreifen konnte, über etwas, was der Mensch nicht beherrschen kann, so übermenschlich ist dies.
Aber der im Kampf gefallene Fürst entdeckte doch seine schönste Wahrheit – besser spät als nie. Er brauchte keine Ehren, Reichtümer und unendliche Macht. Er liebte die Frau seines Lebens, er liebte diesen hohen Himmel, er liebte und schätzte sein Leben, er hat endlich seinen Frieden gefunden.
Der junge Adlige stirbt, aber er begegnet dem Tode im Zustand der höchsten Seligkeit – die Kulmination seines einzigartigen Lebens.
Und damals, liegend auf dem frischen Gras, empfand ich dieses Gefühl der Stille, ich begriff diese einfachen, aber so geistesverwandten Worte, die der Fürst spricht, unbewusst, immerhin fühlte ich das trotzdem. Zu meinem Glück brauchte ich keine Agonie, um diesen inneren Zustand zu erreichen. Ich brauchte nur eine Alkoholvergiftung, um das Leben mit anderen Augen anzusehen.
Erst viel später dachte ich wieder darüber nach und kam zum Ergebnis, dass diese erste Erfahrung bezüglich des Alkohols zweifellos meine Lebensphilosophie beeinflusst hat. 
 Das ist so bewundernswert, wie unser Gedächtnis funktioniert. Ich kann mich immer noch an diesen Moment erinnern, obgleich ich die meisten Menschen aus dieser schönen Zeit bereits vergaß. Ich kann nicht nachvollziehen, warum meine psychischen Schutzmechanismen manche Menschen und Ereignisse vertrieben haben, obwohl viel Negatives geblieben ist und viel Gutes vergessen wurde. Aber das bleibt leider unerklärlich...
Das ist also meine kurze Geschichte aus der Vergangenheit, und das Interessanteste ist auch, dass ich nachher nie wieder so einen schlimmen postalkoholischen Zustand hatte. Mein Organismus passte sich der unbekannten Materie an, es gab nie wieder so intensive Schmerzen. 
Das war also mein erster Kontakt mit dem Alkohol und nachfolgend meine erste Erleuchtung. War das ein purer Zufall, dass mein Körper vergiftet wurde und mein Verstand nachher so unerwartet klar wurde? Das weiß ich nicht, mein Freund.

Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Außer dem Wodka Jelzin. Ja. Diese biochemische Waffe reduziert gewaltig alle Lebensfunktionen und lässt dich mehrere Stufen der sozialen Treppe absteigen.
Gut, ich glaube, ich höre jetzt mit dem stumpfen Humor auf; einfach keine Lust mehr darauf.
Warum trinkt man eigentlich Alkohol? Aus welchem Grund raucht man Zigaretten? Welches Ziel verfolgen drogennehmende Menschen?
Warum machst du das?
Alle tun das nur aus einem einzigen Grund: sie hassen die Realität. Der Ausdruck "hassen" ist schon sehr kraftvoll, aber das ist im Prinzip das gleiche Unzufriedenheitsgefühl, das selbstverständlich nach jeder Person variiert. Jeder hasst seine routinevolle Wirklichkeit, und das ist so einfach, eigene Luft mit ein bisschen Nervengift zu verdünnen.
Man entkommt aus der eigenen Realität, voller geistlosen Automatismen, die man meistens gar nicht konstatiert, obwohl dieser innere Reiz deutlich zu spüren ist.
Man nimmt diesen mysteriösen berauschenden Trank und abstrahiert sich von allen „Sorgen“. Das ist eine Art von Meditation, von Versöhnung, von Überleben.
Der Körper absorbiert psychostimulierende Stoffe; das komplexe innere System wird zwangsweise völlig umstrukturiert. 
 Der Verstand ist ein unverlierbarer Teil des Organismus und deshalb auch abhängig von dem Körper.
Ich führe meinem Körper eine Dosis des „wohltuenden Schadstoffes“ zu, und ich bekomme so plötzlich mehr „Freiheit“. Ich verliere immer etwas, wenn ich frei werde, und in diesem Fall mag ich am liebsten die Kontrolle verlieren. Kontrolle über meine Phobien, Einschränkungen, Emotionen. Über alle Lasten. Ich werde nicht mehr Ich selbst. Meine Grenzen expandieren, der spielerische abenteuersuchende Mann wacht langsam auf. Oder ein trauriger und einsamer Romantiker.
Aber mein gewöhnliches Ich verschwindet jedes Mal. Ich beherrsche mich selbst nicht mehr – ich habe die Kontrolle endgültig verloren.
Ist das paradox! Dass ich mein ganzes Leben mir einrede, dass ich mehr Kontrolle über mich, andere Menschen und verschiedenste Dinge haben möchte, aber in Wirklichkeit habe ich Angst vor Kontrolle. Ich möchte meine ganzen Pflichten und Lasten loswerden. Ich möchte frei sein – so wie ein Wal im Ozean. Aber in Wirklichkeit bin ich bloß ein kleiner Fisch in diesem von innen und außen verschmutzten Aquarium. Ich träume von meinem wunderbaren Ozean, aber aufwachen werde ich wieder in meinem kleinen künstlichen Gefängnis.
Ich würde so unglaublich gern alles verlieren, jeden Menschen…
Aber ich tue das nicht. Warum? Was hält mich hier? Wer hält mich?
Es gibt so viele Anlässe, die Menschen zum Trinken verlocken. Ich bevorzuge nur die positiven, denn ich habe verstanden, dass ich nur gut gelaunt das Nervengift nehmen möchte. Man kann auch tatsächlich sehr viel Spaß beim Trinken haben. Und ich finde das nicht entsetzlich, aus der Realität fliehen zu wollen.
Die Wahrheit müsste doch folgend sein: es gibt mutmaßlich nicht nur eine Realität. Man kann alles relativieren und immer wieder neue Kognitionswege gehen. Und genau deswegen mag ich Alkohol – man erkennt ganz neue ungewöhnliche Gefühle und kommt auf Ideen, die beim klaren Verstand gar nicht auftauchen.
Aber alles hat seinen Preis. Dort, wo es dir etwas gegeben wird, wird etwas auch weggenommen. Das ist das universale Prinzip des freien Handelns, was man in jedem Lebensbereich beobachten kann. Das ist ein ewiger Ressourcenaustausch, der ebenso bei jedem Naturphänomen stattfindet. Die kontinuierliche Energieumwandlung geschieht immer, in jeder Situation. 
 Die Wirkung des Alkohols basiert auf dem gleichen Prinzip. Du bekommst deinen Spaß, aber du musst etwas zurückgeben, um die Energiebilanz aufzubewahren.
Lohnt es sich überhaupt, einen „günstigen Vertrag“ mit dem Alkohol abzuschließen? 
 Ich habe gar kein Verständnis, was richtig oder falsch ist. Ich versuche das nur mit meinen Sinnen und Vernunft zu reflektieren.
Ich will dich nicht überreden, dass du ab diesem Zeitpunkt für immer auf Alkohol und andere Suchtstoffe verzichtest. Wie ich vorher sagte: ich mag selbst trinken. Die Essenz von Alkohol müsste dir jedoch klar sein. Das ist ein gefährliches Nervengift. Das wurde produziert, um Geld zu verdienen. Heutzutage ist das so ein riesiges Geschäft, das jede Familie einigermaßen betrifft.
Aber ich will, dass du verstehst – du brauchst das gar nicht. Du brauchst kein Gift, um fröhlich zu sein. Du brauchst kein Gift, um deinen Schmerz zu lindern. Ich wünsche mir, dass du endlich verstehst, was du dir selbst antust.
Wein ist kein Heilmittel für dein geistiges Gebrechen. Wein ist kein Verbindungsmittel und kein sozialer Katalysator.
Wein ist sehr oberflächlich. Er macht dich nicht attraktiver, intelligenter oder humorvoller. Das ist eine Illusion. Und du bist für deine Entscheidung zuständig, ob du an der Oberfläche mit anderen einfallslosen Möwen schwimmen willst, oder du könntest ganz tief ins dunkle Meer tauchen.
Ich respektiere auf jeden Fall den freien Willen jedes einzelnen Individuums. Dieses Recht ist meiner Meinung nach schon grundlegend, aber doch auch phantastisch. Ich glaube nicht ganz an den freien Willen.
Jedenfalls sollte jeder dieses ausschließliche Privileg erstreben.

Wir sind nur Menschen – du und ich. Wir alle werden vollkommen allein auf diese Welt gebracht. Und jeder hat sein eigenes Geschick: unvermeidlich wird es glückliche und unglückliche Menschen geben. Es wird großartige Familien, Freunde, Schüler, Ärzte geben.
Es wird jedoch auch Menschen geben, die von ihren persönlichen Erwartungen enttäuscht werden. Sie werden schlechte Dinge tun, denn sie werden der schockierenden Wahrheit begegnen, dass das Universum nicht ewig an ihrer Seite stehen wird. Und dann werden sie verzweifelt versuchen, durch für sie alle möglichen Mittel ein Stück von ihrem traumhaften Kuchen abzubeißen.
Keine schlechten Menschen werden geboren, aber viele werden schwach. Viele werden ihre Ideale und Prinzipien aufgeben. Weil wir die Schwierigkeiten immer vermeiden wollen.
Diese Gesellschaft bleibt so tief in ihrer verfaulten Komfortzone stecken. Sie bremst uns; sie erschafft tatsächlich viel Bequemlichkeit, aber wann war die Bequemlichkeit ein Fortschrittsinstrument?
Das Gehirn ist das faulste und sparsamste Organ unseres geheimnisvollen Körpers. Das ist auch ein natürliches Phänomen, dass unser Gedankengenerator sehr viel Energie benötigt und deshalb innere Rahmen erschafft, damit er sorglos funktionieren kann. Die Natur will nicht, dass du dich drastisch entwickelst. Sie hat bereits ihre Evolution erfunden, aber die menschliche Spezies hat die Evolution erfolgreich besiegt. Der Mensch bewies endgültig, dass er die Rolle des Gottes begeistert übernehmen kann, der Mensch ist eindeutig das mächtigste Wesen auf diesem Planeten.
Und unsere Zivilisation wird noch weitere globale Schritte machen. Aber auch jedes einzelne Individuum ist zu seinen persönlichen globalen Manövern auf der eigenen Entwicklungsebene befähigt. 
 Aber nur sehr wenige Menschen werden das hinbekommen. Warum? Weil das schwer ist. Weil man den Verstand und Körper trainieren und hart arbeiten lassen muss, um leistungsfähiger und besser zu werden.
Es ist sehr einfach, Bier oder Whisky zu trinken. Es ist die leichteste Art, vor der Realität zu fliehen. Man benötigt absolut keine intellektuelle oder physische Effizienz, um eigenen Mund aufzumachen und die Flüssigkeit einzugießen.
Es ist viel komplizierter, eigenes Gehirn effektiv zu nutzen, um das Leben aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Wir können denken, wir können imaginieren, wir sind für erhabene Ziele fähig, aber nur der geringste Anteil verwendet dieses wunderschöne menschliche Talent!
Jeder vernünftige Mensch kann ein großer Wissenschaftler, Komponist oder Dichter werden. Jeder vernünftige Mensch kann der beste Vater, Mann oder Freund werden. Jeder vernünftige Mensch kann seinen großen Ambitionen dienen. Alle können mit sich selbst arbeiten und Probleme lösen.
Aber der Schwierigkeitsgrad der hohen Ziele ist direkt proportional der Erfolgsgröße. Erfolg erfordert Stress, Stress erfordert noch mehr Stress, überstandener Stress garantiert die erwünschten Früchte.
Und das ist in jedem Tätigkeitsbereich so: Business, Hobbys, Sport, Familie etc.
Überall muss man eine gewisse stressvolle Leistung demonstrieren, um Fortschritte zu machen. Oder wenigstens versuchen Status quo zu bewahren.
Der rationale Mensch muss aber mit seinem Stress umgehen können.
Guck dir die Menschheit im Laufe der letzten Jahrhunderte an: wir wollten immer mehr Komfort haben, um unser Leben ertragbarer und attraktiver zu machen. Aber ist das wirklich unser gemeinsames Ziel, welches wir so lange und beharrlich verfolgt haben?
Während wir wissenschaftlich und geistig auf ganz neue Niveaus gekommen sind, sind wir auch zur gleichen Zeit heruntergefallen. Und damit meine ich nicht nur die Tiefgründigkeit, sondern auch unseren Alltag. Aber unser tiefgründiges Leben beruht doch auf dem Alltag. Und der Alltag sollte möglichst gut und vernünftig sein, das ist das Plateau für die Tiefe.
Wir haben als Kinder so schöne Träume, aber dann werden wir älter und machen etwas Seltsames. Wir werden viel zu merkantil und konsumsüchtig. Wir werden doch nur dümmer und fauler. Unsere Technologien ersetzen uns einfach alles. Das Leben wird immer leichter.
Und Alkohol destabilisiert bloß die Lage der Menschen.
Ich möchte betonen, dass es sich um keine Absolutheit handelt, denn es gibt –zum Glück – sehr viele Ausnahmen, die den restlichen menschlichen Ballast auf ihrem eigenen Nacken mitziehen. Kreativität, Hartnäckigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Humanität. Das sind immer noch wichtige Bestandteile eines progressiven Menschen. 
 Aber ich spreche von der globalen Beschaffenheit der jetzigen Gesellschaft. Die Statistik ist doch schrecklich! Alkoholismus bringt Millionen Menschen um und zerstört immer mehr Leben. Es ist auch eine große Diskussion, ab wann der wahre Alkoholismus beginnt.
Die Barbesucher würden wahrscheinlich lachend weiter ihre Gläser leeren, denn sie behaupten, sie seien in voller Ordnung und es gebe keinen Grund zur Sorge. Der trinkende Mensch vermutet dann, er müsse keine Pause machen oder ganz aufhören.
Aber wer von uns kann tatsächlich eine freiwillige Abstinenz überstehen? Eine Woche? Ein Monat? Ein Jahr? So wenige Individuen haben heute einen starken Willen. Wozu denn? Wenn es bereits so komfortabel ist. Alles liegt bequem auf dem Teller…
Die meisten können nicht einmal normal erklären, warum sie eigentlich saufen. Das gefalle ihnen einfach. Das integriere sie in ihre „geliebte“ Sozietät. Das gewähre ihnen innerliche Freiheit. Sie verstehen nicht, womit sie eigentlich so gern spielen. Das süße Spielzeug beglückt diese Leute, aber ist das wirklich so? Hast du deine besten Augenblicke nüchtern oder betrunken erlebt?
Ich beobachte auf der Straße diese betrunkenen jungen Menschen und sehe ihr homerisches Gelächter. Aber worüber lachen sie denn so laut? Oder steckt vielleicht etwas Anderes hinter diesen „lächelnden Kulissen“?
Die Jugend... Ich hasse diese imbezilen unreifen Persönlichkeiten. Sie protestieren ständig gegen das System, aber sie bilden doch ihr eigenes, was vielleicht noch stumpfsinniger ist. Sie haben gar keine Vorstellung von ihrem Leben. Alles scheint so kompliziert zu sein. Aber es gibt doch Wodka, der alles bunter und einfacher macht. 
Und sie finden ihre Affinität bei unendlichen Partys und Trinkereien. Da fühlen sie sich vereinter als sonst. Jeden Montag erzählen sie sich so stolz, wie viele Liter Bier sie am vergangenen Wochenende getrunken haben. Sie teilen ihre lustigen Geschichten und bewundern sich gegenseitig.
Seit wann ist die bewusste Selbstzerstörung der Gehirnzellen ein Maß der gesellschaftlichen Anerkennung unter den anderen Zoobewohnern? Unglaublich finde ich diese Affen. Aber nein. Nach der Biermenge, die sie konsumiert haben, ist das sehr unbestimmt, wer eigentlich der wahre Affe ist. Und das intelligente Tier möchte ich auf keinen Fall beleidigen, indem ich es mit diesen Pseudomenschen vergleiche.
Kein Affe wird sich freiwillig schaden und dann anderen Affen das stolz mitteilen. Glaub mir – diese Image-Trunksucht ist der Gipfel der Faulheit und Torheit.
Und das geschieht konstant. Jedes Wochenende wollen sie sich von ihrem harten Leben entspannen. Ein simpel funktionierender Algorithmus, der ihrem Leben neue Farben so großzügig gibt. Sie wollen nur ihren Spaß haben – dafür lebt man doch!
Diese Hedonisten existieren nach dem Trägheitsgesetz. Sie drehen sich permanent im Kreis, der aus ihrer stumpfen Hauptbeschäftigung und nebensächlichen Aktivitäten besteht. Und ihre Routine wird mit jeder Menge Alkohol gemischt. 
Sie glauben, dass sie sich entwickeln, aber de facto ist die graue unsichtbare Stagnation – im besten Falle! – ihr nächster Nachbar. Sie haben einmal große Träume gehabt, aber heute versuchen sie, ihre eigene Erbärmlichkeit im Wein zu ertränken. Sie haben sich ihr eigenes Glück gestohlen. 
Auch ältere „Genusstrinker“ sind gar nicht besser. Je älter der Mensch wird, desto komischer werden seine Ansprüche. Sie haben eine „Trinkkultur“ erfunden, um auf irgendwelche Weise ihre eigene Schwäche zu legitimieren. 
Wenn Jugend Alkohol nur für gewünschte Effekte trinkt, um schneller und leichter die Tanzfläche zu erreichen, versuchen die älteren Trinker auch aus der Realität zu fliehen, aber sie sehen sich als „reife und erfahrene“ Individuen. In Wirklichkeit sind das alles die gleichen Menschen, auch wenn sie jetzt ein paar Jahrzehnte mehr genossen haben. 
 Viele ältere Personen haben immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich "ein bisschen zu viel" gegönnt haben, was ich wiederum so lächerlich finde. Das ist so erniedrigend, sich selbst eine Rechtfertigung zu suchen.
Aber einige haben ihre Sucht einfach akzeptiert und kommen damit klar. Hoffentlich. 
Manche Leute saufen auch mit fünfzig Jahren wie vor dreißig Jahren. Sie setzen sich mit dem Thema gar nicht auseinander. Müssen sie aber nicht. 
Aber ich, als junger Mann, kann manchmal das Verhalten der Erwachsenen nicht verstehen. Wieso haben so viele so ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Alkohol. Auch die Leute, die ihr Leben im Griff haben, erlauben sich öfter den Spaß, täglich ein paar Gläschen zu genießen.
Und warum brauchen sie jeden beschissenen Tag eine Flasche Wein zum Mittagessen? Oder bei manchen noch zum Abendessen. Und zum Frühstück. Und zwischendurch. Hat das Essen ohne Wein keinen satten Geschmack? 
Wäre das nur möglich, tränken sie vielleicht auch beim Schlafen Wein, um sich „besser“ zu fühlen.
Aber ich respektiere ihren Willen trotz unserer Divergenz. Keiner weiß, wie man jeden Lebenstag am besten nutzen muss. Vielleicht sind meine Überlegungen auch der größte Schwachsinn und ich werde das noch irgendwann zugeben. Ich sehe mich jeden Tag im Spiegel an, sehe in meine Augen und bekomme manchmal das schreckliche Gefühl, das wäre nicht ich. Aber egal.

Und nun sehe ich in deine Augen. Was sehe ich dort?
Ich sehe es, dass du diese Flasche nehmen möchtest, um über deine Gegenwart nicht mehr nachzudenken.
Du bist gereizt, mein Freund, auch wenn du das nicht ganz begreifen kannst. Du fühlst das, dass dein Leben dir nicht so schmeckt, wie du das gern hättest. Sonst hättest du doch früher keinen Alkohol getrunken, wärest du mit deiner Realität befreundet gewesen. Aber ihr seid keine Freunde, deine Welt ist eine böse Hure.
Dein Geist begehrt es, diese dämonenhafte Substanz in sich selbst aufzunehmen.
Du hast auch andere Menschen satt, du findest diese trivialen Gespräche in ihrer Gesellschaft nicht mehr so amüsant wie in alten Zeiten. Täglich besuchen dich die Gedanken, einfach allein Alkohol zu „genießen“, weil du diese degenerierte phantasielose Gesellschaft ignorierst, deren Teil du auch bist.
Du hast dich verloren. Du weißt nicht mehr, wer du bist. Du hast keine Idee, wo dein momentaner Weg hingeht. Du hast Angst, manchmal sogar paranoide Vorstellungen von deinem Leben, dass du manchmal sogar dein Dasein beschließen möchtest.
Du leidest. Du hast Stress. Wie alle anderen. Aber dein Stress ist noch gefährlicher, denn er peinigt dich auf einer ganz anderen Ebene. Er führt dich manchmal zu sehr radikalen Anregungen.
Du versuchst erfolglos, deine alte kranke Haut abzuziehen, um ein neues Gesicht im Spiegel zu sehen. Du gehst schlafen und erhoffst, morgen nicht mehr aufzuwachen. Oder in einem anderen "besseren" Körper.
Du hasst dein "primitives Leben". Du kannst die Routine nicht mehr ertragen. Verzweifelst suchst du nach einer Lösung, die dein Leben verändern könnte.
Was wäre denn eine mögliche Lösung? Ich sage dir: es gibt keine Lösung. Dein Alltag wird dich immer einholen; wenn du behauptest, deine Routine sei nicht mehr existent, wird sie bloß durch eine neue ersetzt. Und dann wird das wieder geschehen, und wieder und wieder… Das ist der pure Wahnsinn…
Aber wer merkt das schon? Welche Leute realisieren, dass dieses Leben so komplex ist?
Du bist anders als diese Menschen. Du schaust in diese grausame Tiefe und siehst nicht nur deine eigene Widerspiegelung. Du bist nicht blind wie sie. Du hast eine seltene Begabung: grenzenlose Einbildungskraft.
Das ist aber nicht nur dein bewundernswertes Talent, sondern auch dein fürchterlichster Fluch. Diese magische Fähigkeit beeinflusst deinen Charakter und macht einen hitzigen Choleriker oder einen nachdenklichen Melancholiker aus dir. Du erlebst impulsiv mehrere Leben, aber gleichzeitig, in deinem Kopf.
Du wanderst pausenlos in deinen Lebenslabyrinthen, in welchen du so fleißig nach einem schönen Ausgang suchst. Auch wenn du siehst, dass es dunkler und kälter in deinem dornenvollen Labyrinth wird, hörst du nicht auf, weiter entgegen dem kleinen weiten Licht zu gehen. Du bist sehr neugierig. 
 Und wegen deiner Neugierde hast du so oft einen labilen psychischen Zustand. Deine Phantasie lässt dich niemals in Ruhe. Du kannst dich einfach nicht auf deinen Alltag fokussieren. Du begehrst mehr als du siehst.
Das ist aber ein gefährlicher Weg, mein Freund. Zwischen Wald und Feld suchst du den Himmel aus. Den Himmel kannst du aber nicht berühren, auch wenn du das so leidenschaftlich willst. Akzeptiere das, dass das unmöglich ist. Aber ich habe Unrecht. Es gibt nichts Unmögliches. Es ist immer die Frage der Perspektive. Dennoch ist das so schwer zu verstehen. Menschliche Psyche ist leider oder doch zum Glück ziemlich schwach. Und es ist vollkommen möglich, dass der Geist viel früher als der Körper absagt. 
Aber ich sehe das in deinen großen guten Augen voller Lebenswillen, dass du glücklich und freudig sein willst! Du willst dich bewegen! Du willst diese weiten unentdeckten Länder betreten und erforschen! Du hast sehr schöne Träume!
Oder würdest du einfach auf alles scheißen? Würdest du dir keine Gedanken machen und einfach eine neue Flasche aufmachen? Würdest du zurück in deine Komfortzone wollen?
Manchmal besucht mich der Gedanke, dass das doch das pure Glück ist, wenn du dich nur auf deine kleine Welt fokussierst. Deine Komfortzone wird langsam so gemütlich, eines Tages passt sich ja jeder an. Und obwohl du Stress hast, obwohl du unterschiedlichste Dinge anders hättest, lässt du einfach alles so sein. Weil das dir nämlich bequem ist.
Und was, wenn das das wahre Glück ist, bequem und entspannt zu leben? Wenn die generelle Hektik über unsere Leben waltet. 
 Ist das diese mystische utopische Freiheit? Die echte Freiheit des Geistes?
Das bezweifle ich. Freiheit macht dich frei, es ist ja logisch, der Name spricht für sich selbst.
Aber die Komfortzone zieht dich doch nur herunter. Sie ist auf keinen Fall mit Freiheit zu verwechseln. Komfortzone ist eine alte löchrige Baracke, die auch beim Regen wackelt. Da kann man nicht ruhig schlafen. Freiheit ist aber ein festes riesiges Schloss, welches sich ganz hoch im Berg erhebt. Dort kannst du deine innere Ruhe haben, denn du hast ja auch unverbrüchliches Fundament unter deinen Füßen.
Deine Komfortzone passt sich nur an deinen Stress an, dennoch bietet sie dir keine Lösungen an. Sie lässt dich bloß an deinem entspannten Leben und versucht, deine Sorgen und Träume durch jeden möglichen Dreck zu ersetzen. Dein Körper will aufgeben, er will nicht leiden, er passt sich an jeden Stress an. Und dann wird er versuchen diesen sehr salzigen Ozean ein wenig süßer zu machen. Du bekommst auf jeden Fall deine kleine „süße“ Insel, auf welcher es dir gut gehen sollte. Aber du befindest dich doch immer noch im Ozean, und deine Insel will wahrscheinlich gar nicht wachsen, weil der Prozess auch viel Energie benötigt.
Weißt du, was ich dir sage? Scheiß auf die Komfortzone! Scheiß auf den Stress! Du bist aber kein kleines Mädchen, um von jedem winzigen bellenden Hund wegzulaufen. Du bist fähig, jedes einzelne Problem erfolgreich zu lösen. Du bist fähig, einen brutalen Löwen zu zähmen. Hab keine Angst vor deinen Schwierigkeiten. Betrachte sie aber vernünftig!

Vertrau mir – du lebst! Du existierst nicht grundlos, wie du das betrübt vermutest.
Du hast ein sehr großes Herz, welches auch so stark und laut schlägt. Dein riesiges Herz strahlt Güte aus – es ist deine Liebe. Deine Liebe zu dieser Welt, zu diesen Menschen, die dich so oft und so ungerecht zornig machen oder zum Weinen bringen.
Das weißt du, das fühlst du. Du liebst deine Welt. Deine Tränen voller Reinheit und Ehrlichkeit ist der beste Beweis dafür. Du weinst, wenn du lachst. Du weinst, wenn du traurig bist. Diese Tränen sind einige der wenigsten Dinge, die wirklich wahr sind. 
Du liebst dich selbst, auch wenn du dir gegenüber so kritisch bist. Erst wenn wir uns selbst lieben können, sind wir imstande, das wunderschönste Gefühl auszustrahlen. 
Ich empfinde deine Liebe. Ich kann das nicht rationalisieren, aber meine Sinne empfangen deine innere Macht. Du beeinflusst mich, mein Freund. Dein Leiden kann ich nicht ertragen, du hast mich bereits mit Liebe angesteckt. Ich liebe dich auch, mein Freund. Nur dafür, dass du da bist. Mich interessieren deine Probleme nicht, aber mein Herz wird mit meinem Blut überfüllt. Ich spüre deinen Schmerz in meiner Brust, aber da gibt es nicht nur Verzweiflung und Quälerei. Da fühle ich Freude, Hoffnung, Glauben, Selbstaufopferung, Träume…
Und ganz unten ist deine Liebe, die das alles verbindet. 
Falls es dir schlecht geht, mein Freund, falls deine Hoffnung rapide sinkt, und deine verwundete Seele ruft verzweifelt nach Hilfe, fass das Glas nicht an. Das verführerische Gift bringt dir keinen erwünschten Frieden.
Wenn du das Gefühl hast, deine ganze Welt sei gegen deinen Willen, lass sie so sein. Lass deinen Zorn, Rache und Eifersucht im tiefen Tal der finsteren Leidenschaft. Bekämpfe deinen Kummer und konzentrier dich auf die positive Seite der rostenden Medaille, die du von deinem "Gott" erhalten hast.
Du bist doch nicht einsam. Du versuchst dich zu isolieren. Du willst mehr Anonymität. Aber in Wirklichkeit willst du unter den Menschen bleiben. Du begreifst viele ihrer Aktionen nicht, aber die Gesellschaft zieht dich trotzdem an. Auch wenn du ganz allein und weit weg entfernt von ihr bist. 
Sei vernünftig, versuch die Mentalität anderer Menschen zu verstehen, aber bewerte sie nicht, denn es gibt keine Definition von Tugenden und Bosheiten. Sei kein Herr über fremde Schicksale, überlass das ihnen selbst, überlass das ihren Göttern. 
Lass andere ihren Weg gehen. Du brauchst ihre Beurteilung nicht, dein Geist funktioniert autonom, allerdings wie jeder andere. Das ist so eine schöne profane Weisheit, dass jeder Mensch seine Unabhängigkeit in der Tat hat, aber warum übersehen wir das? Warum wollen wir so gern etwas erschaffen, während etwas unseretwegen zerstört wird? Wir sind doch alle unabhängig und können uns nur auf uns selbst fokussieren ─ wir brauchen nichts zu zertrümmern.
Aber Menschen versuchen es immer, fremde Schicksale durch verschiedenste Insinuationen zu ruinieren. Das ist die animalische Natur, scheinbare Konkurrenten liquidieren zu wollen. Wir befinden uns im ewigen Kampf um unterschiedliche Ressourcen: Territorium, Ernährung, sozialer Status. Das fließt in unserem Blut, in unseren Genen. 
Aber wenn Tiere Krallen und Reißzähne benutzen, besitzt der Mensch eine viel gefährlichere Waffe - seine Zunge. Mit Worten verfügt der Mensch über einen Born der zerstörenden Kraft.
Physische Wunden regenerieren definitiv schneller als die seelischen. Und man verletzt sich regelmäßig gegenseitig. Unsere Spezies ist noch nicht bereit, diese primitiven Instinkte loszuwerden. Das ist aber auch nicht dramatisch, denn du kannst dich vor allen Bedrohungen schützen. 
Es wird niemals Gerechtigkeit in dieser Welt sein, aber auch genau deshalb können wir selbst lernen und entscheiden, was gut oder böse ist. Und dies ist eine wunderschöne Prärogative, individuelle moralische Normen zu erdenken. Das ist ein Geschenk, welches das Leben nicht einfacher macht, aber vielschichtiger und interessanter. 
Wir tun uns gegenseitig weh, wir entschuldigen uns, wir bedauern das, wir genießen das, wir verfluchen uns selbst, wir sühnen, wir verletzen weiter, wir machen Fehler, wir machen alles wieder gut. Wir leben. Wir sind Menschen. 
Lern es, mein lieber Freund, anderen Menschen zu verzeihen. Du kämpfst nicht mit ihnen, sondern nur mit dir selbst. Mit deiner persönlichen Komfortzone.
Nicht alle Menschen sind so schlecht. Es gibt tatsächlich viel Gutes, das wir so oft übersehen.
Ich weiß, dass ich gerade die Menschheit sehr ausgeprägt kritisierte, aber es gibt keine bösen oder guten Menschen. Wir sind beides. Das ist ein sehr wichtiges Dogma nach meiner Meinung. Es gibt ein energetisches Gleichgewicht, welches das Fundament unserer Wirklichkeit repräsentiert. Nord und Süd, Plus und Minus, das Gute und das Böse. Die Gegenteile befinden sich auf einer Achse, das ist die Einheit der Gegensätze.
Und alle Menschen sind in jeder Gestalt gegensätzlich. Manchmal wird das tragisch, aber wir leben trotzdem als eine Einheit. Wir sind die Menschen.
Letztlich entscheidest nur du, wer gut oder böse ist. Wer mehr oder weniger Respekt und Aufmerksamkeit verdient. Das ist deine subjektive Wahrnehmung und Fähigkeit, zahlreiche Gegensätze zu erkennen. Fokussiere dich auf das Beste, wenn du das definieren kannst. Sogar ein zahnloser lächelnder Straßenpenner kann helle Emotionen hervorrufen. Das ist immer die Frage der Aussicht, wie du deine Umwelt wahrnimmst. 
Sei unabhängig. Das ist nur dein Leben.
Du schuldest nichts! Du schuldest niemandem! Du kannst alles mit deinem Leben tun! Du kannst in voller Apathie sein. Du kannst böse sein, falls das dein wahrer Wille ist. Du kannst ehrenhaft und tugendhaft sein, wenn dein gutes Herz dies verlangt. Oder kombiniere beides. Such danach, was dir am Herzen liegt! Und finde es! Es gibt gar keine Rahmen! 
Erst wenn du das richtig realisieren kannst, wirst du frei von deinen Sorgen sein. Und du hast gar nichts zu verlieren. Dieser Satz sollte deine mächtigste Motivation werden. Du kannst wirklich etwas Großes erschaffen. Nutz dein unversiegbares Potential!
Aber zuerst…
Finde Mut und Kraft, deinen eigenen Lucifer zu besiegen, der dich immer neue Herausforderungen annehmen lässt. Aber sei auch bereit, dass diese dunkle Macht immer in deiner Nähe sein wird…
Du wirst dem Bösen stets begegnen, du wirst dein ganzes Leben von dem Teufel gejagt, du wirst dich jedes Mal entscheiden müssen, auf welcher Seite du stehen willst.
Aber ich möchte so sehr, dass du endlich begreifst – du musst um nichts kämpfen. Sei frei! Wie ein stolzer einsamer Adler im Himmel! Du suchst deine Beute aus, nicht umgekehrt. 
Finde deinen grünen weichen Rasen, auf dem dein Körper sich ausruhen kann, finde deinen unendlichen Himmel, der deiner armen Seele innere Harmonie gibt, finde dich selbst erneut.
Du wirst fühlen und verstehen, dass jedes deiner Probleme nicht der Mühe wert ist, so nichtig ist es im Vergleich zur beängstigenden Unendlichkeit. Dein Leben ist eine Gabe – die wundervollste, widersprüchlichste und sinnloseste.
Ich weiß ehrlich nicht, wer oder was fähig ist, dich glücklich zu machen. Aber du kannst selbst von deiner Krankheit genesen, das ist vollständig in deiner Macht.
Und wenn dein Geist wieder stark und fröhlich ist, werden wir zusammen auf dich anstoßen, mein Freund. Prost!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.06.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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