Ingo R. Hesse

Der Gott in mir bleibt stumm

Es ist ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte. Im Gegenteil. Als Kind habe ich brav die Hände gefaltet und laut ausgesprochen, was mir zu der Zeit mächtig zu schaffen machte. Nämlich „Ich bin klein, ..!“. Dass jemand mein Herz rein machen sollte, war mir nicht bewusst. Aber ich sprach auch das brav aus wenn ich schlafen sollte. Denn gewollt habe ich es zu der Zeit nie.

 

So wie vielleicht „Lalalala“ oder „Dumdidumdidum“, klangen diese Sätze für mich. Inhaltslos. Mit nur einem Sinn. Nämlich den Anforderungen meiner Eigentümer genüge zu sein. Um dann endlich ungestört nicht schlafen zu müssen und vor mich hin träumen zu können. Vom Erwachsen-sein. Von Nächten vor dem Fernseher und von so vielen Dingen, die ich zu der Zeit weder hören noch sehen oder gar darüber reden und lachen durfte.

 

„Soll niemand drin wohnen als Jesus allein‘!“ Wichtig klang es ja schon. So mit immer weniger Anleitung und stolperfrei. Aber den Sinn verstand ich damals nicht. Auch später nicht sofort. In den Zeiten, in denen ich versuchte, zu verstehen, was mein Vater da mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen vor dem Essen sagte. Wenn ich fragend meine Mutter anschaute, senkte auch sie gnädig den Blick. Sie wollte weder meinem Vater noch mir den Spaß verderben. Aber Spaß? Ich hätte lieber gleich gegessen.

 

Später begriff ich, dass ein Herr Jesus permanent gebeten wurde, unser Gast zu sein. Jedoch erschien er niemals. Wie auch, wenn mein Vater vor sich hin, ..statt unser gerade neu installiertes Telefon mit Doppel-Anschluss .. ? Und gottseidank erschien er nicht! Denn es gab Tage, da war das Angebot nicht gerade üppig.

 

Ja, Gott sei Dank! Tante Mathilde (Name geändert), eine alte Frau aus der entfernten Nachbarschaft, versuchte in der Sonntagsschule, mir und meinen Mit-Sonntagsschülern diesen Gott und „unseren Herrn Jesus“ näher zu bringen.

 

Ich habe ihr inzwischen verziehen, dass sie mich stets nötigte, auf dem Rückweg einige Kirchenzeitungen am jeweiligen Bestimmungsort abzuliefern. Denn irgendwie hat sie es doch zumindest zeitweise geschafft, mich in den Bann dieser fiktiven Story zu ziehen.

 

Der Herr Jesus hing in gezeichneter Form an seinem Kreuz über dem Nachttisch meines Vaters. Ein eigenartiges Tuch um seine Hüften geschlungen, das seltsam bis zu seinen auf eine kleine Ablage genagelten Füße baumelte. Und über dem Bett prangte ein goldumrahmtes, buntes Bild, das wohl einen brennenden Busch darstellen sollte. Ich erinnere mich nicht, ob der Herr Jesus auch darauf war. Zu sehr faszinierte mich der Dornenkranz auf seinem Kopf und die Nägel in Händen und Füßen auf dem anderen Bild.

 

Meine Güte! Das musste ja schrecklich sein. Wenn ich recht darüber nachdenke, hätte da die Freiwillige Selbstkontrolle einschreiten müssen. „Dieses Bild ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet!“. Zumal Tante Mathilde dann auch noch davon berichtete, wie dieser Gott, also der Vater des so Gepeinigten, einen alten Mann genötigt hatte, seinen Sohn zu schlachten. Um Himmels Willen!

 

Ja, um Himmels Willen. Um den Himmel ging es letztlich. Da wollten alle hin. Nicht sofort. Es eilte nicht. Aber am Ende wollten sie alle dort landen. Ewig. Ewiges Leben. Nicht mehr sterben. Keine Schmerzen mehr. Nichts würde fehlen. Alles würde vorhanden sein. Und ich würde tun und lassen können, … .

 

Moment mal! Nein, so wäre es nun auch nicht. Die Gebote würden auch dort gelten. Selbst im Konfirmanden-Unterricht wurde es nicht lockerer. Die Aussichten waren nur auf den ersten Blick verlockend. Inzwischen hatte ich schon mehrere Sitzungen bei einem Zeugen Jehovas erlebt. Ein Schulkamerad aus der Nachbarschaft war mit solchen Eltern gestraft. Angebliche Diskussions-Runden wurden dort von einem eigens für mich anreisenden Einschwörer abgehalten.

 

Das begab sich aber zu der Zeit, in der sich in mir so etwas wie selbständiges Denken, gepaart mit einer gehörigen Portion Ungläubigkeit und Kritik mischte. Sowohl unser Pastor als auch der Zeuge, hatten wenig Freude an mir.

 

Später dann geriet ich in eine evangelisch-freikirchliche Jugendgruppe. Im Rückblick kann ich sagen, dass es mir dort noch am besten gefallen hat. Aber auch dort waren die Aussichten nicht so, dass ich mich auf ein ewiges Leben hätte freuen können. Selbst Billy Graham, den ich life in Dortmund erlebte, schaffte nur in Ansätzen, mich zu einem besseren Mensch zu machen.

 

Deshalb entfernte ich mich immer weiter vom Glauben. Nicht von dem an ein Leben VOR dem Tod. Nein, daran glaube ich fest. Aber das ewige Leben reizt mich nicht. Und ich bin auch ziemlich beleidigt. Denn die vielen Menschen, die mir begegneten, die fast täglich mit Gott sprechen, und denen er mindestens einmal im Monat antwortet, zeigen mir, dass weder „unser“ Herr Jesus, noch sein Vater wirklich an einem Dialog mit mir interessiert sind.

 

„Wer nicht will, der hat schon!“ haben wir als beleidigte Kinder gerne gesagt.

 

Und so geht es mir heute. Ich muss das nicht haben.

 

Allerdings sind diese ganze Missions-Versuche und meine Suche nach Antworten, nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Ich halte die christliche Idee für eine der besten. Ähnlich dem Sozialismus. Und ich bin sicher, wenn die Menschen nicht Menschen wären, würde beides im wahren Leben zum Wohle aller funktionieren.

 

Einige wenige angebliche Christen, haben mir übel mitgespielt. Und ich bin sicher, dass sie sicher waren, dass Gott es ihnen befohlen hatte oder zumindest genau so gemacht hätte. Einige andere deutlich als Christen Erkennbare, haben mir so gut getan, dass ich es fast schade finde, nicht zu ihnen zu gehören.

Deshalb bezeichne ich mich als Agnostiker. Ich halte immer noch alles für möglich. Aber „Glauben“ ist für mich keine Disziplin wie Tanzen, Schwimmen oder Fahrrad-Fahren. Das kann man nicht lernen. Wenn man glaubt, glaubt man. Und wenn nicht, tut man so.

 

Oder man bleibt zumindest ehrlich. Was ja dann, sofern man noch kurz vor dem Ableben doch noch betet, ein üppiges Mahl im Jenseits sichern würde. Denn wenn ich das richtig in Erinnerung habe, bekommt der verlorene Sohn besseres Essen als der beständig Gläubige.

 

Also, ..ganz so schlecht ist es doch wieder nicht!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.06.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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