Ronald Willmann

Schatten des Teufels

„Spring!“

„Los, du Feigling!“

„Spring schon!“

Eine Hand krampfte sich um den Ast, die andere ruderte verzweifelt durch die Luft. In den Augen stand nackte Angst, Entsetzen, der flackernde Blick verriet Panik.

Plötzlich der Fuß. Er trat mit aller Kraft auf die Hand, drehte sich auf den Knöcheln, als würde er eine Zigarette austreten. Ein Schmerzensschrei übertönte das Gejohle am Seeufer.

Die Hand ließ den Ast los.

Der Sturz.

Ein Gaudi für die, die am Ufer standen. Wie ernst die Situation war, begriffen sie erst später.

Zu spät.

Nervös fuhr sich der Mann hinterm Lenkrad mit der Hand über die Stirn, als wolle er die Gedanken wegwischen. Es gelang ihm nicht, sie verfolgten ihn. Jahrelang hatte er sie verdrängt, das Gejohle, die Schreie und das Schreckliche, was dann passierte.

Er hatte es nicht gewollt.

Doch wem nützte das?

20 Jahre lang. Jetzt fühlte er sich wie beim Monopoly. Gehe zurück auf los, ziehe nicht 4.000 Mark ein. Es begann von vorn.

Er drückte aufs Gaspedal. Sein Auto raste durch das Westend. Die Reifen quietschten, als er in die Heerstraße einbog. Direkt vor einem Transporter, der sich beim Bremsen quer zur Fahrbahn stellte, schoss er links in die Teufelsseechaussee und jagte seine Limousine in den Grunewald.

Im Sommer pilgerten hier unzählige Badelustige, Radler und Inlineskater entlang. Jetzt, an diesem trüben Februartag, gab es nur wenige Passanten, die verärgert auswichen, als der Wagen vorbeipreschte. Rechts ragten die Kuppeln des Teufelsberges empor. Die künstliche Erhebung blieb rechterhand zurück und vor dem Mann tauchte der Schornstein am Ökowerk auf, dem einstigen Wasserwerk. Grüne Spinner, Froschzähler, wie er sie nannte, hatten hier ihre Spielwiese angelegt. Der Mercedes-Fahrer hielt nie viel von ihrem Treiben. Hauptsache, sie kamen ihm nicht in die Quere.

Er stoppte den Wagen am Ende der Chaussee direkt auf der Fahrbahn. Die Angst trieb ihn eilig vorwärts, ans Seeufer.

Ihm klang noch einmal die Stimme des Anrufers im Ohr, die er anfangs nicht erkannte. „Erinnerst du dich an unseren Badeausflug? Lang ist’s her, was, Pokorny? Du hast gar nichts mehr von dir hören lassen.“

„Was wollen Sie?“

„Sie? Sie? Hör mal, wir waren doch per Du, richtige Kumpels. Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr! Auch wenn es nun 20 Jahre her ist. Gut geht’s dir, habe ich gehört!“

Scharbeck! Der schmierige Scharbeck! Die Clique hatte sich seit dem schrecklichen Geschehen am See nicht mehr getroffen. In notgedrungener Übereinkunft gaben sie auf die polizeilichen Befragungen alle die gleichen Antworten. Ansonsten gingen sie sich aus dem Weg. Scharbeck soll sich ins Ausland abgesetzt haben, mit dem Sparbuch seiner Eltern, hieß es einmal. Es war ihm egal. Er war gewillt, diese Episode aus seinem Leben zu streichen.

Was wollte Scharbeck jetzt von ihm? „War’n dummes Ding damals, mit dem kleinen Lietzow. Du hattest ihn ja vom Baum runterbefördert. Konntest nichts dafür, dass der sich in den Wasserpflanzen verheddert und gleich den Löffel abgibt! Obwohl – wenn die Polizei nachforscht, wer ihn in den See gestoßen hat, kommt man an dir nicht vorbei.“

„Was willst du? Warum sollte die Polizei jetzt nachforschen? Es war ein Unfall, hast du das vergessen?“

„Tja, sie haben ihn nie gefunden. Wir wussten es nicht, was er noch gemacht hatte, als wir ohne ihn fortgingen. So stand es in den Verhörprotokollen. Aber was wird wohl, wenn sie ihn plötzlich finden?“

„Noch einmal: Was willst du?“

„Entspann dich, ich will dir helfen! Wäre doch schade, wenn du alles verlierst, was du dir aufgebaut hast. Bei mir – tja, da ist nicht viel mit Hartz IV. Aber als ein guter Mensch helfe ich gern. Du solltest froh sein, mich zum Freund zu haben!“

Ob er seither wieder mal am Teufelssee gewesen sei, wollte der Freund wissen. „Nein? Solltest du aber. Noch nichts davon gehört, dass der Wasserspiegel seit Jahren sinkt? Würden die nicht permanent Wasser in den See pumpen, wäre er schon verschwunden. Und was käme dann zum Vorschein?

Aber ewig bleibt der Verblichene auch so nicht verborgen. Guck dir mal die Ufer an, wie weit die zurückgegangen sind. Und wie weit hattet ihr damals den Ärmsten in den See hinausgeschafft? 50 Meter? 100? Lange wird’s nicht dauern, dann tritt einer beim Baden auf einen Knochen. Oder ein Angler hat den Schädel am Haken! Ich hab nicht viel zu verlieren, aber du...“.

Das höhnische Gelächter klang ihm wieder in den Ohren, während er dem Ufer zuhastete.

„Dir geht’s um Geld, habe ich Recht?“, hatte er den Anrufer gefragt.

Dessen Stimme triefte vor Scheinheiligkeit. „Ach, was ist Geld unter Kumpels! Dass du damit anfängst! Aber gut, wo du es ansprichst: Ein paar Auslagen habe ich. Sagen wir: 100.000? Natürlich nur, wenn es dir nicht zu viel ist, aber bei dem, was ich gehört habe, ist das ein Klacks für dich. Trotzdem käme ich nie auf die Idee, dich auszunehmen. Unter Kumpels!“

Für 100.000 Euro wolle dieser den Leichnam bergen und an sicherer Stelle unterbringen. „Damit alles so bleibt, wie es ist und jeder sein Leben weiterleben kann.“

Er ging auf diesen Ton ein. „Oh, wirklich, das ist nett von dir. Aber danke – nach 20 Jahren dürfte nichts mehr übrig sein, was die Polizei interessiert. Hast du schon mal was von Verwesung und Zerfall gehört?“

„Na gut, wenn du meinst. 20 Jahre ist ’ne lange Zeit, klar, aber... unter Luftabschluss, in eine Plastikplane gewickelt – ich glaube kaum, dass alle DNA-Spuren weg sind. Weißt du was – ich kenne einen patenten Kommissar, der kennt mich – leider, leider – auch gut. Den werde ich fragen und wir vergessen das mit den 100 Mille. Es sei denn, du überlegst es dir. Meine Nummer hast du ja!“

Ihm war klar, dass Scharbeck ihn fertig machen würde, wenn der kein Geld bekam. Es sei denn - es gab keine Beweise mehr! Scharbeck mochte Recht haben. Reste der Plane und das Skelett waren sicher noch am Grund des Sees zu finden. Er selbst hatte den Toten damals in dem mit Steinen beschwerten Sack in den See hinaus geschafft. Zu viert waren sie geschwommen, während Scharbeck und die Anderen am Ufer warteten. Er hoffte, er würde die Stelle finden, wo sie das schwere Paket auf den Grund gelassen, mit Stöcken unter das Geflecht aus Seerosen und anderen Wasserpflanzen geschoben und zusätzlich mit Steinen bedeckt hatten.

Was Scharbeck gesagt hatte, stimmte. Die Uferlinie schien deutlich in Richtung Seemitte verschoben. Angestrengt versuchte er, den Baum zu finden, auf dem damals das Unglück passierte. Seine Augen irrten umher.

Mehrmals glaubte er, an der richtigen Stelle zu sein, doch was würde er tun, wenn er sie tatsächlich fand? So, wie er war, in den eiskalten See steigen und nach den Leichenresten tauchen? Darüber dachte er nicht erst nach. Gleich nach Scharbecks Anruf hatte er alles stehen und liegen gelassen, um sofort an den See zu fahren. Als ob er damit das Problem aus der Welt schaffen könnte!

Was um Himmels Willen sollte er tun? Gehetzt stürzte er durch das Unterholz. Ihm war mittlerweile klar: Selbst wenn er die Unglücksstelle fand, er hätte keine Möglichkeit, die Überreste aus dem See zu bergen. Doch etwas zog ihn magisch ans Wasser. In seiner Fantasie sah er einen dunklen, langen Packen, den das zurückweichende Wasser freigegeben hatte. Die Plane war an einer Stelle aufgerissen und die Knochen einer Hand ragten heraus. Anklagend zeigten sie auf ihn.

Er wusste, dass dieses Bild nur seiner Angst entsprang. Und dennoch wandte er nicht den Blick von der Wasserfläche, während er durch das Ufergehölz stolperte. Er stieß gegen Äste und fiel mehrfach hin. Etwas Warmes rann ihm über die Stirn. Es musste sein Blut sein. Schmerz spürte er nicht. Er fühlte sich in die Enge getrieben und unfähig, etwas dagegen zu tun.

Weiter! Nur weiter, hämmerte es in seinem Hirn. Ein Pochen, welchem er nicht entkommen konnte. Der Boden unter seinen Füßen wurde weicher, etwas schien ihn festzuhalten. Ausgeburt seiner verwirrten Gedanken?

Nein.

Er merkte, dass er im Morast feststeckte. Panik übernahm die Regie und ließ kein überlegtes Handeln zu. Bilder von dem auftauchenden Skelett kreisten durch seinen Kopf, dazu die Angst, nicht mehr aus dem Morast frei zu kommen. Dazwischen Scharbecks Stimme: „Meinst du wirklich, dass nichts mehr zu finden ist?“ Alles schien sich um ihn zu drehen, ein Schrei entrang sich seiner Kehle und im Zustand eines Nervenzusammenbruchs sackte er zusammen. Ein Stein traf auf den Schädel und ließ alle Bilder von See, Leiche und Scharbeck im Nichts verschwinden.

Er wusste nicht, wie lange es dauerte, bis er Schritte im Unterholz vernahm. Wie lange war er ohnmächtig? Beim Versuch, sich aufzurichten, durchfuhr ein rasend-stechender Schmerz seinen Kopf und er fiel stöhnend zurück.

Dann sah er ihn - ein Mann in Wetterjacke und Army-Hose, ein Käppi auf dem Kopf, unter dem lange Haare auf die Schultern fielen. Vor der Brust baumelte ein Fernglas. Ein Froschzähler!, durchzuckte es ihn.

Schon stand er neben ihm. „Was ist passiert? Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich, ich weiß nicht, bin gestürzt. Nur kurz ausruhen, dann geht es schon“, stammelte er.

Hatte der Andere ihn beobachtet? Ahnte er am Ende gar, was ihn hertrieb? „Was machen Sie hier? Ist es Zufall, dass Sie gerade jetzt kommen?“, fühlte er ihm auf den Zahn.

„Nein“, entgegnete der, „ich bin mit Frösche zählen im Naturschutzgebiet beschäftigt.“

Der Mann sank mit einem Seufzer in seine morastige Kuhle zurück. Der Ranger hatte Fernglas und Tasche abgelegt. Umsichtig suchte er ein paar starke Äste zusammen, legte sie neben den Mann auf den weichen Untergrund. Dann befahl er ihm, sich zu strecken und langsam auf das Holz zu drehen. Mit vereinten Kräften gelang es, wobei der Froschzähler nicht zimperlich zupackte. Erneut entrang sich dem Gestürzten ein Stöhnen, als er endgültig aus dem Morast gezerrt wurde.

Da bemerkte der Andere die blutende Kopfwunde. „Also doch“, murmelte er.

„Was?“

„Habe ich richtig gesehen –ich hole Hilfe. Mist“, schimpfte er, nachdem er an seinem Handy nestelte, „der Akku ist runter. Haben Sie eins?“

„Nein.“

„Ich kann Sie nicht alleine lassen.“

„Es geht schon, machen Sie sich keine Sorgen, ich bin schon wieder...“

„Nein“, schnitt ihm sein Helfer barsch das Wort ab, „Sie müssten ja wissen, warum!“

Aus seiner Brusttasche holte er eine seltsam geformte Holzpfeife.

„Eine Entenlockpfeife“, erklärte er. „Wenn irgendetwas ist, blasen Sie mit aller Kraft zwei Mal kurz hintereinander hinein. Zwei Mal!“, setzte er hinzu und fügte an: „Ich gehe zu unserer Station und halte die Augen offen, ob ich den Kerl irgendwo entdecke. Bleiben Sie ganz ruhig liegen, kein Geräusch!“

Geschmeidig verschwand er im Unterholz, ohne eine Entgegnung abzuwarten.

Welcher Kerl? Mühsam versuchte er, sich aufzurichten. Als würde ihm ein Nagel in den Kopf getrieben, durchzuckte ihn der Schmerz und ließ ihn zurückfallen. Doch das Liegen verursachte ihm ebensolche Pein. Seine Finger krampften sich in den Boden, versuchten, sich an Stöcken oder Grasbüscheln festzuhalten.

Erneut zwang er sich in eine aufrechte Lage. Diesmal fiel trotz des bedeckten Himmels ein dunkler Schatten auf ihn. Im gleichen Moment spürte er einen Druck auf seiner Brust. Er riss seinen zur Seite gedrehten Kopf herum und gewahrte einen Stiefel auf seinem Oberkörper. Voller Entsetzen wanderte sein Blick weiter aufwärts und blieb an einem höhnisch grinsenden Gesicht haften.

„Na, Pokorny, noch immer so sicher, dass nichts mehr zu finden ist?“

Scharbeck!

Was machte der hier? Hatte er ihn... War die Stimme vorhin gar keine Halluzination?

Der Stiefel drückte ihn mit einem Ruck vollends zurück. Das sommersprossige Gesicht, umrahmt von wirren rotblonden Haaren, beugte sich zu ihm. „Mein Angebot steht. Willst du jetzt darauf eingehen?“

„Du kannst mich mal! Ich bin nicht allein hier!“

„Ach so, dein Freund, der Kröten-Engel? Was meinst du, was alles mit dir passieren kann, bis der um den See läuft, telefoniert und wieder zurückkommt?“

Die Stimme schlug mit einem Mal um. „Ich brauche Geld“, bellte sie ihn an, während zwei raue Hände an seiner Jacke zerrten. „All die Jahre habe ich geschwiegen, während dir alles in den Schoß fiel. Wenn deine verehrte Kundschaft wüsste, dass du derjenige bist, der den armen Kerl in den Tod gestoßen hat! Ich hab das Maul gehalten, obwohl ich nichts zu verlieren hatte. Hast du dich einmal gefragt, was aus mir oder den anderen geworden ist?“

Mit aller Kraft schüttelten ihn die Hände. Verzweifelt versuchte er, seine Arme schützend vor das Gesicht zu halten, doch der Andere kniete auf seinen Oberarmen. Unerträglich wurde der Schmerz im Kopf. Die Holzpfeife war ihm aus der Hand gefallen. Unmöglich, damit Hilfe zu rufen.

Ein panischer Schrei entrang sich seiner Kehle. Sofort wurde ihm büschelweise Riedgras in den Mund geschoben. Er glaubte zu ersticken. Die Todesangst setzte seine letzten Kräfte frei und es gelang ihm, mit einer Drehbewegung seinen Peiniger von sich zu stoßen.

Doch bevor er sich aufrichten oder gar fliehen konnte, sah er Scharbeck mit wutverzerrtem Gesicht nach einem starken Ast greifen. Mit einem Schrei holte dieser in großem Bogen aus.

Der Schlag würde seinen Kopf treffen und diesen vielleicht zertrümmern. Ganz nüchtern überkam ihn die Erkenntnis. Halb auf seine Arme gestützt, halb zurückgesunken, wartete er auf das unabwendbare Schicksal. Kein Gedanke an Gegenwehr. Es war aus. Vielleicht auch besser so. Müsste er nicht miterleben, wie Lietzwos Überreste gefunden wurde. Scharbeck würde alle Schuld auf ihn schieben. Er wäre erledigt, ruiniert, alles würde wie ein Kartenhaus zusammenstürzen, selbst wenn nur der Schatten eines Verdachts auf ihn fiel.

Diese Gedanken gingen ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf. Jetzt musste sich der dicke Knüppel auf ihn senken. Doch statt dessen geriet der fürchterliche Hieb unversehens ins Stocken, als keine fünf Meter entfernt eine scharfe, schneidende Stimme ertönte: „Sofort aufhören! Ich habe die Schusswaffe auf Sie gerichtet!“

Ungläubig drehte sich Scharbeck um und starrte auf einen Mann im grauen Mantel, der mit einer Sig-Sauer P6 direkt auf ihn zielte.

„Kripo Berlin, Fahndungseinheit der Polizeidirektion zwo, Polizeihauptkommissar Kropat“, kam dieser seiner Frage zuvor.

Scharbeck fing sich erstaunlich schnell. „Okay, okay, kein Problem. Nur ein kleiner Streit unter Freunden, nichts weiter. Stimmt doch, oder?“, fügte er mit einem Seitenblick auf Pokorny hinzu. Der würde schweigen, dessen war er sich sicher, denn sonst käme die ganze Chose heraus.

Doch das zog bei dem Kripo-Mann nicht. „Die Freundschaft müssen Sie mir näher erklären. Und auch Ihr Treiben am Teufelsberg!“

Noch bevor Scharbeck etwas erwidern konnte, tauchte hinter dem Polizisten der Froschzähler auf. Er fixierte die Beteiligten mit kurzen Blicken und meinte dann vorwurfsvoll: „Und Sie dachten, das wäre einer von uns!“

„Naja, wir wussten zuerst nicht, worum es ging“, gestand der Beamte, während er Scharbeck Handschellen anlegte und ihm sagte, dass er vorläufig festgenommen sei. „Ihre Truppe lief gegen die Baupläne auf dem Berg Sturm. Und plötzlich buddelt da einer herum, sucht den Boden ab. Wir dachten tatsächlich, da wird ein Anschlag vorbereitet.“

Pokorny begriff nur langsam, was hier geschah. Er ließ sich in eine aufrechte Lage helfen. Der Streit um den geplanten Ausbau des Teufelsberges zu einem Freizeitzentrum war ihm bekannt. Bürgerinitiativen, Unterschriftensammlung, Proteste, das ganze Programm. Doch was hatte Scharbeck damit zu schaffen?

Der Kommissar gab die Antwort. „Ich habe mich mit Ihrer Vergangenheit beschäftigt, Herr Scharbeck. Kein Ruhmesblatt, wirklich! Betrug, Verstoß gegen das Meldegesetz, Diebstahl. Und dann fiel mir die Untersuchung von vor 20 Jahren auf. Sie waren dabei, als ein Junge am Teufelssee verschwand. Nie wieder aufgetaucht. Man hatte den ganzen See abgesucht. Plötzlich machen Sie sich ganz in der Nähe zu schaffen. Warum? Wir überwachen Sie schon einige Zeit. Gut, dass Sie vorhin vom Handy aus angerufen haben, so konnte uns das Gespräch nicht entgehen.“

„Und ich habe den Kerl auch gleich erkannt, denn wir haben ihn ebenfalls am Berg beobachtet, wenn er schon fälschlicherweise uns zugerechnet wird. War Zufall, dass ich gerade draußen war. Ich sehe ihn durchs Gebüsch schleichen und dann schien er etwas zu werfen, einen Stein oder so. Erst danach entdeckte ich den anderen Kerl und kam sofort her“, meldete sich der Ranger zu Wort.

„Ja, leider. Meine Leute hatten mich gleich unterrichtet und ich war an Scharbeck dran. Hätten Sie ihn nicht verjagt, hätte ich ihn gleich gehabt. Aber Ihre Unterhaltung, meine Herren, war auch sehr aufschlussreich.“

Er zerrte Scharbeck zum Parkplatz, wo ein weiterer Beamter neben einem Polizeiauto wartete. Diesem übergab er seinen Gefangenen und wandte sich an Pokorny, der sich ebenfalls zum Parkplatz geschleppt hatte: „Sie haben mir sicher auch etwas zu erzählen, wenn Sie ärztlich versorgt sind!“

Bevor dieser antwortete, sah er Scharbeck durchdringend an. „Was ist mit dem Teufelsberg? Die Leiche liegt doch im See!“

Scharbeck lachte höhnisch. „So? Und warum wurde sie nie gefunden, trotz Tauchern? Sie lag keinen Tag im See, ich dachte mir, es wäre besser, sie umzubetten. War ’ne Heidenarbeit. Und nun wollen die den Teufelsberg umbuddeln! Da wollte ich schnell noch was abstauben für meine Mühe, bevor es zu spät ist. Es war mein Trumpf, als Einziger die Stelle zu kennen. Übrigens“, wandte er sich jetzt an den Naturschützer, „ich war wirklich gegen den Bau. Ich bin auf eurer Seite!“

Nun grinste der Kommissar. „Wenn ihr wüsstet, dass der Senat die Pläne bereits gestoppt hat! Auf mein Bitten hat man das noch nicht publik gemacht. Wer weiß, ob ich sonst alles erfahren hätte. Ein letzter Tipp: Helfen Sie uns, das Versteck der Leiche schnell zu finden. Es könnten Ihre einzigen Pluspunkte sein!“

Pokorny, der Mann, der bis heute Morgen ein erfolgreicher Unternehmer war, seufzte. Jetzt war es wirklich vorbei. Er fühlte sich erleichtert, nicht nur, weil Scharbecks Stiefel von seiner Brust weg war. Nun konnte er das Lietzow-Drama wirklich hinter sich lassen.
Schonungslos.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.06.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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